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III.

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Es mochte Mitternacht sein, als in der Villa die Türglocke ging und ein Depeschenbote dem Hauswart ein dringendes Telegramm durch das Fenster reichte.

Der Hauswart, der nicht viel jünger war als der alte Herr und wie Jacob schon seit einem Menschenalter im Dienste des Barons stand, vermutete als Absender einen Gratulanten und wußte daher nicht recht, ob er das Telegramm nach oben bringen sollte. Aber der rote Streifen ließ es ihm so dringend erscheinen, daß er zur ersten Etage hinaufstieg, um es Jacob zu geben. Mochte der entscheiden.

Jacob, der noch immer vor der Tür des Herrenzimmers saß, sah den Hauswart schon kommen, als er noch auf der Treppe war. Er erhob sich behutsam, führte den Finger an den Mund und wies auf die handbreit offenstehende Tür. In gemeinsamem Dienst aufeinander eingestellt, waren sie daran gewöhnt, sich zu verständigen, ohne viel zu reden. — Jacob sagte sich: den Alten aus dem Schlaf zu wecken wäre unbedenklicher als ihn aus seiner andächtigen Stimmung zu reißen. Er hielt sich daher, trotz der Bedenken, die der Hauswart äußerte, für berechtigt, das Telegramm zu öffnen, um es auf seine Wichtigkeit hin zu prüfen. Sein Erstaunen war so groß, daß er, zitternd an Händen und Beinen, nach der Lehne eines Stuhles griff. Auch der Hauswart, der ihm das Telegramm aus der Hand nahm und es las, entfärbte sich. — Sie waren sich einig, daß der Alte es sofort lesen mußte. — Also schob jetzt Jacob behutsam die Tür ins Zimmer, ging auf den Zehen an den Tisch heran, legte das Telegramm vor den Alten hin und entfernte sich wieder, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Alte nahm die Depesche auf und las:

„Eintreffen alle sechs morgen früh sechs Uhr dreißig Frankfurt. Stop. Beordere Autos an Bahn und richte es bitte ein, daß bei dir wohnen können. Stop. Adolf, Adele, Ernst, Elisabeth, Richard, Resi.“

Der Alte ahnte nicht, welche Mühe es die sechs gekostet hatte, sich über den Wortlaut dieses Telegramms zu einigen. Dutzende von Telephongesprächen waren erforderlich gewesen.

Das ist die neue Sachlichkeit, dachte er. So depeschieren Kinder an ihren Vater, der seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag feiert. Und er suchte unter den Papieren, die vor ihm auf dem Tische lagen, ein Telegramm aus dem Jahre 1875 heraus, das er bei ähnlicher Gelegenheit von Gastein aus an seine Mutter gesandt hatte. Das lautete:

„Geliebtes Muttchen. Gib dir keine Mühe, mich hier zurückzuhalten. Ich bin zu Deinem Geburtstag in Frankfurt — mit oder ohne Rheuma. In inniger Liebe Dein Sohn.“

Der Alte zerknüllte das Telegramm — wollte es in den Papierkorb werfen — zögerte — überlegte — lächelte — nickte mit dem Kopf und sagte leise vor sich hin:

„Immerhin, sie kommen — ich hatte es nicht gedacht. — Die Mutter würde sich freuen, wenn sie es noch erlebte.“ — Er entfaltete das Telegramm wieder, legte es vor sich hin und strich es mit den Händen glatt. Er las noch einmal die Unterschriften: „Adolf — Adele — Ernst — Elisabeth! —“ Hier machte er eine Pause und wiederholte: „Elisabeth“ — schloß für einen Augenblick die Augen und wurde ernst. Dann fuhr er fort: „Richard — daß du kommen würdest, mein Junge, hatte ich im Gefühl“ — er nahm das Telegramm wieder auf und las zu Ende. — „Nun denn in Gottes Namen, so werde ich sie also alle zur gleichen Zeit bei mir haben.“

Er läutete — Jacob war im selben Augenblick zur Stelle.

„Ich breche ab“, sagte der Alte, „aber die Kerzen laß brennen — zu Ehren der Toten — die Jugend hat mich überrumpelt — hier, lies.“

„Ich habe bereits ...“

„Ah so — richtig! Das Telegramm war offen.“

„Ich dachte, für den Fall, daß es nichts Wichtiges war, daß ich dann den Herrn Baron nicht hätte zu stören brauchen.“

„Ich weiß“, sagte der Alte gütig, stand auf und stützte sich auf Jacobs Arm. — Und als sie in die obere Etage stiegen, in der die Schlafzimmer lagen, sagte er:

„Sie kommen alle sechs, — macht es nur recht fein. — Sie sind verwöhnt. — Sie kennen nichts anderes, als gut zu essen, zu trinken und sich gut anzuziehen, — die Ärmsten!“

Und als er gebetet hatte und in seinem Bett lag, faltete er noch einmal die Hände und sagte:

„Herr, laß den morgigen Tag gut vorübergehn!“ Dann schlief er ein.

Die Reichen

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