Читать книгу Die Habsburger Reiche 1555-1740 - Arno Strohmeyer - Страница 12
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ОглавлениеErbländer Der Begriff „(habsburgische) Erbländer“ bezeichnet die von der österreichischen Linie der Habsburger kraft des Erbrechts regierten, zum Heiligen Römischen Reich gehörenden Territorien: Im 16. Jahrhundert waren dies das Erzherzogtum Österreich, die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain, die Grafschaft Tirol und die Vorlande (Streubesitz in Süddeutschland) sowie einige kleinere Gebiete an der Grenze zwischen Italien und Slowenien. Das Erzherzogtum Österreich und das Herzogtum Steiermark befanden sich seit dem späten 13. Jahrhundert unter habsburgischer Herrschaft, später kamen hinzu: Kärnten und Krain 1336, Tirol 1363. Das Erzherzogtum Österreich spaltete sich seit dem Spätmittelalter in zwei politisch-verfassungsrechtlich zunehmend selbstständige Einheiten: Österreich unter der Enns (heute Niederösterreich) und Österreich ob der Enns (weitgehend identisch mit dem jetzigen Bundesland Oberösterreich). 1627 wurde das Königreich Böhmen mit den vier Nebenländern Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz ebenfalls „Erbland“. Nicht zu den Erbländern gehören die im 14. und 15. Jahrhundert verlorengegangenen Schweizer Stammgebiete der Dynastie, die Länder der Ungarischen Krone und die Besitzungen der spanischen Linie, in denen die Habsburger jedoch ebenfalls kraft des Erbrechts regierten.
Scheitern der Einheitsbemühungen Karls V.
Aus innerfamiliären Gründen und aufgrund des ständig vorhandenen Expansionsdrangs der Dynastie hatte Karl 1521/22 in den Verträgen von Worms und Brüssel die Herrschaft über die Erbländer Ferdinand übertragen, was eigentlich in Widerspruch zu seinen universalen Ambitionen als Monarch stand. Wegen deren Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich blieb er als Kaiser freilich oberster Lehensherr seines Bruders, wodurch sein Universalanspruch grundsätzlich gewahrt blieb. Der Vorgang war dennoch äußerst folgenreich, denn er förderte die Selbstständigkeit der nun territorial ausgestatteten österreichischen Linie. Damit wies das Universalreich Karls unmittelbar nach seiner Entstehung eine Bruchstelle auf. Der Habsburger versuchte im Laufe seiner Herrschaft vergeblich, eine Teilung zu verhindern, scheiterte jedoch, da u.a. der österreichische Zweig nicht bereit war, den damit verbundenen Machtverlust hinzunehmen. Karl V. blieb daher der einzige Habsburger, der die spanischen Reiche beherrschte und gleichzeitig die Kaiserkrone trug. Die Spaltung des Universalreichs war Folge eines dynastischen overstretch: Um in allen Teilen an die Herrschaft zu gelangen und weiter expandieren zu können, hatte Karl seinem Bruder die Erbländer übertragen müssen, genau dadurch jedoch jenen Partikularismus der Dynastie herbeigeführt, der die Einheit des Herrschaftsraumes über seinen Tod hinaus verhinderte.
1555 und 1740 als Zäsur
Das Ereignis gilt jedoch nicht nur in der habsburgischen Geschichte als Zäsur, sondern ganz allgemein als Wendepunkt der europäischen Geschichte. Von nun an sei klar gewesen, dass sich „die aufbrechende europäische Staatenvielfalt nicht durch ein übergreifendes ideologisch begründetes Einheitskonzept ordnen ließ“ (Schilling, 2007, 3). In der Ideenwelt der Habsburger wie ihrer Gegner lebte die Vorstellung eines durch die Vereinigung der Teillinien entstehenden Universalreichs allerdings noch lange fort. So waren auch die Beziehungen zwischen beiden Herrschaftsbereichen in der zweiten Hälfte des 16. wie im 17. Jahrhundert ausgesprochen intensiv. Als sich schließlich vor 1700 das Aussterben der spanischen Habsburger im Mannesstamm abzeichnete, flammte der Universalismus wieder auf, denn eine Vereinigung der beiden Herrschaftsräume durch Karl VI. (1685/1711–1740) schien greifbar nahe. Der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714) zeigte freilich, dass eine Zusammenführung nicht mehr durchsetzbar war. Gleichwohl hielt der Habsburger noch über Jahre hinaus an dieser Vision fest (Kap. II.2). Erst mit seinem Tod 1740 starb der habsburgische Universalismus, der zu diesem Zeitpunkt realpolitisch nicht mehr als eine Fiktion war. Im sogleich ausbrechenden Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748) kämpfte seine Tochter und Nachfolgerin Maria Theresia (1717/40–1780) nicht mehr um das spanische Erbe oder die Errichtung eines Universalreichs, sondern um das politische Überleben.
