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Kapitel 1 Logan Gegenwart

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Vorsichtig lasse ich die Tür meines Schätzchens, einem dunkelblauen Porsche in Sonderlackierung, ins Schloss fallen und schließe das Auto ab. Durch das kurze Aufleuchten der Blinkeranlage weiß ich, dass der Wagen zugesperrt ist. Gewissenhaft verstaue ich den Schlüssel in meiner Hosentasche und verlasse den Parkplatz am Rand des Morgan Recreation Parks.

Ohne Eile nähere ich mich dem eingezäunten Park, in dem Jacob Adams, einer meiner besten Freunde und Mannschaftskollege des Baseballteams Nashville Defenders, eine Hütte angemietet hat, um in seinen achtundzwanzigsten Geburtstag reinzufeiern.

An warmen Sommerabenden, wie diesem, steppt hier in der Parkanlage normalerweise der Bär. Die Bewohner der Stadt fliehen aus ihren Wohnungen und belagern den Park, um im wohlverdienten Feierabend die letzten Sonnenstrahlen des Tages einzufangen. Heute ist jedoch geschlossene Gesellschaft. Mein Kumpel hat seine weitreichenden Kontakte genutzt, um den Park eigens für sich zu beanspruchen. Na ja, wohl eher sein alter Herr, der als Landwirtschaftsminister der Vereinigten Staaten zum Kabinett des amtierenden Präsidenten gehört und somit Beziehungen pflegt, die einem verschlossene Türen öffnen. Der Park wird nicht so überlaufen, aber dennoch gut besucht sein. Auf Jacobs Einladungsliste standen knapp einhundertfünfzig Leute.

Der heutige Samstag ist der letzte Tag, bevor wir in der kommenden Woche wieder ins Training einsteigen. Die nächsten Monate wird wieder der Sport mein Leben bestimmen. In der Regel kann ich es kaum erwarten wieder auf dem Feld zu stehen, die beeindruckende Atmosphäre, die auf den Tribünen herrscht, aufzusaugen, mir meinen Handschuh überzuziehen und mir die Seele aus dem Leib zu spielen. Doch momentan fehlt mir noch der Antrieb.

Am Eingang des Parks angekommen, empfängt mich ein bulliger Türsteher mit Stiernacken und Armen wie Hulk Hogan im schicken Anzug und verspiegelter Sonnenbrille auf der Nase, um einen Blick auf meine Einladung zu werfen. Ich ziehe meine Karte aus der hinteren Jeanstasche und halte sie ihm entgegen. Als der Security meinen Namen mit denen auf der Gästeliste abgeglichen hat, nickt er mir zu und gibt den Weg frei.

Während ich die Karte wieder in meiner Hosentasche verschwinden lasse und weiterziehe, schaue ich mich um. Die Party ist bereits voll im Gang. Wie üblich machen Pärchen auf den Grünflächen miteinander rum, kleinere Gruppierungen stehen beisammen und leeren eifrig ihre Drinks, Musik schallt aus den aufgestellten Boxen und einige Mädels lassen auf der improvisierten Tanzfläche die Hüften kreisen. Etwas abseits des Geschehens ist ein Beerpong Tisch aufgestellt. Die Kiffer haben sich in eine dunkle Ecke verzogen, aus der der süßliche Grasgeruch aufsteigt. Der ganz normale Partywahnsinn.

Bevor ich nicht mindestens zwei Drinks in meinem Blutkreislauf habe, werde ich garantiert nicht in den Feierbiest-Modus umschalten können, der mir von meinen Teamkollegen nachgesagt wird. Das liegt vor allem daran, dass sich Melinas Todestag nähert. Jedes Jahr um diese Zeit, gerate ich vollkommen außer Kontrolle und werde unberechenbar.

Verdammt, der Autounfall, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat, ist mittlerweile fast zehn Jahre her und noch immer habe ich die Geschehnisse dieser alles zerstörenden Nacht nicht verarbeitet. Wochen, bevor sich der Unfall jährt, verfalle ich in einen unkontrollierbaren Rausch aus Selbsthass, Trauer und Wut. Ich verwandele mich in einen anderen Menschen. Einen, vor dem ich manchmal selbst Angst habe.

