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Die Sonne Mexikos

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Tulum, den 2. November 2019 Knapp 8.000 Kilometer flogen wir über den Atlantik und sahen Bermuda, den zerklüfteten Inselgürtel der Bahamas und Key West in Florida in einem abstrakten Gebilde aus Türkis- und Blauübergängen schwimmen, über denen grob verstreut einzelne Wolken hingen, die ihre fleckigen Schatten auf die Wasser- und Landoberfläche gleichermaßen warfen. Namen, die sonst ungreifbar fern liegen, waren Wegpunkte auf einer Strecke mit unvorstellbarer Distanz. Zonen wurden durchquert und machten die Zeit absurd. Erst als der Aeroplan herabsank, wussten wir, dass die Uhr bald wieder mehr Bedeutung gewinnen würde. Cancún mit seinem schmalen Küstenstreifen zwischen Lagune und Meer, der sichtlich mit All-Inklusive-Tempeln bis auf den letzen Zentimeter bebaut wurde, hatte Wiedererkennungswert. Uns genügte die Stadt als Anzeichen unter der Sonne Mexikos angekommen zu sein. Die Sonne ist in Mexiko kein bloßer Himmelskörper, sondern ein Kontrahent, mit dem die vielseitigen Gesichter des Volkes um die Wette stahlen. Bei der Passkontrolle, bei der es sonst gewohntermaßen trocken zugeht, begrüßten wir die Dame auf spanisch und versuchten mit dem Repertoire, welches wir Vokabular nannten, in Wortfetzen auf ihre Fragen zu antworten. Sie grinste dabei von einem Ohr zum anderen, stempelte unsere Reisepässe ab und lobte die guten Sprachkenntnisse. Wir verstanden auf Nachfrage und erröteten darüber. In Deutschland hätten wir uns gefragt, ob dies die erste Begegnung mit dem Sarkasmus war, hier in Mexiko wirkten solcherlei Komplimente, ungeachtet ihres Wahrheitsgehaltes, aufrichtiger. Womöglich freute sich die Dame einfach darüber, dass Mexiko im Ausland einen so hohen Zuspruch erfuhr. Sie stempelte jedenfalls nicht ausschließlich grüne Tinte, sondern auch ein Lächeln in unsere Reisepassseiten. Auf der Suche nach der Abfahrtsstation des Fernbusses, bekam jeder fragende Blick unsererseits unaufgefordert Antwort, obwohl die Ticketverkäuferin eine brauchbare Wegbeschreibung gab. Somit erreichten wir letztendlich die Bushaltestelle. Wir bekamen schnell zu spüren, dass die Sonne Mexikos nicht nur Gunstbezeigung unsererseits war, sondern ebenso sehr schweißtreibende Realität. Das feuchtwarme Klima mit seinen 30 Grad Celsius verhieß uns eine Reise durchs Gewächshaus und erinnerte uns an die Tropenhalle im Leipziger Zoo, namentlich dem Gondwanaland. Wie oft benutzten wir dort schon die Abkürzungen zum Ausgang, um vor dem stickigen Klima zu fliehen, die nächsten Wochen wird das schwerlich möglich sein, wobei der auf maximale Kälte klimatisierte Businnenraum eine Auszeit verschaffte. Könnte ich mit Worten malen, ich würde ein Gemälde sondergleichen entwerfen, um die ersten Stunden mit seinen mannigfachen Eindrücken festzuhalten! Dieses Vorhaben zu bewerkstelligen fällt jedoch meiner Beschränktheit zum Opfer, deswegen muss ich die Bilder einzeln aufzählen. Als erstes möchte ich die Beziehung zwischen den Mexikanern zum Tod nennen, denn als wir in den Bus von Cancún einstiegen, wurde ein Film abgespielt, der einen offenbar verwirrten Mann in den Fokus rückte, der seine Gefühle damit kanalisiert, indem er Puppen sammelt und ihnen äußere Attribute, vor allem aber Charaktereigenschaften verleiht, die er bei der eigenen Person vermisst. Er mimt sich selbst als einen Kommandanten, stark und abgeklärt, der keine Konfrontation scheut und dem eine leicht bekleidete weibliche Armee folgt, am liebsten in die Bar, um einander zu betrinken und neue Schlachtpläne zu entwerfen gegen