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Flughafenmagie

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Manchester, den 31. Oktober 2019 Flughäfen sind für wahr magische Orte, vor allem wenn man in einem erwacht. Anfangs reibt sich die Halle noch verschlafen die Augen, welche glasig die erste Menschenfuhre widerspiegelt. Desorientiert schweigen plötzlich die verhältnismäßig winzigen Räder der Koffer, bis ihr Bestimmungsort auf der Anzeigentafel auswendig gemacht wird, dann schnaufen sie erneut und wechseln kurz darauf vorübergehend den Besitzer, die nie zuvor leichteren Fußes davon eilten, aber es war nicht das Gewicht des Gepäcks, welches die Flüchtenden belastete, es war die Alltagslast, die sie am Check-In Schalter glaubten aufgegeben zu haben, aber wie Koffer findet auch sie zurück zu ihrem rechtmäßigen Besitzer. Vor vier Stunden schlief ich erstmals ein, dabei lag ich auf dem Bauch, weil das nun mal meine präferierte Position zum Einschlafen ist. Unterdessen vergrub ich mein Gesicht in die als Kissen umfunktionierten Arme. Was als Übergangslösung womöglich bequem wirkt, war das blanke Gegenteil von selbigen, denn meine Beckenknochen bohrten sich unentwegt in die steinharte Fensterbank mit eingelassener Heizung - wenigstens musste ich nicht frieren. Das Schlafsack-Inlett verstand wenig Linderung der Schmerzen, aber es vermittelte das Gefühl eines Nachtlagers, während unsere Rücksäcke Schutz vor Zugluft boten. Wenn nur der Untergrund weicher wäre, der meine im fortgeschrittenen Jugendalter befindlichen Knochen arg auf die Probe stellte. In regelmäßigen Zyklus wurde ich wach. Manchmal lag in unserer Nähe eine weitere Person, kein Reisender, sondern ein Obdachloser, der uns später anbetteln wird. Das monotone Geräusch der Poliermaschine mit ihrer schmalen Spur weckte mich abermals, diesmal floh ich jedoch nicht zurück in den leichten Schlaf. Ich drehte mich auf den Rücken, diesmal meine bevorzugte Position, um meine Gedanken schweifen zu lassen, während der dünne Stoff, der mich umhüllte, vollkommen verdreht war. Die Fensterfront ist komplett verglast und mündete in mein Sichtfeld. Viel intensiver hingegen verfolgte ich das Stangenwirrwarr, welches kreuz und quer den leeren Zwischenraum an der Decke füllte und mich an das Brüsseler Atomium denken ließ. Ich fragte mich, ob ich unter moderner Kunst oder einer Langzeitbaustelle erwachte. Aller Widrigkeiten zum Trotz wäre ein Hotelzimmer bei Namen wie Radisson Blu oder Hilton keine Option gewesen. Ein Stundenmotel mit moderaten Preisen hätte ich angenommen, aber die sind aus der Mode gekommen. Also vertrieb ich mir die Zeit ging gedanklich unseren gestrigen Weg ab, der uns ungewollt durch sämtliche Terminals des Flughafens führte. Angekommen sind wir im ersten, welches hauptsächlich aus einer Ankunftshalle bestand. Von dort liefen wir zum nächstgelegenen Terminal drei. Meine Schuhe drückten, bald schnürte ich sie lockerer, bald fester, dann entfernte ich schließlich die Einlegesohle, die anscheinend der Ursprung allen Übels war. Unsere vorab durchgeführten Recherchen ergaben, dass der Flughafen in Manchester überaus passagierfreundlich sein müsse, gemäß der Präsentation, in der von einer Escape Lounge mit bequemen Bänken die Rede ist, die extra zum Übernachten angedacht sind. Angepriesene Einkaufsmärkte, die einen rund um die Uhr mit Essen und Trinken versorgen, schienen ein weiterer Punkt zu sein, der längere Aufenthalte so angenehm wie möglich gestalten wollte. Bisher war keine Spur dessen vorhanden, weswegen wir zum Terminal zwei liefen. Dorthin unterwegs wurde es immer verlassener. Auf den Rollbändern fuhren wir durch blau beleuchtete Glasröhren und sahen Terminal eins und drei verschwinden. Wir fanden eine große