Damit sind die zeitlichen Grenzen dieses Buches markiert: Es beginnt mit der Spaltung des Universalreichs Karls V. 1555 und gelangt mit dem Tod Karls VI. 1740, der den habsburgischen Universalismus für immer beendete, zum Abschluss. Es setzt damit den in dieser Reihe erschienenen Band „Habsburgs europäische Herrschaft. Von Karl V. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts“ der Berliner Historikerin Esther-Beate Körber (geb. 1957) fort, der sich vorrangig mit der Regierungszeit Karls V. beschäftigt. Der Beginn 1555 ist somit auch pragmatischen Gründen geschuldet.
Aufbau und Gliederung des Buches
Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Das zweite Kapitel von Teil I stellt die Herrschaftsräume der spanischen und österreichischen Habsburger in ihren Grundzügen vor, wobei verschiedene Perspektiven eingenommen und grundlegende Modelle der Forschung aufgezeigt werden. Teil II widmet sich den inneren Verhältnissen, in erster Linie strukturierenden politischen, sozialen, administrativen und dynastischen Faktoren. Methodisch geht es dabei – entsprechend dem komplizierten Verhältnis von Einheit und Verknüpfung der beiden Herrschaftsräume – um Beziehungen wie um vergleichende Gegenüberstellungen. Teil III stellt das Mit- und Nebeneinander in der internationalen Politik in den Mittelpunkt.
Bedeutung einer übernational-globalen Perspektive
Eine solche Darstellung muss angesichts des ausgedehnten Wirkungsbereichs der Dynastie übernational angelegt sein. Dabei ist jedoch auch Europa als Bezugspunkt unzureichend, denn die Habsburger regierten ebenso über Gebiete in Asien, Afrika und Amerika. Gedacht und gehandelt wurde lokal, regional, europäisch und weltumspannend, weshalb es unumgänglich ist, die globalen Dimensionen einzubeziehen.
Epochenmerkmale 1555–1740
Der Zeitraum zwischen 1555 und 1740 bildet die Kernphase der Frühen Neuzeit. Diese dynamische, von der Verwobenheit von Alt und Neu gekennzeichnete, Epoche reicht etwa von 1500 bis 1800.
Andersartigkeit
In vielfacher Hinsicht erscheint sie uns als „fremd“, jedoch begannen bzw. schritten grundlegende Entwicklungen entscheidend voran, deren Folgen das Gesicht Europas wie der Welt bis heute prägen. Besonders hervorzuheben sind folgende Prozesse, die in dieser Darstellung zur Orientierung dienen:
Herrschaftsverdichtung
• Herrschaftsverdichtung: Zu Beginn der Epoche gab es noch keine „Staaten“ im modernen Sinn, d.h. mit linearen Grenzen, einer Staatsnation und einer souveränen Staatsgewalt. Die Staatsbildung stand erst am Anfang. Dafür grundlegende Vorgänge wie die Intensivierung von Herrschaft und die Diskussionen über ihre Begrenzung wurden durch die oftmals in religionspolitischen Differenzen begründeten Untertanenkonflikte, die zwischen 1550 und 1650 in vielen Teilen Europas stattfanden, erheblich beschleunigt. Fördernd wirkten auch Kriege und der Aufbau effizienter Militärapparate mit stehenden Heeren. In der Folge differenzierten sich die Herrschaftsformen: In England und Polen etablierten sich gemischte politische Systeme, in denen neben dem Monarchen die politischen Stände – Versammlungen besonders privilegierter Untertanen – großen Einfluss besaßen. Demgegenüber konstituierten sich in Venedig, der Schweiz und den Niederlanden republikanische Verfassungen. In den beiden habsburgischen Herrschaftsräumen kam es, wie in Frankreich und Dänemark, zur Konzentration wesentlicher Kompetenzen in den Händen eines Monarchen. Eine Sonderentwicklung vollzog sich im Heiligen Römischen Reich, wo staatsbildende Prozesse in erster Linie auf territorialer Ebene abliefen. Eine beide habsburgischen Herrschaftsbereiche integrierende Staatsbildung fand nicht statt. Dieser Themenkomplex steht im Mittelpunkt von Teil II, vor allem in den Kapiteln, die sich mit den Regierungssystemen und dem Ständetum (Kap. II.4), der Verknüpfung von Religion und Politik (Kap. II.5), dem Untertanenwiderstand (Kap. II.6) und den Höfen (Kap. II.7) beschäftigen.