den gemeinsamen Feind: Den Nazi. Ein abstrus wirkendes Machwerk mit rüden Schießereien und Beleidigungen (zumindest fluchte der einzige Deutsche häufig), denen aufgrund der Zugänglichkeit auch Kinder folgten, weswegen solche Ausstrahlungen wohl zum Alltagsprogramm dazu gehörten. Apropos Kinder. Beim Umstieg in der Stadt Playa del Carmen, die dem Küstenstreifen, den wir über einhundert Kilometer folgten, seinen Namen verleiht, fuhr eine mexikanische Familie mit uns einen Teilabschnitt der Strecke. Das Kleinkind, welches der gesamte Familienverbund beflissen zu beschäftigen versuchte, spielte daher ein besonderes Variante des Versteckspiels. Die Hände wurden wie für gewöhnlich vor die Augen gehalten, aber sobald dieser dunkle Schleier gelüftet war, formte das Mädchen seine noch vom Babyspeck wulstigen Finger zu einer Pistole und ahmte das für sich passende Geräusch dazu nach und fing an, auf den Gesuchten zu schießen - Peng. Allesamt lachten lauthals und jede Wiederholung wurde noch herzensfroher - Freude egal welcher Art kennt eben keine Sprache, weswegen ich angesteckt mitlächelte. Diese zwei alltäglichen Anekdoten zur Verbindung mit dem Tod schließe ich mit einem der wichtigsten mexikanischen Feiertage, dem 'Día de Muertos', übersetzt 'Tag der Toten', ab. Manche Besucher bereisen das Land mit besonderer Vorliebe, wenn die geschmückten Paraden durch Mexiko-Stadt, San Antonio und Merida ziehen. Wir, die wir eher zufällig zu dieser Zeit ankamen, die den Mexikanern über alles geht, erlebten eine weniger extrovertierte Darstellung der Feierlichkeiten, sondern eine ins private zurückgezogene. In der Zeit des Vorabends von Allerheiligen bis zu Allerseelen kehren dem Glauben nach die Verstorbenen zurück, die mit eigens dafür hergerichteten Schreinen begrüßt werden. Meist wurden diese von Palmenwedeln flankiert und mit allerlei bunten Blumen ausstaffiert. Flackerndes Kerzenlicht, tauchte die Portraitfotos, die im Zentrum eines jeden Altares standen, in warmes Licht. Die umliegende Luft war von Räucherstäbchen wie ein Tempel erfüllt. Auf mehreren Etagen fanden sich Utensilien, die der Verstorbene gern hatte. Die Bandbreite reichte dabei von lieb gewonnenen Kuscheltieren bis hin zu Flaschen der Lieblingsbiermarke. Die Andacht war keineswegs ein trauriger Anlass, denn die Menschen waren froh, den alten Geistern zu begegnen und mit ihnen gemeinsam die Wiederkehr zu feiern, denn in diesem Kulturkreis ist der Tod nicht das Ende, sondern ein Teil des Lebens, was bei tieferen Nachsinnen einen erheblichen Unterschied ausmacht. Oft ist aber zu beobachten, dass die Tage und vor allem die Nächte, gerade für Kinder, gewissermaßen eine Verlängerung des nordamerikanischen Halloweens darstellten. Tulum heißt übersetzt Festung und diesen Namen erhielt die Stadt aufgrund ihrer archäologisch wertvollen Maya-Fundstätte, die direkt an der Karibikküste liegt und die wir an unserem ersten vollständigen Tag ausgiebig besuchten. Der Sonnenaufgang tünchte die aufgetürmten Wolkenzipfel in Orangenlicht. Wir saßen derweil bereits auf unseren verrosteten Fahrrad-Cruisern und fuhren entlang der Highways 109 und 307, bis wir den Parkplatz erreichten, der kurz vor 8 Uhr völlig leer stand. Die Souvenirshops waren verriegelt, lediglich manche Händler begannen mit dem Aushang ihrer Badetücher. Die verbleibenden hundert Meter legten wir zu Fuß zurück und sahen einen pechschwarzen Vogel mit kobaltblauen Flügeln - den Yucatánblaurabe. Kurz darauf hörten wir die Bandbreite seiner Stimme, die vom typischen Krächzen bis zum paradiesischen Pfeifkonzert reichte. Pünktlich zum offiziellen Einlass schloss der Ticketschalter. Richtig