Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 46
Die Waldhochschule
ОглавлениеDiesmal kann ich euch ein Ereignis berichten, das jedenfalls euer besonderes Interesse erregen wird. Es ist die kürzlich erfolgte Gründung unserer Waldhochschule.
Da macht ihr Augen, nicht wahr? Damit ihr den rechten Respekt bekommt, will ich euch auch gleich sagen, dass euer Waldbruder einstimmig zum Leiter der Schule erwählt worden ist. Da es nun eine Hochschule ist – unter dem tun wir es nicht –, so bin ich also Hochschuldirektor und kann Anspruch machen auf den Titel »Magnifizenz«. In meiner Bescheidenheit habe ich mir diesen Titel aber verbeten, und ihr dürft mich nach wie vor einfach »Waldbruder« nennen. Nur Frau Eule, die große Stücke auf das gelehrte Wesen hält, redet mich hartnäckig mit Magnifizenz an. Sie lässt es sich nicht nehmen. Dafür erwartet sie aber auch, dass man sie »Frau Dekanin« tituliert. Sie bekleidet nämlich die Dekanswürde in der juristischen Fakultät, das will sagen, in der Abteilung für Rechtsgelehrsamkeit.
Von Frau Eule ist die Idee, eine Waldhochschule zu gründen, ausgegangen. Ich hatte deshalb auch vorgeschlagen, ihr den Ehrentitel »Universitäts-Mutter« zu geben. Das hat sie aber abgelehnt, doch hört sie es gern, wenn man jene Ehrenbezeichnung gebraucht, die dem Dekan zusteht, nämlich »Spektabilität«. Das heißt soviel wie Ansehnlichkeit, während Magnifizenz Großmächtigkeit bedeutet. Ich habe den Eindruck, dass Frau Eule den Titel Spektabilität deshalb so sehr liebt, weil er durch seinen Klang lebhaft an Speck erinnert. Speck isst sie nämlich sehr gern.
Die Gründung ging nicht ganz glatt vonstatten. Frau Eule hatte schon einige Male geäußert, es sei bedauerlich, dass die Bildung bei uns im Walde viel zu wünschen übrig ließe, von Wissenschaft ganz zu schweigen. »Außer Euch und mir«, sagte sie, »gibt es kaum einen, der lesen und schreiben kann, und was das Rechnen anbetrifft, so können die meisten nicht bis drei zählen. Frau Amsel zum Beispiel merkt es gar nicht, wenn der Häher ihr ein Ei aus dem Neste stibitzt, solange noch ein oder zwei darin bleiben. Und Frau Meise weiß niemals, wie viele Kinder sie hat. Die Person treibt allerdings auch große Verschwendung mit dem Kindersegen.«
»Nun«, sagte ich, »der kleine schwarze Taumelkäfer auf dem Waldteiche schreibt doch sehr flott und macht die schönsten Schnörkel, indem er auf der Oberfläche des Wassers herumfährt. Man nennt ihn ja auch das Schreiberlein.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Ach, der kann ja selbst nicht lesen, was er schreibt, und andere Leute können es auch nicht.«
Nach kurzem Besinnen fuhr sie fort: »Was wäre das für ein Gewinn für die Wissenschaft, wenn jedes Geschöpf im Walde seine ausführliche Lebensbeschreibung verfassen würde. Dann würde auch viel dummes Zeug aus den Menschenbüchern verschwinden.«
Das leuchtete mir ein, und halb im Scherz warf ich die Bemerkung hin: »Wenn schon, denn schon! Gründen wir eine Schule, dann müsste es gleich eine Waldhochschule sein. Man muss sich das Ziel hochstecken.«
Frau Eule sah mich nachdenklich an, rückte ihre Haube zurecht, murmelte etwas vor sich hin und verabschiedete sich. Am nächsten Morgen, früh in der Dämmerung, klopfte sie an mein Fensterlein:
»Waldbruder, ich habe gleich alles in die Wege geleitet. Heute Abend ist Versammlung zur Gründung einer Waldhochschule. Punkt acht Uhr am Unkenteich. Ihr übernehmt doch den Vorsitz?«
Nun, man will ja nicht gern als ein Vertreter der Volksverdummung dastehen, und so sagte ich denn zu. Ich war sehr gespannt auf das Ereignis. Es fiel glänzend aus.