Halle, aber nichts von dem Versprochenen. Spätestens als der Nachtwächter unser Ersuchen mit einem schiefen Grinsen quittierte, wussten wir Bescheid. Wenigstens gab es eine Etage tiefer wirklich ein Geschäft, dass 24 Stunden geöffnet hatte. Es war abgehalftert, gleichsam überladen, zudem chaotisch sortiert und zu allem Überfluss mit schwarzen Plüschspinnen dekoriert, immerhin ist Halloween. Unsere erste Mahlzeit kam somit aus dem Plastikbeutel und würde niemals schlecht werden, denn die Konservierungsstoffe machten es unendlich lang haltbar. Nach den Crackern, die mit Käse- und Schinkenscheiben garniert wurden und zwei Cidres aus der Dose konnte diese Anekdote mit den eingangs erwähnten Worten beendet werden. Wo aber bleibt die Magie? Das zauberhafte liegt zwischen den Zeilen verborgen, wohin nur der Leser, wie auch der aufmerksame Betrachter gelangt, der Flughäfen und Bahnhöfe nicht als Notwendigkeit ansieht, sondern als Bühne auf der mannigfache Stücke jeden Genres abgehalten werden. An diesen Orten werden Träume geboren und beerdigt. Sie sind das Nadelöhr durch welches der rote Lebensfaden gezogen wird. So beobachteten wir gestern in Berlin Tegel ... eine Frau, die es äußerst eilig hatte und mit ihrem Koffer, dessen Teleskopgriff aufs Maximum ausgefahren war, an uns vorbei hastete. Ihr Kind, welches auf dem Gestänge wie die Hexe auf dem Besen hintendrein ritt, hatte darum umso mehr Spaß. Ihr konnte es nicht schnell genug gehen, wenngleich aus anderen Beweggründen ... einen alten Mann, der auf einer Krücke lehnte, während ihm seine gebrochene Hand sichtlich Probleme bereitete, trotzdem verschwand er im selben Nichts, aus dem er gekommen war ... einen Vater mit seiner Tochter, die gemeinsam die Großeltern der Kleinen erwarteten. Das zumindest verriet ihr selbst bemaltes Willkommensblatt, doch musste sie sich für ihren Empfang lange in Geduld üben. Das Blatt wurde schwerer und entglitt der Hand, aus der es zu Boden fiel. Von da an übernahm der Vater die Obhut. Beide winkten, nun müssten sie gleich da sein! Nein, es musste falscher Alarm gewesen sein, denn niemand holte die zwei ab. In der Tat wusste man nun nicht mehr zu bestimmen, wer auf wen wartete. Das Kind wurde müde, ohne jedoch unleidlich zu werden, bis es schließlich doch mit den Großeltern belohnt wurde. Verlegen kehrte das Lächeln begleitet mit einer lebendigen Röte auf die Wangen zurück. "Ach du Ärmste musstest aber lange warten", sagte die korpulente Oma, indem sie liebevoll das Mädchen tätschelte, die sich schon jetzt ihrer davor ausgestandenen Qual des Wartens nicht mehr besann ... Eine junge Frau musste ebenso warten, aber als ihr Liebster durch die automatische Schiebetür trat, brachen die Dämme. Es eröffnete sich uns eine filmreife Szene. Sie umschlang seinen Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen ihrer schwarzen Stiefel, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein und küsste gierig seine Lippen, er, der offensichtlich aus Dublin anreiste. Der Lippenstift war überall verteilt auf ihr und ihm, bloß nicht dort wo sie ihn ursprünglich aufgetragen hatte. In einer Unterbrechung bemerkten sie es selber und begannen herzhaft darüber zu feixen. Sie putzten sich so gut als möglich und begannen von Neuem. Als sie fort gingen, kamen sie stets weinige Meter voran, wo das Schauspiel von Neuem aufgeführt wurde, bis sie außerhalb unserer Reichweite gelangten. Das wahrhaft Schöne tritt selten in jener Pracht in Erscheinung, die ihr gebührt, deswegen ist sie nicht abstinent, sondern präsenter denn je, wenn wir ihrer nur empfänglich sind und wo könnte das besser trainiert werden, als an einem Flughafen? Im Moment bin ich im höchsten Maße lebensbejahend.

Mañana

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