Читать книгу Exlux - Arno von Rosen - Страница 10

5. Kapitel

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„Gibt es noch Fragen zur Fördertechnik? Sonst machen wir bei den wissenschaftlichen Untersuchungen weiter. Sie sind jetzt auch im Bilde, Armin?“

Wester wiegte den Kopf leicht hin und her, als ob er dann besser Überlegen könnte, und kontrollierte die Punkte in seinen Aufzeichnungen.

„Nein, ich denke, soweit wurden alle offenen Fragen besprochen. Es gibt dann noch ein paar Details im Bezug auf die Schleusen, die zum Schiffsanleger führen, aber die können wir auch später erörtern.“

Er sah jetzt von seinen Notizen hoch, und lächelte Burton Miles an, der das als Abschluss der Ausführungen wertete.

„Ja gut, dann kommen wir zu unserer Eisspezialistin Dr. Renard. Bitte geben sie uns eine Übersicht, bevor wir zu den einzelnen Punkten kommen.“

Julie Renard war Glaziologin, und zuständig für die wissenschaftlichen Ergebnisse, die von der Klimastation erarbeitet wurden, und die als Grundlage dienten, den Forschungsstatus der Einrichtung am Südpol zu rechtfertigen. Sie gehörte schon seit Jahren zu den Mitgliedern der Züricher Universität, und arbeitete dort im erlesenen Zirkel des „World Glacier Monitoring Service“.

Wichtiger war hier aber die Beobachtung der Eisbewegungen in Richtung Südpolarmeer. Nur, wenn der Gletscher auf Palmerland nicht schneller als mit ein bis zwei Metern pro Jahr auf die Küste zustrebte, war ein ungestörter Ablauf der Förderung gewährleistet.

„Danke, Burton. Leider habe ich ein paar beunruhigende Beobachtungen gemacht.“ Unwillkürlich nahmen die Gruppenteilnehmer eine straffere Haltung an, und sahen gespannt zu ihrer Kollegin, die per Laptop ein Bild an eine der Wände projizierte, welches eine Eisfläche zeigte. Der Raum dunkelte sich automatisch ab, und Julie Renard begann mit ihren Ausführungen.

„Ihr seht hier, auf dem ersten Bild, eine Luftaufnahme von 1990, und ich zeige euch jetzt Aufnahmen von 1997, danach von 2002, und als letztes, eine unserer eigenen Aufnahmen von 2006. Das ist das Wilkins Eisschelf, und die Verbindung zur Charcot Insel. Es besteht jetzt nur noch eine schmale Brücke, zwischen dem Kontinent und der Insel. Diese letzte Eiszunge wird, voraussichtlich in diesem oder im nächsten Jahr, zusammenbrechen.“

„Ist das nicht sogar gut für uns, Dr. Renard? Dann könnten wir vielleicht in Zukunft zu jeder Jahreszeit mit Schiffen am Hafen anlegen, wenn das Eis in der George Meerenge ebenfalls zurückgeht. Das würde unsere Logistik enorm erleichtern.“

„Danke für den Einwand, Armin. Sie haben Recht, die Logistik verbessert sich dann erheblich, aber ich wollte auf etwas anderes hinaus. Sollte die Eisverbindung zwischen Palmerland, der Alexander Insel, dem Wilkins Eisschelf, und der Charcot Insel nicht mehr existieren, fehlt möglicherweise der nötige Gegendruck auf das Schelf, das vom Festland kommt. Es könnte sein, dass dann die Eismassen schneller in Richtung Meer rutschen.“

Burton hatte verstanden, wo das Problem lag. Sollte der Gletscher schneller zur Küste rutschen, wäre möglicherweise auch das Projekt gefährdet. Mehr als zwei Meter pro Jahr konnte das Gebäude nicht verkraften, zumindest gab es dafür noch keine Berechnungen. Er sah zu der Glaziologin, und stellte die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte.

„Wie schnell wird sich das Eis in Richtung Küste bewegen, Dr. Renard?“

„Ich weiß es nicht Burton, und um es gleich vorweg zu nehmen. Niemand weiß es, da es bis jetzt ein einmaliger Vorgang wäre. Ich könnte Kontakt zu meiner Fakultät aufnehmen, aber ich halte es noch für zu früh. Ich benötige dafür weitere Parameter, um ein Rechenmodell erstellen zu können. Seit den Wetteraufzeichnungen, und den ältesten Karten vom Südpol, hat es keine solche Veränderung bei den Eisflächen gegeben. Vielleicht macht es auch nichts aus, und ich mache mir unnötige Gedanken.“

Es herrschte einen Moment Stille, bevor Burton das Wort ergriff. Er wusste nur zu gut, dass Julie sich nie irrte, zumindest wenn es um ihren Beruf ging. Sie war mit Sicherheit eine der besten Eisforscherinnen auf der Welt, und ihr Urteil hatte Gewicht.

„Was benötigen wir noch an Daten, damit wir neue Berechnungen vornehmen können?“

„Nun Burton, solange das Wetter noch mitspielt, möchte ich mir mit dem Hubschrauber einen Überblick verschaffen, und neue Bilder machen. Ich werde noch ein paar Messpunkte einrichten, um die Wassertemperatur auch während des Winters kontrollieren zu können, und um zu sehen, ob sich das Eis schneller bewegt, als bisher.“

Burton notierte sich die wichtigsten Punkte in sein Netbook, um einen Fragen- und Antwortenkatalog zu erarbeiten.

