Читать книгу Exlux - Arno von Rosen - Страница 11
6. Kapitel
ОглавлениеSarah fröstelte, als sie aus dem Fenster, auf die verschneiten Wege blickte. Es war ein ungewohntes Gefühl, nach so langer Zeit in ihrem Büro zu sein. Frank reichte ihr einen Becher mit frischen Kaffee, und sie sog den Duft ein, bevor sie vorsichtig daran nippte.
Eigentlich hatten die beiden Kripobeamten bereits getrennte Büros, aber der neue Polizeichef hatte sie zum gemeinsamen Rapport einbestellt.
Es war bereits 10 Uhr durch, und die Besprechung sollte vor über einer Stunde stattfinden. Auf dem Revier war es ruhig, wie eigentlich immer, direkt nach solchen Feiertagen, als ob das Verbrechen auch eine Pause machte, um im Kreis der eigenen Familie zu feiern.
Frank ärgerte nur, dass sie Urlaub hatten, und er etwas Besseres zu tun hatte, als auf den neuen Polizeipräsidenten zu warten. Er konnte Sarah ansehen, dass sie noch eine Weile brauchen würde, um ihren Job wieder so zu erledigen, wie er es von ihr gewohnt war. Da half die Warterei nicht wirklich.
Im Gang konnten sie jetzt deutlich laute Schritte hören, die sich schnell auf ihr Zimmer zu bewegten. Die Tür wurde ohne anzuklopfen aufgerissen, und ihr neuer Chef stand im Raum.
Frank konnte in seinem Gesicht keinen Anflug von Reue sehen, obwohl sie so lange auf ihn gewartet hatten. Eher wirkte Dr. Kurt Weiler ärgerlich, aber das würde sich sicher gleich aufklären.
„Ich habe sie herrufen lassen, um ein paar mögliche Missverständnisse aufzuklären.“
„Guten Morgen Herr Dr. Weiler, es ist schön sie kennen lernen zu dürfen. Leider war ich in den letzten Monaten verhindert, um mich persönlich bei ihnen vorzustellen, aber jetzt können wir das ja nachholen“, unterbrach die Kriminologin die harsche Ansprache.
Kurt Weiler war der Unterton in Sarahs Stimme nicht entgangen, aber er ignorierte die Bemerkung, und fuhr in seinem Vortrag fort.
„Ich bin von niemandem in den Posten gehoben worden, sondern habe jahrelang dafür hart gearbeitet. Wenn ich vor ein paar Monaten schon Präsident gewesen wäre, hätte es keine Beförderungen in dieser Abteilung gegeben, zumal sie in diesem Fall nichts erreicht haben. Es ist mir schleierhaft, warum Stoll das getan hat, aber seien sie beide versichert. Bei mir gibt es keine Lorbeeren für Versagen“, bellte er den Ermittlern entgegen, und fügte mit klebriger Stimme hinzu.
„Vielleicht lässt sich noch etwas retten, mit den neuen Ermittlern. Die neigen wenigstens nicht zu Eigenmächtigkeiten.“
Anscheinend war Kurt Weiler seinen Ärger losgeworden, denn er verstummte jetzt, und sah aus, als ob er auf einen Angriff wartete. Sarah und Frank blieben ruhig, denn der Ruf des Gerechten, war ihrem neuen Chef schon vorausgeeilt. Tatsächlich neigte ihr neuer Präsident nicht zur Arschkriecherei, was ihn eigentlich sympathisch machte, aber andererseits seine Karriere enorm verlangsamt hatte, was er jetzt an jedem ausließ, bei dem es anders verlaufen sein könnte. Frank ergriff das Wort.
„Wenn sie die Ermittler Wimmer und Koslowski meinen, die bestimmt gut, aber sie haben noch nie alleine in einem Mordfall ermittelt, geschweige denn in einer Mordserie. Außerdem haben wir niemanden gebeten uns zu befördern, und uns hat auch keiner gefragt. Es wurde uns lediglich von Manfred Stoll mitgeteilt, als die Sache schon gelaufen war, und wir von dem Fall abgezogen wurden, jedenfalls so gut wie abgezogen. Sie können ihn ja selber fragen, Herr Weiler.“
„Sie können mich Dr. Weiler nennen, oder Herr Polizeipräsident, Kremer, und sie können davon ausgehen, dass ich schon eine längere Unterhaltung mit meinem Vorgänger hatte, aber irrsinniger Weise, deckt er sie beide.“ Weiler schnaufte verächtlich durch die Nase, und es war deutlich zu sehen, dass es in ihm noch brodelte.
