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VI.

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Als die beiden Autos vor der Villa des alten Barons v. Rosen-Geldberg hielten, gab der Hauswart dem Diener Jacob nach oben ein Klingelzeichen. — Jacob ging und meldete es seinem Herrn, der auf der Veranda seines Gartens beim ersten Frühstück saß.

„Die jungen Herrn Barone mit ihren Gattinnen fahren eben vor.“

Der Alte setzte die Tasse auf den Tisch und stand auf.

Unten in der Halle gab es eine kleine Verzögerung. Die Türen zu den Wohnzimmern standen offen und waren mit Blumen und anderen Geschenken angefüllt.

„Wir hätten doch wenigstens eine Blume mitnehmen sollen“, meinte Elisabeth, die im Gegensatz zu den anderen, die völlig teilnahmslos schienen, unsicher und nervös war.

„Es sind ja genug da“, erwiderte Resi, lief durch die Zimmer und kam, während die andern sich schnell in Ordnung brachten, mit einem großen Strauß Nelken zurück.

„Da“, sagte sie und legte die Blumen Elisabeth in den Arm. „Mach dich bei deinem Schwiegervater beliebt.“

Im selben Augenblick erschien oben auf der Treppe der alte Baron. Die hohe, schlanke, trotz des Alters kaum gebückte Gestalt mit dem feinen, schmalen, bartlosen Gesicht ließ trotz des leichten jüdischen Einschlags auf einen Aristokraten schließen. Er trug einen eleganten, wenn im Schnitt auch nicht ganz modernen grauen Gehrock, dazu einen dunklen Plastron, eine Blume im Knopfloch und eine etwas zu hoch geschlossene Weste, über der vom Hals herab eine goldene Kette hing.

Elisabeths erster Eindruck war: das könnte ebensogut ein alter Königsmarck oder — sie dachte an ihren Großvater mütterlicherseits — ein Graf v. Seydlitz sein.

„Guten Tag, meine lieben Kinder!“ rief der Alte und breitete die Arme aus.

„Guten Tag, Papa!“ riefen sie nicht gerade leidenschaftlich zurück. — Nur Elisabeth, die den Alten verwundert ansah, schwieg. Sie sah plötzlich all die alttestamentarischen Gestalten vor sich, die sie aus böhmischen Bädern und wohl auch von Abbildungen her kannte — und an die sie immer hatte denken müssen, wenn von dem Vater ihres Mannes die Rede war. Das war auch der Grund gewesen, warum sie sich bis jetzt gesträubt hatte, Mutter zu werden. — Und nun stand plötzlich ein Gentleman vor ihr, der in jedem Londoner Salon eine gute Figur gemacht hätte.

Mechanisch ging sie mit den anderen die Treppe hinauf. Adele legte als erste den Arm auf die Schultern des Alten, küßte ihn auf die Wangen und sagte:

„Ich gratuliere, Papa!“

Genau dasselbe tat Resi. Bei beiden wirkte es herzlos und konventionell. Auch der Alte schien unberührt, lächelte und dankte. Als jetzt Elisabeth mit den Nelken im Arm vor ihm stand, sah er sie gütig an, dachte, was für ein schönes Bild — und sagte:

„Ich freue mich — Elisabeth“ — man merkte, er hatte diesen Namen noch nie ausgesprochen — „daß Sie gekommen sind!“

„Ich mich auch!“ rief sie — und es kam ihr aus dem Herzen. Sie ließ die Blumen fallen, ergriff die Hand des Alten und küßte sie.

„Nicht doch, mein Kind!“ wehrte er gütig ab und schloß Elisabeth in die Arme. Denn er fühlte, daß sie allein mit dem Herzen bei ihm war.

„Die kann sich verstellen“, — sagte Adele leise — und Resi erwiderte:

„Fällt mir nicht ein.“

Dann umarmten und küßten die drei Söhne ihren Vater — auch sie sagten wenig oder nichts — und zehn Minuten später saßen sie alle sechs wieder in ihrem Auto und fuhren in das Hotel. —

Am Nachmittag um 5 Uhr saß der alte Baron im Frack mit seinen Söhnen und deren Frauen, die lange Abendtoiletten trugen, an dem festlich gedeckten, runden Tisch. Rings um den schweren Silberkandelaber, auf dem zwölf Kerzen brannten, stand kostbares Glas und Porzellan; Maiglöckchen, die Lieblingsblumen der vor Jahren verstorbenen Baronin, schmückten die Tafel.

