Читать книгу Das Herz siegt - Auguste Groner - Страница 5
II.
ОглавлениеDer Freisingerhof mit all seinen mannigfaltigen Anbauten, seinen massigen Toren und seinen schwarzvergitterten Fenstern, dem unregelmäßigen Zickzack seiner steilen Backstühle und seinem dunklen Mauerwerk, lag, gleich der alten Kaiserstadt, noch in der tiefen Dämmerung eines nebelreichen Novembermorgens da, als ein Reicher hier vom Pferde stieg und mit dem schweißbedeckten Falben im finsteren Flur verschwand.
Innerhalb des weitläufigen Baues gab es im großen, winkelreichen Hofraume etliche Ställe. In einem brachte der Angekommene sein Roß unter, versorgte es getreulich und stieg dann zwei Treppen aufwärts.
Ein kurzer Gang nahm ihn auf, dessen Dunkelheit ein wenig vom Schein einer Lampe erhellt war, die hinter einem Fenster brannte, welches die Innenwand des düsteren Ganges unterbrach. An dieses Fenster pochte der Angekommene. Drinnen erhob sich jemand, der an einem Tisch gesessen und geschmaust hatte. Rasch öffnete er und empfing den Gast mit Verwunderung. „Jetzt kommst du schon?“ sagte er. „Der Graf erwartet dich erst heute Abend. Du kannst ja kaum aus dem Sattel gekommen sein!“
„Fast hast du recht“, entgegnete der Heimgekommene, dessen flotte Jugendlichkeit übrigens wenig Müdigkeit verriet. „In Kapyvar hat man mir die größte Eile anbefohlen. So hab’ ich also auf dem Herweg nur die allernotwendigsten Rasten gemacht.“
„Und auf dem Hinweg hast du erst recht nicht gerastet, denn da hat dich das Herz zur Eile getrieben“, meinte der andere spöttisch.
„Laß mein Herz in Frieden, Andreas. Ich liebe solche Scherze nicht. Ilona Tököli steht hoch. Ihr kann deine Zunge freilich nichts anhaben, aber ich ärgere mich über deine Albernheit.“
„Aber Ferencz! Ist es denn albern, wenn man annimmt, daß ein so schöner, junger Mensch, wie du einer bist, ein schönes, junges Weib liebt?“
„Das meine Milchschwester ist, aber auch meine Gebieterin!“ sagte der junge Mann. „Siehst du, Andreas, das begreifst du nicht, daß einer zu stolz sein kann, um zu lieben, wo ihn nur Demütigung erwarten würde. Aber wozu sage ich dir das? Du verstehst ja doch nur eines: Deinem Gaumen wohl zu tun; geh, gib mir auch zu essen. Ich habe Hunger und der nächtliche Ritt hat mich durchkältet.“
Während dieser Rede waren die Beiden in die niedrige, aber ziemlich weitläufige Stube getreten, darin ein mächtiger großer Ofen mollige Wärme und eine große Kanne einen wohligen Duft ausströmte.
Andreas, ein kleiner, rundlicher, nicht mehr ganz junger Mann, faßte den Krug, der stark gewürzten, warmen Wein enthielt, und reichte ihn dem anderen hin, wobei er lachend sagte: „Sollst samt deinem Stolz leben. Mir aber laß die Freuden, die ich mir da in aller Stille zu schaffen weiß. So! und nun sitz und iß!“
Ferencz ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach einer Weile aber seufzte er und schob Krug und Teller von sich: „Ich fürchte, daß es so nimmer lang weitergehen kann!“ sagte er.