„Wie lange werden sie für die Arbeit benötigen, Dr. Renard?“

Julie ging im Kopf die verschiedenen Arbeitsschritte durch.

„Ich hoffe mit zwei Tagen auszukommen, falls das Wetter stabil bleibt, aber es wäre gut, Hilfe zu haben.“

Burton sah seine Agenda für die nächsten Tage an, und entschied sich, die Arbeiten selbst durchzuführen, obwohl er zurzeit keinen Mitarbeiter entbehren konnte, am wenigsten sich selbst.

„Gut, wir starten morgen kurz vor Sonnenaufgang. Ich werde selber fliegen, um nicht unnötig Personal abzuziehen, und ich kann auch Messstationen einrichten, dann sitzt der Pilot nicht stundenlang unnütz herum. Zu zweit, sollte die Arbeit in der vorgegebenen Zeit zu schaffen sein. Armin Wester wird mich bei allen technischen Fragen vertreten. Im Notfall bin ich über Satellitentelefon erreichbar“, sagte er, über seinen Bildschirm gebeugt, bevor er wieder in die Runde blickte.

„Trotz der nicht planmäßigen Aufgaben bleibt es dabei, dass so viele Mitarbeiter wie möglich in den nächsten Tagen an die Oberfläche gehen sollen, solange es noch hell ist, und die Sonne scheint. Jeder von ihnen teilt die Gruppen, für die er verantwortlich ist, selber ein. Stimmen sie sich ab, damit es nicht zu Engpässen bei der Arbeit kommt.“

Alle Anwesenden nickten, und es machte sich Erleichterung breit, da der Spaziergang an die Oberfläche zu den Höhepunkten gehörte, bevor es wieder Winter wurde.

„Wir kommen jetzt zu den Bohrkern Mannschaften. Peter verschaffen sie uns bitte ein Update über die Qualität der Bohrungen.“

Peter Nichols war ein schweigsamer, unnahbarer Mann, von etwa 50 Jahren, der bereits während des Irak Krieges an der Löschung der angezündeten Ölquellen, beteiligt war. Deshalb nannten ihn die meisten Mitarbeiter „Red“, da jeder annahm, dass er bei den berühmten „Red Adair“ gearbeitet hatte. Bestätigt hatte Red das allerdings nie, aber er hatte es auch nicht dementiert. Eine Reaktion konnte man selten von seinem Gesicht ablesen, das schon so manche Brandnarbe aufwies, aber wenn er etwas zu sagen hatte, hörte man besser zu, denn Wiederholungen waren für Red ein Grauen, weshalb er es so gut wie nie tat.

Burton schätze den Mann, kam er doch, wie er selbst, aus den USA. Auch wenn Red kein Kumpeltyp war, konnte er sich immer auf einen Null-Fehler-Job von Peter Nichols verlassen. Die letzte Besprechung würde heute auf jeden Fall länger dauern, da er ab morgen unterwegs war, und die Tage bereits verdammt kurz wurden, um solche zusätzlichen Aufgaben durchzuführen.

Burton sah auf seine Uhr. Es war schon Mitternacht durch, und die letzte Besprechung ging ihm noch im Kopf herum. Die Sonne würde morgen erst um 10:42 Uhr aufgehen. Sie mussten also spätestens eine Stunde früher mit dem Hubschrauber starten, da es bis zum ersten Punkt, wo sie die Messstation aufbauen wollten, fast 350 Kilometer waren.

Er hatte entschieden, zuerst die weiter entfernten Sensoren zu installieren, falls das Wetter sich schneller ändern sollte, als vom eigenen Dienst vorher gesagt worden war. Es mochte Bewohnern in Europa, oder seinem Land, verrückt erscheinen, einen eigenen Meteorologen für den Südpol zu beschäftigen, da es den meisten Menschen hier immer zu kalt war, aber Tatsache war, dass sie hier die Vorhersage dringender benötigten, als in den gemäßigten Klimazonen der Welt.

Sicher, die Landwirtschaft konnte sich besser auf Aussaat und Ernte vorbereiten, aber kein Angestellter würde zu Hause bleiben, nur weil es mal regnete, oder ein bisschen schneite. Hier hingegen hing das eigene Leben von den Wettereinflüssen ab. Ein Schneesturm, mit 200 Stundenkilometern, war ein sicheres Todesurteil, wenn man draußen war, und nicht in der Nähe einer sicheren Unterkunft.

Hier konnten die Temperaturen, innerhalb von wenigen Stunden, um mehr als 30 Grad fallen, und damit jede Maschine unbrauchbar machen, die einem das Überleben eigentlich sichern sollte. Immerhin hatten sie jetzt jeden Tag noch acht Stunden Sonne. Selbst wenn es bewölkt war, konnte man zurzeit draußen arbeiten. Er würde morgen noch den Hubschrauber mit dem technischen Equipment beladen, und das Fluggerät zusammen mit einem Piloten checken, denn eine eventuelle Rettungsaktion konnte jetzt schon zu einer Katastrophe führen, auch wenn immer eine Notausrüstung an Bord war, um ein paar Nächte draußen überleben zu können.

Burton hing eben noch seinen Gedanken nach, als es plötzlich an seine Tür klopfte. Sofort stieg sein Puls. Er durchquerte eilig sein kleines Appartement, und öffnete die Tür einen Spalt weit. Julie Renard grinste ihn über das ganze Gesicht an.