Es wurde Kaviar und 1911er Riesling gereicht, aber die Unterhaltung kam nicht in Gang. Schließlich sagte der Alte:

„Also, Kinder, was haben wir uns zu erzählen?“

Er gab sich nicht der Hoffnung hin, den seit der Mutter Tod verlorengegangenen Kontakt mit seinen Söhnen wiederherzustellen, von deren Leben während der letzten zehn Jahre er nicht viel mehr wußte, als daß sie zwischen Berlin, Paris und London, zwischen Trouville, Biarritz und San Sebastian, zwischen Sils Maria und St. Moritz, Kairo und Assuan hin und her reisten.

Aber was an all den Orten sie allein erregte und interessierte, war immer das gleiche: die Gesellschaft — die Toiletten — die Vermögensverhältnisse — das Spiel — die Autos — und allenfalls der Sport, den andere ausübten. — Ort und Land, Völker und Sitten, ja selbst der Erdteil, spielten dabei nur eine Toilettenrolle — mit anderen Worten: es wechselte nur die Kulisse, vor der sich das immer gleichbleibende, geistlos-träge Spiel des gesellschaftlichen Verkehrs der oberen Tausend abspielte.

Der alte Baron bemühte sich, das Niveau der Unterhaltung zu heben. Er wies, als von Paris die Rede war, auf ein Gemälde an der Wand, ein Porträt Karls I. von England, nach dem berühmten Bildnis van Dycks, von der Hand eines Schülers des Meisters.

„Kostenpunkt?“ fragte Richard.

„Der Wert des Originals im Louvre ist gar nicht abzuschätzen“, erwiderte der Alte.

„Wenn ich mir das Original nicht leisten kann“, — meinte Adele — „ich würde mir keine Kopie an die Wand hängen.“

„Und weshalb nicht?“ fragte der Alte lächelnd. „Wenn die Kopie, wie in diesem Fall, genau so schön ist wie das Original?“

„Weil es aussieht, als wenn man wollte und kann nicht“, erwiderte Adolf — woraufhin Adele meinte:

„Dies Gefühl ist dir ja geläufig.“

„Ich finde“, erklärte Richard, „ein Porträt, mit dem man nicht verwandt ist, gehört ins Museum, aber nicht in ein Privathaus.“

Als der alte Baron erwiderte:

„Der Wert dieses Bildes beträgt hundertzwanzigtausend Mark“, flogen alle Köpfe dem Gemälde zu, das sie plötzlich:

„Blendend“

„Ganz wunderbar“

„Vor allem im Licht“

„Nein, gerade in den Farben“

„Durchaus naturalistisch“

„Ein Meisterstück der alten Schule“

„Unerhört dekorativ“

„In jeder Weise vollendet“ — fanden.

Der alte Baron aber spülte mit einem Glase 1881er Malaga, den man zur Schildkrötensuppe reichte, den bitteren Geschmack herunter und faßte den Entschluß, das Gemälde dem Staedelschen Museum zu vermachen.

Nur einmal ließ sich der Alte dazu verleiten, die Unterhaltung seiner Kinder zu unterbrechen. Sie stritten sich gerade darüber, ob die guten Klubs in England noch immer so exklusiv wie früher seien — und Adolf sagte:

„Wenn man in London nicht in einem großen Klub ist, ist man doch aufgeschmissen.“

„Man weiß ja nicht einmal, was man tagsüber in London anfangen soll“, — meinte Resi — „die zwei Stunden im Hydepark füllen den Tag nicht aus — und shopping macht bei der konservativen Einstellung der Modistinnen auch kein Vergnügen. In Paris kann man sich das Verrückteste ausdenken, und jede Modistin wird begeistert darauf eingehen.“

„Es gibt in London ein Britisches Museum“, sagte der Alte.

„Hm, davon habe ich gehört“, erwiderte Ernst.