In diesem Abschnitt des Jahres wünsche ich mir immer wieder, dass ich Melinas Platz einnehmen oder alternativ die Zeit zurückdrehen könnte. Ich frage mich, warum ausgerechnet sie sterben musste. Wieso durfte nicht ich gehen?

Es belastet mich, dass ich die Schuld daran trage, dass die Liebe meines Lebens auf dem Nashville Temple Cemetery begraben liegt. Ich bin das gottverdammte Arschloch, das ihren Eltern die Tochter und ihrem Bruder die Schwester genommen hat. Damit lebe ich jetzt seit Jahren. Für mich ist auch nachvollziehbar, dass ihre Familie mich abgrundtief hasst.

Bis zu dem verhängnisvollen Tag vor knapp zehn Jahren, hatte ich mich sehr gut mit ihren Eltern verstanden. Ab der ersten Sekunde unseres Kennenlernens, haben sie mich an der Seite ihrer Tochter akzeptiert und mich wie einen neu dazugewonnenen Sohn in ihrer Mitte aufgenommen. Doch all das ist jetzt Geschichte. Ich wurde zum Objekt ihrer Wut und durfte nicht einmal an der Beerdigung meiner Freundin teilnehmen, geschweige denn sie ein letztes Mal im Bestattungsinstitut sehen, um mich von ihr zu verabschieden.

Wäre ich achtsamer gewesen und hätte die Straßenlage besser eingeschätzt, würde ich heute gemeinsam mit meiner Kleinen auf diese Party gehen. Verdammt, es macht mich echt fertig, dass ich sie auf dem Gewissen habe. Ich komme mir nicht besser vor, als ein Mörder.

Ich schüttele ich den Kopf und raufe mir die Haare. Ich glaube, ich brauche schleunigst ein paar Shots. Ich hoffe der Alkohol kann die aufkommenden Gefühle betäuben und die Gedanken in meinem Kopf verstummen lassen.

Während ich nach meinen Mannschaftskameraden Ausschau halte und die Erinnerungen an die Vergangenheit versuche an die Seite zu schieben, vibriert mein Handy in der Hosentasche. Ich hole es heraus und sehe den Namen meiner aktuellen Bettpartnerin, Lindsey Richards, auf dem Display aufleuchten.

„Hi Lindsey, was gibt es?“, nehme ich das Gespräch nach kurzem Zögern entgegen. Ich dachte, dass ich ihr zu verstehen gegeben hatte, dass ich den Abend für mich brauche.

„Wie darf ich bitte deine SMS verstehen? Lese ich das richtig? Du holst mich nicht ab? Mensch, Logan, ich habe Alkohol getrunken und weiß nicht, wie ich später nach Hause kommen soll. Ich hoffe doch stark, dass deine Nachricht bloß ein blöder Scherz war“, fällt sie ohne ein Wort der Begrüßung direkt mit der Tür ins Haus.

Oh, oh, sie scheint mächtig sauer zu sein. Ihre Stimme ist mindestens zwei Oktaven in die Höhe geschossen.

„Babe, ich habe dir doch gesagt, dass ich mit meinen Jungs einen draufmachen möchte. Das ist mein letztes Wochenende in Freiheit. Seit Wochen steht Jacobs Geburtstag in meinem Kalender. Nimm dir doch einfach ein Uber.“

„Ich soll mich von einem wildfremden Mann fahren lassen? Das ist jawohl nicht dein Ernst“, keift sie.

Verdammt, ich scheine die Sache durch meinen Vorschlag ungewollt verschlimmert zu haben. Gerade war sie nur wütend, jetzt ist sie fuchsteufelswild. So wie ich Lindsey kenne, wird sie jeden Moment wie ein Pulverfass explodieren.

„Wenn du mich nicht persönlich abholen kommst, lasse ich dich mindestens zwei Wochen nicht mehr ran. Wäge gut ab, Babe“, droht sie mir. Ich kann mir gerade sehr gut vorstellen, wie sie vor Wut schäumt. Immerhin ist es nicht das erste Mal, dass sie wegen einer Lappalie eine Szene macht. „Also?“

Meine Güte, manchmal geht sie mir wirklich auf die Nerven, mit ihrem Hang zu maßlosen Übertreibungen. Sie tut ja beinahe so, als seien Uberfahrer Massenmörder.