„Dass ihre Kollegin, Frau Koenig, ihren Vater besuchen wollte, kann ich nicht verhindern, aber was wollten sie an dem Tag bei Dr. Koenig, Herr Kremer?“
Kurt Weiler betonte das „Herr Kremer“, sodass es sich anhörte wie ein Peitschenhieb, und nicht wie eine höfliche Anrede. Bevor Frank antworten konnte, meldete sich Sarah zu Wort.
„Mein Vater hatte mich und meinen Kollegen zum Herbstfest eingeladen, und Polizeihauptkommissar Kremer wollte sich dafür persönlich bedanken. Das macht man in der Regel, wenn man eine gute Kinderstube genossen hat, Herr Polizeipräsident. Wäre mein Kollege übrigens an diesem Tag nicht mit gekommen, könnten wir jetzt nicht so entspannt miteinander plauschen, denn dann wäre ich bereits tot. Im Übrigen wusste ich nicht, dass wir für unser knappes Privatleben auch noch Rechenschaft ablegen müssen.“
Während bei Kurt Weiler eine dicke Ader auf der Stirn anfing zu pochen, konnte sich Frank ein Grinsen nicht verkneifen. Anscheinend fand Sarah zu ihrer alten Form zurück. Gut so! Weiler konnte nur mühsam seinen Zorn unterdrücken.
„Bevor sie wieder zurückkehren können, werden sie von unserem psychologischen Dienst untersucht, und den Gesundheitscheck müssen sie dann auch noch bestehen. Ich denke also, dass sie noch eine Weile keinen Dienst tun, und sich so ihrem Privatleben widmen können. Soweit es sie betrifft, Kremer, haben sie noch etliche Überstunden und Urlaub zu nehmen.
Ich will sie beide mindestens drei Wochen nicht mehr sehen, und noch weniger von ihnen hören!“
Er riss die Tür auf, und schlug sie krachend hinter sich zu. Als er den Gang hinunter eilte, hörte es sich an, als ob Sturmtruppen das Gebäude verließen.
„Ich weiß nicht, ob es so klug war, den Alten so zu provozieren. Der Spaß könnte nach hinten losgehen.“
„Es ist mir lieber, er ist auf mich sauer, als auf dich, Frank. Wer weiß, ob ich bald wieder im Dienst bin, zumindest damit hatte er ja Recht. Ich muss mich jetzt auch noch um den Nachlass meines Vaters kümmern, und mir Gedanken machen, ob ich die Firma weiter führe, oder ob ich das Unternehmen veräußere. Diese Woche habe ich einen Termin beim Rechtsanwalt meines Vaters, und dann habe ich eine Vorstellung davon, was auf mich zukommt. Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst, Frank. Zeit hättest du ja jetzt dafür.“
Frank dachte kurz nach, und brummte zustimmend.
„Mein Sohn ist ohnehin noch in den Ferien, und ich kann sehen, ob du eine gute Partie bist.“ Er grinste über das ganze Gesicht, und Sarah zog einen Schmollmund, und tat leicht beleidigt. Sie gab ihm einen Klaps auf den Po, und schob ihn in Richtung Ausgang.
„Na, dann gehen wir jetzt etwas essen, und anschließend darfst du mir dann eindrucksvoll beweisen, warum ich mich weiter für dich interessieren sollte.“
Frank rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, und sah in Richtung Tür, als ob er sich auf eine plötzliche Flucht vorbereiten wollte. Sie saßen in einem Büro, das eher wirkte wie ein Ballsaal, und an dessen Wänden etliche Regale befestigt waren, mit noch mehr Büchern, die bis hinauf zur Decke reichten, welche annähernd drei Meter hoch war.
