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III.
ОглавлениеIm Hause des hochangesehenen Baumeisters Ambrosius Bauernfeind herrschte jene frohe Unruhe, welche mit den Vorbereitungen zu einem gern begangenen Fest eng zusammenhängt.
Frau Barbara Hähnlein, eine entfernte Verwandte der schon lang verstorbenen Hausfrau, welche bei Eva, des Baumeisters Tochter, in kluger, gütiger Weise die Mutterstelle vertrat, stieg mit ihren alten Füßen unverdrossen treppauf, treppab, gleicherweise um die Gastzimmer, sowie um Küche und Keller besorgt.
Auch Eva hatte alle Hände voll zu tun, aber sie war nicht so lebhaft und besonnen wie sonst. Ja, Eva Bauernfeind war seit einiger Zeit recht zerstreut. Aber die Ursache konnte keine unangenehme sein, denn niemals vorher hatte die schöne Patriziertochter ganz unbewußt den Kopf so hoch getragen und niemals hatte sie stolzer gelächelt, als in dieser Zeit.
Schon seit Wochen steckten die Dienstleute in dem alten Patrizierhause die Köpfe zusammen und tuschelten und wurden mit ihrer jungen Herrin stolz, denn es konnte nur mehr eine Frage der Zeit sein, daß ein Graf um Eva freite.
Der schöne Graf Valerian Lascienski war nämlich schon seit November fast täglich Gast im Hause, und daß er schier den Kopf verloren hatte im Umgang mit Eva, das konnte jeder sehen. Er zeichnete das Mädchen in überschwenglicher Weise aus, und aus seinem ganzen Wesen redete eine nur mit Mühe in den gehörigen Schranken gehaltene Leidenschaft.
Es war nur selbstverständlich, daß nicht nur Eva, sondern das ganze Haus stündlich seine Bitte um ihre Hand erwartete. Es lag in diesem Erwarten auch keinerlei Überhebung, denn die Bauernfeind waren ein uraltes, wappenberechtigtes Wiener Patriziergeschlecht und gar Ambrosius Bauernfeind hatte es verstanden, seinem Hause hohen Glanz zu verleihen. Er verkehrte mit dem ganzen Adel Wiens und war eine persona grata bei Hofe.
Daß er als einer der reichsten Männer Wiens galt, gab für sein sonstiges, wohlbegründetes Ansehen einen glänzenden Hintergrund ab. Natürlich war er auf echt wienerische Art auch im Überschwang gastfrei, weswegen denn Frau Hähnlein und die schöne Eva schier nie zur Ruhe kamen, was indessen beiden zur Freude wurde; denn auch sie waren ja echte Wienerinnen, lebhaft und geselligkeitsliebend. Und da sie allzeit ins Volle greifen konnten, war es wieder nur selbstverständlich, daß Gäste fast immer da waren und sich hier äußerst wohl befanden.
Unter denen, die seit etwa zehn Wochen am häufigsten kamen, befand sich Lascienski. Thanon hatte recht behalten. Der vornehme Kavalier, der zu Bauernfeind gekommen war, um mit diesem über den Bau eines Landhauses sich zu besprechen, hatte bald den Weg gefunden, der aus den Geschäftsräumen des Baumeisters in dessen Wohnung führte, wo die gute Frau Hähnlein in Entzückung geriet über das liebenswürdige Wesen Lascienskis, und wo Evas Eitelkeit es als äußerst süß empfand, wenn sie wahrnahm, daß dieser ausnehmend schöne Mann in eine nicht mißzuverstehende Gemütsverfassung geriet, wenn sie nur ins Zimmer trat.
Des Grafen Verliebtheit war tatsächlich so unverkennbar, daß Liesl, die Zimmermagd, welche beim Servieren so ihre Beobachtung machen konnte, schon nach Lascienskis zweitem Besuch dem Heinrich Traudel, einem Gesellen des Meisters, lachend berichten konnte: „Schier geschluckt hat er sie mit den Augen. Auf Essen und Trinken hat er vergessen. Hätt’s mein Lebtag nicht geglaubt, daß so ein vornehmer Herr, wenn er verliebt ist, sich nicht anders gibt als unsereins.“
Der Heinrich Traudel hörte ihr ganz still zu; aber als sie ihn allein ließ, ballte er die Hände und murmelte: „Herrgott! Nur den soll sie nicht nehmen. Ich spür’s, daß der kein guter Mensch ist!“ Und dann schluckte er ein paarmal, beugte sich wieder über das Reißbrett und zeichnete weiter.
