Читать книгу "Den Schlippern keine Schnitte ... !" 2024: 55 Jahre Samtgemeinde Freren - Anton Wiechmann - Страница 11

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4. Zum Wohle der Allgemeinheit, manchmal auch zum eigenen Wohl – Politiker sind keine Altruisten

Es mag Menschen geben, die sich bei ihrem Handeln ausschließlich oder überwiegend von altruistischen Motiven leiten lassen. Mutter Theresa von Kalkutta könnte eine solche Person gewesen sein oder auch Maximilian Kolbe. Letzterer ging freiwillig und stellvertretend für einen Familienvater in die Gaskammer, damit dieser dem Rachetod eines nationalsozialistischen Kommandos entgehen konnte.

Sicher ließen sich noch mehr Beispiele für altruistisisches Wirken einzelner Menschen finden. Stets handelt es sich dabei aber um Ausnahmen, die Regel ist weit entfernt davon. Alles soziale Handeln, so lehren ganz eindrücklich die Erfahrungen mit dem staatlich verordneten Sozialismus in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten, dient letztendlich dem Eigennutz. Und der Gemeinnutz wird zum Nebenprodukt oder zum Parallelprodukt des sozial wirksamen Einsatzes. Wenn bei dem Ringen um politische Lösungen auch persönliche Vorteilserwägungen eine Rolle spielen, lässt sich das nur selten beweisen. Wenn solche Vorteilserwägungen bewusst oder unbewusst mit im Kalkül sind, werden sie in der Regel als grundlegende Überzeugungen verkauft. In manchen Fällen deutet sich der Eigennutz aber an.

So berichten sowohl Karl-Heinz Brümmer, der erste Oberkreisdirektor des Großkreises Emsland, als auch Karl-Heinz Vehring, der erste Oberstadtdirektor der „Großen selbständigen Stadt Lingen“ übereinstimmend über die Bestrebungen von Werner Franke, des damaligen Oberkreisdirektors des Altkreises Lingen.

„Die Politik von Werner Franke war darauf angelegt, Eingemeindungen der Umlandgemeinden nach Lingen auf jeden Fall zu verhindern. Er meinte nämlich, daß bei einer entsprechenden Größenordnung der Stadt Lingen (Ems) eine Reform des Landkreises Lingen nicht mehr aufzuhalten sei. Ähnlich dachten wohl auch die OKDs der Nachbarkreise Meppen und Aschendorf-Hümmling. Die Städte sollten nicht zu stark werden.“17

Diese Bestrebungen waren nicht verwunderlich. Alle drei Oberkreisdirektoren sahen sich vor der Situation, dass sie an der angestammten Stelle keine Verwendung mehr finden würden. Alle drei mussten sich auf eine veränderte berufliche Tätigkeit einstellen, bei der sie an Einfluss und Bedeutung verlieren würden. So kann der fragende Beobachter nicht unterscheiden, inwieweit die einzelnen Personen tatsächlich aus Überzeugung an der Sache handelten oder ob letztendlich doch der persönliche Vorteil das ausschlaggebende Motiv für das soziale Handeln darstellte.

Nicht viel anderes lasst sich feststellen von dem ersten Bürgermeister der Samtgemeinde Freren und späteren Landrat des Großkreises Emsland, Josef Meiners. Seine langjährige politische Tätigkeit wurde regelmäßig von exorbitanten Zahlen an Wählerstimmen eskortiert. Es ist in keiner Weise despektierlich, seinen durchaus überzeugenden sozialen Einsatz als Politiker und Landrat im Zusammenhang zu sehen mit seiner etwa 11-jährigen und vermutlich durchaus profitablenTätigkeit als Präsident des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems)18. Wer seine politischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat, kann auch in der Wirtschaft von Nutzen sein und wird entsprechend umworben. So dürfte also sein soziales Handeln ihm nicht zum Nachteil geworden sein. Welche Motivation es war, die ihn so lange und für viele so überzeugend in seinen Ämtern gehalten hat, das weiß er nur er selber.

Und selbst Karl-Heinz Brümmer dürfte von seinem Engagement nicht unwesentlich profitiert haben, wurde er doch der erste Oberkreisdirektor des Großkreises Emsland. Damit konnte er karrieremäßig seinen früheren Chef, den Lingener Oberkreisdirektor Werner Franke überholen, der sich in dem neuen Großkreis Emsland mit einem Dezernentenposten begnügen musste.

Dass gemeinnütziges Engagement auch mit persönlichen Vorteilen verbunden ist bis hin zu finanziellen Profiten, ist absolut natürlich und widerspricht in keiner Weise den Prinzipien der Demokratie. Verwerflich wird es dann, wenn die persönlichen Vorteilserwägungen so in den Vordergrund rücken, dass die grundlegenden Zielstellungen zum Nutzen der Allgemeinheit außer Sicht geraten, wenn also Korruption und Käuflichkeit ins Spiel kommen.

Eine andere und gesonderte Sache ist es, wenn Politiker allzu anspruchslos werden und die Dinge zur Perversion bringen. Dann treten politische Überzeugung und Zielsetzungen an die zweite Stelle oder ganz in den Hintergrund. Und an den Anfang des politischen Werdeganges steht die Frage: Wo stecken die Mehrheiten, die meinen Aufstieg in Bewegung setzen können? Welche Interessen muss ich zu den meinigen erklären, um bei der Wahl erfolgreich zu sein? Aber auch solche Haltung, die in den Bereich des Populismus fällt, lässt sich nicht ausschließen. Ein bisschen davon kommt in jeder Wahlwerbung vor und sollte als politische Pragmatik durchgehen können.