Der Anwalt saß hinter einem gewaltigen Schreibtisch, der uralt war, gedrechselte Beine hatte, und eine auf Hochglanz polierte Schreibtischplatte, auf der nur sehr wenige Dinge zu finden waren. Einen Computer, oder andere technische Einrichtungsgegenstände waren nicht zu sehen. Der Anwalt war in ein umfangreiches Schriftstück vertieft, was er durch eine kleine Brille las, die bis auf seine Nasenspitze gerutscht war.
Sarah wirkte sehr entspannt, aber Frank wusste, dass dies nur vorgetäuscht war. Sie hatte nicht damit gerechnet, hier überhaupt irgendwann zu sitzen, um sich das Testament, oder die Vermögenswerte ihres Vaters, erläutern zu lassen. Der Anwalt räusperte sich, und blinzelte über den Rand der Brille zu seiner Mandantin hinüber.
„Nun Sarah, wir kennen uns jetzt, seit du fünf Jahre alt bist, und mit deinen Vater habe ich noch einige Jahre länger zu tun. Ich habe mich im Laufe der Zeit mehr als einen Freund gesehen, und nicht mehr so sehr als euren Anwalt“, teilte er in väterlichem Tonfall mit.
„In dem Nachlass deines Vaters, stehen viele persönliche Dinge für dich, die du besser selber liest, als das ich alter Knopf sie dir vorlesen sollte. Mit deiner Erlaubnis fasse ich die Situation zusammen, und du kannst dir anschließend das Testament durchlesen, und mir Fragen stellen, falls du welche hast, wovon ich ausgehe.“
Bernhard von Mühlen warf einen prüfenden Blick auf den Kriminologen, und Sarah ergriff die Hand von Frank zur Bestätigung, dass sie die Anwesenheit ihres Freundes wünschte. Bernhard von Mühlen war weit über siebzig, und betreute nur noch wenige Mandanten selber. Die meisten Klienten wurden von seinen Partnern bearbeitet, und nur hin und wieder kam er selber in die Kanzlei, um einen seiner langjährigen Freunde zu beraten. Die Stunden stellte er selten in Rechnung, es sei denn, dass sich daraus ein wirklicher Fall ergab, der ein Verfahren nach sich zog.
Er hatte nicht die üblichen Hobbys seiner Kollegen, wie Golf, teure Autos, oder noch teurere Frauen, sondern verbrachte seine freie Zeit auf einem Landgut in der Toskana, baute seinen eigenen Wein an, und das schon seit mehr als 30 Jahren. Er war seit fast einem halben Jahrhundert mit derselben Frau verheiratet, welche immer seltener mit nach Deutschland kam, wenn er einen Termin wahr nahm, sondern blieb lieber in Italien, um die Sonne zu genießen, oder Spaziergänge durch die eigenen Rebstöcke zu machen. Er nahm einen Schluck Wasser, und legte die Papiere vor sich auf den Schreibtisch.
„Dein Vater war ein schwerreicher Mann, nach sämtlichen Maßstäben, die man anlegen kann. Die meisten Geschäfte haben wir gemeinsam abgewickelt, und selten hat Karl Geld verloren, wenn er ein Projekt angefasst hat. Natürlich hat in den letzten Monaten das Unternehmen gelitten, seit er tot ist, und sich kein Familienmitglied um die Geschäfte kümmert, aber es läuft alles andere als schlecht.
Seit ein paar Jahren hat dein Vater allerdings sein Vermögen umgeschichtet. Die Immobilien sind fast alle verkauft, bis auf die Villa und ein Ferienhaus in Italien. Anschließend hat er die Immobilien, soweit notwendig, wieder zurück gemietet. Seine Aktienpakete wurden mit beträchtlichen Gewinnen veräußert, und die Beteiligungen an anderen Unternehmen und Produktionsstätten hat er zu Bargeld gemacht. Einige dieser Geschäfte habe ich für ihn selber abgewickelt, aber was er mit den Erlösen gemacht hat, weiß ich nicht.“
Bernhard von Mühlen machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln, und um mit seinen dünnen, feinen Händen, die Dokumente zu ordnen.
