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IV.

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Gegen Abend des nächsten Tages suchte Kommerzienrat Mohr den Universitätsprofessor Mallinger auf, mit dem er im dritten oder vierten Grade durch seine Frau irgendwie verwandt war.

Als das Mädchen ihn meldete, drehte sich der Professor langsam an seinem Schreibtisch um und befahl mit sonorer Stimme:

„Sagen Sie dem Herrn Kommerzienrat, daß ich mich zwar für mein morgiges Kolleg noch nicht vorbereitet habe, daß ich ihn aber trotzdem bäte, abzulegen und näher zu treten.“

Der Professor mochte ihn nicht; kannte ihn kaum; hatte trotz der vielen Jahre, die er in seinem Hause verkehrte, kaum fünf Worte mit ihm gewechselt.

Das lag daran: Mohr galt als Lebemann. Man sprach sogar von einem Verhältnis, das er seit Jahren unterhielt. Einen rechten Begriff vermochte der Professor zwar damit nicht zu verbinden. Aber er hatte es im Gefühl, daß es etwas Anstößiges war, etwas, was der Ehe, der Institution des Staates, ins Gesicht schlug. Und das genügte ihm, um ihm diesen Menschen unsympathisch zu machen. Hinzu kam: für Mohr lag der tiefste Sinn des Lebens im Geldverdienen. Das an sich nahm er ihm nicht übel. Im Gegenteil! Aber daß er das Geld so leicht wieder unter die Leute brachte, anstatt es zusammenzuhalten, daß er es oft sogar in Lokalen ließ, in denen Frauen zweifelhaften Rufes verkehrten, verurteilte er scharf. Was aber das Schlimmste war: dieser Mohr sah in einem Universitätsprofessor durchaus keinen Honoratioren, der ihm besonderer Verehrung wert erschien; ja, es hatte sich ereignet, daß er auf einem Diner beim Hofbankier Walther zuerst den Oberlehrer Sasse und dann erst ihn begrüßte.

Alles das trat wieder in seine Erinnerung, als das Mädchen jetzt seinen Namen nannte; dennoch stand er auf und ging ihm entgegen!

„Was führt denn Sie, Herr Kommerzienrat, zu so ungewohnter Stunde in die Arbeitsstube eines Gelehrten?“ fragte er ihn, als er eintrat.

„Sie gestatten wohl, daß ich mich setze?“

„Ich hatte nicht die Absicht, Sie stehen zu lassen,“ sagte der Professor, „obschon meine Zeit beschränkt ist, da ich morgen um 8 Uhr Kolleg und nachmittags Stadtverordnetensitzung habe, bei der ich gelegentlich des Müllabfuhrverbots den Standpunkt meiner Fraktion zu vertreten habe, ohne mich bisher mit der für die Kommune, wie im besonderen für die Hausbesitzer äußerst wichtigen Materie mit der nötigen Gründlichkeit befaßt zu haben.“

Dem Kommerzienrat war das, obgleich er selbst Häuser besaß, ohne freilich je über die Müllabfuhr nachgedacht zu haben, höchst gleichgültig. Wie gut, daß Leute da waren, die sich über solche Dinge den Kopf zerbrachen, dachte er. Wozu so’n Professor nicht alles gut ist! Aber er sprach es nicht aus. Da der Professor jedoch eine Antwort erwartete, so tat er interessiert und sagte:

„Gewiß, verehrter Professor, in einer Stadt wie Berlin muß die Müllabfuhr ja eine bedeutende Rolle spielen.“ Was zur Folge hatte, daß der Professor sich leidenschaftlich über dies Thema ausließ, worauf Mohr ihn mit den Worten unterbrach:

„Sehr interessant, Herr Professor, aber der Grund, aus dem ich hier bin und es wage, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen, ist ein anderer.“

„Bitte, bitte!“ sagte der gekränkt. „Ich weiß ja, daß die Politik nicht in Ihr Fach schlägt; ich bin in der Tat sehr beschäftigt, also bitte.“

„Ich hatte das Thema ja nicht angeschlagen,“ erwiderte Mohr bissig, „ich weiß auch nicht, ob Sie aufmerksam wären, wenn ich von meinen Angelegenheiten sprechen würde.“

Entsetzt wehrte der Professor ab.

