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Sechstes Kapitel
ОглавлениеZwei Stunden später saßen Bentheim und Krosick wieder im Büro ihres Vorgesetzten im ehemaligen Palais des Oberfeldmarschalls von Grumbkow. Gideon Horlitz ließ sich auf den aktuellen Stand der Dinge bringen. Dabei hockte er asketenhaft auf seinem Sessel, die Füße übereinandergekreuzt wie ein buddhistischer Mönch aus dem fernen, bunten Indien. Seine Rechte fuhr durch seinen Bart. Dann und wann vernahm Julius jene undefinierbaren Grunzlaute, die der Kommissar von sich zu geben pflegte, wenn er angestrengt nachdachte.
Die Minuten verstrichen, ohne dass sich Horlitz auch nur einmal zu Wort meldete. Julius beobachtete ihn insgeheim und fragte sich, was in seinem Hirn vorgehen mochte. Die Leichtigkeit, mit welcher der erfahrene Horlitz seine Schlussfolgerungen zog, überschritt den Horizont seines Denkprozesses. Bentheim blickte noch einige Zeit auf den Zettel mit den vielen Zahlen, den sie bei dem Toten gefunden hatten, bevor er entnervt den Kopf schüttelte und den Kommissar und Albrecht alleine zurückließ, um sich beim Gasthof ums Eck ein Bier und eine Brezel zu gönnen. Die beiden würden das Problem schon lösen.
30 Minuten später erwartete ihn ein ausgewechselt wirkender Kommissar. Er hatte sich eine Pfeife angezündet, deren beißenden Qualm er genussvoll inhalierte. Auch Krosick lächelte bis über beide Ohren.
»Sie haben doch nicht …?«
Gideon Horlitz nickte freudig. Fassungslos blickte Bentheim ihn an. Vollkommen ratlos, wie seine Freunde es geschafft hatten, den Code zu knacken, beugte er sich über das Papier. Noch bevor er etwas fragen konnte, hielt ihm der Kommissar ein weiteres Blatt entgegen, auf dem er in markanter Schrift seine Überlegungen notiert hatte.
»Sehen Sie, Julius, es ist doch ganz einfach. Sie müssen nur die richtigen Schlüsse aus den gegebenen Fakten ziehen, um ans Ziel zu gelangen. Cäsar, der allseits bekannte römische Feldherr, hatte zum Beispiel eine eigens für ihn entwickelte Geheimschrift, die ebenso einfach wie effektiv war: An die Stelle des A trat das D, an die Stelle des B das E und so weiter. Das nennt man gemeinhin monoalphabetische Verschlüsselung. Die alten Römer haben die Buchstaben ihres Klartextes einfach um drei Stellen verschoben. Der Name Cäsar wurde also, wenn ich mir das im Kopf so auf die Schnelle richtig zusammenreime, in seiner lateinischen Variante wie folgt geschrieben: Fdhvdu. Bei unserem Code verhält es sich ähnlich. Statt Buchstaben hat der Codierer einfach Zahlen verwendet. Eine 1 steht demnach für den ersten Buchstaben des Alphabets, das A. Die 2 steht für das B, die 3 für das C. So zieht es sich das ganze Alphabet hindurch fort. Bis hin zum Z, das der Zahl 26 entspricht.«
Bentheim wusste um die Komplexität zahlreicher mathematischer oder sprachlicher Codes. An der Friedrich-Wilhelms-Universität hatte er ein Seminar besucht, das sich mit den Kommunikationsmitteln des organisierten Verbrechens befasst hatte. Ausgefeilt und schwer zu knacken waren sie gewesen, jene Kassiber, Mordaufträge und Ganoven-Befehle, die meisten im Rotwelsch geschrieben, manche im Grypsera, einige wenige im Lotegorischen. Ihnen allen war jedoch gemein, dass man im Besitz des spezifischen Codes sein musste, um aus der Nachricht erst eine Information werden zu lassen. Dass Albrecht und Horlitz bloß ein paar Minuten für die Dechiffrierung gebraucht hatten, machte Julius sprachlos.