„Lässt du mich rein, oder soll ich wieder gehen?“

Burton zog die Tür auf, und Julie schlüpfte hinein. Er warf noch einen schnellen Blick in den Flur, aber es war weder etwas zu hören, noch war jemand zu sehen. Sofort beruhigte sich sein Herzschlag wieder. Er drehte sich um, nahm Julie in die Arme, und sie küssten sich leidenschaftlich. Dann löste er sich langsam wieder, und setzte ein böses Gesicht auf.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass es mit dem Eisschelf Probleme gibt? Bin ich der letzte, der von so etwas erfährt?“

„Ich freue mich auch dich zu sehen, Burt“, hauchte sie in einem verführerischen, französischen Akzent. Im Gegensatz zu Burton, blieb Julie die Ruhe selbst.

„Wenn ich dich vorher informiere, merkt jeder, dass du bereits davon gewusst hast, und die anderen bekommen mit, dass zwischen uns etwas ist, zumindest gibt es dann Spekulationen. Willst du das riskieren? Hier sind keine Beziehungen erlaubt, und schon gar nicht unter den Führungskräften, sonst müssten wir uns ja nicht auf Ebene 214 treffen, oder? Wenn das hier einreißt, haben wir in ein paar Wochen die schönsten Dramen, zumal es hier eine verschwindend geringe Anzahl von Frauen gibt. Außerdem solltest du mich besser bei meinem Vornamen ansprechen, in den Meetings. Das tun alle, nur du nicht, und das ist merkwürdig, Burt.“

„Ich könnte doch überrascht tun“, warf er kleinlaut ein, „wenn du es im Meeting zur Sprache bringst.“

Die Französin schnaufte missbilligend, konnte Burton aber nicht wirklich böse sein.

„Wenn du noch etwas weniger kannst als Schauspielern, dann ist es lügen. Das solltest du wissen. Außerdem schleppe ich ja meine Informationen nicht monatelang mit mir herum. Ich habe erst heute Morgen die Ergebnisse der Aufnahmen ausgewertet, oder vielmehr gestern.“

Julie warf einen Blick auf die Uhr, und stellte fest, dass es schon sehr spät war, zumindest zum Streiten.

„Willst du wirklich unsere wenige Zeit mit Diskussionen verschwenden, Burt?“

Nein, dass wollte er natürlich nicht. Wahrscheinlich hatte sie, wie immer Recht, und es war besser alle beruflichen Sachen in den Meetings zu besprechen, bevor ihnen jemand auf die Schliche kam. Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder, und er sah Julie mit verklärtem Ausdruck an.

„Ich freue mich schon auf die nächsten zwei Tage mit dir. Endlich ungestört von der ganzen Hektik, der Arbeit, und des Beobachtet seins.“

Die Glaziologin ließ ein glockenklares Lachen erklingen, dass Burton wieder zurück in die Wirklichkeit holte.

„Warum lachst du? Freust du dich nicht auf unsere gemeinsamen Tage?“

„Doch, sehr sogar, aber bei dir klingt es fast, wie eine Woche Urlaub an der Cote Azur.“

„Ich kenne zwar Frankreich nicht, aber für mich ist es fast wie Ferien, wenn wir zusammen sind.“

Julie kam näher, und setzte ihren unwiderstehlichen Schlafzimmerblick auf.

„Komm Burt, wir haben jetzt genug geredet. Lass uns ein bisschen Spaß haben.“

Sie zog ihn am Arm ins Schlafzimmer, und gab der Tür einen leichten Tritt, dass diese hinter ihnen zuflog.

Julie kam mit einem Lächeln, und zwei Gläsern Rotwein ins Schlafzimmer zurück, und Burton hatte Schwierigkeiten, den Wein nicht zu verschütten, als sich Julie neben ihn legte, einen Schluck nahm, und sie einen französischen Uraltfilm in schwarzweiß auf dem Flachbildfernseher ansahen.

Er konnte mit dieser Art von Streifen wenig anfangen, aber er liebte es, wenn sie zum wiederholten Male, bei denselben Szenen lächelte, wenn die Helden ihrer Kindheit wie, Marais, Belmondo, oder Delon, in Aktion traten. Viel Ablenkung hatte man nicht in den Appartements, wenn man sie so nennen konnte. Burton hatte noch eine eher luxuriöse Variante der Wohneinheiten, da er Leiter des Towers war.

Er verfügte nicht nur über ein Wohnzimmer, sondern er konnte noch ein separates Schlafzimmer sein Eigen nennen. Zudem gab es noch einen kleinen Raum, in dem, auf einem Schreibtisch, drei Bildschirme standen, auf denen er alle Außenkameras beobachten konnte, die auf dem ganzen Areal angebracht worden waren.

Da keine der Etagen und Räume über Fenster verfügten, um die Stabilität des gesamten Gebäudes nicht zu gefährden, waren an allen relevanten Punkten des „Towers“, Kameras installiert, die technische Anlagen überwachten, oder die wissenschaftlichen Bereiche zeigten. Auch draußen gab es zwei Übertragungseinheiten, die einen recht guten Rundum Blick lieferten, falls die Witterungsbedingungen es zuließen.

Alle genutzten Bereiche waren auf der Innenseite des gigantischen Gebäudes angesiedelt, da die, dem Eis zugewandte Seite, durch Stabilisatoren, als Wohnraum nicht nutzbar waren. So lagen die bewohnten Etagen alle zum Innenhof hin, falls man es so bezeichnen wollte.

Die Kameras schickten ihre Bilder per Funk an die verschiedenen Verstärker der Büros und Wohnungen, aber nur Burton bekam alle Signale, und hatte Zugriff auf jeden Bereich.