Nun ja, das fehlte gerade, daß er ihn in seine Abenteuer einweihte. Ihm genügte, was ihm seine Frau gelegentlich beim Schlafengehen erzählte; die bezog ihre Nachrichten von der Dame, die Mohr seit Jahren das Haus führte; auf Details verzichtete er gern; ließ sie sich nicht einmal von seiner Frau erzählen, der er erst kürzlich jedes Gespräch mit „dieser Person“, die solche Dinge um sich duldete und sie weitertrug, verboten hatte. Seine Frau freilich war ihm über den Mund gefahren, hatte ihn verächtlich von der Seite angesehen und gesagt:

„Es ist schlimm genug, daß ich mich seit zehn Jahren mit diesen Geschichten begnügen muß. Dein Verhalten mir gegenüber als Ehemann ist nicht derart, daß du das Recht hättest, mir dies harmlose Vergnügen zu verbieten.“

Und daß er diese Vorwürfe dulden mußte, war der vierte und vielleicht ernsteste Grund, aus dem er den Kommerzienrat haßte.

„Sie wissen,“ begann Mohr, „daß ich mich seit Jahren für Ihre Nichte, Luise Kersten, interessiere.“

Der Professor, der sich kaum gesetzt hatte, sprang auf:

„Herr Kommerzienrat, ich muß Sie bitten, das interessiert mich nicht; wie mich nichts mehr interessiert, was mit diesen Leuten in Verbindung steht. Ich habe angeordnet, und diese Anordnung erstreckt sich auf alle, die in mein Haus kommen, daß der Name“ — er vermied, ihn auszusprechen — „hier nicht mehr genannt wird.“

„Sie können doch Frau und Kinder nicht für das verantwortlich machen, was der Vater gesündigt hat.“

„Sie scheinen nicht zu wissen, daß die Familie zu den weitgehendsten Opfern bereit war.“

„Davon ist mir allerdings nichts bekannt.“

„Diese Leute haben es aber unmöglich gemacht, daß jemand, der auf Reputation hält, sich überhaupt noch um sie bekümmert. Statt jede Erinnerung an diesen — nun ist er tot; de mortuis nil nisi bene, sonst würde ich sagen: Verbrecher — in den Kindern zu töten, wissen Sie, was diese Mutter da tut? Sie werden es nicht für möglich halten: sie führt ihn den Kindern noch als nachahmenswertes Beispiel vor Augen.“

„Dann muß man die Kinder dem Einfluß der Mutter entziehen“, erwiderte Mohr.

„Das wäre das Beste“, sagte der Professor. „Wenn Sie jemand wissen, der das Opfer bringt und die Zeit hat. Das Vormundschaftsgericht hat sich natürlich an mich gewandt; ich sollte Gegenvormund werden; ich habe dankend abgelehnt.“

„Ich erfuhr es, und das ist auch der Grund, aus dem ich hier bin; um Sie zu bitten, Ihre Weigerung zu widerrufen.“

„Es wäre sündhaft von mir,“ erklärte der Professor mit feierlicher Stimme, „wenn ich der Wissenschaft und der Kommune dieser Leute wegen auch nur eine Stunde meiner Wirksamkeit entzöge. Offen gesagt, ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie nach alledem noch den Mut finden können ....“

„Herr Professor!“ sagte Mohr und mühte sich, feierlich zu erscheinen, „da reden Gefühle. Ich bin mir bewußt, daß es mich gesellschaftlich Opfer kosten wird ... große ... vielleicht vernichtende. Ich habe das alles erwogen. Aber wie gesagt: die Gefühle sind stärker. Muß es sein, so gehe ich aus Berlin heraus. Die Welt ist groß.“

Er mußte über sich selbst lachen, als er sich so sprechen hörte. Aber der Professor fuhr mit einem gewaltigen Ruck in die Höhe, stellte sich kerzengerade vor ihn hin; streckte ihm mit großer Würde die Hand entgegen und rief:

„Sie sind ein Held!“

Mohr lehnte die Huldigung ab. Einmal hatte das noch Zeit, bis er seinen letzten Trumpf ausspielte, und dann wußte er: je selbstloser er hier auftrat, um so sicherer kam er zum Ziel.

„Alle Liebe ist am Ende Egoismus, verehrter Herr Professor, und darum sind es auch alle Handlungen, die aus ihr entspringen.“

„Sie sind übermäßig bescheiden!“ entschied der Professor und setzte sich wieder.

„Mir scheint kein Preis zu hoch für das, was ich fordere“, erwiderte Mohr. „Natürlich bin ich mit meinen 44 Jahren nicht mehr jung genug, um ohne Besinnung auf mein Ziel loszustürmen. Ich weiß, daß erst Gras wachsen muß über die furchtbaren Ereignisse der letzten Wochen.“

Der Professor stimmte zu.

