Читать книгу Die Habsburger Reiche 1555-1740 - Arno Strohmeyer - Страница 17
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ОглавлениеHaus Österreich (Casa de Austria) Im 11. und 12. Jahrhundert, als es im europäischen Adel üblich wurde, den Stammsitz zum Leitnamen zu wählen, belegen schriftliche Quellen erstmals einen „Grafen von Habsburg“, benannt nach der „Habichtsburg“ in der heutigen Schweiz. Die Familie war später mit dieser Namensgebung unzufrieden, denn sie erinnerte an die gräfliche Herkunft des Geschlechts. Aus diesem Grund bürgerte sich seit dem 14. Jahrhundert der vom Herzogtum Österreich abgeleitete Begriff domus Austriae bzw. „Haus Österreich“ ein (span. Casa de Austria, ital. Casa d’Austria, franz. Maison d’Autriche). Dieser Sammelbegriff verband dynastische, politische und geografische Inhalte und brachte eine Gesamtheit von Familie, Besitz und Vermögen zum Ausdruck. In Spanien heißen die Habsburger noch heute „los Austrias“.
Begriffsbestimmung
Die weiterhin bestehende Zusammengehörigkeit der beiden Herrschaftsräume wird erkennbar, wenn man sie als eine „dynastische Agglomeration“ versteht. Der vor wenigen Jahren in der britischen Historiografie aufgekommene Begriff bezeichnet einen heterogenen Herrschaftsbereich, dessen Bestandteile im Unterschied zur zusammengesetzten Monarchie nicht von einer Einzelperson, sondern von mehreren Mitgliedern einer Dynastie verknüpft wurden. Als verbindende Klammer wirkte der Familienverband. Der Cambridger Historiker John Morill (geb. 1946) meinte mit Blick auf die englische Geschichte, dadurch würde eine auf die Staatsbildung reduzierte und somit teleologische, da auf das Endergebnis fixierte Betrachtung verhindert und der Offenheit der historischen Entwicklung besser Rechnung getragen. Familiäre Strukturen müssten stärker berücksichtigt werden, denn bei einem alternativen Ausgang des „dynastischen Roulettes“ (unabsehbare Sterbefälle, Geburten, Unfruchtbarkeit, Geisteskrankheiten usw.) wären völlig andere territoriale Konstellationen entstanden als diejenigen, in denen letztlich die Herrschaftsverdichtung zur Entstehung der Monarchie und des Nationalstaats geführt hätte.
In der habsburgischen Geschichte gibt es etliche singuläre dynastische Ereignisse, die in dieses Bild passen. So gab es nach 1555 Momente, in denen eine Verschmelzung beider Herrschaftsräume oder zumindest einzelner Teile in greifbarer Nähe schien. Wäre etwa Leopold I. (1640/58–1705) ohne männlichen Nachkommen verstorben, hätte der spanische König Karl II. (1661/65–1700) zumindest die Hauptmasse des Herrschaftsraumes der österreichischen Linie geerbt. Die Chancen Karls VI., das spanische Erbe zu behaupten, wären deutlich besser gewesen, wäre sein Bruder Joseph I. (1678/1705–1711) nicht im Alter von 33 Jahren ohne männliche Nachkommen ein Opfer der Pocken geworden (Kap. II.2). Habsburgs Regenten versuchten zweifelsohne, ihre zusammengesetzten Monarchien oder Imperien zu zentralisieren, konfessionell zu vereinheitlichen und die einzelnen Teile zu integrieren, sie folgten jedoch ebenso den Familieninteressen und betrieben zu diesem Zweck eine charakteristische dynastische Politik (Kap. II.3). So war auch das Verhältnis der beiden Zweige enger als dasjenige zwischen den Linien vieler anderer Dynastien, etwa den spanischen und französischen Bourbonen, den Wasa in Schweden und Polen oder zwischen den Wittelsbachern in Bayern und der Kurpfalz.
