Читать книгу Exlux - Arno von Rosen - Страница 9
4. Kapitel
Оглавление„Sind sie sicher, dass wir hier alleine sind, Coster?“
„Keine Angst, fast jeden Monat befindet sich das Parlament für vier Tage in Straßburg, und seit gestern gibt es hier noch nicht einmal Reinigungspersonal. Erst am Freitag rücken die Umzugswagen an, um die Akten der Abgeordneten wieder in die Büros zu bringen. Vor nächster Woche Montag interessiert sich hier kein Mensch für uns.“
Ben hatte niemand in den Gängen gesehen, und das gesamte Gebäude machte einen verlassenen Eindruck auf ihn, aber er hatte kein gutes Gefühl, sich in die Tiefen eines so großen Bauwerkes zu begeben, zumal er sich hier nicht aus kannte, und damit eine schnelle Flucht unmöglich wurde.
„Es ist ihre Party, Coster, aber es wird die Einzige bleiben, und bitte nennen sie mich nicht mehr bei meinem alten Namen. Sie sollten sich an meine neue Identität gewöhnen, bevor jemand auf den Gedanken kommt, mich bei der letzten Aktion aus versehen doch nicht getötet zu haben. Man weiß ja nie, wie nachtragend diese Auftragskiller sind. In Zukunft kontaktiere ich sie, und wir treffen uns nicht mehr in einer Mausefalle.“
Ole Coster runzelte die Stirn.
„Sie wollten den Rat doch sehen Ben, äh Entschuldigung, ich meine Elias. Dieses ist die beste Möglichkeit alle zusammen zu bringen, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Anschließend fahren alle nach Straßburg, und tragen sich dort in die Anwesenheitsliste ein. Damit wäre das Alibi von allen perfekt, oder?“
Ben antwortete nicht, sondern konzentrierte sich auf das bevorstehende Treffen. Er kannte bisher keine vollständigen Namen, und wusste nicht genau, aus welchen Ländern die Ratsmitglieder stammten. Sein erster Kontaktmann, in den 80er Jahren, hatte ihm eingebläut immer Misstrauisch zu sein, und niemals viel von sich Preis zu geben. Jetzt hielt er Helmut Jäger nicht mehr für paranoid. Jetzt wusste Ben, wie wichtig Anonymität war.
Aufgrund von Jägers Anweisungen hatte er schon aus Prinzip keine Namen der Gruppe wissen wollen, und hielt seine Identität stets verborgen, auch seiner Familie gegenüber. Der einzige Kontakt war Coster.
Er war sich immer noch nicht sicher, ob dieses Treffen eine gute Idee war, oder ob er nur einen Groll gegen die Ratsmitglieder hegte, und reinen Tisch machen wollte. Immerhin gab er für dieses Gespräch seine Unsichtbarkeit auf, und er erhielt gefährliche Informationen über jede Person der Gruppe. Damit verloren alle an Sicherheit, denn was man nicht wusste, konnte auch niemand aus einem herauspressen.
Für Ben war das logisch, aber er bezweifelte, dass die Ratsmitglieder das auch so sehen würden, denn Wissen war ja ihr Geschäft. Nach den letzten Worten von Ole, konnte er zumindest annehmen, dass es sich ausschließlich um Mitglieder des Europäischen Parlamentes handelte, was ihm eine gewisse Beruhigung verschaffte, auch wenn es keine Garantie dafür war, dass sich nicht einer von der anderen Seite hatte kaufen lassen. Politiker riskierten in der Regel nicht ihre Jobs, und sie lehnten sich schon gar nicht gegen die herrschende Elite auf.
Sie gingen in eines der kleinen, abgelegenen Konferenzzimmer, die selten benutzt wurden, da die Ausstattung recht dürftig war. Zumindest hatte ihm Coster das versichert. Er hatte versucht, sich den Weg hierher so gut wie möglich einzuprägen, da Schilder im Gebäude Mangelware waren.
Das ganze Gebäude bestand aus Beton und Glas, und überall waren runde Formen zu sehen, ob das Bauwerk selbst, die Tische, der Empfangstresen, oder sogar die Abluftanlagen. Der ganze Komplex wirkte eher wie ein gelandetes Ufo, und sah nicht halb so nüchtern aus, wie die Gespräche waren, die hier geführt wurden.
