Читать книгу Das Herz siegt - Auguste Groner - Страница 8
V.
ОглавлениеEtliche Stunden später hielten zwei prächtige Schlitten vor dem Hause des Baumeisters, um die drei geladenen Gäste abzuholen.
In dem einen Schlitten unter silbergrauen Fellen huschelte sich Anna, des Magisters Frau, zusammen, deren liebes Gesicht von der Kälte schon rosig gefärbt war. Ihr Mann, der bei ihr gesessen, hatte den Schlitten verlassen, um mit Thorgau Eva herunterzuholen.
Sie trat ihnen schon im Flur entgegen. Auch Frau Hähnlein in ein Tuch gehüllt, war heruntergekommen. „Lieber Magister“, sagte sie ein bißchen aufgeregt, „welcher von den beiden Herren wird der Kavalier Evas sein? Der muß nämlich ein bißl aufpassen, denn unser Kind ist nicht wohl und will die Fahrt doch nicht unterlassen.“
„Aber liebe Muhme, mach’ doch nicht so ein Wesen aus meinem bißchen Kopfweh“, bat Eva und setzte, den Herren beide Hände reichend, hinzu: „Eine vergnügliche Gesellschaft werde ich aber wirklich nicht sein; also wer wird so vorsichtig sein, nicht mit mir zu fahren?“
„Ich habe nie für besonders vorsichtig gegolten“, warf Herr von Thorgau rasch ein und der Magister setzte lustig hinzu: „Und mich hält man mit Recht für eifersüchtig. Nicht um eine Welt ließe ich Wolf Dietrich mit meiner Frau fahren. Also bleibt er Euch, liebe Eva.“
„Na, dann rasch in den Schlitten“, drängte Frau Hähnlein, „und ums Dunkelwerden seid Ihr wieder zurück.“ Und die geschäftige Frau ließ es sich nicht nehmen, „unser Kind“, von dem sie reichlich um Haupteslänge überragt wunde, auch recht gut in die Bärenfelle einzuhüllen.
Mit einem liebreichen Lächeln grüßte Eva ihre alte Verwandte, die Pferde zogen an und unter Schellengeklingel nahmen die beiden Schlitten ihre Fahrt auf.
Es ging zum Schottentor hinaus. In den engen, krummen Gassen der Stadt war es nicht sehr kalt; als die Schlitten jedoch ins Freie kamen, machte sich das scharfe Frostwetter recht bemerkbar. Es war ein prächtiger Wintertag. Vom lichtblauen Himmel strahlte das Sonnenlicht auf die schneebedeckten Fluren und ließ Millionen farbenreicher Fünkchen in den weißen Flächen aufblitzen, an denen die Fahrzeuge vorüberkamen.
Bald lag die Vorstadt Roßau hinter ihnen, die Hügel von Nußdorf tauchten auf und immer näher kam man dem Leopoldsberg, an dessen Fuß die Straße weiterführt nach der lieben, alten Stadt Klosterneuburg.
Stolz ragte die feste Babenbergerburg in den lichten Himmel und weiter drüben im Lande duckten sich das Kahlenberger Kirchlein und das Kloster der Kamaldulenser unter die mächtigen Baumriesen, die schon seit hunderten von Jahren auf Wien, das mauerumgürtete Bollwerk der Christenheit, hinüberschauten.
Und auf all diesem lag die weiße Pracht des Winters, bestrahlt vom Sonnenlicht.
Anna und der Magister plauderten und lachten zuweilen so laut, daß es die hinter ihnen Fahrenden gut hören konnten, wie froh den beiden zumute war.
Um so auffallender empfand Herr von Thorgau die ernste Stimmung seiner schönen Fahrtgenossin. Eines wußte er: es war nicht ein körperliches Unbehagen, das Eva quälte, sondern es war ihre Seele, die litt.
Um ihr ein wenig zu Hilfe zu kommen, fing er an, ihr von seiner Heimat und seiner alten, guten Mutter zu erzählen und ihr zu schildern, wie man bei ihm daheim lebe und wirtschafte, und wie die sandige Heide auch ein liebes Stück Erde sei.
Der wackere Brandenburger war ein schlichter, ernster Mann, der niemals in Reichtum gebettet, niemals vom Glücke verwöhnt worden war. Reich war nur sein Herz, das fühlte Eva, als er so lieb und gut redete, was aber nur so eifervoll geschah, weil er merkte, wie schwer es ihr jetzt sei, harmlos zu scheinen.