„Na, dann habe ich wohl Pech gehabt und werde die Durststrecke über selbst handanlegen müssen.“ Ich seufze. „Außerdem, seit wann habe ich den Status deines persönlichen Leibeigenen? Mach das mit uns nicht kompliziert. Wir haben uns auf etwas Lockeres ohne Verpflichtungen geeinigt.“

Auch wenn Lindsey sonst eine durchaus nette Person ist und wir im Bett kompatibel sind, lässt sie mir in der letzten Zeit viel zu oft die Zicke raushängen. Ich befürchte langsam, dass sie mehr von mir will. Doch dazu bin ich nicht bereit.

„Oh nein, Logan, mit deiner wir vögeln bloß, sonst weiter nichts Ausrede, gebe ich mich nicht zufrieden. Du bist seit ein paar Tagen völlig verändert. So funktioniert eine Beziehung nicht, selbst wenn sie nur auf Sex beruhen sollte. Schon mal was von dem Geben und Nehmen Prinzip gehört? Ach, wen frage ich das überhaupt? Bei dir ist Hopfen und Malz verloren, denn du machst ja eh nur das, worauf du Lust hast“, zetert sie weiter. „Verdammt, bekomm endlich deinen Scheiß in den Griff. Dein Verhalten ist nicht normal.“

„Langsam bekomme ich echt Kopfschmerzen von deinem Gemecker. Akzeptier meinen Wunsch nach mehr Freiraum oder lass es bleiben. Vielleicht tut es uns beiden gut, wenn wir einen Gang zurückschrauben. In der letzten Zeit liegen wir nur noch im Clinch. Ich habe mir das Arrangement etwas anderes vorgestellt. Wir sprechen uns“, beende ich die Diskussion und lege auf.

So, wie ich das Gespräch abgewürgt habe, war das vielleicht nicht die feine englische Art, aber eine andere Sprache versteht sie nicht. Hätte ich das Telefonat nicht an dieser Stelle abgebrochen, hätte sie vermutlich erst so richtig an Fahrt aufgenommen und mir die wüstesten Dinge um die Ohren gepfeffert. Erst neulich hat sie mir in einem Tobsuchtsanfall vorgehalten, dass sie mit dem nächstbesten Kerl in die Kiste springt, wenn ich nicht genau das tue, was sie von mir verlangt. Ihre Spielchen kenne ich mittlerweile und habe sie wirklich satt.

Ich stelle mir vermehrt die Frage, warum ich mir das mit Lindsey überhaupt antue. Ich meine, immerhin schlafen wir nur miteinander. Leider habe ich bis lang noch keine Antwort darauf gefunden. Stattdessen habe ich mir eingeredet, dass Lindsey einfach nicht anders kann. Sie ist wie sie ist. Unsere Abmachung bringt eine gewisse Bequemlichkeit mit sich, die ich durchaus schätze. Sie steht auf die gleichen Dinge im Bett wie ich und bis vor kurzem hat ihr das gereicht.

Ich verstaue das Smartphone wieder in meiner Jeans und ziehe weiter. Nach einer Weile des planlosen Herumlaufens, bleibe ich stehen und lasse den Blick durch die Menge schweifen. Dabei entdecke ich endlich meine Clique, die unter einer Baumgruppe auf dem Rasen sitzt.

Mason Campbell, der Kapitän unseres Teams, hat einen Arm um seine schwangere Ehefrau Addison gelegt, die wiederum ihren Kopf an seiner Halsbeuge bettet. Zu ihrer Linken sitzen Jacob, das Geburtstagskind, Noah und William, ebenfalls Mannschaftskameraden, die sich ihren Bieren widmen. Auch mit von der Partie sind Addisons Freundinnen Amelia, Harper und Evelyn.

Als Jacob mich entdeckt, reckt er seine Flasche in die Höhe und prostet mir über die Entfernung hinweg zu. Da auch ich wirklich Lust auf ein eisgekühltes Budweiser habe, marschiere auf meine Freunde zu.

„Hi Logan, wurde auch langsam Zeit, dass du hier aufschlägst“, begrüßt mich der Gastgeber und wirft mir eine Flasche zu, die ich dank meiner guten Reflexe problemlos auffange. „Hat Lindsey dich mal wieder nicht gehen lassen oder gibt es einen anderen Grund für deine Verspätung?“

„Du kennst sie doch“, murmele ich und lasse mich neben William nieder.