Vor einer der letzten Türen des Ganges blieb Ole stehen, und sammelte sich einen Moment. Er sprach sich selber im Stillen Mut zu, und öffnete die Tür. Ben bemerkte, wie die Gespräche verstummten, und man hörte nur noch ihre gedämpften Schritte auf dem glänzend gewienerten Boden, der die Optik von Holz hatte.
„Meine Herren, hier ist unser Mann, der für uns seit über 15 Jahren draußen tätig ist, und dem wir die Daten zu verdanken haben, die uns jetzt ein besseres Bild über die Gesamtsituation geben. Ich darf ihnen …“
Ben machte eine Handbewegung, und Coster verstummte fast augenblicklich. Er setzte sich auf den freien Stuhl an der Stirnseite, der offensichtlich sonst von Ole besetzt wurde. Mit einem leichten Zucken, als ob er einen Schlag bekommen hätte, setzte sich der Abgeordnete auf den letzten freien Stuhl, rechts neben Ben, und schwieg.
„Sie können mich Elias nennen, wenn sie wollen. Ihre Namen brauche ich im Moment nicht, aber es sind jetzt sieben Personen da, außer mir. Coster hatte mir gegenüber erwähnt, dass der Rat aus sechs Mitgliedern besteht.“
Er sah in die Runde, und machte keine weiteren Anstalten eine Frage zu formulieren, oder das Gespräch wieder aufzunehmen. Ebenfalls ignorierte er Ole, dem jetzt bereits Schweiß auf der Stirn stand, obwohl der Raum klimatisiert war. Die Männer sahen sich gegenseitig an, und Ben konnte sehen, dass der Blick immer wieder zu einem Mann auf seiner linken Seite ging, der leicht gebräunt war, und fast schneeweißes Haar hatte.
Der Mann wirkte als Einziger nicht nervös, oder sah die anderen Mitglieder an. Er fixierte den Kaufmann aus Marburg auch nicht, sondern ließ seinen Blick umherschweifen. Nur bei einem der Abgeordneten, blieb sein Blick eine Sekunde länger haften. Er sah den Mann an, der um die fünfzig Jahre alt sein mochte, und sein Haar über den Kopf kämmte, um die beginnende Glatze zu tarnen. Der Weißhaarige blickte ihm direkt in die Augen, bis der den Blick bemerkte, und nach einem Räuspern den Kontakt zu Ben aufnahm.
„Der Rat hat beschlossen, den Außendienst zu verstärken, um effizienter Arbeiten zu können, und um sie zu unterstützen, bei den heiklen Aufgaben, die in der Zukunft vor uns liegen. Wir haben einen Konsens getroffen, der es uns ermöglicht, dass wir …“
Ben hob seine Hand wiederholt, wie ein Schülerlotse sein Stoppschild.
„Danke Herr Abgeordneter, für die ausschweifende Rede. Sie befinden sich aber nicht im Parlament, und ich habe keine Zeit, mir ihre Vorträge anzuhören, auch wenn mir ihr norwegischer Akzent gefällt.“
Der Politiker hatte tief Luft geholt, seinen Mund geschlossen, und war rot angelaufen, wie ein Hummer, den man in heißes Wasser warf. Ben blickte jetzt zu dem Mann, der als einziger nicht die Rede des Norwegers angehört hatte, sondern seinen Blick fast unmerklich auf ihn gerichtet hielt.
„Wie können sie mir denn helfen, und über welchen Wissensstand verfügen sie?“
Der angesprochene, ältere Mann lächelte, und blickte ihm jetzt unverwunden in die Augen.
„Ich habe den Wissensstand der Abgeordneten, mit Ausnahme vielleicht von Herrn Coster, der mehr zu wissen scheint, aber ein paar Details lieber für sich behält.“
Dabei warf er einen kurzen Blick auf Coster, und ließ seine Augen wieder in der Runde der Männer wandern, um eventuelle Reaktionen auf seine Aussagen zu erhaschen, und setzte seine Ansprache fort.