„Es ist von zehn bis sechs geöffnet — und man kann sich da sehr gut die Zeit vertreiben.“

„Archäologen, aber keine modernen Menschen“, meinte Adolf.

„Ich mache mir auch nichts aus alten Gemälden“, stimmte Ernst seinem Bruder bei — und Richard sagte:

„Ich schon — aber nicht in solchen Massen.“

„Kinder! Kinder! Was redet ihr da zusammen!“ sagte der Alte — und Elisabeth meinte:

„Ich sage Ernst auch immer, er soll in Gesellschaften vorsichtig mit seinen Reden sein — man kann nie wissen, ob nicht doch mal einer dabei ist, der etwas versteht.“

„Das ist sehr klug von Ihnen, mein Kind. Und wenn Sie wieder mal mit meinem Sohne in London sind, dann gehen Sie mit ihm wenigstens zu der Sladeschen Sammlung im Britischen Museum und zeigen Sie ihm die Glassammlung ...“

„Richtig!“ sagte Resi und nahm noch einmal von dem Salmi von Huhn, zu dem es einen 1908er Château Latour gab — „über deine Glassammlung wollten wir mit dir sprechen.“

„Oh!“ erwiderte der Alte und schien auf das angenehmste überrascht. „Habt Ihr Interesse für meine Gläser?“

„Indirekt“, sagte Resi — und da ihr Richard sehr unsanft auf den Fuß trat und ihr überdies durch Blicke zu verstehen gab, daß sie dies Gespräch nicht fortführen solle, so sagte sie, indem sie sich eine Hummerschere auf den Teller legte, um abzulenken:

„Donnerwetter! sind das Kerle!“

Der Alte saß noch immer erwartungsvoll — so daß Richard es für gut hielt aufzustehen, sein Glas mit 1921er Dom Scharzhofberger zu erheben und zu sagen:

„Ein stilles Glas im Andenken an unsere geliebte Mutter.“

Der Alte erhob sich — mit ihm die anderen. Sie tranken — und die Glassammlung war vergessen. — Aber eine Viertelstunde später, bei 1915er Steinberger Cabinet, der dem Geschmack des Rehrückens jene milde Zartheit gab, fragte der Alte plötzlich:

„Also, Resi, was wolltet Ihr mir über meine Gläser sagen?“

„Nichts, nichts!“ wehrte Richard ab. „Wir wollten sie nur mal genauer ansehen, weil wir doch so selten Gelegenheit dazu haben.“

„Wenn Ihr wirklich Interesse dafür habt“, sagte der Alte erfreut — „dann müßt Ihr morgen noch hier bleiben — um sie gründlich zu studieren.“

„Unmöglich!“ erwiderte Resi. „Ich muß morgen abend in Paris sein.“

„Und auf mich wartet die Schneiderin in Berlin“, sagte Adele — während Elisabeth sich geniert zu ihrem Manne wandte und meinte:

„Wir haben zwar Dr. Wertheimer für morgen abend versprochen — aber wir könnten ihm absagen.“

„Das geht unmöglich“, widersprach Ernst lebhaft — und der Alte, dem zumute war, als wenn man ihn mit beiden Händen abwehrte, beugte sich über den Tisch und schwieg.

Dieses Schweigen empfanden alle als peinlich. Nur aus diesem Grunde sagte Elisabeth:

„Die Artischockenböden mit Pilzen sind ausgezeichnet.“

„Die ißt du doch zu Hause nie“, erwiderte Ernst und goß, als er seine Ungeschicklichkeit merkte, sein Glas in einem Zuge herunter.

„Wer ist denn Dr. Wertheimer?“ fragte der Alte — „doch nicht etwa“ — und er deutete einen kleinen Mann mit einem dicken Bauch an.

„Der ist es!“ rief Resi belustigt. „Der kleine dicke Bankier aus Rotterdam.“

„Und mit dem verkehrt ihr?“

„Er verdient vier bis fünf Millionen im Jahr“, sagte Adolf.

„Was geht das euch an?“

„Er ist sehr nett zu uns“, sagte Adele — und Ernst fügte hinzu:

„Uns läßt er sogar verdienen.“

„Man kann mit jemandem Geschäfte machen und braucht darum noch lange nicht mit ihm zu verkehren“, betonte der Alte.