So stand es schon Ende Dezember im Bauernfeindschen Hause und jetzt schrieb man den einundzwanzigsten Januar, der hier immer als Festtag gefeiert wurde, denn am einundzwanzigsten Januar vor achtundfünfzig Jahren war der jetzige Herr des Hauses geboren worden. Schon am Vormittag hatte Lascienski einen Korb voll dunkelroter Nelken von einer ganz besonderen Art gesendet, um die Festtafel und den Sessel des Hausvaters damit zu schmücken, eine Vertraulichkeit, die sich nur einer erlauben durfte, welcher diesem Hause schon sehr nahe stand. Andreas hatte die wunderschönen, seltsamen Blumen gebracht. Er war dabei zufällig, vielleicht aber auch nicht ohne sein Dazutun, Frau Hähnlein in den Weg gekommen, und ein strahlendes Lächeln, ein Becher guten Weines sowie ein funkelnagelneuer Taler waren sein Botenlohn gewesen. Evas Erröten beim Betrachten der Nelken sah niemand als ihr Vater — aber seltsam! Dieser Mann zeigte wenig Freude an dem feinsinnigen Geschenk, das so viel andeutete und so viel verriet. Nach einem flüchtigen Blick auf die Blüten verließ er wortlos das Gemach. Eva sah ihm betreten nach.
War etwas Ungutes zwischen ihm und Lascienski? Hatte er nicht selber den Grafen freudig in sein Haus geführt und ihn nicht immer als ganz besonders lieben Gast ausgezeichnet? Und hatte nicht er selbst vor etlichen Wochen freudig gesagt: „Eva! Nimm die weißen Perlen zu deinem weißen Atlaskleid. Lascienski versteht den Wert eines Schmuckes und den Wert einer schönen Frau abzuschätzen. Ich will, daß du um nichts anderes aussiehst, als die Frauen seines Kreises und ich meine, er will das auch.“ Es lag damals in des Baumeisters Worten mehr als nur ein Hoffen, es lag darin schon eine sichere Erwartung. Und heute, nachdem der Graf sich noch enger an sie und ihren Vater angeschlossen, da in jeder Stunde seine Werbung zu erwarten war, zeigte der Vater eine solche Verstimmung?
Vielleicht ist es nur Ärger im Geschäft, dachte Eva und die böse Laune kam von dieser Seite? Gegen Mittag trug sie wieder das milchweiße, schleppende Atlasgewand und die fünffache, berühmt schöne Perlenschnur, welche schon so manche ihres Geschlechtes vor ihr getragen; an ihrer Brust aber glühte eine der blutroten Nelken, die Lascienski gesandt hatte.
So zum Feste angetan, betrat sie den vierfenstrigen Saal, in dem schon die Verwandten versammelt waren. Auch etliche Wiener Freunde des Hauses befanden sich schon in dem großen, vornehm ausgestatteten Raum, dessen dunkles reichgeschnitztes Getäfel gar zu ernst gewirkt hätte, wenn nicht die alten, köstlichen, hochlehnigen Ruhebetten und Stühle mit rosa Seide überzogen gewesen wären, wenn nicht auf den herrlichen Truhen prächtige, hellfarbige Decken gelegen hätten und wenn nicht aus den zierlichen Glasschränken, welche da und dort an den Wänden standen, das Aufblitzen kostbarer silberner und goldener Gefäße und der Edelsteine, mit denen manches dieser Prunkstücke besetzt war, zu sehen gewesen wäre.
Als Eva eintrat, richteten sich unwillkürlich aller Augen auf sie. Auch die ernsten, ruhig blickenden Augen eines Mannes, der die Uniform eines brandenburgischen Hauptmannes trägt, haben sich ihr zugewandt, und langsam, ganz langsam kommt etwas wie Freudigkeit in das Gesicht des Offiziers.