„Meine Hilfe besteht daraus, ihnen durch meine weltweiten Kontakte behilflich zu sein, an Informationen zu gelangen, die sie alleine nie bekommen könnten. Ich bin aber zurzeit nicht mehr im operativen Geschäft tätig, sodass sich meine Unterstützung auf ihr Back Office beschränken würde.“
Ben sah den Fremden an, der sich nicht in die Karten blicken ließ, und nicht im Geringsten überrascht schien, dass er ausgerechnet ihn angesprochen hatte. Beide hielten dem Augenkontakt des Anderen stand, aber Ben kam es so vor, als ob sein Gegenüber ein Lächeln in den Augen hatte. Er war sich fast sicher, dass sein Gegenüber erkannte, dass sein Blick weniger freundlich gemeint war, und aus seiner Sicht, gab es auch keinen Grund dafür.
„Sie können mir also Telefonnummern raussuchen, oder Adressen und Namen? Dann sind sie so etwas, wie meine Sekretärin?“
Er wollte seinen Gesprächspartner mit Absicht provozieren, aber dieser gab sich keine Blöße, und antwortete im ruhigen Ton.
„Wenn sie so wollen, „Elias“. Aber ich kenne auch die Mitspieler, und die Vorgehensweise. Also wäre ich eher eine Chefsekretärin, oder?“
Ben beobachtete den Mann, konnte aber keine Gefühlsregung bei ihm feststellen, außer der Betonung seines neuen Namens.
„Wenn sie die Methoden kennen, können sie mir doch bestimmt sagen, was aufgrund der Daten als nächstes passiert.“
„Sicher, dass könnte ich, aber bedenken sie alle, dass es sich nur um mögliche Szenarien handelt. Keiner weiß ganz genau was passiert. Es geht eher um Wahrscheinlichkeiten des Marktes, als um absolutes Wissen, aber einen fiktiven Ausblick kann ich wagen.
Ich gehe davon aus, dass es in ein paar Monaten eine massive, weltweite Finanzkrise geben wird, da enorme Geldströme umgeleitet wurden, die durch Steuereinnahmen nicht mehr zu sichern sind, da dieses Geld, in weiten Teilen durch Stellenabbau generiert wird, und dadurch die Kaufkraft erheblich sinkt. Den Rest können sie sich ja ausmalen. Dagegen war der Börsencrash vor ein paar Jahren nur ein leichtes Hüsteln.“
Ben wusste, dass sein Gesprächspartner Recht hatte, aber das war anhand der Daten, die er vor fast zwei Monaten an Ole weiter gegeben hatte, nicht zu sehen. Er musste also noch über andere Quellen verfügen, um so eine Behauptung aufzustellen.
Er wandte sich ab, und sah jetzt den Abgeordneten in die Augen. Er konnte sehen, dass diese Informationen einige von ihnen nervös gemacht hatte. Wie fast immer, hinkte die Politik hinter der Realität her. In diesem Fall taten zumindest einige etwas dafür, diesen Zustand zu ändern, auch wenn ihre Gruppe noch am Anfang eines langen Weges stand, falls sie überhaupt jemals etwas bewirken konnte.
„Haben alle die Sachen dabei, um die ich gebeten hatte?“
Fast gleichzeitig griffen sich die Parlamentarier an die Innentaschen ihrer Sakkos, und zogen kleine Umschläge heraus. Der Norweger, mit dem er am Anfang gesprochen hatte, richtete jetzt wieder das Wort an Ben.
„Wir haben alle 25.000 Euro in Bar, einen Pass, und die üblichen nationalen Dokumente mitgebracht, wie gewünscht. Bitte versuchen sie sorgsam mit dem Geld umzugehen. Es ist schwer, große Summen ohne Nachweis zu besorgen. Die Pässe sollten ohne Probleme funktionieren. Jeder hat eine, mehr oder weniger, aufwendige Vita. Gerade genug, um nicht aufzufallen, wenn sie Reisen. Wann können wir mit neuen Informationen rechnen, Elias?“
„Welche Informationen meinen sie, Herr Abgeordneter? Über die kommende Krise fragen sie doch am besten ihren neuen Mann hier. Wann ich über mehr Fakten vom Projekt „Goldenes Eis“ verfüge, hängt davon ab, wie lange ich lebe, und ob mein neuer Partner so gut ist, wie er behauptet. Ich werde mich also melden, sobald ich Geld brauche, oder etwas zu berichten habe.“
In diesem Moment ertönte ein surrendes Geräusch, das aus einer der Hosentaschen der anwesenden Politiker kam. Der Mann schreckte hoch, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche, drückte das Gespräch weg, und machte das Handy sofort aus. Er entschuldigte sich mit blassem Gesicht, und stammelte etwas mit spanischem Akzent. Ben sah mit einem durchdringenden Blick die Ratsmitglieder an.
