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5.

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Zoran sagte, dass er die alten Brunnen zuschütten würde, nachdem der neue gebohrt worden sei. Die Kinder wollten sich nicht mit Bohren beschäftigen, obwohl sie darin lustige sexuelle Konnotationen erkannten. Sie wussten, dass der Brunnenbauer einen speziellen Lastwagen mit einem Bohrer besaß und dass er Beton rühren und eine Wasserpumpe einbauen würde. Von all dem hatten ihnen die Erwachsenen erzählt.

Während er die Bohrung vorbereitete, unterhielt sich Zoran mit den Erwachsenen über Politik (die neunziger Jahre hatten gerade begonnen). Über die Inflation (der Dinar war nie schwächer gewesen). Aber vor allem über das Verschwinden einiger alter Frauen aus dem Nachbardorf.

»Keine von ihnen litt an Demenz«, sagte die Großmutter besorgt. »Es ist schon komisch, dass Frauen einfach so verschwinden.«

»Sie lebten allein«, sagte der Onkel. »Ihre Kinder haben sich nicht um sie gekümmert, vielleicht sind sie ins Ausland gebracht worden.«

»Oder ins Altersheim«, fügte die Tante hinzu.

»Das ist merkwürdig«, sagte Zoran, »manchmal habe ich Angst, da ich auch allein lebe.«

»Du bist jung, dich rührt niemand an«, beteuerte die Großmutter.

Die Tante lachte.

»Vielleicht haben sie das Wasser mitgenommen«, sagte sie.

»Alles ist möglich«, sagte der Onkel. Doch er irrte sich. Einige Dinge waren keinesfalls möglich. Zum Beispiel war es unmöglich, dass Zoran plötzlich den Kindern sympathisch wurde. Die Kinder beobachteten ihn aufmerksam aus großer Entfernung.

»Wir sollten ihm auflauern«, schlug die älteste Enkelin vor.

Die anderen Kinder waren damit nicht einverstanden.

»Er lebt zu weit weg, es ist besser, wenn wir ins Feld gehen und später Maiskolben braten.«

Am Abend versammelten sich die Kinder um das Feuer und lachten und spielten. Sie hörten auf, über Zoran nachzudenken, sie beobachteten nicht mehr, was er tat.

In der Nacht schleppte Zoran zwei Riesensäcke über ihren Hof. Zement? Bauschutt? Niemand konnte ihn sehen, alle schliefen. Die Kinder lagen aufgereiht wie ordentlich sortierte Zeitschriften – von der ersten bis zur letzten Nummer. Der Onkel war im Sessel eingeschlafen. Die Oma lag in ihrem Bett. Auch das benachbarte Ferienhaus lag im Dunkeln. Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Es gab keine Hunde, die wegen Zoran hätten anschlagen können. Niemand hatte einen Hund, da hier niemand mehr wohnte. Wer hätte den Hund füttern sollen? Die Kinder hätten schon gewollt, aber Kinder wollen allerlei.

Im Schutz der Smolućaer Nacht setzte Zoran seine Beschäftigung mit den Brunnen fort, die er am nächsten Tag zuschütten wollte. Er warf jeweils einen Sack in die beiden ausgetrockneten Brunnen. Eigentlich warf er sie nicht, nein – er ließ sie langsam an einem Seil bis zum Boden sinken. Bevor er begonnen hatte, sie herabzulassen, riss einer der Säcke ein wenig ein, doch man konnte nicht sehen, was sich darin befand. Er war leise, warf eine dünne Schicht Erde über beide Säcke, warf noch mehr Erde darauf und ging zurück nach Hause. Er stolperte kein einziges Mal, er kannte jedes Steinchen und jeden Hang – er war hier großgeworden, er kannte diese Gegend besser als alle anderen zusammen. Während er langsam den Hang nach oben ging, war er geistig völlig abwesend. Er dachte nicht über seine Kindheit nach. Er dachte nicht über seine Familie nach, nicht über seine Mutter und seinen Vater, die jeden Tag im Feld verbracht hatten. Sie pflegten, ihn in einem Fass zurückzulassen, oder sie banden ihn an einem Baum fest, damit sie sich nicht fragen mussten, wo er war und was er tat, während sie nicht auf ihn aufpassen konnten. Er wuchs heran, den Blick nach oben gerichtet, vom Boden des Fasses aus oder den dünnen Baum an einem Seil umkreisend. Doch war er wirklich je erwachsen geworden, hatte er es je geschafft, jenes Fass zu verlassen, die Knoten zu lösen und sich vom Baum zu entfernen? Hatte er es geschafft, sich von den verhassten Eltern und ihrer mangelnden Fürsorge zu befreien? Diesen Fragen stellte er sich nie.

Er lief langsam, die Steigung störte ihn nicht. Am nächsten Morgen setzte er seine Arbeit fort, als wäre in der Nacht zuvor nichts passiert. Doch er hielt es nicht lange aus. Er war erschöpft, man konnte es ihm ansehen.

»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte er bald.

Es war nicht einmal Mittag. Die Großmutter klopfte ihm auf die Schulter.

»Du siehst schlecht aus, Zoran«, sagte sie. »Warum legst du dich nicht hier hin? Du kannst auch etwas essen.«

Zoran versuchte sich herauszureden, es gelang ihm jedoch nicht. Die Großmutter war hartnäckig, dann begann auch der Onkel zu drängen.

»Mutter hat Recht«, sagte er. »Leg dich doch etwas hin.«

»In Ordnung«, sagte Zoran, »in Ordnung, ich lege mich kurz hin.«

Die Kinder waren entsetzt. Sie wollten nicht, dass er sich in ihre Betten legte.

Während Zoran schlief, beschlossen die Enkel, zu den alten Brunnen zu gehen, um nachzuschauen, was der Feind ausgegraben und zugeschüttet hatte. Sie waren nervös, sie liefen über die Wiese um die Brunnen, sie liefen und liefen, und plötzlich erblickte eines der Mädchen etwas Glänzendes.

»Schaut mal«, sagte es.

Ein goldener, altertümlicher Ring glitzerte auf der Handfläche des ältesten Mädchens. Die Kinder versammelten sich um sie. Sie betrachteten das Schmuckstück voller Bewunderung, sie kamen aus dem Staunen kaum heraus.

»Der Schatz existiert wirklich!«, sagte das jüngste Mädchen.

»Dann existieren bestimmt auch die Marsmenschen«, stellte ihr Cousin fest.

Zoran schlief in unmittelbarer Nähe, ein Auge noch immer geöffnet, die Ohren gespitzt. Das Monster war aus dem Wald hervorgekommen und beschenkte die Kinder. Der Sommer näherte sich langsam seinem glücklichen Ende.

Mars

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