„Das war früher einmal“, belehrte Richard seinen Vater. „Heute verlangen die Leute, wenn sie einen verdienen lassen, daß man gesellschaftlich mit ihnen verkehrt.“

„Sie bezahlen mit anderen Worten das Recht, mit euch an einem Tisch zu sitzen?“

„Es gibt Dinge“, sagte Elisabeth, „die hören sich häßlich an, wenn man sie ausspricht.“

„Und wenn man sie ausführt — wie? — das macht euch nichts?“

„Es sind eben Konzessionen“, erwiderte Elisabeth. „Anfangs ist es schwer — aber man gewöhnt sich dran.“

„Vor allem geht ja die Initiative meist von den andern aus“, sagte Adele — „und man merkt es immer erst, wenn es zu spät ist.“

„So geht es mir mit den Männern auch“, sagte Resi — worauf Richard ihr das Glas aus der Hand nahm und sagte:

„Tu mir die Liebe, Resi, und trink nicht mehr.“

„Mir könnte das nicht passieren“, sagte der Alte — „daß sich mir jemand aufdrängt, den ich in meinem Hause nicht sehen will.“

„Abwarten, Papa!“ erwiderte Richard.

„Allerdings nahm ich bis heute an“, fuhr der Alte fort — „daß ich Leuten, die mit euch verkehren, auch mein Haus öffnen kann.“

„Da rate ich dir doch, vorsichtig zu sein“, sagte Resi.

„So erschien zum Beispiel heute Mittag, als ich beim Lunch saß ...“

„Herr Iwan Tetenborn ...“ fiel ihm Resi ins Wort.

„Du weißt?“

„Ich errate!“

„Er gab seine Karte ab, auf der stand: Der Reisebegleiter und Freund Ihrer Söhne erlaubt sich, Ihnen untertänigst seine Glückwünsche zu Füßen zu legen.“

„Unglaublich!“ riefen alle sechs.

„Freund und Reisebegleiter meiner Söhne, wiederholte ich mir und ließ ihn, was ich sonst nie tue, hereinbitten. Einen besonders günstigen Eindruck machte euer Freund auf mich nicht — aber da ich gerade beim Essen saß — was blieb mir da anderes übrig, als ihn aufzufordern?“

„Du hast mit ihm geluncht, Papa?“ rief Resi belustigt. „Das weiß morgen ganz Berlin.“

Der Alte ärgerte sich — und um auf andere Gedanken zu kommen, wandte er sich an Resi und sagte:

„Also, ich weiß noch immer nicht, was ihr mir über meine Gläsersammlung sagen wolltet.“

„Es war nur so eine Idee von uns“, erwiderte Resi. — „Du weißt doch, daß in Berlin sämtliche Privatsammler ihre Sammlungen verauktioniert haben. Auch jüngere als du. Mit dem Alter hat es also nichts zu tun — wie etwa bei dem alten Wolschinsky, der seiner drei Kinder wegen seine sämtlichen Kunstschätze versteigern ließ — damit sie sich nicht später einmal in die Haare geraten — aber das ist ja bei uns nicht zu fürchten — immerhin, eine Sammlung kostbarer Gläser verliert an Wert, wenn man sie in drei Teile teilt. — Überhaupt, für jemanden, der so viel herumreist wie wir — sag selbst, wo soll man damit hin — und wenn ein Stück zerbricht — die Dienstboten in Berlin sehen sich nicht so vor wie die in Frankfurt — man ärgert sich — erst über das Mädchen und dann mit der Versicherungsgesellschaft, die sich zu drücken sucht — so schön die Gläser sind — ich sah sie vorhin, als wir hinaufgingen — ich habe einen Blick dafür — von meinem zweiten Mann her — aber ich glaube, du würdest auch ruhiger leben, wenn du die Sorge um die Sammlung los wärst. Überlege es mal! Es braucht ja nicht heute zu sein — obgleich man solche Dinge nicht auf die lange Bank schieben soll — wir stehen alle in Gottes Hand — Professor Caro in Berlin hat mir gesagt, sie sei als Ganzes fast drei Millionen wert. Das ist doch ein Wert! Eine Million pro Kopf — das heißt, pro Familie. Denn ich erbe ja nicht, sondern dein Sohn. Und was ich hier vorbringe, geschieht zum Besten deiner Söhne — uns drei Frauen ist es natürlich ganz gleichgültig, was daraus wird.“