„Es mag für sie noch nicht mehr als ein aufregendes Spiel sein, aber sein sie alle versichert, es geht nicht alleine um meine Sicherheit. Das Leben, von jedem hier im Raum, ist keinen Schuss Pulver mehr wert, wenn man sie in Verbindung mit mir bringt. Man wird sie töten, und jeden in ihrer Familie, wenn es dem Schutz der anderen Organisationen dient. Also, wenn sie das nächste Mal das Telefon eingeschaltet lassen, könnte es ihr letzter Anruf gewesen sein. Ich hoffe sie haben es jetzt alle verstanden.“
Im Raum war es totenstill, und man konnte nicht einmal das Rascheln von Anzügen hören. „Mit ihrer gütigen Erlaubnis, entlasse ich mich vorerst.“
Ben wandte sich zu seinem Kontaktmann um.
„Coster, wir gehen!“
Ole stand auf, wie mit der Nadel gestochen, und sie verließen den Raum, ohne dass Ben sich noch einmal an die Ratsmitglieder gewandt hatte. Die Tür fiel ins Schloss, und der Politiker konnte dem Schritt seines Agenten kaum folgen.
„Hören sie Elias, ich wollte ihnen das mit dem neuen Mann sagen, aber die anderen Mitglieder hatten Angst, sie würden nicht kommen. Ich habe aber noch etwas für sie.“
Coster zog einen großen Umschlag aus seiner Tasche, und gab ihn Ben, der ihn zu den anderen Papieren in seinen Mantel steckte.
„Was haben sie denn für eine Überraschung für mich, Ole?“
„Da drin sind 50.000 Euro extra und zwei Pässe, von denen die anderen nichts wissen, vor allem ihr neuer Kollege nicht, falls sie damit ein Problem hätten. Der eine Pass war wirklich schwer zu besorgen, also gehen sie damit bitte behutsam um.“
Ole sah seinen Agenten verunsichert an, während sie die Gänge entlang eilten.
„Es wird ja doch langsam ein brauchbarer Partner aus ihnen, Ole. Wer hätte gedacht, dass sie die Fähigkeit besitzen konspirativ zu arbeiten.“
Coster lächelte, war er doch soeben zum ersten Mal gelobt worden. Zumindest nahm er an, dass es sich um ein Lob handeln könnte, da fast jeder Satz von Benjamin Timm, oder vielmehr jetzt „Elias Chron“, sarkastisch klang. Das war er allerdings als Abgeordneter gewöhnt, zumindest während der Debatten im Plenum, herrschte diese Art von Konversation vor, auch wenn hinter verschlossenen Türen, der Ton sehr viel freundlicher war.
„Besorgen sie mir die Namen der Mitglieder, und ein paar Grunddaten über jeden, vor allem über meinen neuen Partner. Natürlich nur, wenn es ihnen nichts ausmacht, Ole.“
Beide kamen zum Ausgang des Gebäudes. Die Sonne wurde von den umliegenden Bürohäusern des Parlaments verdeckt, und tauchte das Bauwerk bereits in ein diesiges Licht.
„Ich besorge die Daten, aber über ihren neuen Partner weiß ich so gut wie nichts. Den hat Bjarne erst vor wenigen Tagen angekündigt, als Hilfe für sie.“
Ben stieg ein paar Stufen hinab zur Straße, und drehte sich noch einmal zu Coster um.
„Legen sie die Informationen in unserem Briefkasten in der Tiefgarage vom Marriott Hotel ab, und lassen sie sich nicht soviel Zeit, wie bei dem Treffen hier. Wissen sie überhaupt etwas von dem neuen Mann, oder tappen sie alle völlig im Dunkeln?“
Das kleine Hoch, dass Ole eben noch verspürt hatte, war verflogen, und er fühlte sich wieder so deprimiert, wie vor dem Treffen. Er wollte ja alles so gut wie möglich machen, aber es gab weder ein Handbuch „Wie gründe und führe ich eine Geheimorganisation“, noch konnte er seine Aufgaben an einen Stab von Mitarbeitern weiter leiten, wie er es gewohnt war. Aber er wollte lernen, die Sachen in Zukunft besser zu machen.
