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TacoTime
ОглавлениеBacalar, den 02. November 2019 Ein entscheidender Vorteil für unseren Körper ist, dass die Anzahl an Tagesstunden überschaubar bemessen sind, denn circa 6:30 Uhr beginnt die Morgendämmerung und damit die blaue Stunde, während 19 Uhr die Nacht fast vollständig über den Tag gesiegt hat. Wir möchten darum diese Stunden bestmöglich ausnutzen, vom ersten bis zum letzten Lichtstrahl. Da dieses Vorhaben allerdings außerordentlich kräftezehrend ist, empfinden wir es dadurch als positiv, dass der Sonnenzyklus unsere Zeit begrenzt, denn innerhalb der Tagesstunden zu schlafen, würde uns unverzeihbar erscheinen. Bisher überfiel uns mit Einbruch der Nacht eine abrupte Müdigkeit. Ganz als wisse unser Körper von dem gesetzten Vorhaben, sodass er mit Dunkelheit seine Leistungsfähigkeit auf ein Minimum herunterfährt. Teilweise schreibe ich es den unzähligen Sinneseindrücken zu, die dann, wenn sie keine Ablenkung erfahren, das Revue-Kino starten und mich ermatten. Eine weitere Begründung ist die angeregte Tätigkeit meines Magens, welche mich in Besitz nimmt, weil er erst noch gesagt bekommen muss, dass er auf einem Kontinent gelandet ist, bei dem die Essgewohnheiten unterschiedlich sind und er daher zu einer Umstellung gezwungen ist. Dank einer Dokumentationsreihe sind uns Taco-Namen wie al pastor, Asada, Carnitas und Co bekannt, die allesamt eine eigenständige, in sich weiter verzweigte Zubereitungsmethode begründen und wer glaubt, dass das Klischee vom Taco-essenden Mexikaner ein Märchen ist, der irrt gewaltig, denn die belegten Teigfladen gibt es morgens, mittags und natürlich abends bis spät in die Nacht hinein, wie auch zu Zwischenmahlzeiten. Der Taco ist damit so wenig ein Phantom, wie die Liebhaberei der Franzosen zum Baguette. Ein Beweis: Als wir mit unseren Fahrrädern stadteinwärts nach Tulum fuhren, kam uns ein mobiler Verkaufsstand entgegen geradelt, wie er typischer nicht sein könnte. Das Fahrrad hatte anstelle des Vorderrades einen breit zulaufenden Wagen mit Herdstelle, auf dem die Zubereitung stattfand und in dem sämtliche Zutaten einsortiert sind, so dass streng genommen aus dem Zweirad, ein Dreirad wurde. Wir begegneten dem Verkäufer auf exakt der Höhe, wo eine Art Bürgerwehr spontane Kontrollen auf dem Highway durchführte. Etwas verängstigt, als sei er ein Schmuggler, musterte er den Ordnungshüter, der in voller Montur auf der Mittelspur posierte. Plötzlich durchschnitt ein schriller Pfiff die morgendliche Hitze, der junge Verkäufer wurde heranzitiert, allerdings nicht wie er vielleicht selber glaubte zu einer Kontrolle, sondern zu einer Bestellung. Auch die Arbeitszeit stellt somit kein Hindernis dar, um in den Genuss des beliebten Essens zu gelangen. Unsere ersten Tacos aßen wir bei einem Streifzug durch die Hintergassen Tulums. Es war ein recht verlassenes Lädchen mit einem umso freundlicheren Koch. Was uns dazu einlud, uns niederzulassen und das Leben im diffusen Dämmerlicht zu beobachten, war aber die zur Straße hin geöffnete Durchreiche. Ehe wir uns versahen, hatten wir jeweils einen Taco mit drei Schälchen gefüllt mit verschiedenen Salsas vor uns. Etwas schüchtern trat uns die Bedienung mit Messer und Gabel entgegen. Als wir zu verstehen gaben, dass dies nicht notwendig sei, atmete der Mann beruhigt auf und sagte mit breitem Grinsen "Muy Bien" ("Sehr gut"). Unser zweites Taco-Erlebnis war bei einer jungen Straßenverkäuferin. Verlegen kochte sie für uns, als seien wir die ersten Touristen, die sie je gesehen hatte. Wieder erhielt jeder seinen Taco. Eine Mahlzeit, bei der eine Portion lediglich dem Geschmackserlebnis dient, denn ein Taco ist kein Taco. Verständlicherweise wollten wir aber verschiedene Verkäufer ausprobieren, zumal ein Exemplar gerade einmal 12-15 Pesos kostete, was umgerechnet 0,80 Cent entspricht. Sie reichte uns die mit Folie umwickelten Teller über die Garküche, auf der das Objekt der Begierde lag, welches im Nu verschlungen war. Die bloße Beobachtung der Zubereitung war allein ihr Geld schon wert. Unsere letzte Ration nahmen wir bei einem weiteren mobilen Taco-Verkaufsstand ein, welcher tatsächlich einen separaten Angestellten besaß, der vornehm herausgeputzt mit Schreibblock, wie in einem Restaurant, unsere Bestellung aufnahm. Es war jedoch nicht überkandidelt, denn die anderen Kunden konnten sichtlich dem Arbeiter Milieu zugeordnet werden. Ein skurriles Bild gab es trotzdem ab, aber so erhielten wir den Taco al pastor, dessen mariniertes Schweinefleisch bei offener Flamme am Spieß gegrillt und mit Ananas, Koriander, Zwiebeln und einer Chili-Limettensoße sehr schmackhaft zubereitet wurde. Ein weiteres Klischee bewahrheitete sich im Laufe unseres Rundgangs, nämlich jenes der Liebe zur Schärfe, denn es ist egal, ob über die frisch geschnittene Mangos oder Popcorn - Schärfe, im besonderen in Soßen, ist ein Muss in der mexikanischen Küche. So auch in Felipe Carrillo Puerto, wo wir mit dem Bus einen Zwischenstopp am Bahnhof einlegten, bei dem eine Frau ihre Tacoware hoch getürmt auf einem Tablett feilbot, die beim Kauf den letzten Schliff von ihr erhielten und uns den Weg nach Bacalar vortrefflich zu verschärfen wussten. Städte gab es ansonsten übrigens kaum, dafür grün über grün, kaum ein Seitenweg durchbrach diese Regel. An unserem Ziel angekommen, stiegen wir an einer Hauptstraße aus, nicht wissend, ob wir später noch Gelegenheit zu Essen haben würden, weil unsere Unterkunft außerhalb lag. Daher besorgten wir kurzerhand, inspiriert von den bisherigen Erfahrungen, sämtliche Zutaten für vegetarische Tacos zusammen. Maisfladen, schwarzer Bohnenmus, Kartoffeln, Tomaten, rote Zwiebeln, Limetten und selbstverständlich schärfende Habanero Soße et voilà, so wurden wir vom Konsumenten zusätzlich zum Produzenten, während in wiederkehrenden Abständen brausende Gewitter über unsere kleine Hütte an der Lagune hinweg fegten. Es ist Nacht und wir sind wieder müde von der Sättigung in sämtlichen interpretierbaren Varianten. Mit letzten Kräften verfolgen wir die ruckartigen Bewegungen der Geckos, die gerade zur Jagd nach Insekten ausschwärmen. Sie wären sicherlich weitaus weniger agil, wenn sie bereits wie wir gegessen hätten.