Читать книгу Die Farben meines Lebens - Arik Brauer - Страница 25

Die Hausmeisterin

Оглавление

Im 14. Bezirk lebte eine alte, verhutzelte Hausmeisterin. Sie war bissig und hatte auch guten Grund für ihre dauernde Verärgerung. Wie die meisten Menschen ihrer Generation hatte sie ein verpatztes Leben hinter sich, mit viel Armut und wenig Liebe. Prügel vom Vater, Prügel vom Gatten und Demütigungen von allen Seiten. Was Wunder, dass sie ständig Ausschau hielt nach jemandem, der noch schwächer war, an dem sie sich rächen konnte. Jemand, der noch schwächer war als sie, fand sich aber gar nicht so leicht. Und so war es ihr ganz recht, dass ein jüdischer Schuhmacher ihr Nachbar wurde. Schon ihre Mutter hatte sie gelehrt: „Was Jud ist, das stinkt.“ Im 14. Bezirk gab es kaum Juden und der Schuster war der einzige, den sie persönlich kannte. Er stank zwar nicht, aber er hatte, wie jedermann weiß, Jesus gekreuzigt. Auch war er nicht reich, wie es ja bekanntlich alle Juden sind, aber sicher würde er, wie alle Juden, bald ein riesiges Schuhgeschäft auf der Mariahilfer Straße haben und keiner würde wissen, wo er das Geld hernahm. Dass er fleißig und nie betrunken war, ärgerte die Hausmeisterin auch, denn ihr verstorbener Mann war faul und betrunken gewesen und sie fand, das Schicksal hätte auch ihr einen so fleißigen Juden zum Mann bestimmen sollen. Jedermann wusste, dass Juden gute Ehemänner sind und schnell reich werden, was ja vollkommen in Ordnung ist, wenn es sich um den eigenen Ehemann handelt. Außerdem kümmern sich Juden um Kinder und Enkelkinder. So widersprüchlich wie ihr „Antisemitismus“ war auch ihr Verhalten dem Schuster gegenüber. „Guten Tag, Herr Meister, wie steht das werte Befinden?“, und dann ein undeutliches Gemurmel im Weggehen: „Bagage jüdische, stinkende Bagage, Judengsindl, brumm, brumm, brumm …“ Im November 1938 (Kristallnacht) kamen SA-Männer mitten in der Nacht, brachen die Tür der Schusterwerkstätte auf und nahmen alles Vorhandene in Augenschein. Dann wurde die Tür versiegelt und die Männer zogen lautstark ab. Tags darauf kam der zehnjährige Sohn des Schusters wie immer gegen Mittag in die Werkstätte, brach das Siegel auf und ging hinein. Die Hausmeisterin hatte wie alle Hausmeisterinnen die Fähigkeit, durch Wände durchzusehen. Und so wusste sie auch gleich, dass es ein Trupp SA-Männer war, der geräuschvoll mit einem Lastwagen soeben vorfuhr. Dass in dem NS-Regime ganz andere Dimensionen von Gewalttätigkeit üblich waren als die Boxer und Ohrfeigen vom Vater und Gatten, hatte sie schon mitbekommen, und es war klar, dass ein Judenbub, der ein NS-Siegel aufbricht, zum Krüppel geschlagen wird. Hätte jetzt in ihrem Kopf ein Kampf zwischen Gut und Böse stattgefunden, das klassische „Was geht das mich an, nur nicht einmischen“ hätte sicher gewonnen. Ein solcher Kampf fand aber nicht statt. Die Frau reagierte vollkommen automatisch. Eine Bewusstseinsschicht tief unter ihrem angelernten Antisemitismus löste ihre Reaktion aus, so wie man ohne nachzudenken einen am Rücken liegenden, zappelnden Käfer umdreht. Blitzschnell drängte sie den Knaben in die Gangtoilette und sperrte von außen zu. Durch das Schlüsselloch beobachtete der Bub, wie die SA-Männer sein „Erbe“ wegtrugen: Lederballen, Leisten, Werkzeuge, sogar die Schürze seines Vaters. Es waren eben exakt arbeitende SA-Männer. Als alles vorbei war, sperrte die Hausmeisterin das Klo wieder auf, und als der Sohn des Schusters vorsichtig aus dem Haus trat, hörte er die Alte brummen: „Judengsindl, schleicht’s euch nach Palästina.“

Die Farben meines Lebens

Подняться наверх