„Ich kenne nur den Vornamen, und weiß natürlich nicht, ob der stimmt, aber ich versuche mehr herauszubekommen.“
„Ja, aber machen sie nicht die Pferde scheu, schließlich wollen wir ja am Ende des Tages kein Loch im Kopf haben, oder Coster?“
Ole hatte sowieso nicht vor, eine Fragestunde zu veranstalten. Zumindest im Aushorchen von Menschen hatte er im politischen Geschäft eine gewisse Routine erlangt.
„Der Mann nannte sich Jasper. Mehr weiß ich zurzeit noch nicht.“
„Das ist ja schon ein Anfang“, antwortete Ben genervt.
Damit drehte er sich um, und verließ das Regierungsviertel so schnell wie möglich. Er hatte noch eine Verabredung, und die wollte er auf keinen Fall verpassen.
Coster sah seinem Agenten noch ein paar Augenblicke hinterher, und ging dann wieder ins Gebäude zurück. Seine Kollegen wollten sicher so schnell wie möglich zurück nach Straßburg. Ihm war nur noch nicht klar, wie er an Informationen über diesen Jasper kommen sollte, aber es ergab sich bestimmt eine Gelegenheit, bei einer der vielen langweiligen Sitzungen, oder beim gemeinsamen Arbeitsessen. Zuerst musste er aber seine neue Bekanntschaft anrufen, dass er etwas später kommen würde. Wenigstens das war ein Lichtblick, bei all den Schwierigkeiten mit Elias, und seinen Ratskollegen.
Jasper Fokke hatte es sich im Stuhl bequem gemacht, die Ellenbogen auf die Armlehnen gestützt, und die Hände vor der Brust gefaltet, als ob er ein stilles Gebet sprechen wollte. Kaum, dass Ben das Zimmer verlassen hatte, waren die Ratsmitglieder mit Fragen auf ihn eingestürmt.
Wer ist von der Krise betroffen?
Was kann ich persönlich tun?
Wie kann ich meinem Land helfen?
Ist mein Land gefährdet, oder bleiben wir verschont?
Oh ja, Fragen gab es genug, aber sie waren für Jasper nicht relevant. Sie zielten vermutlich nur darauf ab, ihren eigenen Arsch zu retten, oder sich zumindest einen Vorteil gegenüber den restlichen Abgeordneten zu verschaffen.
Wie hatte doch Baron Rothschild einst so treffend bemerkt, „Wenn Blut in den Strassen fließt, musst du kaufen, selbst wenn es dein eigenes Blut ist“.
Er antwortete nicht, sondern dachte darüber nach, was er mit Ben anfangen sollte. Es hatte Geld und Arbeit gekostet, den Einstieg in die Gruppe, über Bjarne Bredsen, so schnell zu bewerkstelligen. Aber jeder Mensch hatte eine Schwachstelle. Bei Bredsen war es ein ausgeprägter Spieltrieb, und eine glücklose Hand beim Pokern, die ihn eine Stange Geld gekostet hatte, da Bjarne ein sehr guter Spieler war, und mit legalen Mitteln schwer zu schlagen. Seine Schwäche war, dass er nicht aufhören konnte, wenn er im Plus war.
Jasper hatte fast 150.000 Euro versenkt, bevor er Mitspieler gefunden hatte, die Bjarne mit über 170.000 Euro ins Minus getrieben hatten.
Dann war er als Geldgeber aufgetreten, und hatte bei einem freundschaftlichen Gespräch schließlich herausgefunden, dass Bredsen tatsächlich zu der einen Gruppe im Europaparlament gehören könnte, die oft miteinander sprachen, ohne das es größere politische Zusammenhänge zwischen ihren Parteien geben konnte.
Es war nicht leicht, in dem Wust der europäischen Abgeordneten bestimmte Muster aufzuspüren. Er konnte zwar die Neulinge ignorieren, da solche Gruppen meist aus arrivierten, langjährigen Mitgliedern bestanden, aber auch dann mussten eine Menge Daten ausgewertet werden, ob Telefon, E-Mail Verkehr, Reiserouten, Anwesenheitszeiten, und viele Punkte mehr, bis man auf den ersten Treffer stieß.