Zu diesem Zweck, hatte er sich noch einen großen Bildschirm ins Wohnzimmer hängen lassen, um eine Art Fenster nach draußen zu simulieren. Die ganze Wohnung war mit Teppich ausgelegt, mit Ausnahme des Badezimmers, was normalerweise nicht hygienisch war, aber hier am Südpol keine große Rolle spielte, da die meisten Bakterien und Milben angenehmere Temperaturen und Lichtverhältnisse bevorzugten. Zudem kam niemand mit Straßenschuhen ins Gebäude, und wenn, hätte er ohnehin nur Eis an den Sohlen.

Das Wasser im gesamten Komplex wurde gereinigt, und das der Duschen, wurde für die Toilettenspülung aufbereitet. Bis auf die Tatsache, dass sie hier im großen Stil Öl förderten, war das Unternehmen ökologisch vorbildlich. Alle Verpackungen der Lebensmittel waren auf natürliche Weise abbaubar, wurden nach Beendigung des Reinigungsprozesses in die unterste Eisschicht gepumpt, und würden irgendwann im südpolaren Eismeer enden, wahrscheinlich als Festmahl für Krill, und andere Kleinstlebewesen des Ozeans.

Nichts sollte darauf hindeuten, dass hier mehr, als ein paar Wissenschaftler, ihre Forschungen betrieben, jedenfalls soweit dieses möglich war. Letztendlich war Burton damit beauftragt, jede Sichtbarkeit ihrer Aktivitäten für andere zu vermeiden.

Selber hatte er nie jemand von den Bossen zu Gesicht bekommen, die ihn eingestellt hatten, um dieses Projekt durchzuführen. Damals war er am Tiefpunkt seines Lebens angekommen, hatte nicht viele Fragen gestellt, und war erleichtert, ebenso wenig Fragen beantworten zu müssen.

Es kam ihm so vor, als ob es schon Jahrzehnte her war, dass er hier am Südpol angefangen hatte, die ersten Container zu errichten. Nie hatte er jemand in seine Vergangenheit eingeweiht, und warum er hier letztendlich gelandet war. Er, der aufstrebende helle Stern am wissenschaftlichen Himmel des Massachusetts Institute of Technology. Das MIT war die Brutstätte der Genies von heute und morgen, auf die die Menschheit blickte, und er war einst zum kommenden Heilsbringer avanciert. Seinen Doktortitel hatte er im Vorbeigehen erhalten, und war bereits für eine Professur vorgesehen, als das Schicksal erbarmungslos zugeschlagen hatte.

Damals hatten ihn seine Studenten zu einem lockeren Abend in die Lieblings Bar der Campusbewohner eingeladen, um die bevorstehende Ernennung zu feiern. Er hatte zugestimmt, nachdem er seine Verlobte angerufen, und sich für diesen Freitag abgemeldet hatte.

Es war eine fröhliche Runde, in der viel getrunken, und noch mehr gelacht worden war. Kurz nach Mitternacht verließen sie alle zusammen die Kneipe, und er hatte sich überreden lassen, noch selber zu fahren, obwohl er ein Taxi nehmen wollte. Aber seine Studenten und Kollegen boten ihm Geleitschutz an, und so waren sie im Konvoi mit ihren Autos gefahren. Es wurde gehupt und aufgeblendet, und immer wieder überholten sie sich gegenseitig.

Es war, wie zu seiner Studentenzeit, aber ausgelassener als damals, als er nur das Lernen, und den wissenschaftlichen Fortschritt, im Kopf gehabt hatte. An diesem Abend wollte er die vielen Jahre der Arbeit, und des Verzichtes auf Freizeitspaß, vergessen machen.

Sie waren bereits in den Außenbezirken der Stadt angekommen, als er den Schlag am Fahrzeug wahrnahm, und eine Vollbremsung hinlegte. Die anderen Wagen der Gruppe hatten auch alle gehalten, und standen am Straßenrand, als er auf die Scheinwerferlichter der anderen Autos zuging, zu der Gruppe, die am Graben neben der Straße stand.

Keiner sagte ein Wort. Er drängte sich durch die Menschentraube, und blieb wie erstarrt stehen. Im Graben lag ein Mann, mit abgetragenen Klamotten, die er in mehreren Schichten am Körper trug. Der Kopf war eine einzige blutige Masse, und die Gliedmaßen des Fremden waren seltsam, auf unnatürliche Weise, verdreht.

Einer der neuen Kommilitonen beugte sich herab, und fühlte den Puls an der Halsschlagader. Er wischte sich das Blut von seinen Fingern an dem alten Mantel des Mannes ab, und stand wieder auf. Mit tonloser Stimme teilte er den Umstehenden mit, „der Mann ist tot“, und wieder trat Schweigen ein, nachdem zuvor noch ein Murmeln zu vernehmen gewesen war.

Der junge Mann hatte sich zu ihm umgedreht, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen.

„Dr. Miles, sie können nichts dafür. Der Landstreicher ist einfach auf die Strasse gelaufen. Ich hab es gesehen. Außerdem riecht er nach billigem Alkohol.“

Die anderen nickten stumm, obwohl die meisten den Fremden gar nicht gesehen haben konnten. Sie schrieben das jedoch ihrem eigenen Alkoholpegel zu. Eine junge Studentin weinte, und fragte flehendlich.

„Was machen wir denn jetzt? Wir können ihn doch nicht so liegen lassen.“

Der junge Student hatte keine Sekunde gezögert.

