Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 44

Waldfrieden

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Wie gut ist es dort, wo Friede ist! Wenn ich an diesen Hochsommerabenden vor meiner Klause sitze und den Rosenkranz durch die Finger gleiten lasse, wenn es dann wie ein tiefes, ruhiges Atmen durch den Wald geht und die lieben Sterne verstohlen durch die Wipfel blinzeln, dann wird es mir so stillselig ums Herz, als wenn ich im Paradiese wäre.

Es würde mich gar nicht wundern, wenn der gute Herrgott selbst den Waldweg entlangkäme in einem blauen, goldgestickten Mantel und mit einem langen, schlohweißen Bart, viel länger und schöner als der meine. Ich würde ihm ehrerbietig entgegengehen und ihm die Vaterhand küssen, und er würde gnädig lächeln und sagen: »Friede mit dir, Waldbruder! Wie steht’s im grünen Walde?«

Er weiß es selbst am besten, aber er will es auch mal von anderen hören. Was müsste ich dann sagen? Die reine Wahrheit, denn man kann dem lieben Gott keinen blauen Dunst vormachen.

»Lieber Herrgott«, würde ich sagen, »es steht gut in deinem Walde, aber so gut doch nicht, wie es aussieht.«

Dann würde der Herrgott wieder lächeln, und vielleicht würde er auf meiner armen Holzbank Platz nehmen, und wenn ich dann, wie es sich für einen Knecht passt, drei Schritte weit vor ihm stünde, so sagte er wohl: »Komm, setz dich zu mir, Waldbruder, und schütte mir dein Herz aus.« Denn er ist ja ein guter Herr. Das Herz würde mir klopfen, wenn ich so an seiner Seite sitzen dürfte, und am nächsten Tag hätte meine alte Kutte einen goldenen Ärmel, da, wo sie den Mantel des Herrgottes gestreift hätte.

Dann finge ich an zu reden, wie ein Kind zum Vater: »Lieber Himmelsvater, es ist Unfrieden auch im Walde. Deine Geschöpfe vertragen sich nicht immer, wenn man auch an diesem schönen, stillen Abende nichts davon sieht.«

»Das kommt von der bösen Sünde, Waldbruder«, würde der Herrgott dann antworten, »die Sünde hat den Fluch gebracht über meine liebe Welt. Aber der Fluch wird einmal hinweggenommen. Einstweilen magst du sehen, ob du das Kleine beschützen und hier und da Frieden stiften kannst.« So ungefähr denke ich es mir, und danach suche ich zu handeln. Neulich noch habe ich den Häher weggescheucht, als er das Rotkehlchennest überfallen wollte. Die kleinen Vögel wissen es schon, dass sie einen Beschützer an mir haben. Sie nisten gern nahe bei meiner Waldklause; ein Schwalbenpärchen hat sogar drinnen genistet und weckt mich jeden Morgen reichlich früh. Wenn der Junker Marder kommt, dem gar nicht zu trauen ist, obwohl er neulich beim Waldgericht über Reineke ein sehr ehrbares Gesicht machte, oder sein Vetter Iltis, der nichts besser ist, oder Frau Eule, die alle Paragrafen im Gesetzbuche kennt, aber nicht immer danach handelt, dann rufen die kleinen Vögel mich zu Hilfe.

»Waldbruder, Waldbruder«, jammern sie dann, und ich springe flugs mit meinem Knotenstock daher und vertreibe die Räuber. Die kleinen Vögel haben mich zum Ehrenmitglied der Singvögelgilde ernannt, obschon ich gar nicht so schön singen kann wie sie. Und Frau Nachtigall hat eigens ein Lied auf mich gedichtet, das sehr schmeichelhaft für mich ist. Ich sage es euch aber nicht auf, sonst merkt ihr zu deutlich, dass ich etwas eitel darauf bin.

Bald nach dem Waldgericht über Reineke kam Küster Kuckuck zu mir und erzählte, Frau Füchsin sei fortgegangen und habe die beiden ältesten Jungen mitgenommen. Den Jüngsten, den kleinen Hosenmatz, habe sie zurückgelassen, und er sitze vor dem Bau und hungere und heule gottserbärmlich. Das Büblein tut mir leid. Ich habe es in meine Waldklause geholt.

Erst wollte es gar nicht mitgehen und schrie immer nach seiner Mama. Ich habe es kurzentschlossen in meinen Kuttenärmel gesteckt und mitgenommen. Jetzt ist es schon ganz zutraulich und spielt mit meinen weißen Mäuslein, die sich wieder vermehrt haben. Es sind jetzt zwölf, ein ganzes Dutzend. Ich hoffe, dass ich den kleinen Fuchs zu einem anständigen, braven Waldburschen erziehen kann. Ich werde allerdings meine Last mit ihm haben. Die Kartoffeln wollen ihm nicht recht schmecken, und gestern hat er einem Mäusefräulein das weiße Schwänzchen abgebissen. Es schämt sich sehr und will sich gar nicht von hinten sehen lassen. Der kleine Fuchs hat die Rute bekommen und Besserung gelobt.

Er ist auch sonst ein lieber Kerl und heißt »Putzi«, weil er so drollig ist.

Ja, man hat oft seine Not mit dem Friedenstiften. Vorgestern zankten sich Frau Amsel, die ernste Person, und Frau Starin, die ein bisschen frech ist, gerade vor meiner Tür um einen Regenwurm und sagten sich die gröbsten Anzüglichkeiten. Der Wurm war schon tot.

Da habe ich ihn mit einem Spaten durchgeteilt und gesagt: »Nehmt jeder die Hälfte und vertragt euch!« Frau Amsel war zufrieden, aber Frau Starin sagte, sie hätte das kleinste Stück bekommen, und sie hätte mehr Kinder als Frau Amsel. Sie sind gerade wie die Menschen, diese Vögel.

Jungfer Reh ist ganz verträglich und spielt artig mit dem Brüderchen. Aber sie nagt zuweilen die Spitzen von den jungen Bäumchen, und das kann Herr Förster nicht leiden. Auch über Meister Lampe, den Hasen, kann ich nicht klagen. Er macht immer ein Männchen, wenn ich ihm begegne, und ist sehr höflich.

Aber einmal habe ich ihn doch bei einer Prügelei getroffen. Er gab einem Bruder tüchtige Pfotenhiebe über die Löffel, und der war auch nicht faul und trommelte wider mit aller Kraft. Ich wollte ihnen eine strenge Bußpredigt halten; ich hatte noch eine vorrätig, die ich für Reineke gemacht hatte und die ich leicht umändern konnte, sodass sie gut gepasst hätte.

Aber die beiden laufen mir zu schnell davon.

Das Ärgste hat Junker Marder begangen. Vor meinen Augen hat er das Eichhörnchen durch die Bäume gehetzt und ihm zuletzt trotz meines Scheltens die Kehle durchgebissen. Mein Freund, der Förster, will eine Knüppelfalle aufstellen für den Marder.

Es tut mir leid, aber er hat es verdient.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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