Das er innerhalb so kurzer Zeit schon auf Elias, oder vielmehr „Ben“ treffen würde, war für ihn ein Glücksfall, zeigte aber auch, dass die Abläufe der Abgeordneten routinemäßig statt fanden, und er sich eher auf die Brüche in den Tagesplanungen konzentrieren musste.
Trotzdem war der schnelle Treffer mit Bredsen eher ein Zufall, den er gerne annahm.
Als nächstes heftete er sich an Coster, denn dieser würde bestimmt schnell wieder Kontakt zu Ben aufnehmen, und das musste er nur abwarten. Das Telefon des Ratsvorstandes hatte er bereits im Konferenzraum geklont, und seine Aktentasche mit einem Sender ausgestattet. Das sollte reichen, um ihn direkt im Blick zu halten. Für mehr Informationen hatte er bereits vor Wochen eine Freundin auf Coster angesetzt, die ihm, ab und zu, in den letzten Jahren geholfen hatte Informationen zu sammeln. Denn im Bett waren fast alle Männer gesprächig.
Sofort nachdem er herausfand, dass Coster der Kopf der Gruppe war, hatte er Doris auf den Politiker angesetzt, um gar nicht erst Misstrauen aufkommen zu lassen, falls das Treffen in Brüssel ohne gewünschtes Ergebnis verlaufen wäre.
Die Tür ging wieder auf, und Coster betrat den Raum. Sofort verstummten die Gespräche, und alle sahen zu dem blassen, hageren Mann auf, der sich noch die Haare aus dem Gesicht wischte, damit der sonst so perfekte Seitenscheitel wieder saß. Bjarne meldete sich als erstes zu Wort. Der sonst eher introvertierte Politiker, wenn es das in dem Beruf überhaupt gab, schien aufgeregter als gewöhnlich, aber das waren heute alle Männer des Rates, und so kümmerte sich keiner um die Nervosität des anderen.
„Wird er mit unserem Mann zusammen arbeiten? Hat er noch etwas zu dir gesagt, Ole? Red schon!“
Coster zog die Stirn in Falten, und ließ sich wieder in seinen angestammten Sessel, am Kopfende fallen, den bis eben Timm besetzt hatte. Sein Blick wanderte langsam von einem Ratsmitglied zum anderen. Seine Kollegen atmeten alle unregelmäßig, oder fast gar nicht. Nur Jasper schien dies alles nicht zu interessieren. Er hielt Blickkontakt mit ihm, als ob er seine Fragen schon wüsste, und wahrscheinlich war das auch so. Ole schlug die Augen nieder, und wandte sich an seine Mitverschwörer.
„Es wäre hilfreich gewesen, wenn wir Elias mehr über unseren neuen Mann hätten sagen können, aber er war froh jetzt Unterstützung zu bekommen.“
Bjarne rutschte nervös auf seinem Stuhl herum, und eines, der anderen Mitglieder, ergriff das Wort.
„Ich finde es wird Zeit, dass uns Bjarne, oder am besten Jasper, selber etwas über sich sagt. Zumindest soviel, wie wir auch über Elias wissen. Schließlich wurden wir gerade noch einmal darüber aufgeklärt, wie gefährlich unsere Mission ist.“
Thomas Steinbrugger war Abgeordneter aus Österreich, und vertrat sein Land seit Jahren in umweltpolitischen Fragen in Europa. Die anderen Männer stimmten brummend zu, und Ole forderte Fokke, mit einer Handbewegung auf, zu sprechen. Jasper rührte sich nicht, setzte sich nicht gerade hin, oder schien im Mindesten angespannt zu sein.