Der andere beugte sich weit vor. „Woran denkst Du?“
„Nur an unseren Herrn und an Ilona Tököli.“
„Was ist denn geschehen?“
„Es geschieht eben nichts, gar nichts und das ist es, was meine stolze Gebieterin quält.“
„Weiberlaunen.“
„Meinst du, daß ihre Unruhe nur Weiberlaune ist? Seit dem Sommer war Graf Lascienski nicht bei ihr.“
„Ich denke, wir zwei wissen es, warum er sich hier in Wien so still verhält.“
„Er muß ja nicht mit Trompeten und Pauken aus der Stadt gehen. Könnte er es nicht heimlich tun? — Wie er uns heimlich. schickt! O — wenn sein Herz ihn nach Kapyvar zöge, er hätte längst schon wieder den Weg dahin gefunden. Aber —?“
„Nun — aber?“
„Die Frauen hier sind lieblich und manche findet, daß es unterhaltlich ist, mit dem elegantesten Kavalier, der derzeit in Wien lebt, verliebte Blicke zu tauschen.“
„Ich meine, du bist statt der schönen Ilona eifersüchtig auf unsere Erlaucht.“
„O! sie ist schon selber eifersüchtig genug. Sie spürt es nur zu deutlich, daß nicht die Politik es ist, die ihren Verlobten so lange an Wien bindet. Wer ihn nur warnen könnte!“
„Wovor? Vor ihrer Liebe?“
„Vor ihrem Zorn, vor ihrem Haß. Hast du’s nicht erlebt, daß aus Liebe Haß geworden ist?“
„So weit wäre Ilonka Tököli schon? Du kannst recht haben. Als ich vor einigen Wochen in Kapyvar war, habe ich auch gemerkt, daß die Gnädige einigermaßen gereizt war und sich oft nach dem Lebenswandel unseres Grafen erkundigte. Freilich, mir gegenüber wird sie nicht so offen gewesen sein, wie gegen dich, ihrem Vertrauten. Und — soeben denke ich zum erstenmal daran — vielleicht hat sie dich ihrem Verlobten nur deshalb mitgegeben, weil er bewacht werden soll, weil sie genauen Bericht von dir will.“ Andreas, seinem Herrn so ergeben, als er eben jemandem ergeben sein konnte, schaute seinen Genossen lauernd an.
Ferencz lächelte verächtlich. „Meinst du wirklich, daß ich für jemanden anderen noch als für das Vaterland Späherdienste leiste?“ entgegnete er stolz und dann, jäh sich erhebend: „Ich ruhe jetzt ein wenig. Weck mich, wenn seine Erlaucht munter sein werden.“
Just an der Tür traf er mit einem schnell Eintretenden zusammen: „Ihr, Herr Thanon, schon so zeitlich auf dem Weg?“ fragte Ferencz und trat viel weiter zurück, als nötig gewesen wäre, um das magere Männchen an sich vorbeigehen zu lassen.
Thanon riß den Dreispitz vom Kopfe und wischte sich die Stirn ab. „Bin von meiner Wohnung bis hieher gelaufen“, murmelte er. „Der Wind hat mir ebenso heiß als kalt gemacht.“ Dabei schielte er nach dem Tisch hinüber, auf dem noch Reste des Frühmahles sichtbar waren.
Ferencz drehte ihm den Rücken zu und ging. Andreas aber lud den Schmarotzer mit einer übertriebenen Gebärde ein, sich zu Tisch zu setzen und Thanon ging und aß und trank mit großer Gier und dann, als nichts Genießbares mehr da war, erhob er sich gravitätisch, wischte sich mit einem nicht mehr ganz sauberen Tüchlein die Lippen ab und fragte: „Erlaucht haben sich noch nicht vom Lager erhoben?“
Andreas, seine gezierte Sprechweise nachahmend, antwortete: „Erlaucht geruhen noch zu schlummern. Monsieur Thanon wird sich also gedulden müssen.“
Dann wurde der Franzose ganz plötzlich ein anderer. Den Kopf stolz zurückwerfend, bemerkte er: „Merk er es sich, Bediente müssen warten. Ich verkehre mit dem Grafen Lascienski zu jeder Zeit, in der es mir. beliebt.“ Und an dem erstaunten Andreas vorübergehend, begab er sich, einen zweiten Raum durchschreitend, nach dem Schlafgemache des Grafen.
Andreas wagte es nicht, Thanon zu folgen, so herrisch hatte sich dieser plötzlich gegeben. Er wartete aber. Er wartete, den Frechen schnell zurückkehren zu sehen. Allein Thanon blieb lange aus.
Er konnte also tatsächlich zu dem Grafen kommen, sobald es ihm beliebte.
Andreas war sehr verwundert und nachdenklich. Plötzlich stieß er einen leisen Pfiff aus. Es war, als habe sich damit seine Verwunderung entladen.
Als Peter Thanon die Tür zu des Grafen Schlafzimmer öffnete, schlug ihm eine unangenehme Luft entgegen durch künstlichen Wohlgeruch und Öllampenduft. Leise schloß der Franzose die Tür und überblickte den vornehm ausgestatteten Raum. Dunkles Getäfel bedeckte bis weit hinauf die Wände und wo es endete, war hellroter Seidenstoff gespannt und die gleiche Seide umhing in reichen Falten das schön geschnitzte Himmelbett, in dem Graf Lascienski noch im tiefen Schlaf lag.
Dicht neben ihm stand auf einem Tischchen das noch brennende Nachtlicht, dessen Schein durch ein rötliches Glas auf das Gesicht des Schläfers fiel.
