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Kleine Geschichten
ОглавлениеBacalar, den 3. November 2019 Bacalar ist ein unscheinbares Örtchen, welches der Highway 307 durchkreuzt. Es ist damit an jener Hauptverkehrsader gelegen, die Cancún mit der Hauptstadt des Bundesstaates Quintana Roo, namentlich Chetumal, verbindet. Als wir ausstiegen, fanden wir eine staubige Straße vor, Gemüseläden mit mehr Fliegen als Ware, einen Drive-In namens Autobeer, diverse selbsternannte Gourmetlokalitäten zum Einkehren, Geschäfte für Handwerkerbedarf, sonstige Krimskramsläden, die vorwiegend für Touristen Sandalen und Handtücher verkauften, eine Tankstelle und natürlich den Fernbusschalter des uns bekannten Unternehmens ADO. Ich könnte mehr aufzählen, was jedoch über den ersten Eindruck hinweg täuschen würde in ein ziemlich armes und, fast wäre ich geneigt zu behaupten, heruntergekommenes Dorf geraten zu sein, denn bislang verhieß der Fernblick in die geradlinigen Seitenstraßen, dass das einzige Leben dieser Ortschaft an dieser viel befahrenen Straße beheimatet ist. 24 Stunden später entdeckten wir dann aber den wahren Ortskern von Bacalar und revidierten dadurch unsere Meinung marginal. Es gab eine nette Markthalle mit umliegenden Läden, die ihre Frischware anboten, einen begrünten Rathausplatz und gegenüber sogar eine Festungsanlage, das Fort San Felipe, welches einst den Angriffen der Piraten nachgab. Wir kauften aus einem privaten Hinterhof von einer Familienmutter, deren Waschtag wir kurzzeitig unterbrachen, einen Liter Kokoswasser samt Fruchtfleisch ab. Es war köstlich und an der nächsten Straßenecke verdunstet. Dafür trug die Hitze jedoch keinerlei Schuld. Wer nach Sehenswürdigkeiten dürstet, wird auf dem Trockenen bleiben, obwohl ich meine ganz persönlichen Höhepunkte in den zahlreichen Graffiti-Kunstwerken fand. Die ansonsten unansehnlichen Mauern waren besprüht mit farbenfrohen Motiven, die trotz jener Freude an Farben düster wirkten und so der Gegend einen unleugbaren Charme einhauchten. Davon abgesehen sind es die kleinen Geschichten, die lange in Erinnerung bleiben, so ein Vater, der mit seinem Sohn bedächtig die Fenstervergitterung seinen Hauses rostrot anstrich, wohl um dem natürlichen Lauf der Dinge zuvorzukommen, der sichtlich seinen Anfang nahm. Der Mann wird kaum für die herausragenden Sprühgemälde auf den Wänden verantwortlich sein, aber er hat ein anderes, nicht minder wertvolles Talent, was Genügsamkeit heißt. Ein Blick durch den offen stehenden Türspalt offenbarte, dass es nur drei Wände gab, die in den Innenhof mündeten. Ein Spinnennetz aus Wäscheleinen überspannte den dachlosen Raum und obwohl andernorts diese Umstände als Mangel an Lebensqualität zählen würden, strich er seelenruhig, Pinselzug um Pinselzug weiter mit seinem Sohn die Vergitterung, ohne dass das Endresultat frappierend vom Ursprungszustand abwich, er ist eben zufrieden mit dem, was er nicht hat. Das man hingegen auch mit nennenswerten Besitz glücklich sein konnte, zeigte uns Ginny, eine Mittsiebzigerin aus Oregon, die vor 20 Jahren nach Mexiko reiste und wusste, dass ihr Leben im Rentenalter nicht zu Ende ist, sondern erst beginnen würde und die deshalb ein Grundstück direkt an der bekannten Lagune der sieben Farben erwarb. Laut eigenen Aussagen, die die gastfreundliche Dame in Hülle und Fülle gewährte, kaufte sie zu erschwinglichen Preisen, mittlerweile soll der Grundbesitz Millionenschwer sein. Sie behauptete allerdings bei einer Autofahrt ins Zentrum auch, dass Bacalar früher, also als sie hierher zog, 10.000 und anno 2019 über 30.000 Einwohner hat, richtigerweise sind es jedoch 11.000. Doch selbst mit heraus gekürzter Übertreibung glauben wir ihr in Sachen Werthaltigkeit ihrer Immobilie. Nebst eines großen Grundstücks in Hanglage, hat sie weiterhin fünf Gebäude, ein Doppelstöckiges für sich, eines für das angestellte mexikanische Hausmeisterehepaar und drei weitere Häuser zum Vermieten, bei dem eines schöner ist als das nächste. Wir bewohnen aktuell das La Palapa. Eine Villa mit runden Grundriss, die sich in die exotische Pflanzenwelt zwischen Veitchia- und Kokospalmen einfügt. Innen führt eine Wendeltreppe zum Schlafbereich direkt unter das mit Palmwedeln gedeckte Dach. Außen ist eine üppige Terrasse mit geschwungenen weißen Steingeländer, von der aus das Lagunentürkis durch jede Lücke funkelt und nach Aufmerksamkeit lechzt. Von dort sehen wir ebenfalls den Steg, der zu unserer privaten Cabana führt. In dieser Umgebung würde ich gerne arbeiten! Nein nicht Ferien oder Urlaub machen, sondern morgens wie abends ein Bad nehmen, zwischendurch Siesta halten, Bücher lesen und nach Sonnenuntergang schreiben, bis mir der Stift vor Müdigkeit aus der Hand fällt. So bleibt uns von diesem Traum eine Kostprobe, die zwar nicht sättigt, aber von der wir trotzdem froh sind, probiert haben zu dürfen. Es ist Dunkel, nur die Grillen und Geckos singen ihr Abendständchen. Bereits mit Anbruch des neuen Tages packen wir unsere Taschen und sind verschwunden, nichts wird uns vermissen, deswegen nahmen wir eine Erinnerung mit und entrissen sie der Lagune! Wir schritten über den Steg bis wir bei der Cabana waren. Die Badesachen waren noch klamm vom vorherigen Schwimmen, weswegen sie unbenutzt auf der Liege blieben. In südlicher Himmelsrichtung erkennen wir den gedämpften Lichtkegel von Chetumal, der aber von einer Myriade aus Sternengeflechten verschlungen ward. Einen Moment zögern und der Sprung ins undurchsichtige Schwarz war getan. Den Kopfsprung habe ich von selbiger Position zig Mal getan, aber diesmal erhöhte er mein Adrenalin, denn je weniger ich sah, desto mehr erwachte meine Fantasie. Ist das wirklich Seegras unter mir? Da war es ohnehin zu spät. Lächelnd konstatierte ich, dass die Wassertemperatur selbst zu dieser fortgeschrittenen Stunde keine sonderliche Abkühlung bietet, wie eine Badewanne, aus der man ungern steigt. Wir ließen uns auf dem Rücken treiben, nein wir schwebten mit dem Kopf in den Sternen als seien wir die leuchtenden Himmelskörper und da passierte das Zauberhafte! Der Schweif einer Sternschnuppe wurde länger und länger, bis sie nach einem Aufflammen gänzlich verschwand. Ich hatte also einen Wunsch frei und wünschte mir, dass diese kleine Geschichte lange in Erinnerung bleibt.