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2. Eine Dynastie – zwei Herrschaftsräume: Interpretationen und Modelle a) Zwei zusammengesetzte Monarchien

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Begriffsbestimmung

Die zusammengesetzte Monarchie bzw. Mehrfachherrschaft ist seit den 1990er-Jahren eines der zentralen Modelle zur Analyse frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Gemeint sind Herrschaftskomplexe, die aus zwei oder mehreren Territorien bzw. Ländern bestanden, die ein und derselbe Monarch regierte. Dieser bildete die zusammenhaltende Klammer der rechtlich, wirtschaftlich sowie kulturell oftmals sehr heterogenen Teile. Räume dieser Art finden sich im frühneuzeitlichen Europa häufig, beispielsweise Großbritannien, die Niederlande und Polen-Litauen. Selbst das hochzentralisierte Frankreich war eine zusammengesetzte Monarchie, da Gebiete am Rand lange einen Sonderstatus besaßen. Blieben diese einzelnen Teile aufgrund der fortdauernden Herrschaft einer Dynastie über mehrere Generationen verknüpft, fand mitunter eine Nivellierung bis hin zur Bildung eines Nationalstaates statt. Eine solche Entwicklung konnte viele Jahrhunderte in Anspruch nehmen.

Spanische Monarchie

Beide habsburgischen Herrschaftskomplexe lassen sich als zusammengesetzte Monarchien verstehen. In der Spanischen Monarchie waren sogar die geografisch benachbarten Königreiche Kastilien und Aragon durch administrative, sprachlich-kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede getrennt. Zudem blieben einige Gebiete mit Regionen eng verbunden, die nicht zu den Reichen der Habsburger gehörten. So verfügten Burgund und Katalonien über enge Kontakte zu Landschaften in Frankreich. Einige Teile waren bereits längere Zeit verbunden: Kastilien, Asturien-León, Sevilla, Jaén, Córdoba und Murcia etwa gehörten schon seit dem 13. Jahrhundert zur Krone von Kastilien. Deutlich heterogener waren die Verhältnisse im Herrschaftsraum der Krone von Aragon, der im 12. Jahrhundert durch die Fusionierung des gleichnamigen Königreichs mit der Grafschaft Katalonien entstanden war. Die Einverleibung der italienischen Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien war zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert erfolgt. Die aragonesischen Teilreiche waren stärker als die kastilischen auf ihre Unabhängigkeit bedacht, weshalb die interne Annäherung hier geringer war. Darüber hinaus gab es massive Vorbehalte gegen eine feste Verbindung mit den deutlich größeren und ökonomisch überlegenen kastilischen Ländern, die allerdings seit dem 15. Jahrhundert von derselben Herrscherdynastie, den Trastámara, regiert wurden. Als einschneidendes Ereignis für das Zusammenwachsen gilt 1469 die Heirat der Katholischen Könige, Ferdinand II. von Aragon (1452/79–1516) und Isabella von Kastilien (1451/74–1504), die zur Verknüpfung der beiden Königreiche führte. Die Angst vor einer „Kastilisierung“ bestand allerdings während der gesamten Regierungszeit der Habsburger fort und führte in der Mitte des 17. Jahrhunderts sogar kurzfristig zur Loslösung Kataloniens (Kap. II.6).

Zeitgenössische Bezeichnungen

Neben dieser Heterogenität gab es vor allem in Kastilien Vorstellungen politischer und kultureller Einheit, die in der Zeit der Römer und Westgoten wurzelten. Freilich sprachen die Zeitgenossen, wenn sie den Herrschaftsbereich Philipps II. meinten, dennoch meist von den „spanischen Reichen“. Erst mit Fortdauer seiner Regierung fand die Bezeichnung „Spanische Monarchie“ (Monarquía Hispánica, Monarquía Católica) häufiger Verwendung. Der König selbst bezeichnete sich als Rey de España oder Rey de las Españas, wobei nicht nur die Reiche und Kronen auf der Iberischen Halbinsel gemeint, sondern auch die Besitzungen in Italien und Übersee eingeschlossen sein konnten. Diese Tendenz, die ein Zusammenwachsen zum Ausdruck brachte, setzte sich nach Philipps Tod 1598 in einem komplizierten und konfliktreichen Prozess des Gegen- und Miteinander fort, ohne zu einer vollständigen Integration zu führen. Da die peripheren Gebiete (Niederlande, Portugal, italienische Provinzen, Territorien in Übersee) sukzessive verloren gingen, konzentrierte sich die Nationalstaatsbildung schließlich auf die Kernländer auf der Iberischen Halbinsel.