Da Jacob in seinen Geburtstag reinfeiert, gratuliere ich ihm noch nicht.

Unter keinen Umständen werde ich meinen Jungs erzählen, dass ich kurzzeitig in Erwägung gezogen habe, die Party sausen zu lassen, um mich zu Hause mit einem guten Scotch zu betäuben. Bis heute wissen meine Freunde nicht, was sich damals zugetragen hat. Und das soll auch so bleiben. Mitleid ist das Letzte, was ich will. Zumal ich es nicht verdient habe.

Heilfroh darüber, dass niemand mein Zuspätkommen weiter thematisiert, nehme ich einen großen Schluck von meinem Bier. Fast verschlucke ich mich daran, weil sich Olivia Turner, unsere neue Fitness- und Athletiktrainerin, zu uns gesellt.

Olivia, die von allen schlicht Liv gerufen wird, hat zusammen mit Addison studiert und vor kurzem erfolgreich ihre Weiterbildung im sporttherapeutischen Bereich abgeschlossen. Da Mason wusste, was sie draufhat, hat er Livs Namen in den Ring geworfen, als eine Stelle, nach dem Ausscheiden unseres Physio-Coaches, vakant wurde. Mason haben wir es also zu verdanken, dass jetzt Unruhe im Team herrscht. Nicht, weil sie einen schlechten Job macht, sondern vielmehr, weil sie eine verdammte Augenweide ist. Einige der Jungs sabbern regelrecht den Rasen voll, wenn sie den Platz mit ihren hautengen Sportklamotten betritt. Keinem meiner Mitspieler kann ich einen Vorwurf machen, denn zur Hölle, sie ist ein richtiger Leckerbissen.

Das lange Haar fällt ihr in seichten Wellen über die schmalen Schultern und schimmert seidig im letzten Licht der Abendsonne. Der nussbraune Farbton ihrer Haare steht in einem starken Kontrast zu der hellen Haut. Irgendwie erinnert mich ihre Erscheinung immer an Schneewittchen. Was mich jedoch am meisten an ihr fasziniert, sind ihre stechend leuchtenden grünen Augen in Kombination mit dem unglaublichsten Lächeln, das ich je gesehen habe.

Vom Körperbau her ist Liv klein geraten. Meiner Einschätzung nach misst sie maximal einen Meter sechzig. Im Gegensatz zu mir, ist jede Frau ein Zwerg, denn ich kratze an Zweimeterfünfmarke.

Da sie ein figurbetontes, blauweiß gepunktetes Sommerkleid trägt, werden die Vorzüge ihrer schmalen Taille und den kleinen, jedoch durchaus sehenswerten, Brüsten perfekt in Szene gesetzt. Das Kleid endet kurz über ihren Knien, weshalb ich eine fantastische Aussicht auf ihre schlanken Beine habe.

Verdammt, ich muss schwer schlucken, denn Liv ist die mit Abstand attraktivste Frau auf dieser Feier. Wenn sie nicht meine Arbeitskollegin wäre, würde ich alles daransetzen, um sie ins Bett zu bekommen.

„Vergiss es, Bruder. Sie ist seit Kurzem Teil der Defenders-Familie. Do not fuck the company. Also, wisch dir den Sabber aus den Mundwinkeln und hör auf, unseren Coach mit deinen Blicken auszuziehen“, warnt William mich in leisem Flüsterton.

„Spinnst du? Nie im Leben würde ich mich an Liv ranschmeißen. Sie ist überhaupt nicht mein Typ“, entgegne ich und nehme sofort meinen Blick von ihr.

„Wenn du das sagst“, meint William lachend. Er glaubt mir kein Wort. „Dein Gesichtsausdruck hat eine ganz andere Sprache gesprochen. Er schrie förmlich: Bald bist du fällig, Baby. Irgendwann räkelst du dich nackt unter mir.“

Entgeistert starre ich meinen Kumpel an, der mit den Augenbrauen wackelt und aufsteht.

„Ich hole mir noch ein Bier. Willst du auch eins?“ Abwartend schaut er auf mich herab, weshalb ich schnell nicke. Kopfschüttelnd geht mein Freund los.