„Dein Vater hat in den letzten Jahren insgesamt fast 1,1 Milliarden Euro an Bargeld eingenommen. Er hat einen Fond für dich und Carola eingerichtet, mit 20 Millionen Euro, aus dem eure Versorgung gewährleistet wird. Dazu kommen die laufenden Einnahmen aus den Geschäftstätigkeiten, und ein Bargeldkonto mit knapp 2 Millionen Euro, über das ihr sofort verfügen könnt.“ Er machte eine Pause, und Sarah hatte das Gefühl, dass jetzt etwas von Bedeutung folgen würde.
„Solltest du dich dafür entscheiden, dass Unternehmen zu leiten, gehört es in zwei Jahren dir, und du kannst dann damit machen was du willst, ansonsten gehen die Geschäftsanteile auf die Partner über, und du wirst mit einem Betrag von 1 Million Euro abgefunden. Durch den plötzlichen Tod deines Vaters, ist das Unternehmen allerdings in eine Schieflage geraten, und es fehlen im Moment zirka 5 Millionen liquide Mittel, für Steuervorauszahlungen und Produktionen, die bereits letztes Jahr in Auftrag gegeben wurden.“
Der Anwalt führte weiter die Geschäftstätigkeiten von Karl Koenig aus, und zählte die vielen Standorte auf, an denen Sarahs Vater geschäftliche Verbindungen unterhielt. Nur Frank hörte zu, auch wenn er nicht alle Unternehmungen für nachvollziehbar hielt. Wahrscheinlich waren manche Firmen nur als Steuerschlupflöcher gegründet worden, aber das war nicht sein Metier. Sarahs Gedanken jedoch, überschlugen sich.
Wer war ihr Vater? Bereits letztes Jahr, kurz vor seinem Tod, hatte sie durch die Affäre mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Stoll, und ihrer märchenhaften Beförderung, erste Hinweise erhalten, die ihren Vater hatten in einem anderen Licht erscheinen lassen. Danach gab es Indizien, über parallel laufende Aufenthaltsorte, mit dem mutmaßlichen Mörder von Blanke und Groth, durch die Informationen, die sie vom FBI Agenten Jeffries erhalten hatten. Eine Klärung der Fakten hatte sie damals nicht mehr herbeiführen können. Sie hatte nur noch undeutliche Erinnerungen, an den Schusswechsel im Büro ihres Vaters. Sarah griff sich unbewusst an die Stelle, wo sie die Kugel getroffen hatte, und sie verspürte einen ziehenden Schmerz, der nur langsam abebbte.
Sie wusste, dass ihr Vater reich war, aber sie hatte sich nie dafür interessiert, wie viel Geld er besessen hatte, und welchen Geschäften er nachgegangen war. Sicher erwarb niemand ein Vermögen, wenn er nicht die nötige Härte besaß, sich durchzusetzen. Heute sah sie die Feste, die ihr Vater ausgerichtet hatte, in einem anderen Licht. Es ging immer nur um Einfluss und Macht, auf beiden Seiten. Man nützte sich gegenseitig, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ministerpräsidenten, Wirtschaftsmächtige in aller Welt, sogar Polizeipräsidenten. Alle profitierten davon, Karl Koenig zu kennen. Sogar sie, und Frank Kremer, gehörten zu den Gewinnern, gewollt oder nicht. So erklärte sich auch der Ärger ihres neuen Vorgesetzten Kurt Weiler, der offensichtlich nicht zur erlesenen Scharr der Profiteure zählte, und auf jeden sauer war, der aus diesem Kreis an ihm vorbeizog.
Für wen sollte sie das Unternehmen weiter leiten? Für sich? Für ihre Mutter? Für die Geschäftspartner ihres Vaters?
Und was würde sie finden, wenn sie sich auf die Suche nach der Milliarde Euro machte? Wäre es nicht besser, alles abzustoßen, um wieder Frieden zu finden?
Ihre Mutter war versorgt, sie verdiente ihr eigenes Geld, und das bereits seit mehr als fünf Jahren. Sie ahnte, dass die Abfindung von 1 Million Euro nur eine Geste war, oder vielmehr, ein Hinweis auf ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Erbe. Bestimmt hatte ihr Vater nicht geplant, dass sie unter diesen Umständen die Firma übernehmen sollte, auch wenn er immer wieder auf ihre Nachfolge gedrängt hatte.