Eine Weile betrachtete Thanon den Grafen; dann fiel sein Blick auf den Toilettentisch und dessen überreiche Ausstattung. Thanon fand dafür keinen Spott. Er seufzte vielmehr neidisch darüber, daß diesem, von der Natur ohnehin schon so bevorzugten Manne, so viel Hilfsmittel zu Gebote standen, um sich noch besser pflegen zu können.
Geärgert von diesen Gedanken, trat er rasch an das Bett heran und legte seine Hand auf Lascienskis Schultern.
Da fuhr der Graf cmpor und crkannte Thanon. „Ach, Ihr seid es? Thanon!“ sagte er gähnend.
Der Franzose nickte spöttisch. „Ja, Erlaucht. Ich bin es. Nur ich, Euer gehorsamster Diener und Geheimsekretär, der kommt, Euer Erlaucht Wichtiges zu melden.“
„Wichtiges?“ Lascienski lächelte spöttisch. „Ihr bauscht nur Unwichtiges auf, um Euch selber wichtig zu machen. Also laßt hören, warum Ihr diesmal gar in nachtschlafender Zeit kommt.“
„Weil es erstens nicht jeder mit anzusehen braucht, daß ich den Herrn Grafen besuche und zweitens, weil ich endlich den Überrumpelungsplan fertig habe.“ Thanons Gesicht, das soeben noch voll Verdrossenheit gewesen, zeigte jetzt einen triumphierenden Ausdruck.
Lascienski wurde lebhaft. Rasch, sich völlig aufrichitend, sagte er: „Den Plan — laßt ihn sehen. Ihr habt ihn doch mitgebracht?“
„Hier ist er.“
„Gebt her. So und jetzt zündet die Wachskerzen an.“
Thanon tat, wie ihm geheißen worden war. Als er den Armleuchter mit den beiden brennenden Kerzen auf das Tischchen gestellt hatte, zog er sich einen Stuhl an das Bett heran und ließ sich darauf nieder. Der Graf hatte die Rolle, welche Thanon ihm gereicht, schon auseinander getan und schaute interessiert auf die Zeichnung.
„Erlaucht sollten, ehe Ihr darüber Erklärung fordert, noch nach anderem fragen“, sagte der Franzose nicht ohne Ironie.
Lascienski schaute auf. „Wonach soll ich fragen? Ob die guten Wiener noch immer keine ernsten Sorgen haben? oder ob man im Kriegsrat endlich nachdenklich zu werden beginnt? Ich meine, zwischen gestern und heute wird sich da nichts geändert haben. Das Volk erfreut sich des trefflichen Weines und hört nach wie vor vergnügt seinen Bänkelsängern zu und die Hohen, die da die Augen am weitesten offen haben sollten, die haben sie nach wie vor fest geschlossen, und so hört kaiserliche Majestät wohl auch heute noch gemütsruhig die drei gewohnten Messen und nach wie vor wird seitens der hohen Räte nichts geredet noch getan werden, das die spanische Etikette, so hier am Hofe herrscht, irgendwie irritieren könnte. Wonach also, mein lieber Thanon, soll ich denn fragen? Oder doch! Nach dem Wetter frage ich. Denn für heute bin ich zur Jagd eingeladen.“
„Ich meine, Erlaucht werden heute nicht jagen.“
Der Graf schaute den Franzosen forschend an.