Und trotzdem macht es einen Unterschied, ob ein Politiker Zukunftsmodelle entwickelt und Langzeitkonzepte verfolgt. Ob er mit innovativem Elan andere Politiker und Wähler zu überzeugen versucht, um Ziele zu verfolgen und Veränderungen herbeizuführen. Und ob er dabei ein Risiko für seinen längerfristigen Werdegang eingeht und sogar die nächste Wahl aufs Spiel setzt.

Das andere Extrem politischen Handelns liegt dann vor, wenn ein Politiker anpasslerisch vorgeht und jedes Risiko vermeidet. Wenn er einseitig die Gewohnheiten und Beharrungstendenzen in der Bevölkerung recherchiert, um sie zu bedienen. Und wenn er es deshalb vermeidet, Langzeitkonzepte zu entwickeln und notwendige Veränderungen anzugehen.

Ein Politiker kann den Weitblick suchen und Visionen entwickeln. Oder er kann solche Visionen ignorieren, vernachlässigen oder ihnen ganz aus dem Wege gehen, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen oder sie gar zu fordern. Wenn er sich also prinzipiell für den Weg des geringsten Widerstandes entscheidet, um so seine Wahlergebnisse zu begünstigen, dann liegt eine Politik vor, die mit sozialem und gemeinnützigem Handeln nur noch dem äußeren Anschein nach zu tun hat. Da wird das Eigeninteresse durch einen vorgetäuschten sozialen Einsatz getarnt und mit schauspielerischer Falschheit vor der Öffentlichkeit verborgen.

Langzeitkonzepte erfordern die Aktivitäten der Parteien. Um solche Entwürfe zu entwickeln, müssen Fragen aufgeworfen werden. In Diskussionen, Versammlungen und Konferenzen muss um deren Lösung gerungen werden. „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“ sagt der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt19. Langzeitkonzepte erfordern den Blick auf die Geschichte, sie erfordern Bestandsaufnahmen der Gegenwart und vor allem fordern sie aktive Politik. Manche Politiker fördern Visionen und entwickeln entsprechende Konzepte, andere Politiker scheuen und umgehen sie. Die Diskussion um die Zukunft erzeugt Aufmerksamkeit und fordert betroffene Bürgerinnen und Bürger heraus zur Unterstützung oder aber zur Ablehnung und zum Widerspruch. Mitunter führt sie zum Streit. Aber der führt in die Zukunft, wenn er mit der angemessenen Konstruktivität ausgetragen wird.

Man muss den Streit nicht suchen, aber ihn um jeden Preis zu vermeiden, führt in die Destruktivität. Dann werden zukunftsgerichtete Themen gar nicht erst angefasst. Statt dessen werden die Beharrungstendenzen der Bevölkerung bedient. So werden Irritationen vermieden, die die eigenen Position gefährden könnten. Mandatsträgerschaft wird dann zum Selbstzweck und das zuoberst angestrebte Ziel, das vor allen anderen Zielen rangiert. Die mit dem Mandat zu verbindenden politischen Möglichkeiten werden sortiert nach dem, was Zustimmung und Beifall schafft, und dem, was Risiko in sich birgt und unbeliebt machen könnte. Ansehen, Beliebtheit, pressemäßige Präsenz und öffentliche Aufmerksamkeit werden zum erstrebten Profit einer substanzschwachen Politik. Der schnelle und kurzfristige Nutzen für die eigene Person steht dann dem langfristigen Optimum für das Gemeinwesen hindernd im Wege. Ein Engagement dieser Art kann nur bei vordergründiger Betrachtung als gemeinnützig eingestuft werden.

Fazit: Zwischen dem Extrem eines narzistisch orientierten und veränderungsscheuen Populismus einerseits und dem anderen Extrem eines innovations-orientierten und gestaltungsfreudigen Idealismus andrerseits verteilen sich die Handlungsweisen der Politiker in voller Breite. Es braucht nur wenig Aufmerksamkeit und kaum Phantasie, um einiges davon wiederzuerkennen beim Blick auf die Gegenwartsgeschichte des Emslandes und der Samtgemeinde Freren. Der verweigerte Teil der Reformen für den Frerener Raum könnte bei entsprechender Sichtweise damit erklärt werden.

17Brümmer, S. 18; Vgl. auch: Karl-Heinz Vehring, Lingen – Zentrum einer Region, Strukturwandel und Modernisierung. Edition Virgenes o.J (weiterhin: Vehring), S. 61 u. S. 85

18Verbandspräsident von 1987 bis 1998; vgl.: Genossenschaftsverband Weser-Ems, 25 Jahre in der Region zu Hause, S 134. webmodulservice.de/ebook/genossenschaftsverband-weserems/125-jahre/files/assets/basic-html/page-134.html, zuletzt eingesehen am 30.11.2020

19Das Zitat ist allgemein bekannt, hier entnommen aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ Nr. 42 vom 10. Oktober 2019, S. 10



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