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IV.

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Wenige Stunden zuvor hatte sich den um zehn Uhr vom Anhalter Bahnhof aus nach Frankfurt am Main Reisenden ein amüsantes Bild geboten. Sechs Schlafwagenabteile erster Klasse waren nebeneinander belegt. Die fünf Verbindungstüren standen offen. Je drei Zofen und Diener waren damit beschäftigt, aus kostbaren Reisetaschen Kopfkissen, Pyjamas, Schuhe und unzählige Toilettengegenstände für ihre Herrschaft auszupacken. In vier Abteilen breiteten sie über die Laken große, weiche Lederdecken. In einem Abteil ließ die Zofe sämtliche Bettwäsche entfernen und legte eigene Wäsche auf. Alle sechs Abteile wurden mit einer gelben Flüssigkeit desinfiziert, zwei überdies mit einem herb duftenden Parfüm besprengt. Auf die Waschtische stellte man Gummischüsseln und eigene Gläser. — Dann nahmen die Diener und Zofen paarweise voneinander Abschied. Nicht eben herzlich — so daß man sah, es handelte sich nur um eine kurze Trennung. Die Zofen reisten mit, während die Diener in Berlin blieben.

Als sie auf den Flur traten, kamen sie miteinander ins Gespräch.

„Das hat wohl keiner von uns geglaubt, daß die drei Brüder noch einmal mit ihren Frauen zusammen reisen würden.“

„Zu seiner Beerdigung schon — aber zu seinem Geburtstag!“

„Sind Ihre Herrschaften denn überhaupt schon mal zusammen gereist?“

„Einmal — nach ihrer Hochzeit — später nicht mehr.“

„Unsere Herrschaft wird immer verliebter ineinander.“

„Ein Jude und eine Gräfin — das hätte ich nie geglaubt.“

„Wo Geld ist, verwischen sich die Unterschiede — sogar äußerlich.“

„In einer alten Familie wie dieser schon — aber nicht bei Neureichen.“

„Bei uns verkehren jetzt Leute, die hätte unsere Gnädige früher nicht angesehen.“

„Von fünf Millionen aufwärts spielt die Herkunft keine Rolle mehr.“

„Und von zehn Millionen aufwärts ist auch die Herkunft des Geldes gleichgültig.“

„Platz nehmen!“ rief draußen eine Stimme.

Die drei Diener verließen den Wagen, vor dem — bestaunt von den Mitreisenden — eine Gruppe von drei auffallend eleganten Damen und drei Herren stand. — Es waren die Barone v. Rosen-Geldberg mit ihren in leichte Reisepelze gehüllten Frauen.

Zuerst stieg der große, schlanke Baron Ernst in den Wagen, blieb an der Tür stehen und half den drei Frauen hinauf. Dann folgte Adolf — und als letzter Richard.

Im selben Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung. Die sechs suchten ihre Abteile auf, vor denen noch immer die Zofen standen.

„So dicht lagen wir noch nie zusammen“, sagte Frau Resi zu ihrem Gatten. — Der erwiderte:

„Du könntest es öfters haben, — wenn du Wert darauf legtest.“

„Du weißt doch, Richard, ich liebe die Abwechslung —“ Dabei sah sie so ungeniert in das Nebenabteil, daß Richard sagte:

„Schließe die Tür zu, Ernst!“

„Als wenn das eine Abwechslung wäre“, erwiderte Resi.

„Du tätest gut, mich nicht daran zu erinnern.“

„Dies Kapitel fällt in meine zweite Ehe, für die ich dir keine Verantwortung schulde.“

„Ich fürchte, deine dritte Ehe dürfte nicht deine letzte sein.“

„Ich hoffe es.“ —

Im Nebenabteil sagte Adele:

„Ich fühle mich nie so einsam wie im Schlafwagen.“

„Du kannst ja die Tür zu mir offen lassen“, erwiderte Adolf.

„Als wenn das nicht auf dasselbe herauskäme.“

„Übermorgen sind wir wieder in Berlin — und dann bist du dein eigner Herr.“

„Du bist so gut und nachsichtig“, sagte sie und hielt ihm die Hand hin, die er küßte. —

Im Mittelabteil umarmte Elisabeth ihren Mann und sagte zärtlich:

„Ich liebe den Schlafwagen — ich fühle mich da noch näher bei dir.“

„Als wenn wir uns nicht immer gleich nahe wären“, erwiderte Ernst und küßte Elisabeth auf den Mund.

„Das tut ihr nur, um uns zu ärgern“, sagte Adele.

„Das tun wir auch, wenn ihr nicht dabei seid“, erwiderte Elisabeth, — und Richard rief, um es zu keinem Streit kommen zu lassen, auf den Flur hinaus:

„Schaffner, wir möchten noch etwas trinken.“

Der Schlafwagenschaffner erschien.

„Haben Sie Schampus?“ fragte Richard.

„Deinhard und Matthäus Müller.“

„Nee, Sekt“, wiederholte Ernst.

„Das ist doch Sekt“, sagte der Schaffner.

Die sechs sahen sich erstaunt an.

„Sie können auch Heidsick haben.“

„Na also!“

„Jahrgang?“

Der Schaffner verstand nicht.