„Nun, Herr Steinbrugger, es ist ihr gutes Recht, Fragen zu stellen, und ich werde sie beantworten so weit ich kann, aber zu ihrem eigenen Schutz werde ich das auf ein Minimum begrenzen. Vielleicht wissen die meisten von ihnen schon, dass mein Name Jasper Fokke ist, und ich Spezialist für Wirtschaftsfragen zwischen einzelnen Interessensgruppen und Staaten bin. Wenn sie auf der politischen Bühne auftreten, um Verträge zwischen Ländern, Konzernen, oder wem auch immer, zu schließen, ist mein Job schon lange erledigt, denn ich habe bereits die richtigen Partner ausgesucht, und positioniert. Störende Elemente sind dann bereits aus dem Weg geschafft, damit sie, meine Herren, ungestört in Verhandlungen treten können. Sie kennen nicht immer alle Verhandlungsparteien, die an den verschiedenen Verträgen profitieren, aber ich kenne sie. Und diesen Vorteil kann ich ihnen jetzt anbieten, aber nur, wenn ihr Einzelkämpfer zu einer Zusammenarbeit bereit ist. Sonst gehe ich lieber, und überlasse ihnen das Feld, denn ich bin gut, aber ich bin auch teuer. Mehr müssen sie im Moment nicht wissen.“
Er blieb in seinem Sessel sitzen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
„Also Herr Fokke, dann bedanken wir uns bis hierhin bei ihnen. Sobald ich neue Informationen habe, trete ich in Kontakt mit ihnen. Ich nehme an, dass mein Kollege, Herr Bredsen, über die notwendigen Daten verfügt?“
Ole blieb ruhig sitzen, aber die Knöchel an seinen Händen, mit denen er die Armlehnen umschlossen hielt, traten weiß hervor. Jasper erhob sich, nickte in die Runde, und warf einen Blick auf Bredsen, bei dem die Kiefer vor Anspannung malten, und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Deutlich wich die Nervosität der Ratsmitglieder, und Thomas Steinbrugger ergriff zuerst das Wort.
„Es ist jetzt schon schwierig für mich, soviel Geld ohne Nachweise zu besorgen. Wie sollen wir noch mehr Männer bezahlen, Ole? Wenn jetzt auch noch eine Krise droht, gehen mir, und anderen hier in der Runde, bald die Mittel aus.“
Einige nickten zustimmend, aber alle warteten ab, was Ole zu sagen hatte. Der blickte in die Runde, und begann dann, leise zu sprechen.
„Es stimmt was du sagst, Tom. Es wird schwieriger, die Mittel für mehr Agenten aufzutreiben, als bisher.“
Er nahm das Gemurmel wahr, das begonnen hatte, sobald er das Wort Agent ausgesprochen hatte, sprach aber ruhig weiter.
„Was haben denn alle gedacht, als hier vor mehr als 15 Jahren der Rat ins Leben gerufen wurde? Das wir uns einen Freizeitspaß gönnen? Wir sind doch angetreten, um unsere Länder aus den Klauen der Spekulanten, Superreichen, und Großindustriellen zu befreien. Ich weiß, einige von euch sind noch nicht so lange dabei, aber jeder wusste über unsere Ziele bescheid, und es ist keiner gezwungen worden dem Rat beizutreten, oder? Bis jetzt haben wir nur an der Oberfläche gekratzt, mehr nicht! Was glaubt ihr denn, woher die Krise kommt, die wir noch nicht einmal sehen, obwohl wir eigentlich über alle wirtschaftlich relevanten Daten verfügen sollten?“
Wut begann in ihm hochzusteigen, und zum ersten Mal verstand er, was Ben der Gruppe vorwarf. Sein Ton wurde schärfer.
„Um diese Zustände zu bekämpfen sind wir doch hier. Erst jetzt haben wir konkrete Hinweise bekommen, um an die eigentlichen Drahtzieher heran zu kommen, die für solche Krisen verantwortlich sind. Ihr alle habt Elias über Jahre verfolgt, und die Informationen die er uns geliefert hat, bis wir gemeinsam beschlossen haben, einen Köder ins Wasser zu schmeißen. Den Erfolg haben wir uns mit dem Tod von unbeteiligten Menschen erkauft, die Elias gut gekannt hat, und mit denen er sogar befreundet war. Er hat sein eigenes Leben riskiert für die gemeinsame Sache, und jetzt wollen wir allen ernstes über Geld sprechen? Jeder von euch ist lange genug im politischen Geschäft tätig, und hat genügend Kontakte, um Gelder locker zu machen. Jeder von uns wird soviel besorgen wie er kann. Falls das nicht reicht, lassen wir uns etwas Neues einfallen.“
Ole wandte sich mit funkelnden Augen an Bjarne.
„Was waren denn die Forderungen von Fokke?“
Bredsen fuchtelte mit seinen Händen, und verlor die Gesichtsfarbe. Er räusperte sich, und begann zu sprechen, was mehr einem Flüstern entsprach, als einer normalen Unterhaltung.