Der Hausvater und die anderen älteren Herrschaften sitzen in feierlicher Gemütlichkeit um einen ovalen Tisch, die jüngeren Leute, eine liebliche junge Frau, der brandenburgische Offizier, ein schlanker, blasser Mönch und ein junger Mann in der schwarzen Tracht der Hochschullehrer, stehen in einer der tiefen Fensternischen beieinander.
Eva kann es mit einem Blick sehen, daß Lascienski noch nicht anwesend ist. In ihrer sicheren Art die Gesellschaft begrüßend, entschuldigt sie sich wegen ihres späten Erscheinens. Ein Mann, der sich von den Dienern unten nicht hatte abweisen lassen, war ihr bei ihrem Gang nach dem Saal entgegengetreten und hatte sie um eine Unterredung gebeten. Da war sie in das nächste, in das Speisezimmer gegangen und hatte ihm geheißen, ihr zu folgen. Sie wußte nämlich, daß sowohl Muhme Barbara als auch die Liesl dort noch beschäftigt seien, daß sie also mit dem ihr ein wenig seltsam erscheinenden Fremden dort nicht allein sei. Aber der junge, schwarzhaarige Fremde hatte kaum die Schwelle überschritten, als er einen Schrei ausstieß und nach dem mit den Nelken überstreuten Tisch schaute, ihr selber dann die Blume, die sie am Leibchen trug, entreißen wollte, daran aber von der Liesl gehindert wurde. Daraufhin eilte der Fremde aus dem Zimmer. Die Liesl, das beherzte Ding, erreichte ihn noch und wollte ihn an dem Ende seines langen Mantels festhalten, da stach der Flüchtende mit einem Messer oder Dolch nach ihr und verletzte sie an der Hand. Danach entkam er ungehindert. Wie in den Erdboden war er verschwunden. Peter, der Pförtner, der aus seinem Stübchen rannte und ihm folgen wollte, konnte ihn nirgends mehr entdecken. Und dann hatte man ihr etwas, das der unheimliche Fremde verloren hatte, übergeben. Denn wer als dieser sollte eine Agraffe just im Momente seiner Flucht im Flur verloren haben?
Dies berichtete Eva und nun konnten die, denen sie es erzählte, begreifen, warum sie noch ein wenig blaß und erregt hereingekommen war. Sie legte den Fund vor ihren Vater hin. Indessen er ihn kopfschüttelnd zur Hand nahm und betrachtete, ließ er sich den Fremden beschreiben, Aber Eva konnte nur angeben, daß dieser jung und vornehm aussähe.
Als sie sich dann zum Fenster wandte, um die dort Stehenden zu begrüßen, kam ihr Magister Josef Schmutz mit dem Hauptmann entgegen. Er stellte ihr diesen vor. Er war sein Vetter, war ein Freiherr und hieß Wolf Dietrich von Thorgau. Er war mit einem Schreiben des Kurfürsten an den Hofkriegsrat nach Wien gesandt worden und wollte hier die etlichen Wochen seines Urlaubes zubringen.
„Gestern abends“, fuhr der junge Gelehrte fort, „kam er hier an, mein Vetter. Da fragte ich mich geziemend bei Euerem Vater an, ob mein werter Gast in seinem Hause freundliche Aufnahme finden könne und da hieß es, ich solle Wolf Dietrich gleich heute mitbringen.“
„Was, Ihr, Herr Magister, denn auch zu meiner Freude getan habt“, sagte Eva, dem Hauptmann die Hand reichend. Der Freiherr zog diese schöne, wohlgepflegte Hand an seine Lippen.
„Diese Hand ist kalt, Fräulein“, sagte er, „noch wirkt der Schreck in Euch nach. Ich bin zu bedeutsamer Stunde in dieses Haus gekommen!“
„Es scheint so zu sein, Herr von Thorgau“, erwiderte Eva. „Wenigstens für mich war der Vorfall bedeutsam, denn er zeigte mir, daß ich einen Todfeind habe.“
„Gewöhnlich kennt man seine Todfeinde oder wenigstens die Richtung, in der man sie zu suchen hat.“
„Ich kenne den nicht, der mich bis zum Morden haßt.“
„Seltsam! Wenn man nicht annimmt …“ Der Hauptmann konnte seinen Satz nicht zu Ende führen, denn Evas Aufmerksamkeit galt einem, der soeben eingetreten war. Thorgau trat ein wenig hastig zurück, weil er sah, daß in die Wangen des schönen Mädchens eine zarte Röte kam.