Verflechtungen der beiden Herrschaftsräume
Die dynastische Verflechtung der beiden habsburgischen Zweige hatte weitreichende Folgen und bewirkte eine Vernetzung sozialer Eliten. So befanden sich in den jeweiligen Hofstaaten Adlige aus dem Herrschaftsbereich der Schwesterlinie, die beispielsweise durch Heiraten mit einer Hofdame, durch Belehnungen oder die Aufnahme in einen der Ritterorden zu einer noch festeren Verknüpfung beitrugen. Auch kulturell kam es zu Beeinflussungen, beispielsweise bei der Mode, im Hofzeremoniell, im Spitalswesen, in der Architektur, in der Musik und bei den kirchlichen Orden. Der Kulturtransfer von Spanien und den Niederlanden in die Habsburgermonarchie war so intensiv, dass seine Folgen in Österreich heute noch leicht zu erkennen sind. Ein Beispiel ist die Wiener Hofreitschule, deren berühmte Schimmel, die Lipizzaner, im 16. Jahrhundert aus Andalusien und Neapel auf Veranlassung österreichischer Habsburger, die in Spanien gewesen waren, importiert wurden, ein anderes das Kunsthistorische Museum in Wien, dessen Bestände denjenigen des Museo del Prado in Madrid ähneln. Die bedeutendste barocke Schlossanlage der Steiermark, Schloss Eggenberg bei Graz, ist dem Escorial nachempfunden (Kap. II.7). Träger dieser Kulturtransferprozesse waren häufig Diplomaten und Adlige.
Gefördert wurde der Zusammenhalt durch die internationale Lage, denn die außenpolitischen Interessen deckten sich und führten zur Kooperation. Die Franzosen nahmen deshalb die beiden Herrschaftsräume als Einheit wahr. Freilich gab es zwischen beiden Linien auch Differenzen und Meinungsverschiedenheiten, in den zentralen Themen der internationalen Politik stimmte jedoch zumindest die Grundrichtung überein (Teil III):
• Religionspolitik: Die spanischen wie die österreichischen Habsburger waren katholisch. Das gilt selbst für Maximilian II., der vor allem in frühen Lebensphasen Sympathien für das Luthertum an den Tag legte. Aus diesem Grund zählten beide Herrschaftskomplexe in den konfessionspolitischen Auseinandersetzungen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts zum „katholischen Block“, was freilich nicht bedeutet, dass die Bevölkerung generell katholisch war und man in Detailfragen immer übereinstimmte. In den Augen Philipps II. ging man gegen die Ausbreitung des Protestantismus in den Erbländern nicht konsequent genug vor. Aus Wiener Sicht wiederum war die Religionspolitik des spanischen Königs in den Niederlanden zu wenig kompromissbereit (Kap. II.5).
• „Erbfeind“ Frankreich: Seit dem 15. Jahrhundert war Frankreich in Europa neben den Osmanen der Hauptkontrahent. Der Gegensatz verlor erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts an Wirkungskraft (Kap. III.4, 6).
• „Erbfeind“ Osmanen: Der zweite gemeinsame Hauptfeind waren die Osmanen. Die spanischen Habsburger bekämpften sie in erster Linie im mediterranen Raum, die österreichischen in Südosteuropa (Kap. III.2).
Fazit: multiperspektivische Betrachtung
Die beiden habsburgischen Herrschaftsräume lassen sich demzufolge aus verschiedenen Perspektiven in den Blick nehmen, wobei jeweils bestimmte Wesenszüge und Entwicklungen hervortreten: Betrachtet man sie, wie die Mehrheit der Historiker, als zwei zusammengesetzte Monarchien, rücken jeweils die Herrschaftsverdichtung und politische Integration bis hin zur Nationalstaatsbildung in den Vordergrund. Eine Betrachtung als Imperium und Großreich bezieht stärker die Kolonien, die Besitzungen in Italien und die internationale Politik mit ein. Das Modell der dynastischen Agglomeration wiederum hebt den bis zum Tod Karls VI. bestehenden Universalismus mit der dichten Verflechtung beider Räume hervor. Allerdings fand diese Zusammengehörigkeit bislang nicht hinreichend Beachtung, so dass trotz einer umfangreichen Dynastiegeschichtsschreibung noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist. Es wurden zwar viele Familiengeschichten verfasst, moderne Gesamtdarstellungen, die beide Herrschaftsräume integrativ betrachten, sind Mangelware.