„Ein, zwei Jahre vielleicht! Das scheint mir aber auch im Interesse der Zartheit und Jugend Ihrer Nichte zu liegen. Und Sie wissen ja, Herr Professor, wie schnell sich in einer Stadt wie Berlin alles vergißt. So wird auch das vergessen. In zwei Jahren denkt kein Mensch mehr daran.“

„Hoffentlich!“ sagte der Professor.

„Was Ihre Nichte zunächst mal nach all den Aufregungen braucht, ist Ruhe und Schonung; es ist daher durchaus wünschenswert, wenn sich eine Zeitlang möglichst niemand um sie bekümmert. Ich weiß, das alles regt sie auf; selbst wenn es noch so gut gemeint ist.“

„Vor mir ist sie sicher“, sagte der Professor.

„Leider“, erwiderte Mohr. „Gerade von Ihrem Einfluß hatte ich so viel erwartet.“

Der Professor stand auf und gab abermals breit und feierlich eine Erklärung ab.

„Herr Kommerzienrat!“ begann er. „Als Onkel und Senior der Familie habe ich natürlich das denkbar größte Interesse an der Rehabilitation der Familie Kersten. Daß diese vor den nächsten Reichstagswahlen erfolgt, ist für mich beinahe eine Lebensfrage. Denn ich weiß nicht, ob ich es ohne diese Rehabilitation mit meinem Gewissen werde vereinbaren können, vor meine Wähler hinzutreten. Diese Rehabilitation kann bei meinem Neffen nur durch besondere Leistungen, für die ihm meines Erachtens die sittliche Reife fehlt, bei meiner Nichte nur durch die Ehe mit einem Manne von Reputation erfolgen. Ich stehe nicht an zu erklären, und ich darf wohl für mich die Fähigkeit, Menschen zu beurteilen, in Anspruch nehmen, daß ich meine Nichte durch eine Ehe mit Ihnen als durchaus rehabilitiert betrachten würde.“

Mohr stand auf, reichte dem Professor die Hand und dankte ihm.

„Darf ich Ihre Zeit noch fünf Minuten in Anspruch nehmen?“ fragte er.

„Ich bitte darum.“

„Sehen Sie,“ begann Mohr, „mir liegt natürlich daran, daß diese Rehabilitation, von der Sie da sprachen, auch die träfe, zu denen ich durch die Ehe in ein näheres verwandtschaftliches Verhältnis trete; ich meine die Mutter und den Sohn.“

„Sehr begreiflich!“ bestätigte der Professor.

„Ja, mir muß daran liegen, daß diese Rehabilitation stattfände, bevor ich offiziell ...“

„Ich verstehe ...“

„Das ist aber nur möglich, wenn jemand wie Sie als Vormund mit aller Energie die Geschicke dieser Leute lenkt und jeden Einfluß eines Dritten, wer immer es sei, ausschaltet.“

Das schmeichelte dem Professor; und das kam so deutlich auf seinem Gesicht zum Ausdruck, daß Mohr einen Augenblick lang fürchtete, er werde womöglich seinen Widerstand aufgeben und die Vormundschaft annehmen.

„Natürlich ist es bei Ihrer Position als Lehrer der akademischen Jugend, als Vertreter der Stadt wie als Parlamentarier ...“

„Das letzte noch nicht“, berichtigte geschmeichelt der Professor.

„Nun, auch das ist ja wohl nur eine Frage der Zeit, einer recht kurzen, wie ich im Interesse des Ansehens unseres Parlaments hoffen darf.“

Der Professor krümmte dankerfüllt seinen breiten Rücken.

„Ich meine,“ fuhr Mohr fort, „auf der einen Seite darf man Ihre wertvolle Kraft nicht der Allgemeinheit auf Kosten einer einzelnen Familie entziehen ..“

Der Professor war begeistert. „Das habe ich auch gesagt! Und das war für mich das Entscheidende!“ stimmte er zu.

„... auf der anderen Seite aber verlangt eine Vormundschaft wie diese natürlich ein vollkommenes Aufgehen in den Interessen dieser Menschen, an denen Jahre hindurch schwer gesündigt wurde.“

„So ist es“, bestätigte der Professor.