Wie magnetisiert von der Schönheit und dem eigentümlichen Reiz, den der Edelmann sichtlich auf alle hier Anwesenden ausübte, ging Eva ihm einige Schritte entgegen.
Einer Königin glich sie in diesem Augenblick, nicht einem liebenden Mädchen. „Wer ist dieser schöne Mann?“ fragte der Hauptmann seinen Vetter, während Graf Lascienski an Evas Seite den Hausherrn und dessen ältere Gäste lebhaft begrüßte.
Magister Schmutz, der junge Universitätslehrer und Vetter Thorgaus, warf einen scharfen Blick hinüber und antwortete: „Eben ein schöner Mann. Du hast seine Haupteigenschaft sofort herausgefunden. Nebstbei ist er ein Graf Lascienski und erzählt gern, daß er ein Günstling des Polenkönigs sei.“
„Ist er in politischen Angelegenheiten hier?“ erkundigte sich der Hauptmann.
Der Magister zuckte die Schultern. „Was ich von ihm weiß, ist nur, daß er sich seit etwa einem halben Jahr vortrefflich hier unterhält und auf ziemlich großem Fuße lebt; daß er bei allen Festen zu finden ist und dabei den Frauen die Köpfe verdreht. Eva ist’s nicht anders ergangen als den anderen, aber diesmal sitzt auch er fest. Man erwartet mit Recht, daß er um Eva werben wird.“
„So!“
„Was der Eitelkeit dieses ganzen Hauses ungeheuer schmeichelt.“
„Ei! Ist man hier so eitel?“
Magister Schmutz wurde plötzlich ernst.
„Weißt du“, sagte er, „es nimmt sich nicht gut aus, Übles zu reden über die, deren Gastfreundschaft man genießt. Meine schnelle Zunge hat aber nicht gelogen. Ja — die Bauernfeinds sind alle eitel und hoch hinaus. Das ist aber auch ihr einziger Fehler, denn sonst sind sie ein tüchtiges, ehrbares Geschlecht und gerechterweise hoch angesehen, weit über unsere Stadtgrenze hinaus.
„Und jetzt sag’ mir noch, wie es kommt, daß ein Bruder der stolzen Eva Mönch geworden ist?“
Der Hauptmann sah bei dieser Frage auf den jungen Mann in dunkler Kutte, der neben des Magisters Frau im Fensterwinkel stand.
Der Magister zuckte die Achseln. „Er ist eben einer von den Äpfeln, die weit vom Stamme fallen“, sagte er dann und ein weicher Zug kam in sein frisches, männliches Gesicht, als er weiter redete: „Einem einfacheren Menschen, als es Konrad Bauernfeind ist, der jetzt Bruder Anselmus heißt, bin ich noch nicht begegnet. Es hat ihn völlig hinausgetrieben aus dem Glanz und dem ewigen gastlichen Lärm dieses Hauses.“
„Welchem Orden gehört er an?“
„Kamaldulenser ist er und lebt nun schon seit drei Jahren im Kahlenberger Kloster. Nur selten, so bei Familienfesten ähnlicher Art, wie das heutige eines ist, sieht man ihn hier. Nun! Was haben denn die dort?“
Schmutz schaute zu dem Tische hin, um dessen weites, ovales Rund die älteren Besucher des Baumeisters gesessen und die sich bei des Grafen Herankommen erhoben hatten, um die nun beiderseitige Vorstellung mit geziemender, dem Adel nachgeahmter Steifheit zu absolvieren.
Ambrosius Bauernfeind, selber eigentümlich steif, machte den Grafen mit den anderen Gästen bekannt. Darunter war auch der Apotheker Martin Livonius, ebenfalls ein alter Freund des Hauses. Es war ein lieber, kluger Mann, dessen Interesse für wirklich Interessantes leicht geweckt war. Nebst Bauernfeind hatte e r sich am meisten über den seltsamen Angriff, dem eben vorhin Eva ausgesetzt gewesen und über den man soeben noch gesprochen, erregt.