Herrschaftsraum der österreichischen Habsburger

Der Herrschaftskomplex der österreichischen Habsburger lässt sich ebenfalls als zusammengesetzte Monarchie verstehen. Diese bestand aus drei bzw. vier großen Einheiten, die sich ihrerseits aus mehreren Teilen konstituierten:

Erbländer: Die Erbländer bildeten 1555 eine locker verbundene, primär durch die Dynastie zusammengehaltene Einheit. Aufgrund der schon längere Zeit bestehenden Verklammerung war es vor allem zwischen den drei innerösterreichischen Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain zu einer gewissen Annäherung gekommen. Ein stellenweise auftretendes übergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl wurde von der älteren Forschung fälschlicherweise als Ausdruck eines frühen österreichischen Nationalbewusstseins gedeutet.

Böhmen: Böhmen setzte sich aus den fünf sog. Kronländern zusammen: dem Königreich Böhmen als Kern, der Markgrafschaft Mähren, dem Herzogtum Schlesien sowie den Markgrafschaften Oberlausitz und Niederlausitz. Der seit dem Mittelalter eng verbundene Komplex wurde meist als „Länder der Böhmischen Krone“, „Böhmische Kronländer“, „Länder der Wenzelskrone“ oder verkürzt nur als „Böhmen (Čechy)“ bezeichnet. Er gehörte seit 1526 zum Herrschaftsbereich der Habsburger.

Ungarn: Das Königreich Ungarn war seit Beginn des 12. Jahrhunderts mit dem Regnum tripartitum (Kroatien, Dalmatien, Slawonien) in Personalunion verbunden. Die Verknüpfung, die aus ungarischer, nicht jedoch aus kroatischer Sicht als sehr fest galt, bestand, mit einer kurzen Unterbrechung um 1848, bis 1918. Der gesamte Komplex gelangte ebenfalls 1526 und nach einigen Wirren endgültig 1540 in die Hände der Habsburger. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings ein Großteil von den Osmanen besetzt. Realpolitisch beherrschten sie bis zur Rückeroberung im Großen Türkenkrieg (1683–1699, Kap. III.2) nur Teile Kroatiens und einen kleinen Gebietsstreifen im Nordwesten, das „Königliche Ungarn“.

Heiliges Römisches Reich: Das Heilige Römische Reich zählte zum Herrschaftsbereich der österreichischen Habsburger, da der Kaiser zwischen 1438 und 1806 mit einer kurzen Ausnahme immer aus diesem Zweig der Dynastie stammte. Die Erbländer und (mit Einschränkungen) Böhmen, nicht jedoch Ungarn, gehörten dazu und nahmen darin eine Sonderstellung ein, da das territoriale Oberhaupt, der Landesfürst bzw. König, mit der Person des Kaisers häufig identisch war. Aufgrund der relativ schwachen Position des Kaisers kann das Reich nur mit Einschränkungen zur zusammengesetzten Monarchie der österreichischen Habsburger gezählt werden.

Da sich das Primogeniturrecht (Vorrecht des Erstgeborenen bei der Erbfolge) zu Beginn der hier behandelten Epoche noch nicht durchgesetzt hatte, wurde der Herrschaftskomplex der österreichischen Habsburger nach dem Ableben Ferdinands I. 1564 unter dessen drei Söhnen aufgeteilt. Erst 1665, unter Kaiser Leopold I., war der Gesamtbesitz des Zweiges wieder in einer Hand vereint, und zwar nun dauerhaft bis 1918. Im Herrschaftsbereich der spanischen Linie fanden keine analogen Teilungen statt. Ein Versuch an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in den südlichen (Spanischen) Niederlanden eine mit weitreichenden Souveränitätsrechten ausgestattete Nebenlinie einzurichten, scheiterte (Kap. II.3).

Zeitgenössische Bezeichnungen

Die Zeitgenossen hatten für den heterogenen Länderkomplex der österreichischen Linie lange Zeit keine einheitliche Bezeichnung. Die Habsburger selbst sprachen zunächst gerne von ihren „Erbkönigreichen, Fürstentümern und Ländern“. Erst mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, möglicherweise beeinflusst von der Entwicklung in Spanien, häuften sich die zusammenfassenden Begriffe Monarchia Austriaca bzw. „Österreichische Monarchie“. Sie inkludierten nicht das Heilige Römische Reich, das zwar in der Politik der habsburgischen Kaiser einen nicht zu unterschätzenden Bezugspunkt bildete, spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts jedoch in seiner Bedeutung meist hinter dem Hausbesitz rangierte (Kap. II.4). Aber auch ohne das Heilige Römische Reich gelang die staatliche Integration der Habsburgermonarchie nur unvollständig. So konnten zwar Böhmen und Mähren im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges fester eingebunden werden, Ungarn besaß jedoch die gesamte Neuzeit über eine Sonderstellung. 1918 brach das Länderkonglomerat schließlich auseinander. Aus diesem Grund fand auch keine mit dem Herrschaftsbereich der spanischen Habsburger vergleichbare Nationalstaatsbildung statt, denn aus der Donaumonarchie ging eine Reihe von Staaten hervor, darunter als kleiner Rest die Republik Österreich.

Die Habsburger Reiche 1555-1740

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