Der Kommissar seufzte lautstark.
»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen, mein Freund«, sprach er und hielt Julius den Zettel mit dem codierten Text entgegen. »Schauen Sie doch nur einmal die Nummer 20185661621141120 an. Sehen Sie genau hin. Nach der Acht kommt eine Fünf, gefolgt von zwei Sechsen. Stellen Sie die Acht und die Fünf zusammen, so erhalten Sie die Zahl 85. Hierzu gibt es aber keinen entsprechenden Buchstaben. Auch für die folgenden Zahlen 56, 66 und 61 gibt es keine Buchstaben, die man ihnen zuordnen könnte. Die Fünf und die beiden Sechsen müssen einzelne Zahlen sein. Womit wir schon ein wenig auflösen können: 2018eff1621141120.
Machen wir nun weiter, Julius. Am Ende dieser Verschlüsselung stehen eine Zwei und eine Null. Die Null entspricht aber keiner Zahl, da das Alphabet mit A, also 1 beginnt. Wir haben also eine 20 am Ende, ebenso am Anfang. Also können wir auch schreiben: T18eff16211411t.
Setzen wir nun für die ersten beiden Zahlen, die Eins und die Acht, ihre entsprechenden Buchstaben ein, so erhalten wir den Wortteil Taheff-, was eindeutig ein Fehler ist. Ziehen wir aber die Eins und die Acht zu einer 18 zusammen, so verschmelzen die schon vorhandenen Buchstaben zum Wortteil Treff-, was die Sache ziemlich erleichtert. Lösen wir auch noch die restlichen Zahlen auf, so kommen wir von Treff16211411t zum leicht verständlicheren Wort Treffpunkt.«
Bentheim blieb beinah die Luft weg.
»Sie sind ein Genie«, stammelte er.
Horlitz aber winkte ab und meinte bescheiden: »Genug der schmeichelnden Worte, Julius. Lassen Sie uns jetzt darangehen, das Rätsel vollständig zu lösen.«
Und so geschah es denn auch.
Die drei Ermittler saßen über dem Kryptogramm, tüftelten Buchstaben- und Zahlenkombinationen aus, bis erneut ein Wort dechiffriert war. Sie überlegten angestrengt, konzentrierten sich auf die Chiffren, die vor ihnen lagen, doch kaum war der eine so weit, eine Lösung vorzuweisen, kam ihm der andere bereits zuvor. Krosick warf einen Vorschlag ins Feld, dann wiederum Bentheim, dann wieder der Kommissar, bis sie es schließlich geschafft hatten. Gideon Horlitz atmete erleichtert auf und zündete sich aus einem Gefühl des Triumphes heraus erneut seine bereits zum zweiten Mal gestopfte Pfeife an. Vor ihnen lag des Rätsels Lösung:
Auftrag:
Töte den Diener.
Treffpunkt:
Was hat sieben Häute
und beißt alle
Menschen?
Ihre anfängliche Freude und Albrechts kindlicher Übermut schwanden sogleich, als die drei Ermittler den Inhalt des Textes erfasst hatten.
»Schon wieder ein Rätsel!«, entfuhr es Krosick zornig. »Wollen die uns zum Narren halten?«
»Keineswegs«, meinte Bentheim. »Wir müssen bildlich denken, Albrecht. Der Tote hatte also den ehrlosen Auftrag, den Kammer- und Hausdiener des verblichenen Herzogs von Gerolstein umzubringen. Nach begangener Tat hätte er sich mit einer dritten Person treffen sollen, sehr wahrscheinlich mit dem Auftraggeber des schändlichen Vorhabens.«
»Wieso hat der Mandant des Killers den Zettel nicht einfach in Klarschrift ausformuliert?«, warf Albrecht ein.