Harmlos! Herr Gott! Sie war einfach von bitterster Sorge für ihres Vaters ferneres Leben erfüllt und voll Angst um sich selber. Aber es durfte niemand merken, von woher die Pein gekommen, die sie seit dem gestrigen Abend erfüllte. Deshalb nahm sie alle ihre Kraft zusammen, deshalb machte sie jetzt mit ihren Freunden diese „Lustfahrt“.
Beim Kahlenbergerdörfel bogen die Schlitten von der breiten Straße ab und verließen die Donau. Bauernfeinds Landhaus lag am Fuße des Kahlenberges. Man sah es erst, wenn man schon fast bei seinem Tore stand. Es war ein kleiner, aber fester Bau, dessen rückwärtige Seite an eine steile Felswand gebaut war.
Bauernfeind hatte das Haus vor vielen Jahren einem Müller abgekauft, der darin sein Gewerbe getrieben. Jetzt freilich erinnerte nichts mehr als der starke Bach, über welchem ein Teil der ungemein derben Mauern aufgeführt war, daran, daß einst viele Menschenalter hindurch hier ein Mühlrad geklappert hatte.
Dem Baumeister hatte es gefallen, die einstige Mühle durch allerlei Veränderungen in ein vornehmes, allerdings ein bißchen festungsartiges Landhaus umzuwandeln. Die äußerliche Düsterkeit hatte er dem alten Bau freilich nicht nehmen können. Jeder aber, der über die derbe, steinerne Brücke in den kleinen Hof einfuhr und dann den alten Bau betrat, war erstaunt, denn darin war alles hell und freundlich und trotz aller Einfachheit schön und vornehm.
Als das Schellengeklingel vom Haus aus vernehmbar geworden, hatte sich dessen Tür geöffnet und ein behäbiger, ältlicher Mann war so flink wie die Freude macht, die paar Stufen in den Hof hinunter gestiegen. Als der erste der Schlitten anhielt, war auch schon das Hoftor, an welchem die Brücke endete, aufgetan, riß der wohlbeleibte Alte die Ottermütze vom Kopfe und begrüßte mit Verbeugungen und herzlichen Worten die Einfahrenden.
Eine auch nicht mehr junge, aber robuste Frau und ein junges Mädchen waren gleichfalls zur Stelle und halfen den Gästen beim Aussteigen.
„O, Fräulein Eva, wie bin ich froh, daß wieder einmal Leben ins Haus kommt“, sagte das junge Ding vergnügt und ihre Mutter beteuerte das gleiche.
„Ach! Schröckenfucbsin. Ich bin doch selber froh, daß ich wieder einmal habe herauskommen können“, entgegnete Eva freundlich. „Habt Ihr es uns denn auch recht gemütlich gemacht?“
Etliche Minuten später saßen die vier in einem behaglich eingerichteten und wohlig durchwärmten Zimmer und die Schröckenfuchsin trug heißen Zimtwein und Marie, ihre Tochter, feines Backwerk als ersten Imbiß auf.
Nachdem alle der winterlichen Kälte ledig geworden waren, zeigte Anna, die sich hier wie daheim fühlte, das hübsche Gütchen in allen seinen Teilen, selbst den Stall und den Schupfen mußte man sich ansehen und wurde dann erst wieder in die trauliche Stube geführt, in welcher Eva zurückgeblieben war.
Herr von Thorgau, welcher ihrer zuerst ansichtig wurde, erschrak, als er den vergrämten Zug sah, der sich in ihrem Gesichte ausprägte. Sie war so tief in ihren geheimnisvollen Schmerz versunken, daß sie sein Kommen gar nicht gewahrte; da redete er absichtlich laut zu den anderen und vermied es, sie anzusehen.
Als man sich zur Heimfahrt anschickte, fand man sich in der alten Sitzordnung. Das Wetter war linder geworden. Es fing zu schneien an. Große, weiche Flocken taumelten durch die Luft. Hie und da flog eine Krähe von einem Baumwipfel. Die Wasser der Donau gurgelten leise, zuweilen klatschten ein paar Eisschollen zusammen. Die Pferde schnaubten manchmal.
Eva war wieder in düsteres Schweigen verfallen.
Herrn von Thorgaus Blick blieb verstohlen auf ihren heute so starren Zügen haften. Einmal sah er sie erschauern. Er zog die Pelzdecke enger um sie.
Ein dankbarer Blick traf ihn. „Ihr seid gut“, murmelte Eva wie traumverloren.
Thorgau atmete tief auf. „Euer Freund möchte ich sein“, sagte er ein bißchen leidenschaftlich.