„Denn Ihr werdet Besuch erhalten.“
„Ah!“ machte Lascienski und nun saß er ganz aufrecht da. „Heute morgen nämlich, vor etwa einer Stunde, habe ich Besuch erhalten. Achmed ist eingetroffen und — ich glaube, Euer Diener Ferencz, der ebenfalls schon angekommen ist — wird dieselbe Neuigkeit mitgebracht haben, die Achmed mir mitteilte. Er sagte mir, daß untertags Tökölis Gesandte, Szirmay und Janski, sich bei Hofe anmelden werden, was Erlaucht und mich allerdings wenig interessiert.“
„So ist es, Thanon. Uns interessiert von allen Personen dieser Gesandtschaft nur Achmed, der für ein Anhängsel gehalten wird und welcher doch der Wichtigste darunter ist. Wo hält er sich derzeit auf?“
„In meinem Bette. Er ist viele Stunden im Sattel gewesen, um den anderen voranzueilen. So wie das Kärntnertor aufgetan worden, ist er in die Stadt gekommen.“
„Ohne viel befragt zu werden?“
„Er ist in der Tracht des Ordens gekommen, dem er dereinst angehört hat.“
Der Graf lachte. „Ei, freilich hat man ihm da keine Ungelegenheiten bereitet“, sagte er, „Eine Kutte und wäre es nur die eines Kapuziners, ist hier eine gute Empfehlung.“
„Außerdem kennt Achmed hier jeden Winkel und jeden Brauch. Wer sollte also Verdacht gegen ihn schöpfen?“ warf Thanon ein und fuhr dann fort: „Wenn Tökölis Gesandtschaft nur auch ihren Zweck erreicht!“
„Weshalb soll sie ihn denn nicht erreichen? Achmed wird das Gesehene und Gemerkte bald aufgezeichnet haben.“
„Falls man ihn nicht erkennt. Er hat doch bis vor etlichen Jahren hier gelebt, ist dann seinem Orden entflohen und man weiß hier, daß er zum Islam übergetreten ist. Wird er erkannt …“
„Das wäre freilich schlimm.“
„Und man ist nicht mehr so sorglos, als Erlaucht meinen. Man hat plötzlich Heimlichkeiten. Selbst Frankreichs Botschafter und mit ihm Erlaucht sind so ziemlich im Dunkeln darüber, wie man im Hofkriegsrat über die Türkengefahr denkt und was die Herren diesbezüglich beabsichtigen.“
„Leider bin ich in der Tat recht mangelhaft unterrichtet“, gab Lascienski ärgerlich zu. „Na, mein künftiger Verwandter, der Tököli, wird noch manchen Dukaten springen lassen müssen, bis ich ihn über die hiesige Politik werde orientieren können. Denn just jene Häuser, in denen ich das Richtige erfahren könnte, haben sich mir noch immer nicht geöffnet. Borgomanero zum Beispiel, scheint nicht übermäßig viel an meiner Gesellschaft zu liegen, denn bis heute hat dieser steife Gesandte Spaniens mir keine Einladung zukommen lassen und eben in seinem Hause dürfte so manches Wort verloren werden, das aufzuheben für die Freunde der Türken wertvoll wäre. Woran denkt Ihr? Thanon!“
„An den spanischen Gesandten, den ich nicht kenne und an einen anderen, den ich nur wenig kenne, jedoch immerhin genug kenne, um zu wissen, was Euer Erlaucht jetzt nützlich werden kann.“
„Wer ist dieser andere?“
„Bauernfeind, Ambrosius Bauernfeind, derzeit der angesehenste Baumeister Wiens.“
„Was soll er mir?“
„Er wird Euer Erlaucht vielleicht unbewußt dienen können.“
„Inwiefern?“
„Er ist ein Eitelkeitsnarr. Ein sonst mit Recht geehrter Mann … aber einer, der gern mit seinem Reichtum, noch lieber jedoch mit seinen vornehmen Bekanntschaften protzt. Wenn der einen Grafen in sein Haus bekäme, ich glaube, er gäbe seine Seele dafür.“
„Was soll mir der Mann, Thanon? Redet doch deutlicher!“ mahnte Lascienski ungeduldig.
„Vor wenigen Tagen“, erklärte das Männchen, nicht ohne ebenfalls deutliche Anzeichen von Eitelkeit, „war ich bei einem meiner Gönner, dem Baron Wehrtenstein zu Tisch geladen und auch Bauernfeind war da und sichtlich sehr geehrt durch die Vertraulichkeit, mit welcher ihn die Herrschaften des Hauses behandelten. Ich habe mich an seiner Geziertheit ergötzt. Unter anderem protzte er mit einem Auftrag, den Borgomanero ihm gegeben. Es handelt sich um ein Sommerhaus für die Frau des Gesandten. Bauernfeind redete jedoch nicht nur davon, er deutete auch an, daß er durch Borgomanero und andere seiner hohen Bekannten genau eingeweiht sei in das Vorhaben unseres Kriegshofrates.“
„Ah! … Aber er deutete nur an!“
„Ich meine, daß es nicht viel brauchte, auch noch mehr als nur eine Andeutung durch ihn zu erhalten. Erlaucht können ihm ja auch einen Auftrag geben. Dadurch ist der Kontakt mit ihm hergestellt und es steht dann nur im Belieben des Herrn Grafen, wie weit Erlaucht mit dem Manne kommen wollen, der überdies eine schöne und ebenso eitle Tochter hat“, setzte Thanon langsam hinzu.
„Eine schöne Tochter und ein eitler Vater“, faßte der Graf die Haupteindrücke zusammen. Er strich sich über das feine, spitze Kinnbärtchen: „Ich werde diesem Ambrosius Bauernfeind einen Auftrag geben.“ Nach diesen Worten lehnte er sich faul in die Pölster zurück und schaute vergnüglich lächelnd vor sich hin. Er hatte über der Aussicht auf ein neues Liebesverhältnis offenbar alles andere vergessen.
