Читать книгу Das Herz siegt - Auguste Groner - Страница 4
I.
ОглавлениеKonrad Puffan, der Wirt der Schenke „Zum roten Dachl“ am Hafnersteig, zündete etliche Öllampen an, denn es war trotz der weit hinstrahlenden Glut des Ofens nicht mehr so hell in der gewölbten, niedrigen Gaststube, daß die paar Spieler, die darinnen sich zusammengefunden hatten, Schellen und Laub auf ihren Karten hätten unterscheiden können.
Draußen war ein stürmischer Novembertag. Wer in die Schenke trat, war fröstelnd durchnäßt und ließ sich recht nahe dem Ofen nieder. Die Stimmung war, trotz Wirtshaus und Wein, nicht sonderlich froh. Es war das Jahr 1682 und man sprach wieder von Türkengefahr und seiner Not.
Vom Turm des nahen Klosters schlug es fünf. Als der Klang der Uhr verstummt war, begann in einer Ecke der Schenke eine Sackpfeife in hellen Tönen zu quieken. „Wer ist denn dieser Dudelsackpfeifer?“ fragte in fremdklingendem Deutsch ein junger Mann in der Tracht der Scholaren. Er war ein Italiener und kam von Paduas altberühmter Universität, um in Wien die Rechtslehre weiterzustudieren. Er hatte sich mit dieser Frage an die hübsche Tochter des Wirtes gewendet, vielleicht weniger aus Neugier, wer der Musikant sei, als das Mädchen bei sich aufzuhalten.
Und Susl gab sichtlich gerne Auskunft. „An Eurer Frage merkt man‘s, daß Ihr noch nicht lange in unserer Stadt seid“, lächelte sie; „denn sonst müßtet Ihr es wissen, wie unser Pfeifer heißt. ,s ist der Marx Augustin, den jedes Kind hier kennt.“
„Ist er vielleicht gar ein richtiger Künstler?“ erkundigte sich der Paduaner, und es war ein wenig Spott dabei.
Das Mädchen zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht, ob er ein richtiger Künstler ist. Ich weiß nur, daß jeder den Liedern, die der Augustin selber dichtet, gerne zuhört.“ „Und du bist dem Pfeifer gut?“ „Weil ich Mitleid mit ihm habe.“ „Ah! Mitleid. Warum?“ „Weil er schon einmal im Grab gelegen ist. Denkt nur, in eine Pestgrube ist er gefallen! Eine ganze Nacht lag er bei den Toten.“
„Greulich!“
„Und Gott hat ihn dennoch vor der schrecklichen Krankheit behütet. Aber jetzt laßt mich gehen“, bat Susl, zur Tür schauend. „Da kommt der Baron Zwiefel. Er will immer von mir bedient sein.“
„Baron Zwiefel?“ lachte der Paduaner. „Zwiefel, das ist kein adeliger Name!“
Auch Susl lachte. „Er heißt Thanon und ist Franzose“, erklärte sie; „und weil er, wenn er nicht gerade bei Reichen schmarotzt, oft nur von Zwiebeln lebt, haben ihm die Leute den Spitznamen gegeben.“ Damit ging sie durch die Wirtsstube, um ein wenig später vor Thanon, der sich gravitätisch niedergelassen, einen Krug Bier hinzustellen.
Marx Augustin sang jetzt. Seine Stimme hatte, trotzdem sie noch müde klang, noch immer etwas recht angenehmes, und dazu merkte man, daß Seele in seinem Lied war.
Der Paduaner begriff, daß die liederfrohen Wiener diesem Manne trotz seiner Verkommenheit gut sein mußten. Wie still sie geworden waren, die da alle soeben noch eifrig geredet oder gespielt hatten! Der Schneider im blauen Wams und der in Scharlach gekleidete Sänftenträger, sie verloren kein Wort mehr. Ihre Blicke waren gerade so, wie die der beiden Gerber, deren braune Röcke ihr Gewerbe verrieten, wie es auch von ihren verfärbten Händen verraten wurde, schier begeistert auf Augustin gerichtet. Und die Bäcker im hechtgrauen Kleide, die vom Basiliskenhaus in der Schönlaterngasse herübergekommen waren, sangen sogar leise mit.
Nicht weniger freuten sich die behäbigen Bürger, die an ihrem gemütlichen Stammtisch sich versammelt hatten. Und höflich verwundert lauschten auch die türkischen Handelsleute, die in Gesellschaft eines Persers recht vergnüglich den noch nicht völlig ausgegorenen Rebensaft schlürften, den ihnen der Wirt in niedrigen Schalen kredenzte. Wohl war es ihnen verboten, Wein zu trinken; was aber da vor ihnen perlte, das war ja noch kein Wein, so sagten sie sich und waren mit sich und dem duftigen Tranke zufrieden.
Zwei Schiffsleute und ein Döblinger Winzer kamen und ließen sich im warmen Winkel nieder und ihnen folgten etliche Läufer, die, in die Farben ihrer Herrschaften gekleidet, ein recht hübsches Bild boten.