„Jasper will zwei Millionen Euro auf ein Offshore Konto plus Spesen, wie Reisen, Bestechungsgelder, und so weiter. Nach Abschluss seiner Aufgabe bekommt er noch einmal dieselbe Summe.“
Es herrschte eisiges Schweigen in der Runde, und Bjarne ergriff nochmals das Wort.
„Das ist seine Bedingung für dieses Jahr. Nächstes Jahr wird neu verhandelt.“
Tom Steinbrugger sackte in seinem Sessel zusammen und murmelte.
„Da könnte er auch verlangen, nächste Woche auf den Mond fliegen zu dürfen. Wer sagt uns denn, ob er das Geld überhaupt wert ist?“
Die anderen Ratsmitglieder murrten zustimmend, aber keiner wollte direkt ablehnen, obwohl den meisten Männern anzusehen war, dass diese Forderung außerhalb jeder Machbarkeit schien. Alle sahen ihren Vorstand an, als ob er die Lösung zu allen Problemen liefern könnte. Ole hob den Blick, nahm Haltung an, und sah die Ratsmitglieder wütend an.
„Wir werden das Geld besorgen, und noch mehr, falls es notwendig wird! Außerdem ist „Das“ doch wohl ein Angebot, und keine endgültige Summe. Wir werden auf jeden Fall unseren Verhandlungsspielraum ausloten, und bis dahin wird jeder Einzelne von uns zusehen, wie er soviel Geld besorgt, so schnell wie möglich. Ich muss ja niemanden darauf hinweisen, dass weder Mäzene, Sponsoren, oder die üblichen politischen Geldgeber in Frage kommen.
Wir alle haben solche Kontakte, alleine schon, um uns zu tarnen, aber das wäre Lebensgefährlich für die gesamte Gruppe. Jedes Land hat ja Sondertöpfe, aus denen Geld entnommen werden kann, ohne das die Öffentlichkeit davon erfährt. Notfalls wird jeder von seinem Vermögen soviel beisteuern, wie er entbehren kann. Ich denke, nach den erhaltenen Informationen, kann es ohnehin nicht schaden, unser Geld sicherer anzulegen, als in Aktien, oder dergleichen. Nehmt wertbeständige Anlagen, wie Edelmetalle, oder langfristige festverzinsliche Konten, von mir aus auch im Ausland, falls es nicht anders geht.“
Keiner gab Widerworte, und niedergeschlagenen Augen zeugten vom Schuldbewusstsein der Männer. Coster hielt es für besser, die Sitzung abzubrechen, damit sie wieder Luft bekamen, und nachdenken konnten, so wie er selber.
„Wir beenden jetzt unsere Runde, und werden auch in Straßburg Abstand von einander halten, jedenfalls vorerst. Jeder hat bis nächste Woche Mittwoch oder Donnerstag Zeit, seine Dinge zu regeln. Dann könnt ihr mich kontaktieren. Anschließend kann Bjarne wieder an Fokke herantreten, und unser Angebot unterbreiten.“
Der Norweger nickte, und auch die anderen Ratsmitglieder gaben zu verstehen, dass sie begriffen hatten worum es ging. Tom räusperte sich, und sah Ole an, der ihm ein Zeichen gab zu sprechen.
„Ich werde verreisen müssen, um meine Angelegenheiten zu regeln. Es wäre schön, wenn ich zumindest bis Freitag in die Liste der Anwesenden eingetragen werden würde.“
Ruben Guterres war mit Tom auch außerhalb der Politik befreundet, und übernahm die Aufgabe, in dem er auf sich zeigte. Tom war erleichtert, da er sich auf Ruben immer verlassen konnte.
„Danke Ruben, du hast einen „Gut“ bei mir.“
Ole erhob sich von seinem Sessel, und alle folgten ihm fast gleichzeitig nach. Die Gruppe verließ ohne ein weiteres Wort den kleinen Sitzungsraum, und bis auf ein leises Rascheln der Anzüge, war in den, mit Teppichboden ausgelegten Gängen, nichts zu hören. Die Männer sahen sich nicht an, als sie das Gebäude verließen, sondern blickten in die Strassen, und zu den anderen Bürokomplexen, die dem Parlament gegenüber standen, ob jemand auf sie achtete. Man sah den Mienen der Politiker an, dass spätestens ab heute jeder begriffen hatte, wie ernst die Situation war.