Thanon betrachtete ihn mit einem verächtlichen Lächeln. In dir hat Tököli keine gute Wahl getroffen, dachte er, denn du kennst nicht Haß noch Liebe und bist nichts als ein Weiberheld. Laut und scheinbar unterwürfig aber sagte er: „Erlaucht geruhen vielleicht jetzt den Plan zu betrachten. Er hat mich viel Studium gekostet und es war nicht ohne Gefahr, sich über Verschiedenes, das darin vorkommt, Gewißheit zu verschaffen.“
„Ja, richtig, der Plan!“ sagte Lascienski, sich wieder aufrichtend und langte nach dem dicken Papier, das auf der Seidendecke lag. „Also was sagen diese Striche?“ fragte er leichthin.
„Diese Striche“, wiederholte der Franzose, nun doch ein wenig seine Verletztheit zeigend, „bezeichnen den Weg, der die Türken, ohne daß sie einen Säbelhieb zu tun brauchen, mitten ins Herz der Stadt führt.‘
Der Graf war jetzt völlig beherrscht.
„Thanon! Ihr sprecht da etwas Großes aus! Ich kann es nicht glauben. Ihr geltet für einen Phantasten. Ist …“
„Ich weiß, daß man mich sogar für einen Halbnarren hält, der gerade zum Lustigmachen gut genug ist“, unterbrach Thanon; „aber … mindestens dort, wo ich hasse, sind meine Gedanken sehr wohl geordnet und ich weiß genau, was ich will. Schmarotzer nennen sie mich und denken nicht daran, daß meine Ohren an manchem Tisch, an dem der Wein schon Redselige gemacht hat, mehr bekommen haben als mein Mund. O … Graf Lascienski … mein Plan ist gut. Der, den ich im Kopfe habe, und der, den Erlaucht da auf dem Papier vor sich sehen. Ehe ich diesen erkläre, mache ich Erlaucht, zum wiederholtenmale schon, auf einen Irrtum aufmerksam. Gar so sicher, wie Erlaucht meinen, fühlt man sich hier nimmer. Das Volk hat schon gewaltiges Bangen vor dem, was kommen wird, und auch die ganz oben stecken schon die Köpfe zusammen. Des Grafen Caprara Gefangenhaltung bewies es ihnen endlich, daß die Türken wieder zu fürchten seien. Man redet davon, daß die hiesigen Festungswerke, die man unbegreiflicherweise so lange verfallen sein ließ, bis zum Februar wieder hergestellt werden sollen. Man erwartet also eine abermalige Belagerung der Stadt. Der Kaiser, der sich ja doch immer mehr bewußt werden wird, daß alles auf dem Spiele steht, wird alle erreichbaren Verteidigungskräfte zusammenziehen und auch alle waffenfähigen Wiener werden sich um ihn scharen. Es wird auch manches deutsche Aufgebot in Wien sein, ehe noch Mustapha hier eintreffen kann. Und so wird es den Türken nicht so leicht werden, Wien einzunehmen, wie sie selber und … wie ihre Freunde glauben. Aber“, Thanon richtete sich stolz auf, „ich bin auch noch da und habe in aller Stille geforscht und ich habe einen Weg in die Stadt gefunden, an den hier keiner denkt.“
„Und Ihr — der Fremde — habt an ihn gedacht?“
Thanon lächelte. Geheimnisvoll beugte er sich näher zu Lascienski und flüsterte: „Einer der treuesten und besten Männer dieser Stadt hat ihn mir gewiesen.“
„Ihr sprecht in Rätseln.“
„Der Provinzial der Augustinermönche, Pater Alexius, hat mir den vortrefflichen Gedanken eingegeben.“
„Thanon! Ihr phantasiert!“
„Hat mir durch ein gelehrtes Gespräch, das er mit seinen Tischgenossen führte und dem ich still und bescheiden am untersten Ende der Tafel zuhörte, die Möglichkeit in die Hand gegeben, die Feinde ungesehen bis in den Mittelpunkt der Stadt zu bringen.“
„Mann, werdet endlich deutlich!“ rief Lascienski erregt. Der Franzose erhob sich, huschte zur Tür und schob den Riegel vor; dann ließ er sich wieder neben dem Grafen nieder und wies auf den Plan. „Noch sind das für Erlaucht Striche, noch ist das Geheimnis mein. Wie viel wird mir Mustapha geben, wenn ich ihm den fast unblutigen Sieg verschaffe? Ich will nicht nur meinen Haß gegen diese Stadt voll Spötter sättigen. Ich will auch reich werden, reicher als irgend einer von denen, die mich jetzt an ihrem Tische dulden. Ungeheuer reich will ich werden!“ Ganz heiser war seine Stimme geworden, Lascienski kam die Furcht an. Es war immerhin möglich, daß dieser Mensch, der sich seit etlichen Wochen so an ihn drängte und den ganz Wien für einen Halbnarren hielt, ein ganzer Narr war. In letzter Zeit hatte er schon immer seltsame Reden geführt. Solche Unwahrscheinlichkeiten aber, wie er sie soeben vorgebracht, deuteten erst recht auf Verrücktheit. Dem Grafen war also bang geworden. Er stieg aus dem Bett und kleidete sich eilig an. „Wir wollen sofort über all dies Wichtige reden“, sagte er dabei in beruhigendem Tone. „Selbstverständlich wird Mustapha Euch mit Geld überschütten, wenn Euer Plan etwas wert ist. Stellt den Leuchter auf den Tisch da und dann wollen wir uns zusammensetzen und Ihr werdet mir alles sagen.“
„Ja, aber erst, nachdem Erlaucht mir volle Sicherheit gegeben hat“, warf Thanon kurz ein.