„Ich habe fast nichts getrunken. Ich bringe ihn mit meinem Fahrzeug ins Krankenhaus, und werde auch die Fragen der Polizei beantworten, soweit es möglich ist. Alle anderen sollten so schnell wie möglich nach Hause fahren, auch sie Dr. Miles. Jeder von uns könnte seinen Studienplatz verlieren, und unsere Karrieren wären beendet, wenn das heraus kommt. Zwei Mann helfen mir, ihn in meinen Wagen zu legen, und dann verschwindet ihr alle, bevor uns noch jemand sieht.“

Preston Blanket hatte den Mann unter den Armen genommen, und ein paar der anderen Studenten nahmen die Beine, und stützten den Körper. Zusammen wuchteten sie ihn auf die Rückbank von Prestons Wagen.

„Macht das ihr weg kommt, los!“

Blanket hatte die Gruppe regelrecht angefaucht, und wie nach einem Startschuss waren alle zu den Fahrzeugen gesprungen, und eingestiegen. Die Wagen brausten schon davon, als Burton wie in Trance zu seinem Auto gegangen, und sich hinters Steuer gesetzt hatte. Er war nicht mehr betrunken, aber alles passierte wie in Zeitlupe. Blanket und die anderen waren schon in der Dunkelheit verschwunden, als sich sein havariertes Fahrzeug in Bewegung setzte, und er sein Haus, in den Vororten von Massachusetts, angesteuert hatte.

Was sollte er seiner Verlobten, Lydia erzählen?

Wo sollte er mit dem Wagen hin?

Konnte er ihn einfach in der Garage stehen lassen?

Der rechte Kotflügel, der Scheinwerfer, und die Stoßstange waren kaputt. Wie sollte er das erklären? Er war damals nach Hause gefahren, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Er war ausgestiegen, hatte sich auf dem Rasen vor dem Haus übergeben, sich auf das Sofa im Wohnzimmer gesetzt, und war gegen morgen eingeschlafen, bis ihn Lydia geweckt hatte, mit einem vorwurfsvollen Blick, und mit einem mahnenden Tonfall.

„Mein lieber Herr Dr. Miles, da haben sie aber einen Haufen Ärger angerichtet. Herr Lampkin, vom Eckhaus, ist bereits da gewesen, nachdem ich den Schaden an deinem Auto gesehen habe. Du bist ihm letzte Nacht auf sein Fahrzeug gefahren, und hattest dann die Nerven, deinen Wagen einfach in die Garage zu stellen!“

Burton hatte völlig verwirrt aus der Wäsche geguckt, und keinen Ton gesagt.

War alles nur ein böser Traum gewesen?

Was war letzte Nacht geschehen?

„Du siehst ja furchtbar aus Burton. Was hast du denn alles getrunken?“

„Ich weiß es nicht mehr, Lydia. Ist Herr Lampkin noch da?“, fragte er zögerlich.

„Nein, natürlich nicht, aber ich habe ihm gesagt, er soll sein Fahrzeug reparieren lassen, und uns die Rechnung schicken. Die Autowerkstatt hat bereits beide Wagen abgeholt.“

Mit einem Ruck hatte er sich aufgesetzt, und Lydia war erschrocken zwei Schritte rückwärts getaumelt.

Das damalige Wochenende war ein einziger Albtraum gewesen, der daraus bestanden hatte, dass jeden Moment die Polizei an seine Tür klopfen würde, um ihn wegen fahrlässiger Tötung, mit Fahrerflucht, für immer einzusperren.

Aber es passierte nichts. Es gab keinen Bericht im Fernsehen, oder eine Schlagzeile in der Tageszeitung. Am Montagmorgen las er im Lokalteil seiner Zeitung, dass ein Student der ansässigen Elite Uni einen Mann in das Städtische Krankenhaus eingeliefert hatte, bei dem nur noch der Tod festgestellt werden konnte.

Es wurde kein Täter gesucht, nur Zeugen, die eventuell den Mann gesehen hatten, oder den Unfalle. Der Fundort war der nahe gelegene Highway, was nicht stimmte, wie Burton wusste, aber so stand es im Polizeibericht. Ganz im Gegenteil. Man bedankte sich bei dem selbstlosen Studenten, der den abgerissenen Landstreicher ins Krankenhaus gebracht hatte.

Burton musste sich damals übergeben, und Lydia hatte ihn mit Tee versorgt, und ihm Vorhaltungen gemacht, nie wieder so viel zu trinken. Er war dann zur Uni gefahren, und hatte die erste Vorlesung vor einer, zumeist schweigenden, Studentengruppe abgehalten. Keiner konnte ihm in die Augen sehen, von denen, die gekommen waren. Ein paar waren erst gar nicht zum Unterricht erschienen, und blieben eine ganze Woche, oder sogar noch länger, dem Campus fern.

Bei den meisten, seiner Kommilitonen und Mitarbeiter, legte sich die Anspannung nach der ersten Woche, und sie waren erleichtert, noch einmal so davon gekommen zu sein. Er hatte angefangen sich dafür zu hassen, nicht die Verantwortung für sein Handeln übernommen zu haben, aber jetzt musste er mitspielen, wollte er nicht noch weitere Personen ins Verderben ziehen.

Als er schon überlegte, die Universität zu wechseln, und mit Lydia wegzuziehen, hatte ihn ein Fremder vor dem Unigelände angesprochen, als er sein Büro verlassen wollte. Er hatte ihn ohne große Umschweife gesagt, dass er ihm ein sehr interessantes Angebot mache könne, ohne viele Fragen über seine Vergangenheit zu stellen. Jeder konnte im Leben mal Pech haben, aber es wäre schade, wenn die Wissenschaft auf ihn würde verzichten müssen.