Verdammt, William ist ein wirklich guter Beobachter. Ihm macht man nicht so leicht etwas vor. Er kann seine Mitmenschen lesen, wie kein anderer. Vermutlich macht diese Eigenschaft, sein brillantes Intuitionsvermögen, ihn zu so einem verteufelt gefährlichen First Baseman. Selbstverständlich hätte ich niemals zugegeben, dass er mit seiner Vermutung voll ins Schwarze getroffen hat. Ich schwärme nämlich schon lange heimlich für Liv.

Während ich mich mit aller Gewalt dazu zwinge, nicht wieder zu Olivia herüber zu linsen, die es sich mittlerweile zwischen Jacob und Addison bequem gemacht hat, vibriert erneut mein Handy. Erst denke ich darüber nach es zu ignorieren, entscheide mich aber doch dagegen. Rasch hole ich das Smartphone aus meiner Hosentasche, werfe einen Blick auf das Display und sehe das Anruferprofil meiner Mom aufblinken.

Hastig springe ich auf die Füße und stelle mich etwas abseits des Geschehens unter eine große Eiche.

„Hi Mom, ist alles in Ordnung?“

„Natürlich, mein Junge.“ Sie seufzt und legt eine kurze Pause ein. „Ich wollte mich nur kurz erkundigen, wie es dir geht. Ich meine jetzt, wo … wo … wo Melinas Todestag immer näher rückt.“ Sie klingt heiser. So, als habe es sie jede Menge Überwindung gekostet, den letzten Satz laut auszusprechen. „Da ich im Hintergrund Musik höre, gehe ich davon aus, dass mein Anruf ungelegen kommt. Entschuldige bitte die Störung, wir sprechen ein anderes Mal. Genieß den Abend, trink nicht so viel und komm später gut nach Hause, mein Schatz.“

„Das bekomme ich hin“, versichere ich ihr kleinlaut, da sich ein dicker Kloß in meiner Kehle gebildet hat, der mich zu ersticken droht.

Es fällt mir noch immer unsagbar schwer mit meinen Eltern über Melina zu sprechen. Sobald das Thema auf den Tisch kommt, ziehe ich mich in mein Schneckenhaus zurück. Niemand soll wissen, wie es in meinem Inneren aussieht, denn das geht nur mich etwas an.

„Das beruhigt mich. Du weißt ja, Eltern machen sich andauernd Sorgen. Ich liebe dich, Logan, vergiss das nicht. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden zum Reden brauchst.“

„Ich liebe dich auch, Mom“, entgegne ich, lege auf und starre auf das verdunkelte Display.

In meiner Brust zieht sich das Herz schmerzhaft zusammen und das Luftholen fällt mir schwer, was mir in der letzten Zeit immer häufiger passiert. Immer, wenn es um Melina geht, ist es, als würden sich meine Schuldgefühle, wie eine Schlinge um meinen Hals legen und den Knoten kontinuierlich strammer ziehen. So fest, dass ich nur noch mit Mühe atmen kann.

Während ich mich auf meine Atmung konzentriere, lichtet sich allmählich die bedrückende Enge und weicht stattdessen dem Gefühl der Wut. In mir brodelt es, weil ich mir erneut vor Augen führe, wie unfair das Leben ist. Verdammt, Melina hatte es nicht verdient zu sterben, während sich meine Welt weiterdreht. Würde es wirklich jemanden geben, der über uns Menschen richtet, hätte sich dieser Jemand den Schuldigen geholt und meine Freundin verschont.

„Fuck“, brülle ich aus voller Kehle und suche händeringend nach einer Möglichkeit meiner Frustration Luft zu machen.

Da ich niemanden verletzen möchte, jedoch den Drang verspüre auf etwas einschlagen zu müssen, donnere ich meine Faust gegen die unebene Rinde des Baumes. Den Hieb führe ich mit so viel Kraft aus, dass die dünne Haut um meine Fingerknöchel herum aufplatzt. Blut rinnt mir über die Hand, doch das stört mich nicht. Im Gegenteil, der körperliche Schmerz lenkt mich für den Moment von den im Inneren ab.

Wenn ich nicht aufpasse, werden mich meine Schuldgefühle noch um den Verstand bringen. Vermutlich bin ich schon längst an dem Punkt angelangt, an dem ich innerlich sterbe. Zumindest kommt es mir so vor, als würde ich von Jahr zu Jahr immer weiter abstumpfen. Dinge, die mir einst heilig waren, wie zum Beispiel der Sport, sind mir mittlerweile fast gleichgültig. Ich bin mir selbst gleichgültig.