„Natürlich werde ich Euch vorerst mit meinem und Emerich Tökölis Namen Bürgschaft leisten dafür, daß Eueren gerechten Forderungen volle Erfüllung werden wird.“
„Schriftlich müßten Erlaucht mir dies geben.“
„Gut: Ihr sollt es schriftlich haben.“
Lascienski war bereits in den Kleidern. Jetzt fürchtete er sich nicht mehr, denn jetzt konnte er sofort seine Diener an seiner Seite haben. Er öffnete die Tür und rief Andreas herbei. Diesem befahl er, das Frühmahl zu bringen, dann nahm er selber den Leuchter und stellte ihn auf den massigen Eichentisch, an welchem er zu essen pflegte und rückte zwei Stühle zurecht. Thanon war ihm mit dem Plane gefolgt.
Vor den Fenstern des Gemaches, in welchem sie sich nun befanden, konnte man auf den weiten Platz, „Graben“ geheißen, schauen. Es war nicht anzunehmen, daß aus den gegenüberliegenden Häusern jemand sehen konnte, was man in diesem Zimmer trieb. Dennoch schloß der Graf die Fensterladen, so daß die Dämmerung, welche sich schon zu verbreiten begann, ausgeschlossen war.
Lascienski schrieb, indes man auf Andreas’ Wiederkommen wartete, einige Zeilen auf ein Papier und drückte daneben in rotes Wachs seinen Siegelring. Dann reichte er es dem Franzosen hin.
Der las sehr langsam und aufmerksam, faltete dann den Bogen und steckte ihn ein.
Lascienski beobachtete ihn und ein häßliches Lächeln umspielte dabei seinen hübschen Mund. „Seid Ihr nun zufrieden?“ erkundigte er sich und sah wieder wie ein ganz ehrlicher Mensch aus.
Thanon verbeugte sich tief. „Erlaucht haben Tökölis und Ihre Ehre mir zum Pfand gegeben.“
Im selben Augenblick kam Andreas herein und stellte eine Platte auf den Tisch, darauf sich eine Karaffe mit Wein und weißes Brot sowie zwei Gläser befanden. Er schenkte die Gläser voll und entfernte sich dann auf einen Wink seines Gebieters.
„Trinkt vorläufig nicht zu viel“, warnte Lascienski, „es ist stark gewürzter Wein. Die Klarheit Eures Denkens könnte darunter leiden. Im übrigen: Auf das Gelingen Eures Planes!“
Die beiden stießen an und Thanon begann: „Ich habe bis vor kurzem nicht viel von der Gelehrtheit gehalten, nun aber bin ich anderer Meinung, denke, daß man nie zu viel lernen kann.“
„Ihr holt weit aus, Thanon! Wollt Ihr nicht sogleich zur Sache kommen?“
„Ich bin dabei, bin dicht bei ihr, wenn ich an den hochehrwürdigen und, was mir wichtiger ist, hochgelehrten Pater Alexius denke, der seinen Confratres, wahrlich nicht mir, erzählte, daß da, wo heute der Dom St. Stephan steht, sicherlich einmal zur Zeit, da die Römer hier hausten, oder später, in der völlig dunklen Zeit der Völkerwanderung, eine heidnische Opferstätte gewesen. An derlei Stätten, so sagte der Pater, pflegte man gerne christliche Kirchen zu bauen, um von verschrieenen, durch dunkle Sagen unheimlich gewordenen Orten das Grauen zu bannen und dem einen Gott Verehrung darzubringen da, wo die Heiden zu ihren Götzen gebetet hatten.
