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DER VERGRABENE SCHATZ 1.

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Der Tote blieb liegen. Morgen käme jemand vom städtischen Dienst, um ihn abzuholen. In der Zwischenzeit versuchte man, seine Witwe, eine Frau, die an langjährigem Tablettenmissbrauch litt, zu beruhigen, man gab es aber bald auf – normale Dosen der Beruhigungsmittel wirkten nicht: Sie krümmte sich auf der Couch, sichtbar aufgebracht.

»Gebt ihr eine höhere Dosis«, sagte der Arzt.

Die Schwester las zwischen den Zeilen und gab ihr eine ganze Handvoll Tabletten. Die Witwe verlangte, dass man sie ins Bett bringe, gleich neben den Verstorbenen: Ihr Gefühl sagte ihr, dass der Mann neben ihr lebt. Die Enkel rannten aus dem Zimmer hinaus und wieder herein, ohne sich um die Oma zu kümmern – nur manchmal blieben sie stehen, um die Leiche zu berühren.

»Vielleicht lebt er wirklich noch«, sagte die älteste Enkelin.

Aus dem Nachttopf, der unter dem Bett stand, verdunstete der Urin des Verstorbenen und verbreitete einen beißenden Geruch.

Die Älteren trauerten jeder auf seine eigene Art, aber die Kinder hatten nicht allzu viel Zeit für Trauer, da sie im Begriff waren, ihre Sexualität zu entdecken, was ihre Eltern – hätten sie es gewusst – mehr getroffen hätte als Großvaters Tod.

Den Kindern war es egal, dass Großvater nur Dinge hinterlassen hatte, die für Erwachsene bestimmt waren, da man sie immer in etwas Nützliches verwandeln konnte: Aus den Büchern wurden Treppen für Puppen gebaut, die Medaillen wurden zu Glasuntersetzern, und am interessantesten war das Schicksal einiger Bleistifte aus Holz, die Großvater in einer Schublade aufbewahrte. Kurz nach Großvaters Tod erwischte die älteste Enkelin ihre Cousine dabei, wie sie hinter einem Sessel hockend mit einem der Bleistifte ihr eigenes Genital erforschte. Obwohl sie nicht überrascht war, entschied sie, dass diese Bleistifte – und zwar alle – nicht mehr zum Schreiben und Zeichnen dienen konnten, vielleicht hatte die Cousine ja nicht nur den einen, sondern alle Bleistifte für ihr privates Vergnügen benutzt. So landete also ein Teil von Großvaters Erbe im Müll. Die Eltern waren jedoch nicht einverstanden, sie forderten, dass die Bleistifte wieder aus dem Mülleimer herausgeholt und weiter benutzt werden sollten, da sie glaubten, dass die Mädchen sie aus lauter Übermut weggeworfen hatten. Die Kinder sagten nichts dazu, nicht einmal, als einer der Erwachsenen nervös an der Spitze eines der Bleistifte knabberte, während er einen wichtigen Brief verfasste.

Die Großmutter erholte sich nur langsam, doch bald kehrte sie zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Sie versteckte weiterhin diverse Tabletten im Wäscheschrank, schob heimlich Nahrungsmittel unter die Wintermäntel und erlaubte den Kindern, »Twin Peaks« zu sehen, obwohl die Eltern es ausdrücklich verboten hatten.

Im schnellen Vorwärtsspulen ihrer Kindheit erkannten die Enkel, dass die herabhängenden Hoden des Großvaters, die aus dem Hosenbein der kurzen Shorts herausspähten, nicht das Lustigste waren, das sie in ihrem Leben sehen würden, da einige Etagen unter der Wohnung der Großeltern Nataša lebte, ein Mädchen, deren Vater ein großer Verehrer japanischer Pornografie war. Einige Stunden beim gemeinsamen Spielen in ihrer Wohnung hatten genügt, um Großvaters Schande vergessen zu machen.

Natašas Vater sammelte erotische Comics und Zeitschriften, und Nataša hatte auch ein kleines Schaukelpferd, auf dem die Kinder abwechselnd schaukelten, eine Art Simulation der sexuellen Handlungen der Erwachsenen. Sehr bald schon wurden sie erwischt, und die gesamte Kollektion der pornografischen Zeitschriften und Comics landete auf dem leeren Parkplatz, dort hingeworfen, als hätte man den Armen ein Bündel Geldnoten von einem Luxusbalkon zugeworfen. Natašas Mutter beendete mit dieser Geste einen recht angenehmen Frühling, danach gab es keine Rückkehr mehr. Die Kinder hatten merkwürdige Dinge gesehen, »Twin Peaks« war dagegen Pipifax. Sie wurden empfindsam gegenüber Geheimnissen. Alles, was verborgen war, wollten sie fortan erforschen und kennenlernen. Sie ertrugen die Lügen der Erwachsenen nicht, obwohl sie selbst häufig und völlig ohne Grund logen, das Wichtigste aber war – sie blieben naiv. Wäre es nicht so gewesen, wäre das, was sich in den folgenden Ferien abspielte, nicht möglich gewesen.

Mars

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