Ich habe noch mit niemandem in meinem Freundeskreis über all das gesprochen. Klar, ich könnte mich Mason oder Noah anvertrauen, doch dafür fehlt mir der Mut. Ich befürchte, dass sie mich danach mit anderen Augen sehen könnten. Außerdem werden meine Jungs nie nachvollziehen können, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen auf dem Gewissen zu haben. Und mit einem Seelenklempner zu reden, steht nicht zur Debatte. Ein Psychiater ist der Letzte, dem ich meine Gefühle auf dem Silbertablett präsentieren will.

Aus dem Augenwinkel heraus nehme ich eine Bewegung wahr und drehe mich, um nachzusehen, wer mir in diesem Moment der Verletzlichkeit auf die Pelle rückt. Das getupfte Kleid erkenne ich sofort. Liv hat den Kopf leicht zur Seite geneigt. Sie schaut mich an. Ihr Blick ist offen und fragend zugleich. So, als würde sie genau abwägen, ob für sie ein Risiko besteht mich anzusprechen oder ob es schlauer wäre, wenn sie das Weite sucht.

Verdammt, mit deinen vollen, einladenden Lippen, die mich permanent heiß machen, kannst du mich mit Sicherheit für eine Weile ablenke, Baby, schießt es mir durch die Gedanken.

Oh mein Gott, was ist denn nur mit mir los? Seit wann bringe ich Liv mit Sex in Verbindung? Ich meine, natürlich ist sie unglaublich attraktiv und ich würde sie unter anderen Umständen niemals von der Bettkante schubsen, doch das steht nicht zur Debatte. Olivia ist nicht nur eine gute Bekannte, sondern gleichzeitig auch meine Arbeitskollegin. Beides Todschlagargumente, die es mir verbieten mehr in ihr zu sehen, als das, was sie ist. Eine Bekannte.

Meinem Körper scheint das ziemlich egal zu sein. Wie auf Autopilot geschaltet, bewegen sich meine Beine eigenmächtig vorwärts und gehen auf Liv zu. Scharf ziehe ich die Luft ein, als mir ihr süßlich, blumiger Parfümduft in die Nase steigt. Die Enge, die noch vor wenigen Augenblicken meine Brust belegte, schwillt mit jeder Sekunde in ihrer Nähe etwas mehr ab.

„Hast du dich verlaufen oder bist du mir absichtlich gefolgt?“, frage ich sie, doch sie reagiert nicht. Sie verharrt regungslos an und Ort und Stelle und schaut mir in die Augen. „Was ist? Noch nie einen Typen gesehen, der auf einen Baum einschlägt?“ Ich provoziere sie ganz bewusst, weil ich mir erhoffe, sie mit meinen Sticheleien in die Flucht zu schlagen.

Mir ist klar, dass ich mich ihr gegenüber wie ein Arschloch aufführe. Willkommen in meinem Leben. Sie wird gerade Zeugin meiner widerwärtigsten Seite. Doch mein abweisendes Verhalten ist meine Art, die Menschen auf Abstand zu halten. Niemand soll einen Blick hinter meine gespielt coole Fassade erhaschen und miterleben, dass ich in Wahrheit ein emotionales Wrack bin. Ich kann einfach nicht anders. Diese Methode hat sich bislang als die Effektivste erwiesen. Ich würde mir eher ein Bein abhacken, als dass ich zulasse, dass irgendwer, egal ob Freund oder Feind, mitbekommt, wie schwach ich in Wahrheit bin. Niemals.

Da sie auf meinen überflüssigen Spruch nicht einsteigt und stattdessen lediglich ihre kleine Nase kräuselt, muss ich noch härtere Geschütze abfeuern.

„Willst du mich weiter so dämlich anstarren? Hast du das Sprechen verlernt?“

Innerlich zucke ich selbst wegen meiner unmöglichen Worte zusammen. Könnte meine Mutter hören, was ich soeben zum Besten gegeben habe, würde sie mich über das Knie legen und mir eine Tracht Prügel verpassen. Zu recht. Meine schroffe Art nervt mich selbst. Schließlich hat Olivia mir nichts getan. Doch ich kann nicht anders. Um mich selbst zu schützen, ziehe ich alle Register. Selbst dann, wenn ich damit Menschen verletze, die mir wichtig sind.