Stabilisierung des Staatenpluralismus
• Stabilisierung des europäischen Staatenpluralismus: Versuche einzelner europäischer Mächte oder Dynastien zur Errichtung eines Universalreichs oder zu umfassender Dominanz scheiterten. Stattdessen setzte sich das Prinzip einzelstaatlicher Souveränität durch, was im Widerspruch zu den universal-dynastischen Vorstellungen der Habsburger stand. Die Verhinderung der von Habsburgs Gegnern befürchteten Vorherrschaft der Dynastie förderte die Bellizität der Epoche (Teil III).
Verzahnung von Religion und Politik
• Verzahnung von Religion und Politik: Religion und Politik waren die gesamte Epoche über – für unsere moderne westliche Gesellschaft nicht immer leicht nachvollziehbar – miteinander untrennbar verknüpft. Besonders intensiv war diese Verbindung im „konfessionellen Zeitalter“, also von der Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers 1517 bis zum Westfälischen Frieden 1648, als sich rivalisierende Glaubensrichtungen etablierten und die religiöse Einheit der lateinischen Christenheit beendeten. Das daraus resultierende Konfliktpotenzial führte innerhalb der im Entstehen befindlichen Staaten wie auch zwischen diesen zu schweren Auseinandersetzungen. Der Dreißigjährige Krieg ist dafür ein Beispiel (Kap. III.5). Besonders tief gehend waren die religionspolitischen Auseinandersetzungen dort, wo der Herrscher einer anderen Glaubensrichtung angehörte als einflussreiche Eliten. Während die spanischen Habsburger mit diesem Phänomen vornehmlich in den Niederlanden konfrontiert waren, wurde der Herrschaftsraum der österreichischen Linie davon fast vollständig erfasst (Kap. II.6). Eine weitere Dimension des Zusammenhangs von Religion und Politik veranschaulichen die Beziehungen zum Osmanischen Reich (Kap. III.2).
Bevölkerungswachstum
• Bevölkerungswachstum: In der Mitte des 15. Jahrhunderts setzte in Europa ein Bevölkerungswachstum ein, das im späteren 18. und 19. Jahrhundert nochmals eine Beschleunigung erfuhr. Lebten in Europa um 1500 rund 81 Millionen Menschen, waren es um 1750 bereits rund 140 Millionen, 1850 ca. 266 Millionen und 1950 in etwa 576 Millionen. Dieser Prozess wurde in vielen Teilen der beiden habsburgischen Herrschaftskomplexe im 17. Jahrhundert durch Phasen der Stagnation oder sogar des Rückgangs unterbrochen (Kap. II.1).
Kolonialismus und europäische Expansion
• Kolonialismus und europäische Expansion: Im weiten Sinn wird unter Kolonialismus die Kontrolle einer Gesellschaft über eine fremdartige andere verstanden, wobei politische, wirtschaftliche, technologische, militärische und ideologische Entwicklungsdifferenzen ausgenützt werden. Der Kolonialismus im Zuge der europäischen Expansion begann im frühen 15. Jahrhundert mit dem Ausgreifen Portugals nach Afrika. Er wurde ab 1492 von Kastilien, dann vor allem von Frankreich, England und den Niederlanden fortgesetzt. Es handelte sich um einen Fundamentalprozess von weltgeschichtlicher Bedeutung, der weite Teile der Erde intensiven europäischen Einflüssen aussetzte und zur Bildung weltumspannender Kolonialreiche, zu transkontinentalen Massenmigrationen sowie zu globalen ökonomischen Vernetzungen führte. Die spanischen Habsburger waren an ihm maßgeblich beteiligt, beherrschten sie doch eines der größten und dauerhaftesten Kolonialreiche der Weltgeschichte. Die österreichische Linie hingegen konzentrierte sich auf den europäischen Raum. Diese globale Dimension habsburgischer Geschichte wird in Teil II vor allem in den Abschnitten über Bevölkerung und Gesellschaft (Kap. II.1), die Regierungssysteme (Kap. II.4) sowie den Themenkomplex Religion und Politik (Kap. II.5) berücksichtigt. Da es in der behandelten Epoche kaum einen Krieg gab, in dem die Kolonien keine Rolle gespielt hätten, werden diese auch in Abschnitt III thematisiert.
Weitere Merkmale
Neben diesen Entwicklungen fanden in der Frühen Neuzeit noch weitere grundlegende Prozesse statt, die hier jedoch aus Platzgründen nur punktuell berücksichtigt werden können. Dies sind etwa der Übergang von der Subsistenz- zur Marktwirtschaft, ein enormer Aufschwung von Handel und Gewerbe, nicht zuletzt aufgrund der Expansion nach Übersee, ein tiefgehender Wandel der Wissenskulturen sowie die durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern ausgelöste „Kommunikationsrevolution“. Dieses Buch bietet somit keinen vollständigen Überblick, sondern einen Einblick.