Alles schaute auf Marx Augustin hin, der in einer Fensternische stehend bald sang, bald seinen Dudelsack quietschen ließ. Plötzlich aber ist nicht er mehr der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Wieder waren neue Gäste gekommen. Zwei Männer, die recht kriegerisch aussehen und deren Amt ja schließlich auch immerhin ein kriegerisches ist, insofern sie sozusagen den bewaffneten Frieden vorstellen und es ihr Geschäft ist, in Milde oder Strenge dafür zu sorgen, daß die alte Kaiserstadt der Ruhe und Sicherheit nicht entbehre. Die Männer gehören der Stadtguardia an.
Puffan bewillkommt sie mit großer Artigkeit, und die Bürger rücken an ihren Tisch zusammen, um den beiden Platz zu machen.
„Sebald, ich schau’ es Euch an, daß Ihr wieder schlechte Neuigkeiten bringt“, ruft einer der Bürger, es ist der Schwertfeger Veit Trauner, dem älteren Soldaten zu.
„Ihr habt es erraten, Trauner. Ich fürchte mehr als je, daß wir bald schlimme Gäste haben werden.“
„Ho! Ho!“ wirft ein anderer Bürger ein, „was hat sich denn neuerdings ereignet, das Euch so reden läßt?“
Sebald hat aber gerade den Thanon und die ausländischen Kaufleute erblickt und antwortete nicht; redete wenigstens nicht, wie er hat reden wollen, sondern wirft den beiden Fragern einen Blick zu, dessen Bedeutung sie sofort verstehen: „Wir sind nicht allein“, sagte er.
Sie fragten nun nicht mehr, schauten nur mit düsteren Blicken nach den Fremdlingen und redeten dann von gleichgültigen Dingen.
Aber Gleichgültiges hält dermalen in Wien die Gemüter nicht lange fest und weil man von dem Schrecklichen, das vielleicht kommen wird, augenblicklich nicht reden kann, redet man von dem Schrecklichen, das man noch nicht lange überstanden hat. Von der Pest, die vom Herbst 1678 bis zum Frühling des Jahres 1679 in Wien gewütet hatte.
Am Bürgertisch reden sie davon und auch an dem langen Tisch, an dem die Zünftler sitzen, und an dem anderen, an dem sich die Läufer, der Sänftenträger und der Döblinger Winzer zusammengefunden haben.
Der Winzer ist ein alter Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und ernsten Augen, die jetzt recht nachdenklich schauen.
„Woran denkst du denn?“ fragte ihn der Sänftenträger, weil der Alte ganz still geworden war.
Der erhebt den Kopf und fährt sich mit der rauhen Hand über die Stirne. „Gestern hab’ ich’s wieder geseh’n“, sagte er, wie aus einem Traum erwachend.
„Was hast du wieder geseh’n?“ erkundigte sich der Wirt, der einen Weinkrug auf den Tisch stellte.
„Geträumt hat er, der alte Härtel“, antwortete statt des Angesprochenen der Sänftenträger. Er ist ein robuster, junger Mensch von leichtsinniger Gemütsart, das sieht man ihm an, das erkennt man auch an der spöttischen Rede, die er seinen ersten Worten folgen läßt.
„Ihr wißt es doch, Puffan, daß der Härtel gerne mehr sieht als andere Leute.“
Der Wirt schaut den Burschen ernst an. „Mehr als du sieht er ganz sicher“, sagte er wegwerfend, und der Alte bescheiden darauf: „Nicht ich allein hab’s damals gewußt, daß uns Schlimmes bevorsteht und nicht ich allein hab’s heute Nacht gewahrt, daß Wien wieder in Not kommen wird.“
„Was hast du denn geseh’n?“ ruft der Schwertfeger herüber, und nun ist die Aufmerksamkeit auf den Alten gerichtet. In diese horchende Stille hinein redet die müde Stimme des Alten: „Gestern war ich gegen Abend in meinem Weingarten, um nach den edelreifen Trauben zu sehen, die, noch von Stroh geschützt, auf den Stöcken hängen. Froh ging ich heim, denn schönere Trauben hab’ ich noch nicht gekeltert. Ganz munter war ich und hellauf und hab’ mir noch ein’s gepfiffen. Da seh ich plötzlich, wie ein dunkler Nebel über unsre Stadt zieht. Also das ist nichts besonderes, aber in dem Nebel wird’s mit einemmal lebendig und ich seh’ rote Reiter drin mitten im Kampf. Und das war keine Täuschung! Wahrhaftig! Denn wie ich noch so steh’ wie angewurzelt, kommt meine Schwester schon angelaufen und keucht: ,Hast du sie geseh’n, Ohm! Die Reiter?’ …“
„Seltsam!“ Irgend einer in der Stube hat es gesagt.