»Wahrscheinlich ist das damit zu erklären«, überlegte Horlitz, »dass pure Zahlenkombinationen bei einer Handschriftenanalyse fast keine Anhaltspunkte bieten. Wie dem auch sei … Das Rätsel ist so allgemein gestellt, dass sich die beiden Verschwörer wahrscheinlich in der näheren Umgebung verabredet hatten. Was also hat sieben Häute?«
»Eine Schlange?«, schlug Albrecht vor. »Vielleicht treffen Sie sich auf dem Gelände der alten Fasanerie?«
»Im Zoologischen Garten?«
Der Kommissar überlegte kurz, schüttelte dann aber langsam den Kopf.
Albrecht insistierte: »Weshalb keine Schlange? Sie häutet sich mehrmals und beißt alle Leute. Genau wie beschrieben.«
»Ich dachte erst auch in diese Richtung. Leider gibt es in unserem Zoo keine Schlangenterrarien. Es hat Volieren für Adler, Eulen und Raben, und gerade haben die Arbeiten für die neuen Hirschreviere begonnen, die in ein paar Monaten zur Besichtigung freigegeben werden. Nein, hier ist etwas anderes gemeint.«
Krosick und Horlitz überlegten fieberhaft, ohne auf eine adäquate Lösung zu kommen. Während sie vor sich hin grübelten, beäugte sie Julius gespannt. Mit durchdringenden Blicken sah er sie an und räusperte sich schließlich lautstark. Er, der sich schwärmerisch mit seinem Sohn abgab und in seinem Bekanntenkreis immer wieder nach Kinderliedern, lustigen Reimen und Versen suchte, kannte längst die Antwort.
»Die Lösung ist eine Zwiebel.«
Seine Augen glänzten, und er blies triumphierend den Rauch von Gideons Pfeife weg.
»Sie machen sich über mich lustig.«
»Keineswegs«, entgegnete Bentheim. »Das ist eine Scherzfrage, ein bekanntes Rätsel aus der Vorschule oder den Kinderbewahranstalten. Eine Zwiebel hat sieben Häute und beißt auch alle Menschen. Natürlich im übertragenen Sinn.«
Horlitz lachte auf.
»Und wo, bitte schön, sollen wir nun eine Zwiebel finden? Wollen Sie die Marktstände und Gemüseläden bewachen lassen, nur weil sich vielleicht der Auftraggeber in der Nähe einer Zwiebel befindet? Das ist schlicht grotesk und zudem einfach lächerlich.«
»Sie haben nicht ganz verstanden«, sagte Julius. »Ich meine sicherlich keine richtige Zwiebel. Sie müssen bildlich denken. Wo finden wir diese Gemüsepflanze, wenn nicht auf Marktständen?«
Nun ging seinen Freunden ein Licht auf.
»Natürlich! Das ist es!«, rief Albrecht aus. »Der Kirchturm der evangelischen St.-Peter-und-Paul-Kirche am Wannsee besitzt ein Zwiebeldach. Dort also wollten sich die beiden Halunken treffen.«
»Exakt! Und die Person, welche die Notiz geschrieben hat, wird uns noch vor Ort in die Fänge gehen.«
»Wie meinst du?«, fragte Albrecht überrascht. »Wir kennen den Zeitpunkt des Treffens nicht.«
»Doch, doch, das tun wir«, sprach Julius, der nun stetig selbstsicherer wurde. »Halte die Notiz gegen das Licht.«
Albrecht tat, wie ihm geheißen, streckte das Papier der flackernden Funzel ihrer Zimmerlampe entgegen und entdeckte ein kleines, aber dennoch gut sichtbares Wasserzeichen.
»Was siehst du?«
»Ich erblicke ein großes T«, gab der Fotograf zur Antwort.
»Sehr gut!«, meinte Julius. »T ist der 20. Buchstabe des Alphabets. Wir werden also unseren mysteriösen Unbekannten um die 20. Stunde in der St.-Peter-und-Paul-Kirche erwarten. Spätestens dann wird sich herausstellen, wer hinter diesen Morden steckt.«