Als Lascienski das Gemach betrat, hatte Livonius die Agraffe, welche Evas Angreifer verloren, soeben zur Hand genommen, um sie zu betrachten. Mit ihr trat er dem jungen Edelmann entgegen.
Sie wollten einander die Hand reichen, wobei Livonius sagte: „Seht, Herr Graf, was da einer verloren hat, der unserer Eva ans Leben wollte.“ Und er hielt ihm die Agraffe hin.
Da geschah, was den Magister Schmutz zu jenem Ausruf veranlaßte.
Lascienski vergaß ganz darauf, die dargebotene Rechte anzunehmen. Bleich werdend, wich er einen Schritt zurück, starrte auf die Agraffe und murmelte: „Ans Leben wollte? Was heißt das? Ans Leben wollte!“ Und während ihm mit wenigen Worten erklärt wurde, was soeben vorhin geschehen war, starrte er noch immer auf das Schmuckstück und wiederholte immer wieder: „Es ist unglaublich, unglaublich!“ und er griff mit bebender Hand nach der Agraffe. Plötzlich aber besann er sich, legte das blitzende Ding, an dem ein Büschel Reiherfedern befestigt war, auf den Tisch und wendete sich zu Eva, die gleich den anderen verwundert seine Fassungslosigkeit gewahrte.
Jetzt war er nur mehr der Liebende. „Gott sei tausendfacher Dank, daß Ihr dem ruchlosen Anschlag nicht zum Opfer gefallen seid“, sagte er tiefbewegt und zog Evas Hand voll leidenschaftlicher Zärtlichkeit an die Lippen. Dann richtete er sich auf und fuhr fort: „Und damit ich ein Recht habe, fortan Euch zu schützen …“
„Herr Graf! Dieses Recht behalte ich mir einstweilen noch selbst vor“, fiel der Hausherr jäh in die Rede und setzte sich sichtlich gewaltsam zur Ruhe zwingend, hinzu: „Und jetzt bitte ich meine lieben Gäste, mit mir zu Tisch zu gehen. Wir werden schon erwartet.“
Mit zierlicher Verneigung bot der Baumeister einer Dame die Hand, um sie aus dem Zimmer zu führen und wie er, taten die anderen Herren.
Graf Lascienski sandte Bauernfeind einen düsteren Blick nach, dann wendete er sich Eva zu, die völlig fassungslos die Worte ihres Vaters angehört hatte, und sagte: „Euer Herr Vater ist heute seltsam erregt. Ich will es ihm nicht nachtragen, denn es zittert eben noch die Angst um Euch in ihm nach — sonst …“ In seinen Augen war etwas wie Drohung.
Auch in Eva war jetzt alles Stolz und hohes Selbstbewußtsein, als sie antwortete: „Herr Graf! Wenn Ihr Nachsicht mit meines Vaters Erregtheit habt, dient diese freundliche Nachsicht unserem fernen Verkehr — denn sonst …“ Auch Eva beendete den Satz nicht. „Und nun gehen wir zu Tisch“, sagte sie lächelnd und legte die Spitze ihrer Finger in Lascienskis ihr rasch gereichte Hand.
Jetzt standen sie auf der Schwelle des Speisesaales; da hielten sie plötzlich inne. Sie sahen, daß Bauernfeind das Nelkengewinde, welches Eva selber vor einer Stunde um die hohe Lehne seines Stuhles gelegt, hastig entfernte und auf eine Truhe warf.
Lascienski ließ Evas Hand los. Heiser vor Zorn murmelte er etwas in seiner Muttersprache. Gleich aber fühlte das Mädchen ihre Hand wieder schier krampfhaft umschlossen und hörte seine Stimme dicht an ihrem Ohr: „Und dennoch werdet Ihr mein sein!“
So laut hatte er es gesagt, daß die zwei Männer, welche. hinter ihm und Eva standen, die Worte hörten. Anselmus’ Gesicht wurde rot und ein sehr weltlicher Zorn blitzte aus seinen Augen. Schon wollte er einen Schritt nach vorn tun — da hielt ihn der Hauptmann von einer Unbesonnenheit ab. „Frater“, sagte er leise, „Ihr müßt erst wissen, ob Eure Schwester vor diesem Manne behütet sein will — dann erst könnt Ihr Euer Bruderrecht üben.“