Noch jetzt wissen es gelehrte Leute wie Alexius, daß die Rotenturmstraße ehemals Heidenhainstraße benannt gewesen. Es müssen Heiden also früher einmal da in einem heiligen Hain ihre Opfer dargebracht haben. Zu jener Zeit war immer Feindesgefahr. Nichts sei demnach — so sagte der Pater — natürlicher gewesen, als daß religiöse Handlungen auch unterirdisch vollzogen wurden. Die Christen haben es ja nicht anders gemacht. Und wie die Christen ihre Toten an heimlichen unterirdischen Orten bestatteten, so werden es auch die bedrängten Heiden getan haben. Der ,Stock-im-Eisen‘, dies alte Wahrzeichen Wiens, ist, so sagte der Pater, eine Lärchtanne, das ist ein mystischer Wetterbaum, der, so lange man von ihm weiß, mit der Wurzel nach oben aufgestellt ist, damit sein Zauber gebrochen werde. Auch er befand sich, gleich der Stephanskirche, die vor ihrem Umbau klein und unansehnlich war, einst außerhalb der Stadtmauer. Alexius hat es aus alten Schriften herausgelesen, daß in der Nähe dieses Baumes und bis nahe zur Donau hin, sich tief unter der Erde Gemächer und Gänge befinden, die aus der Heidenzeit stammen und später von den Christen zu Begräbnisstätten benützt worden sind, so gern benützt, daß schließlich eine Erweiterung notwendig geworden ist. Daß in der letzten Pestzeit viel hundert Verstorbene in diesen Katakomben beigesetzt wurden, weiß jedes Kind in dieser Stadt. Nicht jeder aber weiß, was der gelehrte Pater damals berichtete, daß man bei diesen Begräbnissen auf Löcher im Boden gestoßen sei, die in tieferliegende Räume schauen ließen und daß viele der ältesten Häuser der Stadt zwei, ja auch drei Keller übereinander haben, die unter sich und mit den Kellern der Nachbarhäuser sowohl, als auch mit den Katakomben verbunden sind.“ Thanon hielt inne. Er tat einen tiefen Schluck aus seinem Glase und fuhr fort: „Bis zum Zwettelhof und noch weiter, bis zu den Häuschen vor dem roten Turm erstreckten sich die Katakomben“, sagte er jetzt leiser werdend und schaute den Grafen mit flackerndem Blick an. „Es geschah im Frühjahr, daß ich durch den Augustinermönch Kenntnis davon erhielt. Noch weiß ich den Tag. Zu Maria Verkündigung war es, am 25. März, als der gelehrte Herr sein Wissen kundgab und seit diesem Tag ist kein anderer mehr vergangen, an dem der viel verlachte Baron Zwiefel nicht an die Katakomben gedacht hätte.“
Er wollte wieder eine Pause machen, doch Graf Lascienski drängte ihn, weiter zu erzählen.
„Im Mai begegnete ich also eines Abends in der Roßau drüben einem Mann in ungarischer Tracht. Es war mir etwas an ihm bekannt — weswegen ich ihn zum zweitenmal schärfer ansah, und da erkannte ich ihn und gewahrte auch, daß er mir winkte. Der war es, der sich heute Achmed nennt und der mit Tökölis Gesandten übermorgen in ungarischer Tracht vor dem Kaiser stehen wird. Damals erfuhr ich, daß er, der ehemalige Kapuziner, in plötzlich erwachtem Freiheitsdrang das Kloster verlassen, sich nach Ungarn begeben habe, in Ofen zum Mohammedanismus übergetreten sei und den Türken Ingenieurdienste leistete. Kennt Erlaucht diesen Mann näher?“
„Ich habe ihn nie gesehen, aber ich hörte durch Tököli, daß dieser Achmed ebenso schlau als tapfer und mehr als irgendein anderer dazu geeignet sei, die Befestigungswerke dieser Stadt, in der er ja früher gelebt hat, zu skizzieren.“
„Also kenne ich ihn besser“, fiel Thanon lebhaft ein. „Als er und ich Buben waren, bewohnten unsere Eltern ein und dasselbe Haus. Er war damals schon hier verliebt ins Studium und wenn er schließlich doch nur ein Bettelmönch war, trug seine Mutter daran schuld, die durchaus wollte, daß er Kapuziner werde. Nie hatte ich begriffen, daß dieser Feuerkopf ihr diesen Wunsch erfüllte, wohl aber begriff ich seine Flucht. Er tat keinem weh damit. Seine Eltern lagen, als er aus dem Kloster verschwand, schon auf dem Stephansfriedhof. Nach mehr als zehn Jahren sahen wir uns nun in der Roßau wieder. Ich schämte mich vor ihm — denn er war sichtlich ein feiner Herr geworden und ich — ich war ein armer Teufel. Das aber schien ihm eben recht zu sein. Er holte mich sehr geschickt aus und wußte bald, daß ich mein Erbteil vertan hatte. Es war nicht groß gewesen, denn meine Eltern hatten Frankreich wegen eines Familienzwistes halber fluchtartig verlassen und hatten den größten Teil ihres Vermögens zurücklassen müssen.