„Ich höre nun, daß man Sie im Falle Ihrer Weigerung um Vorschläge gebeten hat, wer Ihres Erachtens wohl als Vormund in Frage käme. Nun ...“ — er stand auf und trat dicht vor den Professor hin — „ich bin, falls Sie mich für würdig erachten, bereit, diese Vormundschaft zu übernehmen.“

„Sie wollten!“ rief der Professor und erhob sich.

„Vorausgesetzt, daß zwei Bedingungen erfüllt werden“, erwiderte Mohr.

„Die wären?“ fragte er.

„Einmal muß jeder Einfluß eines Dritten aus der Familie ausgeschaltet werden.“

„Dafür stehe ich Ihnen ein,“ versicherte der Professor, „und das zweite?“

„Ja, das zweite“, fuhr Mohr fort und setzte sich wieder. „Natürlich sorge ich dafür, daß die Familie unverändert in dem Stile fortlebt, in dem sie bisher gelebt hat.“

„Was?“ rief entsetzt der Professor. „Wissen Sie auch, was das bedeutet?“

„Fünfzig- bis sechzigtausend Mark im Jahre, hat man mir gesagt“, erwiderte Mohr völlig gelassen.

„Und Sie wollen?“ fragte der Professor und war ganz außer sich, fuchtelte mit der Hand in der Luft herum und schüttelte den Kopf.

„Ja!“ sagte Mohr, als handle es sich um eine Bagatelle, „aber“ — und nun legte er wieder Nachdruck in seine Worte — „nun kommt die zweite Bedingung: Ihr Neffe sowie die Mutter dürfen unter keinen Umständen wissen, daß das Geld von mir kommt.“

Der Professor sah ihn erstaunt an.

„Von mir werden sie’s nicht erfahren“, sagte er.

„Ihre Nichte wünscht das so,“ erläuterte Mohr, „und ich weiß nicht, weshalb man ihr diese belanglose Bitte nicht erfüllen soll. Die Empfindsamkeit der Mutter, Sie verstehen, die darunter litte; und dann der Bruder — nun, er mag mich nicht, würde das Geld von mir nicht nehmen, womöglich seinen Beruf aufgeben ...“

„Das soll er nur!“ unterbrach ihn der Professor. „Das ist das Gescheiteste, was er tun kann.“

„Ihre Nichte hängt mit ganz besonderer Liebe an ihm. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, daß er Maler wird! Mag er also bleiben, wo er ist. Und was liegt schließlich daran, wenn der Junge glaubt, das Geld kommt von Ihnen.“

Der Professor wehrte entschieden ab.

„Von mir unter keiner Bedingung; wenn das jemand erfährt, was sollte man davon denken, daß ich diese Leute unterstütze. Aber Geheimrat Walther wird das gern an meiner Stelle übernehmen. Ich verbürge mich sogar dafür, daß er es tut. Er ist Spezialist in der Kunst, auf Kosten anderer wohltätig zu sein. Und dann nimmt es diese Frau auch lieber von ihm als von mir — sie hat ihre Gründe dafür — verlassen Sie sich darauf. — Nein! Glück haben die Leute! Wahrhaftig mehr als sie verdienen.“

„Ich darf also damit rechnen?“

„Sie dürfen!“ erwiderte der Professor. „Ich gehe noch heute zum Vormundschaftsgericht und erledige alles; auch das mit meinem Schwager.“

Dann wurde er zum drittenmal feierlich, stellte sich kerzengerade, warf den Kopf zurück und sagte: „Und nun will ich in unser aller Interesse hoffen, daß Sie für die gewaltigen Opfer, die Sie bringen, auch Dank ernten.“

Mohr grinste über das ganze Gesicht. Das Geschäft war perfekt.

„Darauf können Sie sich verlassen!“ erwiderte er. „Ich sorge schon, daß ich nicht zu kurz dabei komme.“

Dann reichte er dem Professor die Hand und verabschiedete sich.

„Wie man sich doch manchmal im Menschen täuschen kann“, sagte der Professor, als Mohr draußen war und vertiefte sich wieder in seine Akten über die städtische Müllabfuhr.

Mohr stieg in sein Automobil. Er hatte die Bedingungen erfüllt, die Luise stellte, den Kaufpreis bezahlt. Es war nur natürlich, daß er bei den großen materiellen Opfern, die er nun bringen mußte, auch an sich dachte, ihr Vormund wurde, sich das Verfügungsrecht über sie sicherte und so jede Einwirkung und Kontrolle eines Dritten ausschaltete.

Lu, die Kokotte

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