„Warum?“
„Weil ich Euch dann fragen dürfte, was Euch so weh tut. Gestern noch stolz und froh und in wenigen Stunden so voll Trauer. Aber ich bin Euch ein Fremder … ich …“
„Auch wenn Ihr mein Bruder wärt, könnte ich es Euch nicht anvertrauen, was mich so schwer getroffen hat“, sagte Eva. „Laßt mich für Euere Teilnahme danken und … Herr von Thorgau, ein Fremder seid Ihr mir nicht mehr …“
„Nur eines laßt mich wissen“, bat der Freiherr, „kennt Ihr den, der Euch gestern anfiel?“
„Nein.“
„Und wißt noch immer nicht, warum die Tat geschah?“
„Noch immer nicht.“
„Vor doppelt Unbekannten kann Euch auch Euer Vater nicht schützen!“
„Nein; keiner kann mich schützen, denn keiner weiß …“
„Meint Ihr das wirklich?“ fragte Thorgau scharf.
Eva sah ihm verwundert in die Augen. „An wen denkt Ihr?“ fragte sie hastig.
„An den Grafen Lascienski.“
„An ihn? Warum?“
„Er hat gestern die Agraffe nicht zum erstenmal gesehen.“
„Herr von Thorgaul“
„Ihr und auch alle anderen habt ihn nicht so beobachtet wie ich; und so sah keiner sein Erschrecken. Er erkannte die Gefahr, in der Ihr geschwebt seid, und weiß, wer Euch anfiel.“
Eine Weile starrte Eva vor sich hin, dann hob sie den Kopf und sagte hart: „Es ist möglich, daß Ihr recht habt. Seit gestern abends gibt es nichts, das ich nicht für möglich hielte. Nur begreife ich nicht …“ sie stockte.
Der Hauptmann vollendete den begonnenen Satz: „Der Graf, der Euch zweifellos leidenschaftlich und zärtlich ergeben ist, hat selber mit der Tat nichts zu tun … aber … vielleicht geschah sie just seinetwegen? Euer Anbeter, Fräulein Eva, ist ein selten schöner Kavalier. Kann nicht Eifersucht den Mann von gestern gedungen haben?“
„Es kann sein“, gab Eva seltsam gleichmütig zu. „Graf Lascienski ist tatsächlich ein so glänzender Kavalier, daß man ihn mir vielleicht nicht gönnt.“
Sie lachte. War es nicht Hohn und Bitterkeit? Thorgau beugte sich vor, um in Evas Augen sehen zu können. Sie hatte eine pelzverbrämte, haubenartige Kopfbedeckung, die ihr Gesicht halb verhüllte. Als er dieses schöne Gesicht mit seinem Blick erreichte, erschrak er. Es war von Bitterkeit ganz entstellt und in den Augen funkelten Tränen.
„Eva!“ murmelte er. „So kommt Euer Leid von dem, den Ihr liebt?“
„Nie habe ich ihn geliebt. Nur meine Eitelkeit hat ihm zugestrebt, so lang ich ihn nicht kannte. Jetzt aber — jetzt …“
„Seid Ihr frei von ihm?“ Thorgaus Stimme war voll von Innigkeit, sein Herz voll Glanz.
Eva trocknete sich eine Träne. Ihr Gesicht wurde blaß und starr, als sie sagte: „Nein, ich bin nicht frei von ihm. Ich werde, wenn er es will — seine Frau werden.“ Auf diese Worte hin herrschte lange Zeit Schweigen.
In der Dämmerung langte man in Wien an.
Der Magister Schmutz, bei dem Thorgau schon etlichemale wie auch jetzt wohnte, besaß ein hübsches Haus in der Nähe des Schottenklosters. Als der Freiherr vom Bauernfeindschen Hause wegging, mußte er also ein Stück des Stephansplatzes und dann den Graben überschreiten, dann ging er durch die Naglergasse und wollte schon zur Freyung einbiegen, als er plötzlich stehen blieb. An ihm gingen zwei Männer vorüber. In ein lebhaftes Gespräch vertieft, achteten sie nicht auf die Menschen, welche in ihrer Nähe waren. Sie waren von der Freyung hergekommen und gingen jetzt über den „Hof“. Der Hauptmann folgte ihnen.
Der eine war Lascienski, der andere war ihm jedenfalls untergeordnet, denn er benahm sich sehr untertänig und wurde vom Grafen mit „du“ angesprochen unid ausgezahkt. Es mußte sich um einen Auftrag handeln, den der kleine stämmige Mann schlecht ausgeführt hatte. Auch von Nelken redete der Graf und dann fiel ein Wort, welches Thorgau aufhorchen ließ.