Kurz, er engagierte mich für seine Sache und seither stehen wir in heimlicher Verbindung. Er war es ja auch, wie Erlaucht schon wissen, der mir nahelegte, ich solle mich Euch anschließen.“
„Was recht geschickt geschehen ist“, vollendete Lascienski. „Aber noch weiß ich nicht, was diese Zeichnung bedeutet. Thanon, Ihr verliert Euch immer in andere Gedanken. Wollt Ihr nicht endlich zur Sache kommen?“
„Nun gut“, erwiderte der Franzose, näherrückend, „Erlaucht sollen jetzt sehr Wichtiges erfahren.“
Er beugte sich über den Plan und fing an, leise zu erklären. Es mußte tatsächlich überaus Interessantes sein, was er da, der Zeichnung mit ausgestrecktem Finger folgend, berichtete, denn Lascienski beugte sich immer weiter vor und sein Gesicht, bald blaß, bald rot, zeigte eine gewaltige Erregung. Wohl eine Stunde lang saßen die beiden so da, tief über das Papier geneigt, flüsternd Fragen und Antworten tauschend. Dann faltete Thanon den Bogen wieder zusammen und verwahrte ihn vorsichtig in der Innentasche seines Rockes, tupfte sich den Schweiß vom Gesicht und griff wieder nach dem Glas, um seinen trocken gewordenen Gaumen anzufeuchten.
Lascienski aber sagte: „Wenn alles sich so verhält, wie Ihr es mir dargestellt habt — dann ist Wien fraglos heute über ein Jahr türkisch.“
„Bis auf Geringfügigkeiten muß alles so sein, wie ich es beschrieben“, entgegnete Thanon zuversichtlich. „Ich habe fast ein halbes Jahr dazu verwendet — schrittweise, tatsächlich nahezu schrittweise, all das festzustellen, was ich hier aufgezeichnet habe. In Gefahren von mancherlei Art habe ich mich dabei begeben. Not und Angst habe ich dabei ausgestanden und habe dabei meine ganze List gebraucht und zuweilen auch die ganze Widerstandskraft, die in meinem hageren Leibe lebt; habe auch da und dort vorsichtig das Geld verwendet, das Achmed mir heimlich zukommen ließ und habe dennoch oft verzagt am Gelingen meines Werkes. Und nun ist es doch gelungen!“
Lascienski betrachtete ihn mit kaum verhehltem Widerwillen.
„Geht jetzt, Thanon, geht, ich muß jetzt allein sein. Sagt mir nur noch, wo jener Baumeister wohnt. Ich will nichts versäumen, was unserer Sache allenfalls nützen kann.“
„Ambrosius Bauernfeind hat ein schönes Haus auf der Brandstätte. Es trägt die Nummer 628“, antwortete der Franzose zerstreut, tat noch einen tüchtigen Schluck, empfahl sich diesmal weit weniger unterwürfig als sonst und ging.
Als Lascienski allein war, ließ er Andreas zu sich rufen. Er empfing von dem jungen Manne zwei Briefe. Den einen — von Tököli — legte er vor sich hin, den anderen Brief brach er ohne besondere Eile auf. Als er ihn las, lächelte er halb spöttisch und halb geschmeichelt und als er ihn langsam wieder zusammenfaltete, dachte er: Meine schöne Ilona ist ja wie eine Flamme; nur schade, daß so viel Eifersucht da mitbrennt.
Tököli meldete ihm, was er ohnehin schon durch Thanon wußte, daß Achmed Bey sich in Gestalt eines Dieners seiner Gesandtschaft anschließen werde. Dieser Meldung war der Auftrag beigefügt, daß Lascienski jeden Verkehr mit den beiden Gesandten Szirmay und Janski meiden solle.