Sie erschrak, als Frank sie am Arm berührte. Sie hatte sich unwillkürlich an den Armlehnen festgeklammert, bis ihre Knöchel weiß hervorgetreten waren. Er lächelte sie an, und Sarah entspannte sich ein wenig, konnte sich aber nicht wirklich auf den Vortrag ihres Anwaltes konzentrieren.
Sie würde eine Entscheidung treffen müssen, und hoffte, dass Frank ihr dabei helfen konnte. Nur langsam durchdrang die Stille ihre lauten Gedanken, und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zu Bernhard von Mühlen, der ihr das Testament ihres Vaters entgegen hielt. Sarah lächelte verkrampft, und nahm das Schriftstück entgegen.
Der Anwalt nahm sich eine Pfeife aus der Schublade, stopfte diese bedächtig, und zündete sie mit einem Streichholz an, indem er das brennende Zündholz in den Pfeifenkopf steckte, und mehrmals am Mundstück sog. Die Haut seiner Finger sah aus, als ob sie aus dünnem, braunen Papier bestehen würde, das jeden Moment selber Feuer fangen konnte.
Anschließend lehnte er sich in seinem Sessel zurück, stieß ab und zu kleine Wolken aus, und beobachtete Sarah beim Durchlesen des Testamentes. Als sie am Ende des Schriftstückes angekommen war, legte Bernhard von Mühlen die Pfeife zurück in den Ständer, und schloss die Schublade wieder.
„Nun, hast du Fragen zum letzten Willen deines Vaters?“
Sarah nickte langsam, als ob sie sich noch darüber klar werden müsste, was sie wissen sollte, aber sie vermutete auch, dass ihre drängendsten Fragen nicht durch ihren Anwalt beantwortet werden konnten.
So klärten sie anschließend die vielen technischen Details, wie Sarah über das Geld verfügen konnte, und ab wann sie unterschriftsberechtigt war, und vieles mehr. Erst am Nachmittag verließen sie die Kanzlei, und fuhren zu ihrer Wohnung.
Frank starrte an die Decke. Durch einen kleinen Spalt im Vorhang, fiel ein schwaches Mondlicht, das durch die gläserne Deckenlampe, fahle Muster ins Zimmer warf. Er lag seit Stunden wach in seinem Bett, und beobachtete wie die Schatten sich im Laufe der Zeit veränderten. Er dachte über die letzte Woche nach, vor allem über Sarah. Er vermisste sie, obwohl sie erst seit wenigen Tagen zusammen waren, aber es fühlte sich an, als ob sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen würden.
Sie hatte sich entschlossen, die Firma ihres Vaters nicht kampflos untergehen zu lassen, oder sie an die Geschäftspartner zu verhökern. Mit dem Privatjet ihrer Familie war sie, zusammen mit Freddie, nach Asien geflogen, um sich mit den Produzenten zu treffen. Die Bank hatte ihren Kreditrahmen um 5 Millionen Euro aufgestockt, mit dem Jet als Sicherheit.
Frank hatte sie in der Entscheidung bestärkt, wollte aber nicht mitfliegen, da er morgen seinen Sohn für ein paar Tage für sich hatte, und er die Zeit nutzen wollte, bevor andere Umstände seinen Zeitplan wieder änderten. Zudem wollte er Philipp vorsichtig an den Gedanken gewöhnen, dass sein Vater wieder eine Beziehung hatte. Sarah rechnete damit, dass sie ungefähr drei bis vier Tage unterwegs sein würde. Eine Meinung, die er nicht teilte, aber das behielt er lieber für sich.
Sarah würde bereuen, wenn sie nicht wenigstens versuchen würde, dass angeschlagene Unternehmen zu retten. Danach hatten sie immer noch Zeit, weitere Nachforschungen über den Verbleib der Milliarde Euro anzustellen, oder nach weiteren Hinweisen, des entsorgten Killers, zu suchen.