„Haben Sie 1921er oder 11er?“

„Eine Jahreszahl steht nicht drauf.“

„Also dann Fachinger“, entschied Adele — und Adolf sagte:

„Die armen Menschen, die gezwungen sind, immer mit der Eisenbahn zu fahren.“

„Die Masse empfindet das nicht“, belehrte ihn Ernst, „wo sollten die auch das Geld hernehmen, um im Auto oder gar im Flugzeug zu reisen.“

Adolf zog die Stirn in Falten und sagte:

„Der Volkswohlstand läßt doch noch viel zu wünschen übrig.“

„Du vergißt, wir haben einen Krieg verloren“, belehrte ihn Ernst.

Aber Adolf widersprach und erklärte:

„Auch in den Siegerstaaten ist die Eisenbahn noch das verbreitetste Beförderungsmittel.“

„Hört auf mit der dummen Politik. Entweder wir schlafen jetzt, oder wir spielen Bridge“, erklärte Adele.

In diesem Augenblick klopfte der Schaffner und brachte ein Tablett mit sieben Gläsern und zwei Flaschen 1905er Pommery Greno pur.

„Nanu?“ rief Adolf — „unser Schampus? Wo haben Sie den denn plötzlich her?“

Der Schaffner lächelte und wies geheimnisvoll auf den Flur.

Resi steckte als erste den Kopf hinaus und lachte laut auf.

„Natürlich!“ rief sie. „Wer sollte das sonst sein?“

In einem rosaseidenen Pyjama erschien frisch rasiert Iwan Tetenborn, grüßte mit rosigstem Lächeln und sagte:

„Guten n’Abend! — Wie geht’s?“

„Ja, wie kommen Sie denn plötzlich ...?“ fragten sechs Stimmen zur gleichen Zeit.

„Ich habe mir gesagt: der alte Herr Baron v. Rosen-Geldberg wird fünfundsiebzig Jahre alt.“

„Ja — und?“ fragte Resi.

„Da werden die drei Herren Söhne mit ihren Frauen vermutlich nach Frankfurt fahren.“

„Aber wieso gerade jetzt — mit diesem Zuge?“

„Ich war seit heute früh bereits achtmal an der Bahn, um die Züge zu beobachten, die nach Frankfurt fahren.“

„Und was haben Sie mit dem Geburtstag unseres Schwiegervaters zu tun?“ fragte Elisabeth.

„Le père de mes amis est mon ami.“

„Gott! Wie geistreich!“ sagte Resi spöttisch, — und Elisabeth erklärte:

„Die Feier findet im allerengsten Familienkreise statt.“

„Das alles wird sich morgen finden“, erwiderte Iwan Tetenborn, der klein, rund und etwa vierzig Jahre alt war. — „Zunächst einmal habe ich, da ich die Weinkarte der Mitropa kenne, dafür gesorgt, daß Sie auf Ihrer Expedition nicht verdursten.“

Er nahm dem Schaffner, der inzwischen eingeschenkt hatte, das Tablett aus der Hand und reichte es herum.

„Auf den alten Herrn Baron in Frankfurt!“ sagte er und stieß an. Und dann holte er aus seinem Abteil einen kleinen Klapptisch, den er mitgebracht hatte, und stellte ihn in Ernsts Kabine auf. Vier saßen auf Ernsts, drei auf Elisabeths Bett. Sie tranken und sprachen von den letzten gesellschaftlichen Ereignissen in Berlin. Als die Unterhaltung ins Stocken kam, kommandierte Adele:

„Bridge!“

Iwan Tetenborn griff in die Tasche und zog mehrere Spiele funkelnagelneuer Karten hervor, legte sie auf den Tisch und sagte:

„Bitte!“

Adele, die beste Spielerin, und Iwan Tetenborn, der in seinem Nebenberuf Bankier war, den eigentlichen Zweck seines Daseins aber darin sah, in der guten Gesellschaft geduldet zu werden, gewannen. Resi, die — nicht des Geldes wegen, vielmehr aus Ehrgeiz, überall die Erste zu sein, ungern verlor, wandte sich ärgerlich an Iwan und fuhr ihn an:

„Wie kommen Sie eigentlich dazu, in diesem Aufzug bei uns Besuch zu machen?“

Der kleine Herr Tetenborn berief sich auf ein paar englische Modeblätter, in denen das als besonders schick bezeichnet war — was zur Folge hatte, daß man das Spiel auf fünf Minuten unterbrach, um sich ebenfalls aus- und umzukleiden.

Sie spielten bis in den Morgen hinein. Als Iwans Diener nach der vierten Flasche meldete, daß der Pommery zu Ende sei, sagte Adolf vorwurfsvoll:

„Alles machen Sie halb, Tete!“

„Sie werden doch noch ein Bad nehmen wollen“, erwiderte Iwan. „In einer Stunde sind wir in Frankfurt.“

„Ein Bad? — Im Schlafwagen? — gibt es das endlich?“ fragte Adele.

„Im Schlafwagen nicht“, erwiderte Iwan stolz — „aber ich habe für Sie alle ein japanisches Trockenbad mitgebracht — in Europa noch völlig unbekannt — es ersetzt das Wannenbad vollkommen.“ — Er zog aus der Tasche sechs mit japanischen Schriftzeichen bemalte Tuben und gab jedem eine.

„Wie macht man das?“ fragte Resi.

„Ich habe es Ihren Zofen schon beigebracht — warten Sie einen Augenblick — ich rufe sie.“

Iwan lief den Gang entlang.

„Ein aufmerksamer Mensch“, sagte Elisabeth.

„Etwas schautig“, erwiderte Adolf — doch Frau Adele meinte — ohne daß sie dabei jemanden besonders ansah:

„Eine Schaute ist noch immer mehr als eine Null.“

Die Reichen

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