„Parkany.“
Der Freiherr hatte es vorher nur ein einzigesmal gehört. Das war am gestrigen Tage gewesen, während der Audienz, die er bei dem Präsidenten des Hofkriegsrates, dem Markgrafen Hermann von Baden, gehabt hatte.
Der Markgraf, welchem die Thorgaus vom Reiche draußen schon seit langem bekannt und von ihm hochgeachtet waren, hatte Wolf Dietrich schier wie einen Sohn behandelt und ihn auch bei sich behalten, als andere Herren von dem Hofkriegsrat zu einer Beratung eingetroffen waren. Bei dieser Beratung war das Schloß Parkany bei Eperjes in Nordungarn, als der Sitz eines Grafen Tököli erwähnt worden, als der Wohnsitz eines Mannes, dem trotz seiner scheinbaren Friedensabsichten nicht zu trauen war. Graf Emerich Tököli galt bei den Herren ganz einfach als ein heimlicher Freund und Helfer der Türken.
Das hatte Thorgau gestern bei seinem Gönner erfahren und die Namen „Tököli“ und „Parkany“ waren in seinem Gedächtnis geblieben.
Als er dieses Wort jetzt vernahm, erregte es in hohem Grade seine Aufmerksamkeit und es veranlaßte ihn, den beiden zu folgen. Es diente ihm, daß auch jetzt nur wenige Leute hier gingen und daß er in einen langen Mantel gehüllt und heute nicht in Uniform war. Sein Vetter hatte ihm zur langen Fahrt im offenen Schlitten den Mantel und die Pelzkappe aufgedrängt.
In dieser Tracht brauchte er ein Erkennen kaum zu fürchten, denn er hatte die Kappe tief ins Gesicht gedrückt und den Kragen des Mantels hochgeschlagen. So konnte er es wagen, den beiden, ihm plötzlich verdächtig Gewordenen ganz nahe zu bleiben. Aber er gewann dadurch nichts. Nur die Überzeugung bekam er, daß der kleine Dicke ein Diener des Grafen sei und daß er es gewesen, welcher Lascienski, und zwar auf irgend eine mühevolle Weise die Nelken beschafft hatte, welche gestern des Baumeisters Tafel schmückten.
Im Freisingerhof entschwanden ihm die zwei. Thorgau kehrte wieder um und befand sich bald im Hause des Magisters. Der Magister und seine Frau waren noch nicht heimgekommen. Nur seine Mutter war da, den lieben Gast zu begrüßen. Von Thorgau dazu veranlaßt, schilderte sie ihm den ihr wohlbekannten Charakter des Baumeisters und seiner Kinder.
Frau Martha hatte keine böse Zunge, dennoch kam in ihrer Schilderung eigentlich nur der Mönch gewordene Sohn Bauernfeinds ungerügt weg. Eva bekam nur eine einzige Rüge, nämlich, daß sie ein gut Teil der väterlichen Eitelkeit geerbt habe, dieser bei dem Alten riesengroßen Eitelkeit, welche ihn dazu gebracht hatte, oft schon recht unwürdig zu handeln.
„Weißt du, Wolf-Dietrich“, schloß die alte Frau, „das Protzen und das Großtun versteht man überall, so hab’ ich gehört; daß es aber die Wiener besonders gut verstehen, das hab’ ich in meinem langen Leben oft merken können und dazu haben wir einen häßlichen und auch recht lächerlichen Fehler. Uns imponiert alles, was glänzt — sei es Reichtum, sei es ein Titel. Ein Graf, mag er der armseligste Lump sein, wird hier von den Bürgerlichen für etwas ganz Besonderes gehalten. Nur wenige Türen werden nicht auffliegen, wenn er die Gnade hat zu kommen. Und so liegen wir auch vor dem Geld auf den Knien sowie vor denen, die es besitzen. Nur den Reichtum an Wissen schätzt der Wiener nicht. Davon hätte dein guter Ohm, mein seliger Mann, gar viel erzählen können.“
Da strich der Hauptmann zärtlich über ihre welke Hand und sagte lächelnd: „Fast meinte ich, meine Mutter reden zu hören. Eure Schwester, liebe Muhme, gleicht Euch nicht nur im Gesicht, sie gleicht Euch auch im Denken auf ein Haar. Auch sie ist mit dem Weltlauf nicht zufrieden und urteilt über die Menschen so, wie Ihr es tut.“
Ein paar Stunden später zog Thorgau sich zum Schlafen zurück.