Er hatte die Verlesung des Testaments als Kriminologe betrachtet, und ein paar beunruhigende Beobachtungen gemacht, die er Sarah nicht mitteilen wollte. Sie hatte mit Sicherheit nicht genug Abstand, die Vorgänge um Karl Koenig aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Er selber traute Bernard von Mühlen nicht. Er machte den Anschein eines väterlichen Freundes, aber er kannte Sarah nicht wirklich, und über die Transaktionen mit ihrem Vater wusste weder Sarah, noch ihre Mutter Carola genug, um die Gesamtsituation einzuschätzen.
Ihm war aufgefallen, dass die Aktenmappe mit dem Testament stark nach Pfeifenrauch roch, jedenfalls zu stark, wenn man bedachte, dass das Testament schon vor Jahren verfasst wurde, und der Anwalt angeblich erst seit ein paar Tagen aus Italien zurück war.
Er vermutete, dass sich der Winkeladvokat schon länger mit der Akte befasst hatte. Dazu kam, dass der Aktenumschlag zu ausgebeult war, für den Umfang des vorhandenen Testaments, und die Stahlklammern der Mappe außerdem zuvor an einer anderen Stelle gebogen worden waren, als ob sie früher mehr Dokumente beinhaltet hätte.
Aber warum sollte der Anwalt Teile des Testamentes verschwinden lassen? Um Sarah und ihre Mutter zu schützen?
Das klang jedenfalls besser als die Alternative, die Frank einfach logischer erschien. Habgier! Vielleicht ging es um Geschäftsanteile, oder noch wahrscheinlicher, der Anwalt wusste möglicherweise doch, wo sich die Milliarde Euro befand. Er schätzte, dass eine so hohe Summe auch dem reichsten Rechtsverdreher noch unerfüllte Phantasien durch den Kopf gehen ließ. Er hatte in seiner Karriere oft mit Habgier zu tun gehabt, und festgestellt, dass selbst vor Mord nicht zurück geschreckt wurde, um an das Geld, selbst der eigenen Familie, ranzukommen. Mindestens eben so oft, wie Verbrechen aus Leidenschaft.
Die Frage war dann nicht, ob der Anwalt eine solche Summe benötigte, oder noch ausgeben konnte, sondern einfach nur, ob die Beschaffung des Geldes den Aufwand des Verbrechens lohnte. Wer sollte das besser beurteilen können, als jemand der sich mit dem Gesetz bestens auskannte, und damit umgehen konnte. Es würde sicher wenig bringen, von Mühlen durchleuchten zu lassen. Selten taten Anwälte etwas Dummes, dass sich nicht doch irgendwie mit dem Gesetz vereinbaren ließ, und wenn doch Fehler passierten, war es für sie ein Leichtes, diese Taten zu vertuschen.
Es wäre sicher besser, Bernhard von Mühlen beschatten zu lassen, und Frank hatte auch schon eine Idee. Ein ehemaliger Kollege, hatte sich nach einer Verletzung im Dienst, als privater Ermittler selbstständig gemacht. Er würde am nächsten Morgen die Nummer von Thorsten Teves raus suchen, und sich mit ihm treffen, bevor er Philipp abholte.
Frank stand auf, und zog sich an. Er würde hier kein Auge zu machen, und hatte keine Lust, sich noch stundenlang in seinem Bett zu wälzen. Er wollte fit und ausgeschlafen sein, um mit seinem Sohn etwas zu unternehmen, und klar im Kopf, wenn er mit Thorsten sprach. Er fuhr zu ihrer Wohnung, und stellte den Wagen auf dem angemieteten Tiefgaragenparkplatz ab.
Sobald er die Wohnungstür öffnete, konnte er den Duft von Sarah wahrnehmen, der noch in der Luft lag.
Er hatte die Schlüssel, um nach dem Rechten sehen zu können, und sie hatte ihm angeboten, in der Wohnung zu bleiben, bis sie zurück war, aber er hatte natürlich erst einmal abgelehnt. Vielleicht sollte er anfangen, Sarah in sein Leben zu lassen, mehr als er es gewöhnt war.
Frank zog sich aus, und legte sich in Sarahs Bett. Nach ein paar Minuten war er fest eingeschlafen. Das leise Schnappen der Wohnungstür, die zugezogen wurde, hörte er schon nicht mehr.