Allmählich verliere ich die Geduld. Ich möchte wieder allein sein und mich im Selbstmitleid baden. Merkt sie denn nicht, dass sie stört?

Bewusst gehe ich noch einen weiteren Schritt auf Liv zu, sodass ich ganz dicht vor ihr stehe. So nah, dass sich beinahe unsere Nasenspitzen berühren und ich ihren Atem auf meiner erhitzten Haut spüren kann. Ihr so nahe zu sein, ist schön und beängstigend zugleich. Beängstigend, weil ich in ihrer Gegenwart wieder etwas Positives fühle. Das ist falsch. Ich habe es mir strikt verboten, jemals wieder auch nur ansatzweise Erfreuliches zu spüren.

Auch das Eindringen in ihre Komfortzone verfehlt seine Wirkung, weshalb ich noch offensiver agiere. Um sie aus dem Konzept zu bringen, lege ich eine Hand an ihre Wange.

„Bring dich vor mir in Sicherheit, Liv. Ich bin ein ziemlich mieser Kerl“, warne ich sie.

Vermutlich sollte ich einfach gehen. Doch aus einem mir unerklärlichen Grund, bin ich in ihrer Gegenwart wie gelähmt. Selbst wenn ich wollte, ich kann mich nicht von ihr distanzieren. Olivia übt eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus.

Sie scheint sich von meiner Drohung nicht abschrecken zu lassen, denn sie reckt mutig das Kinn in die Höhe und hält meinem Blick stand. Dabei ist ihre Mimik undurchsichtig und verrät mir nicht die geringste Gefühlsregung.

„Verdammt, ich habe dir gesagt, dass du lieber gehen sollst. Jetzt hast du deine Chance vertan, Süße“, erinnere ich sie, bevor ich meinen Mund auf ihren krachen lassen.

Ihre warmen und weichen Lippen auf meinen zu spüren, fühlt sich fantastisch an. Olivia hebt eine Hand, lässt ihre Finger sanft über meine Wange gleiten. Ich schließe die Augen, atme sie ein. Es ist seltsam, wie schnell sich meine trüben Gedanken durch so eine simple Berührung auflösen.

Meine Brust wird von einer gefährlichen Wärme durchflutet und in mir macht sich das brennende Bedürfnis breit, dieser wunderschönen Frau in meinen Armen ganz nah zu kommen. Ich will mit ihr verschmelzen, in sie eindringen und das nicht nur auf körperlicher Ebene.

Verdammt, wo sind nur all die Mauern hin, die ich über die Jahre hinweg mühevoll um mich herum aufgebaut habe?

Ich darf nicht zulassen, dass sie mich etwas Gutes fühlen lässt. Das habe ich nicht verdient. Daher setze ich meine Maske wieder auf, damit sie nicht mein wahres Ich sehen kann und löse mich von ihr. Ohne ihr in die Augen zu sehen, mache ich auf dem Absatz kehrt und lasse sie stehen.

Gott, was bin ich nur für ein mieses Arschloch?

Verflucht, der Kuss war der absolute Wahnsinn. Ich bin mir sicher, ihn nicht so schnell wieder zu vergessen. Fuck, ich hatte das Gefühl bei lebendigem Leib zu verbrennen, als sie ihre Finger an meine Wange legte. Ihr ist dabei ein kleiner, unschuldiger Seufzer entschlüpft, der mir den Ständer meines Lebens beschert hat. Während sie sich an mich geschmiegt und ihre festen Brüste gegen meinen Oberkörper gepresst hat, habe ich alles um uns herum vergessen. Nicht eine Sekunde dachte ich mehr über mein verkorkstes Leben oder den Melinas Todestag nach. Was dieser simple Kuss mit mir anstellte, war viel zu gut, um wahr zu sein.

Der Gefühlsimpuls war so verdammt überwältigend gewesen, dass ich Olivias Nähe einfach nicht länger aushielt.

Um wieder klar zu kommen, ließ ich Liv stehen und lief davon. Ich fühlte mich dabei beschissen. Es tat mir leid, dass ich sie erst provozierte, sie dann küsste und zur Krönung allein zurückließ.

Zur Hölle mit mir. Ich hätte sie auf keinen Fall küssen dürfen.

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