Burton nahm damals an, man sei ihm auf die Schliche gekommen, denn der Mann trat auf wie ein Regierungsbeamter, auch wenn das offiziell nicht bestätigt wurde. Er grübelte eine Woche, was er tun sollte, und letztendlich nahm er die angebotene Position an, ohne die Details zu kennen. Er hatte seine Stellung bei der Uni gekündigt, ohne das Gespräch, mit seinem Mentor und Förderer, zu suchen, löste die Verlobung mit Lydia, und überlies ihr das Haus.

Eine Woche später, landete er bereits in Südamerika, auf dem Buenos Aires Flughafen. Das war jetzt mehr als sechs Jahre her, aber es kam ihm vor, wie eine Ewigkeit.

Er hatte nie wieder den Kontakt zu seiner Heimat gesucht, und sich mit der Situation am Südpol abgefunden, bis Julie Renard in sein Leben getreten war. Erst jetzt hatte er wieder begonnen zu Leben, wenn auch sehr vorsichtig, um das neue Glück nicht zu gefährden.

Aber wie lange konnte er sein Geheimnis bewahren? Für immer? Nein, er musste es Julie sagen, aber wann?

Bald, aber jetzt noch nicht. Er konnte es noch nicht. Seine Angst sie zu verlieren war größer, als sein Drang ihr seine Geschichte zu erzählen. Auch bei Julie gab es eine Geschichte, die er noch nicht kannte, aber er hatte es nicht eilig, den Grund für ihre Anwesenheit zu erfahren.

„Du bist schon wieder so Abwesend, als ob du dich in einer ganz anderen Welt befindest. Was ist los mit dir?“

Burton senke die Augen, und sah wieder zurück zum Bildschirm.

„Nichts, ich denke nur darüber nach, was wir für die zwei Tage an Material benötigen.“

Julie beobachtete gespannt den Bildschirm, und schmunzelte triumphierend.

„Mach dir keine Sorgen Burt, ich hab bereits alles im Heli verstaut. Du kannst dich also entspannen, und dich mit dem Film, oder mit mir beschäftigen.“

Er sah die lächelnde Wissenschaftlerin strahlend an.

„Das ist meine wunderbare Julie. Immer wenn ich am Zweifeln bin, hast du schon eine Lösung. Also, wenn es dir nichts ausmacht, können wir den Film auch später noch sehen, mon Amour.“

Julie machte das Gerät mit der Fernbedienung aus, und setzte einen lasziven Gesichtsaudruck auf.

„Ich liebe es, wenn du Französisch sprichst. Dann kann ich dir nicht widerstehen, Burt.“

Julie rollte sich auf ihn, und begann ihn zärtlich in den Hals zu beißen.

Die Fernsicht betrug wahrscheinlich mehr als 500 Kilometer, und wurde nur davon beschränkt, dass Burton das Sonnenlicht in den Augen schmerzte, wenn er längere Zeit in den Himmel starrte, obwohl er eine nahezu schwarze Sonnenbrille trug, die speziell für starkes Licht ausgelegt war.

Mit einem Fernglas hätte man sicher die schroffen Felswände des über 3600 Meter hohen Mount Coman sehen können, aber Burton konzentrierte sich darauf, eine geeignete Stelle für die Landung des Hubschraubers zu finden.

Das Eisschelf war hier, in der Nähe der ausgesuchten Stelle, fast zwei Meter dick, und könnte die Maschine sicher tragen, aber Julie wollte die Sensoren an den Abbruchkanten des Schelfs, zum Meer hin, anbringen. So konnten sie eine zusätzliche Sicherung in den felsigen Boden bohren, um die Station zu verankern. Sollte das Eisschelf dann abrechen, konnten sie die Station trotzdem wieder einsammeln. Zumindest war das der Plan.

Julie zeigte mit ihrer Hand zu einem kleinen Eisberg, der etwa 20 Meter hoch aus dem Schelf herausragte, und ihnen einen gewissen Schutz vor dem Wind verschaffte, wenn auch das Wetter heute hochsommerlich war. Es gab keine Wolken, fast keinen Wind, und die Temperaturen lagen bei angenehmen 18° Grad Minus.

Burton setzte den Heli auf, und es hörte sich an, als ob er auf Beton landete. Tatsächlich war durch den Wind, und die ständigen Minusgrade, der Schnee so hart wie Stein geworden. Das war der Grund, warum es hier am Südpol nur wenige Ausflüge mit Raupenfahrzeugen, oder gummibereiften Fahrzeugen, gab. Selbst bei den robusten Schneemobilen waren etliche Kufen gebrochen, wie Glas. Nur die regelmäßig befahrene Strecke, von der Station bis zur Küste, hatte so etwas wie eine Piste hervorgebracht, auf der man leidlich schnell fahren konnte.

Kaum hatte der Helikopter aufgesetzt, sprang Julie hinaus, und ging in Richtung Abbruchkante des Gletschers, der das Eisschelf speiste.

Burton ließ das Triebwerk auslaufen, und begann, den Bohrer und das Bohrgestänge, auszuladen. Sie hatten für heute nur eine Messstation dabei, da es unwahrscheinlich war, eine weitere an diesem Tag aufzubauen. Zudem verbrauchte der Helikopter mehr Kerosin, wenn sie unnötige Ausrüstungen spazieren flogen.