Da Resi eine Pause machte, so fragte der Alte:

„Bist du fertig?“

„Ja — das heißt — ich habe mich erkundigt — so eine Auktion muß richtig vorbereitet sein. Da der September der beste Monat dafür ist, so müßte man sofort mit den Vorarbeiten beginnen.“

„Aber wozu denn das?“

„Und gerade heute?“

„Das hatte doch Zeit!“ sagten die andern — und Richard fügte hinzu:

„Ich hatte dir ausdrücklich verboten, davon zu sprechen.“

„Wir sind ja keine Erbschleicher“, fuhr Resi fort — „im Gegenteil, wir wünschen, daß du hundert Jahre alt wirst. Aber warum soll man nicht davon sprechen? Davon stirbt man nicht.“

„Du sollst endlich aufhören“, drängte Richard — und Elisabeth sagte empört:

„Ich stehe auf.“

„Du?“ fragte Resi — „du hast es doch nötiger als wir.“

„Vielleicht — aber ich ertrag das nicht.“

„Und gestern in Berlin, als ich davon anfing, warst du begeistert von der Idee.“

Elisabeth entfärbte sich und sagte zögernd:

„Gewiß — aber da wußte ich noch nicht ...“

„Was wußtest du nicht?“ fragte Resi.

Elisabeth sah den alten Baron an und sagte:

„Ich bitte Sie, seien Sie mir nicht böse.“

Der Alte schüttelte den Kopf und reichte Elisabeth die Hand.

„Ich kannte Sie ja noch nicht“, sagte sie — „und hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.“

„Darf Elisabeth denn nicht ‚du‘ zu dir sagen, Papa?“ fragte Richard — der froh war, daß man endlich von etwas anderem sprach.

„Aber natürlich darf sie.“

„Ich wünsche es mir sehr“, sagte Elisabeth, erhob sich und trat an den alten Baron heran. — Der stand auf, legte den Arm um sie und küßte sie auf die Stirn. Dann hob er die Hand, hielt sie über ihren Kopf und sprach halblaut einen hebräischen Segen.

Als Elisabeth wieder auf ihrem Platze saß, erhob sich der alte Baron.

„Großer Gott!“ entfuhr es Resi — „wir haben ihn ja nicht hochleben lassen.“

Alle sprangen auf und riefen:

„Adolf, du!“

Und Adolf klopfte ans Glas und sagte:

„Lieber Vater. Als dein ältester Sohn habe ich die ehrenvolle Aufgabe, dich im Namen der Familie hochleben zu lassen. Unser Vater, er lebe hoch!“

„Hoch!“ riefen alle — und stießen mit dem Alten an.

Als sie wieder auf ihren Plätzen saßen, sagte Resi spöttisch:

„Ich bin ganz gerührt von Adolfs gehalt- und gefühlvoller Rede. Wirklich, Adolf, wenn du im Auswärtigen Amt geblieben wärst — ich glaube, aus dir wäre etwas geworden!“

Jetzt hatte Resi die Lacher auf ihrer Seite. Auch der alte Baron stimmte in die Heiterkeit mit ein. Dann klopfte auch er an das Glas und sagte — ohne sich zu erheben:

„Meine lieben Kinder! Ich danke euch, daß ihr gekommen seid — und freue mich, besonders dich, Elisabeth, als Tochter bei mir zu sehen. Ich habe das Gefühl, als könnten wir gute Freunde werden. Aber auch dir, Resi, verüble ich deine Worte nicht. Du hast den Mut, auszusprechen, was du denkst und was die andern denken. Ich bin in meinem Leben stets für Offenheit gewesen. Gerade an einem Tage wie diesem, wo wir zum ersten und vielleicht zum letzten Male so unter uns sind, wollen wir statt der üblichen Geburtstagsphrasen ehrlich miteinander sein. — Ihr macht euch Sorge, meine Sammlung könnte nach meinem Tode durch Teilung und Streitigkeiten unter euch entwertet werden. Diese Besorgnis ist von eurer Seite aus nicht unberechtigt. Sie sollte sich aber über die Sammlung hinaus auch auf alle die andern Kunstwerke erstrecken, die ich — und vor mir mein Vater, Großvater und Urgroßvater, gesammelt haben. Es ist die Sorge der Lebenden! Aber nicht der Toten!“ Diese beiden Sätze betonte er — und da die sechs ihn offenbar nicht verstanden, so fuhr er fort: „Dem Toten kann es an und für sich ja gleichgültig sein, wie sich seine Kinder mit dem Erbe auseinandersetzen — zumal, wenn sie imstande sind, auch ohne dies Erbe das Leben fortzusetzen, das sie bis dahin geführt haben. Noch ein Auto, noch eine Reise, ein paar Gesellschaften und ein Dutzend Kleider mehr im Jahr — lohnt es sich für mich, deshalb auch nur eine letztwillige Verfügung zu treffen? Es lohnt sich nicht! — Ihr verfahrt, als wäret ihr namenlose und traditionslose Neureiche. Deren einzige Macht ist das Geld! Aber ich und eure Mutter vermachen euch Wertvolleres! Einen Namen, dessen Wert nicht darin liegt, daß er Jahrhunderte alt ist, sondern, daß in jeder Generation die Träger dieses Namens Persönlichkeiten waren, die den Ruf der Jahrhunderte von neuem bestätigten. Ob da einer von ihnen ein bißchen Geld mehr oder weniger hatte, das hat in all den Jahrhunderten nie eine Rolle gespielt. Und nie ist es geschehen, daß einer eurer Ahnen seine Tür jemandem geöffnet oder ihn gar aufgefordert hat, an seinem Tische Platz zu nehmen, nur weil er ein reicher Mann war, von dem er Vorteile erwarten durfte. Ein Name wie der unsere verpflichtet. Von ihm kann man mit dem Dichter sagen: ‚Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen‘. — Mit anderen Worten: zeige dich des Namens wert, wachse in ihn hinein, indem du etwas leistest, was ihm Ehre macht! Sei als Mensch so bedeutend, wie es der Name ist, den du trägst. Wenn nicht auf dem Gebiete, auf dem deine Väter Großes leisteten, dann auf einem anderen Gebiet. — Ihr, Jungens, seid nicht Repräsentanten, sondern nur Nutznießer eures Namens. — Auch der beste Namen nutzt sich ab, wenn keine Leistung ihn bestätigt. Noch laufen Snobbisten und gesellschaftliche Streber diesem Namen nach. Ihr würdet sie auslachen, wenn ihr ihrem Gelde noch etwas anderes außer eurem Namen entgegenzusetzen hättet — und wenn es nur eine Persönlichkeit wäre! — Ihr wünscht, daß ich mein Haus bestelle und dafür sorge, daß über alles so zweckmäßig wie möglich schon zu meinen Lebzeiten Bestimmungen getroffen werden. Ich erwidere darauf: Das Wertvollste, was ich euch vermachen konnte, den Namen, habt ihr bereits. Aber ihr wißt nichts damit anzufangen. Ihr tragt ihn, wie man ein Plakat trägt. Ich aber sage euch: am gleichen Tage, wo einer von euch — gleichviel auf welchem Gebiet — eine Leistung vollbringt, die durch sich wirkt und unserem Namen Ehre macht, kommt wieder! — Der Frau des Tüchtigsten werde ich den Familienschmuck überantworten und meine Sammlungen, durch die sie zu einer der reichsten Frauen Europas wird.“

Die drei jungen Barone saßen nach dieser Rede mit gesenkten Köpfen da und wagten nicht aufzusehen. — Um so erregter waren die drei Frauen, die aufgesprungen waren und dem alten Baron laut Beifall klatschten.

„Ich halte die Wette“, rief Resi und streckte dem Alten die Hand hin.

„Was für eine Wette?“ fragte er erstaunt.

„Daß ich mit Richard das Rennen mache.“

„So? Das wird sich ja zeigen!“ widersprach Adele, während Elisabeth sagte:

„Jedenfalls haben wir jetzt eine Aufgabe zu erfüllen.“

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