„Das zeigt eine Gefahr an für unsere Stadt“, meint ein anderer: es war Vinzenz, der Fischer.
„Lächerlicher Aberglauben!“ ruft Thanon dazwischen. „Woher soll denn für Wien eine Gefahr kommen?“
Da stand der alte Winzer auf und langte nach seiner Otterfellmütze. „Ich weiß es nicht“, murmelte er, „aber ich habe die roten Reiter gesehen.“
Gleich nach ihm verließen auch der Perser und auch seine Bekannten, die türkischen Kaufleute, die Schenke.
Thanon aber fühlte sich plötzlich sehr wichtig. Er wies in gespreizter Rede darauf hin, daß am 3. Februar des nun zu Ende gehenden Jahres der Internuntius Caprara mit großem Gepränge nach Belgrad gefahren sei, um den mit den Türken abgeschlossenen Frieden für weiterhin zu sichern, welche Bestrebung ganz sicher gelingen mußte, da ja die Türken keine feindlichen Absichten bekundeten.
Da ließ sich plötzlich ein bis jetzt ganz unbeachtet gebliebener Mann, der in einem Winkel saß, vernehmen. „Der Baron Zwiefel“, sagte er nicht ohne leichten Spott, „weiß vielleicht mehr von Wien und was unserer Stadt schaden kann als mancher Wiener. Das hat er soeben bewiesen, indem er just von den Türken zu reden anfing. Der Herr hat Capraras Abfahrt von hier wie ein richtiger Augenzeuge geschildert. Das kann ich bezeugen, denn auch ich war Zeuge der Abreise unseres Gesandten. Ich habe nämlich Abschied nehmen müssen von meinem Bruder, der als Kurier unserem Internuntius gefolgt ist. Was aber der Baron Zwiefel nicht zu wissen scheint, ist die Tatsache, daß da unten in Ungarn, in Ofen, wo ja die Türken herrschen, jedermann vom Krieg gegen uns redet und daß ein Stallmeister des Sultans dem Wesir von Ofen den Befehl überbracht hat, ein mächtiges Kriegsheer zu sammeln und es gegen Wien zu führen. Diese Kunde hat Caprara, der am 22. Februar noch in Ofen war, durch meinen Bruder nach Wien gelangen lassen. Dies weiß Baron Zwiefel vielleicht nicht“, sagte der Mann weiter und blickte bei dem Worte „vielleicht“ scharf nach dem merklich unruhig gewordenen Franzosen. „Baron Zwiefel weiß es vielleicht auch nicht, daß Caprara heute ein Gefangener der Türken ist, daß diese also ganz offen Feindseligkeit gegen uns zeigen. Herr Thanon — wisset Ihr auch nicht, daß just in letzter Zeit einige Fremde in Wien sich zeigten, die sich in ganz merkwürdiger Weise für die Anlagen unserer Stadt interessieren? Für die Basteien und Tore und was sonst unsere Befestigung ausmacht?“ Damit stand er vor dem Franzosen, der seinen ernsten Blick nicht zu ertragen vermochte.
„Was wollt Ihr von mir?“ raunzte er, indessen seine Augen unstet umherfuhren. „Und warum nennt ihr meinen Spitznamen?“
„Ein Spitzname! Ein Spitzname! wie gut ist es, wenn man nur so einen führt. Gebt acht, Herr Thanon, daß Ihr nie etwas Schlimmeres genannt werdet als ,Baron Zwiefel‘.“
Im nächsten Augenblick hatte sich die Türe hinter dem Unbekannten geschlossen.
Thanon atmete erleichtert auf. Aber er fühlte sich zu früh sicher, denn Vinzenz, der sich von Thanon beleidigt fühlte, erhob sich plötzlich und trat auf ihn zu: „Abergläubisch ist seine Gnaden, der Herr Baron, vielleicht nicht“, knurrte er den Franzosen an, „aber vielleicht hat seine Herrlichkeit Sinn für Spionieren?’s sieht ganz so aus, nach dem, was sich der Herr soeben hat sagen lassen müssen.“
Thanon war bleich geworden. Er war ein Feigling und als er sah, daß auch nicht einer in der Wirtsstube sich an seine Seite stellen würde, langte er schnell in die Tasche, legte eine Münze auf den Tisch und griff nach seinem Hut und seiner Laterne. Irgend etwas auf Französisch murmelnd, ging er schnell fort.
Während die Gäste im „Roten Dachl“ über Thanon redeten und ihre Meinungen untereinander austauschten, schlich dieser zornerfüllt durch die krummen Gassen, in denen hie und da der Schein der Laterne eines Heimgehenden auftauchte. Einmal aber blieb er stehen und lachte höhnisch: „In Bälde werden es hier die Vornehmen und Geringen wissen, was ich jetzt schon weiß, den sie den ,Baron Zwiefel‘ heißen. Und wenn sie tot oder türkische Sklaven sein werden, dann werde ich lachen und reich werde ich dann sein, reich!“