Trotz der Minusgrade schwitzte Burton nach ein paar Minuten, und öffnete seine Polarjacke.

„Vorsicht Burt, du holst dir noch eine Lungenentzündung.“

Julie war wieder zurückgekommen, und packte nun selber Teile vom Equipment, und trug diese zur Abbruchkante.

„Ich habe eine passende Stelle gefunden, wo wir bohren können, Burt. Wir laden die schweren Kisten auf den Schlitten, und ziehen gemeinsam. Warte, ich bin gleich wieder da.“

Sie ging zu einer etwa 50 Meter entfernten Stelle, und markierte diese mit einer kleinen Fahne der Forschungsstation. So wusste jeder in der Antarktis, zu wem diese Ausrüstung gehörte.

Sie luden die schweren Teile der Ausrüstung auf einen flachen Kunststoffschlitten, der selber fast nichts wog, aber aus hochfestem Material bestand, ohne viel Platz einzunehmen. Nach einer Stunde war das Material am Bohrloch, und Burton gönnte sich eine Zigarette.

„Kein Wunder, dass du schnell aus der Puste bist, Burt. Du solltest das Rauchen aufgeben, abgesehen davon, dass es merkwürdig aussieht, wenn ein Polarforscher am Südpol steht, und vor sich hin qualmt.“

Julie lachte, da Burton ein saures Gesicht zog, und sie sich darüber freute, ihn etwas aus der Reserve gelockt zu haben. Er kannte aber die Frotzeleien von Julie, und konterte geschickt.

„Das muss am Schlafmangel von letzter Nacht liegen, da habe ich lange gearbeitet, während du im Bett gelegen hast.“

Jetzt freute sich Burt über seine schlagfertige Antwort.

„Touchè, mein Lieber, aber jetzt lass uns ein schönes Loch bohren, bevor du wieder auf dumme Gedanken kommst.“

Die Glaziologin bemerkte ihr unfreiwilliges Wortspiel zu spät, und als Burton begann sich vor Lachen auszuschütten, konnte sie sich auch nicht mehr zurück halten.

Es dauerte mehrere Stunden, bis sie den felsigen Untergrund erreicht hatten, um einen Anker in den Stein zu treiben. Danach befestigten sie ein Stahlseil daran, und verbanden es mit dem Standfuß der Messstation. Nach dieser ersten Etappe aßen sie zu Mittag, und tranken jeder einen Liter Tee, denn der Flüssigkeitsverlust in der Kälte war enorm, da die trockene Luft, den Körper regelrecht austrocknete. Sie benötigten zwei weitere Stunden, um die Station aufzubauen, und die Parameter der Messfühler zu bestimmen, sodass sie eine Nachricht per Funk bekamen, wenn die Messwerte außerhalb der Toleranz lagen. Burton sah auf seine Uhr, aber auch so hätte er gewusst wie spät es bereits war, da die Sonne sich schon wieder dem Horizont näherte.

„Es ist nicht mehr viel Zeit, Julie. Nur noch zwei Stunden, dann geht die Sonne unter. Wir sollten uns so schnell wie möglich wieder auf den Rückweg machen.“

„Mein lieber Burt, wir fliegen nur eineinhalb Stunden bis zur Basis. Wir sollten die halbe Stunde nutzen, findest du nicht?“

Burton dachte kurz darüber nach, was sie vergessen haben könnten, bevor ihm das verschwörerische Lächeln von Julie auffiel.

„OK, ich verstehe, aber ist es nicht ein bisschen zu kalt draußen?“

„Sieh mal in den Heli, was ich noch eingepackt habe.“

Burton ging zur Maschine, und zog einen großen Zweimannschlafsack aus der Notfallkiste im Ladeabteil.

„Du weißt, dass der Platz für eine Notfallausrüstung vorgesehen ist, falls wir einen Defekt haben, und wir hier ausharren müssen, bis Hilfe kommt.“

Julie ignorierte seine Hinweise, breitete den Schlafsack in der Sonne vor dem Hubschrauber aus, und begann sich auszuziehen.

„Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, Burt, aber nach all dem Löcher bohren, und so, halte ich das für einen Notfall, und ich möchte auch nicht warten bis Verstärkung kommt, oder hast du etwas Besseres vor?“

Er stand eine Sekunde am Helikopter, und beobachtete seine Geliebte beim Ausziehen. Julie stand einen Moment nackt auf dem Schlafsack, und schlüpfte dann mit einer eleganten Bewegung hinein. Burton dachte kurz darüber nach, was für ein glücklicher Schweinehund er doch war, bevor er sich in Windeseile aus den Klamotten schälte, und zu ihr in den Schlafsack kroch.

Als der Hubschrauber an der Basis landete, war die Sonne schon unter gegangen, und die Außenbeleuchtung des kleinen Hangars tauchte die Umgebung in helles Licht. Die Temperaturen waren bereits bei Minus 30° Grad, und zwei Techniker beeilten sich, den Helikopter so schnell wie möglich in den Hangar zu schieben.

Auch die Bemerkungen der Bodencrew über die späte Arbeit am Hangar, konnten das Lächeln auf dem Gesicht der beiden Ausflügler nicht verdrängen.

„Vielen Dank Jungs, dass ihr gleich hier draußen gewartet habt. Bitte kontrolliert gleich die Maschine, und macht sie wieder startklar. Ich werde den Hubschrauber später noch beladen, denn wir müssen gleich morgen wieder vor Sonnenaufgang los fliegen.“

Burton und Julie erledigten ihre Arbeiten, die über den Tag liegen geblieben waren. Ein Meeting gab es nicht, da keine Nachrichten per E-Mail gekommen waren, die eine kurzfristige Konferenz nötig gemacht hätten.