gelesen er schloss, denn gegen einen nicht unerheblichen Mehrpreis, können Besucher vor der Einlasszeit die Maya-Stätte besuchen, nun hatte jedoch die Pause Vorrang. Zuvor wurde noch mit flinker Hand das selbst geschriebene Preisschild weg genommen. Keiner der Wartenden wagte es, zu klopfen, um ihn auf die Eröffnung hinzuweisen, warum auch, immerhin setzte gerade ein kurzer, aber heftiger Regenschauer ein. Das Trommeln der Tropfen ließ nach, ein Ruck und der Riegel fuhr die Schiene entlang und öffnete das Sichtfenster erneut, ein Gesicht sah ich nicht, lediglich zwei braune Arme. Wir waren die ersten, die das Gelände betraten, und folgten den tropfenden und gewundenen Pfad, bis wir den Schutz des Blätterdaches entbehrten und ins Freie traten und dabei die Sonnenkraft unmissverständlich spürten. Wir nutzten einen Spalt in der Mauer, um ins Innere der Ruinenstädte vorzudringen, die damals die Tempelanlage vor Eindringlingen schützte und nur zur Meerseite hin geöffnet ist. Ich schreckte eine Fledermaus auf, die wiederum mich aufgrund ihres unvorhersehbaren Fluges erschreckte. Doch nach der Enge des Durchgangs folgte die freie Fläche, die vom Rauschen des nahen Meeres erfüllt war und das farbenprächtige Wunder eines Regenbogen über die Ruinen spannte und sie zu altem Glanz erhob. Wir gingen direkt in Richtung des Castillo, seines Zeichens das höchste Gebäude Tulums und bewunderten das wahrhaft Göttliche! Ein Tempel erbaut auf den letzten Metern Land bevor die Steilküste in die Tiefe zum weißen Strand hin abfiel. Dunkle Felsen durchbrachen das Bild, wie auch langstielige Palmen, an deren Ende sich eine Explosion aus grünen Wedeln vom Wind tragen ließ. Der Tempel des Windgottes war ebenso schlicht wie beeindruckend auf einer Erhebung gebaut. Ich empfand die Schönheit als das, was sie ist und nicht das, was sie war. Das Grausame, was hier geschehen sein könnte, trat in den Hintergrund vor dieser Kulisse und gab der verdienten architektonischen Leistung Raum, um sie gebührend zu honorieren. Anhand kleiner Fensterspalte wurde an solchen Stätten der Mayakalender erstellt und permanent kontrolliert. Menschen wohnten hier keine mehr, die neuen Mieter waren die urigen Iguanas, die saurierähnlich anmuteten und sich auf den Gesteinen räkelten, aber auch andere Echsenarten waren präsent. Ein kleines grasgrünes Exemplar von eleganter Körperform war dabei besonders Fotogen. Die Gegend wurde ebenso von Nasenbären bewohnt, die aus dem Gebüsch drängten und anhand ihrer in die Luft gestreckten Ringelschwänze unschwer erkennbar waren. Es nahm uns wunder, dass wir, obwohl wir so nah an der Zivilisation waren, schon derartig viel von der Tierwelt mitbekamen. Ebenso bei unseren nachmittäglichen Ausflug zur Gran Cenote. Mexiko beherbergt ein gigantisches Höhlennetz unter seiner Oberfläche. Durch Einstürze entstanden dabei Kalksteinlöcher, die mit Süßwasser gefüllt sind. Diese natürlichen Pools werden als eine besondere Art der Badeanstalt verwendet. Hier schwammen wir durch kristallklares Wasser, das uns vorgaukelte, durch die Höhlen zu schweben, bei dem die Fledermäuse kreischend über unsere Köpfe flogen und ihr Windzug, der uns um die Ohren wehte, keine Einbildung war. Im kalten Wasser kitzelten mich kleine Guppyfische an den Füßen und nicht selten tauchte man neben einer Schildkröte auf, die ungestört ihre Bahnen zog. Ich würde gerne weitreichender beschreiben, weiß aber, dass ich das Bild nicht wahrheitsgetreu in vollen Umfang wiederzugeben verstehe, vielleicht heute, denn die Sonne von Mexiko beginnt gerade zu erwachen.

Mañana

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