Burton las sich die Protokolle von Armin Wester durch. Wester hatte schnell begriffen, worin seine Aufgaben bestanden, soweit er sehen konnte. Er war froh, jetzt eine echte Hilfe beim Tagesgeschäft zu haben. Es würde bestimmt noch einige Wochen dauern, bis sein Assistent in der Routine war, aber er ging davon aus, dass er sich auf ihn verlassen konnte, wenn es darauf ankam. Er hoffte darauf, dass dann auch der etwas nervöse Charakter seiner rechten Hand nachließ, und er dann etwas entspannter mit ihm arbeiten konnte.

Julie und er hatten beschlossen, den heutigen Abend nicht zusammen zu verbringen, um kein unnötiges Risiko der Entdeckung einzugehen. Außerdem wollte er noch für eine oder zwei Stunden in den Fitnessraum gehen. Vielleicht würde er das Rauchen aufgeben. Ohnehin war es bald Winter, und damit auch für Wochen dunkel, und höllisch kalt draußen. Dann würde er nur noch zu den notwendigen Arbeiten an die Oberfläche gehen, und rauchen gehörte nicht dazu. Zudem konnte er Julie beweisen, dass er aufhören konnte, wenn er es nur wollte, auch wenn die kleinen Angriffe von ihr, auf seine Kurzatmigkeit, heute Mittag nur Spaß gewesen waren.

Die Sonne war bereits seit einer Stunde untergegangen, als der Hubschrauber neben dem Hangar der Eisstation landete. Burton und Julie überließen es der Bodencrew, den Heli wieder in die Halle zu stellen. Weitere Flüge waren in den nächsten Tagen nicht geplant. Insgesamt hatten sie jetzt vier Messstationen installiert, und die Sensoren waren kalibriert.

Ein Alarm bedeutete nicht sofort das Ende der Bohrungen, aber es würde zusätzliche Kosten verursachen, und Personal binden. Vor allem Julie hätte dann alle Hände voll zu tun, um mögliche Auswirkungen auf die Ölförderung zu berechnen. Das würde dann wieder zu lasten der gemeinsamen Zeit mit seiner Geliebten gehen.

Burton stapfte die Treppe zum Hauptgebäude hoch, und hielt sich am Geländer fest. Drei Tage Außeneinsatz hatten ihn Kraft gekostet. Das Wetter war zum Glück stabil geblieben, und Julie schuftete wie immer für zwei. Trotzdem brauchte er erst einmal eine Pause.

Er nahm sich vor, jetzt regelmäßig zu trainieren, um wieder in Form zu kommen. Julie schien das alles nichts auszumachen. Sie lächelte, und hüpfte geradezu unanständig locker die Treppe hinauf, um ihm dann auch noch die Tür aufzuhalten.

„Nach ihnen, mein lieber Herr Doktor Miles. Und vielen Dank für die Hilfe in den letzten Tagen.“

Burton warf ihr einen grimmigen Blick zu, den sie ignorierte.

„Danke für die Blumen, aber die Tür kann ich gerade noch selber öffnen. Lieber würde ich wissen, ob du mit Ergebnissen noch in diesem Jahr rechnest.“

„Eigentlich rechne ich mit gar nichts. Es ist unmöglich vorherzusagen, mit welcher Geschwindigkeit ein Eisschelf schmilzt. Das kann dieses Jahr passieren, oder niemals. Genauso wenig kann man Vulkanausbrüche genau datieren. Im Moment jedenfalls haben wir alles getan, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sollte es Änderungen geben, informiere ich dich als ersten, OK? Ich muss jetzt wieder ins Labor, und noch die Stationen online stellen. Treffen wir uns dann auf 214?“

Burton dachte über die viele Arbeit nach, die in den letzten drei Tagen liegen geblieben war, und wann er das alles nacharbeiten sollte, aber er rang sich ein Lächeln ab, und nickte Julie zu. Sie war hier, für ihn, der einzige Lichtblick.

Mehr und mehr fühlte er sich gefangen im Eisturm. Am Anfang seiner Arbeit war er froh gewesen, seine Heimat, und alle Probleme hinter sich zu lassen, aber seit er sich in Julie verliebt hatte, waren ihm Gedanken eines anderen Lebensplans durch den Kopf gegangen. Er konnte sich sogar vorstellen mit Julie nach Europa zu gehen, auch weil das über 14000 Kilometer von der Antarktis entfernt war, und weit genug weg von Massachusetts, und seinen Albträumen.

Allerdings hatte er noch nie einen der Verantwortlichen gesehen, oder gesprochen. Wenn er Personal benötigte schrieb er eine E-Mail. Es war immer dieselbe Adresse, ob er ein Reporting verschickte, oder Ausfälle, durch Krankheit oder Unfall, meldete.

Wenn er gehen wollte, würde er wahrscheinlich auch an diese Adresse schreiben müssen. Burton hatte nur keine Vorstellung davon, wie die Gegenseite reagieren würde. Konnte er dann einfach gehen, natürlich mit einer Übergangsfrist?

Er wusste es nicht, und würde die Frage erst stellen, wenn es soweit war. Eines wusste er aber genau. Wenn Julie die Station verließ, würde er ebenfalls gehen. Wohin auch immer.


Exlux

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