Als ich um acht Uhr beim Unkenteich ankam, wimmelte es von Volk. Vorläufig konnte man eher an alles andere als an eine Hochschule denken, so ging das Gezwitscher und Geplapper durcheinander. Als ich um Ruhe bat, verstummte alles und sperrte Maul oder Schnabel auf. Ich eröffnete die Versammlung, legte kurz den Plan der beabsichtigten Gründung vor und erteilte Frau Eule das Wort. Sie putzte die Brille, spuckte etwas Mäusewolle aus und hielt dann einen langen, scharf durchdachten Vortrag über den Nutzen der Wissenschaft, erstens im Allgemeinen, zweitens im Besonderen, drittens im Walde. Die meisten Vögel schliefen während des Vortrages ein, wurden aber wieder wach, als sich eine lebhafte Debatte anknüpfte. Frau Häsin fragte, ob an der neuen Schule auch Kochunterricht gegeben würde. Frau Eule verneinte es, stellte aber in Aussicht, dass eine Vorlesung gehalten werden sollte über Nahrungsmittelchemie, was Frau Häsin wenig zu interessieren schien.
»Ich meine«, sagte sie, »die Zubereitung des Winterkohls wäre viel wichtiger. Er liegt meinem Manne immer so schwer im Magen.«
»Du musst ihn auch gut durchfrieren lassen«, bemerkte Frau Kanin und fragte dann, ob an der Schule auch Handarbeit gelehrt würde. »Denn«, sagte sie, »die Kinder verschleißen schrecklich viele Socken, und die jungen Mädchen lernen gar kein ordentliches Stopfen mehr.«
Frau Eule lehnte auch die Handarbeit ab und meinte, sie sei Sache der Familienerziehung. Frau Graudrossel erkundigte sich nach dem Gesangunterricht. Dieses Fach müsste besetzt werden, erwiderte Frau Eule, und sie hoffe, dass Frau Graudrossel selbst die praktischen Übungen übernehmen würde.
Da meldete sich Küster Kuckuck und sagte: »Besonders wichtig sind die Treffübungen, denn es kommt alles auf die richtigen Tonintervalle an. Wenn einer die Terz rein herausbringt, dann ist schon viel gewonnen. Ich bin bereit, diese Spezialübungen zu leiten.«
»Gut«, entschied Frau Eule, »damit aber die Wissenschaft zur Geltung kommt, müsst Ihr auch ein Kolleg halten über Geschichte und Theorie der Musik.« Meister Kuckuck machte sich stark dafür.
»Wie ist es mit dem Turnen?«, rief der älteste Sohn von Frau Eichhörnchen und machte gleich ein paar gymnastische Übungen an seinem Ast, die große Welle, die kleine Welle und sonst noch allerlei.
»Gymnastik und Rhythmik gehören dazu«, sagte Frau Eule.
»Auch das Tanzen?«, fragte Fräulein Hermeline Wiesel und brüstete sich trotz der Sommerwärme mit seinem weißen Pelz.
»Auch«, sagte Frau Eule, »aber eine wissenschaftliche Grundlage …«
»Auch das Rudern?«, unterbrach sie ein Froschjüngling.
»Gewiss«, sagte Frau Eule, und da merkte ich an dem Beifall der jungen Welt, dass die Sache gewonnen war. Nur schien mir die eigentliche Wissenschaft etwas zu kurz zu kommen.
Frau Eule war offenbar derselben Meinung und gab dieser Meinung beredten Ausdruck, unterstützt von Meister Grimbart, dem Dachs.
»Kommilitonen«, schnarrte er mit einem Bierbass, wie ein alter bemooster Bursche ihn sich nicht besser wünschen kann, »das sind doch alles mehr oder weniger Fisimatenten …«
»Nieder mit dem Kerl!«, riefen die sämtlichen Frosch- und Eichhörnchenjünglinge.
Aber Meister Grimbart fuhr ruhig fort: »Meinethalben kann das alles dabei sein, aber die Hauptsache ist strenge Wissenschaft. Ich zum Beispiel bin gern bereit, eine Vorlesung zu halten über Geschichte und System der Philosophie, besonders über Metaphysik und Metapsychik mit Einschluss der Mystik und des Okkultismus …« Hier wurde er durch einen starken Lärm unterbrochen.
Ich hielt es an der Zeit einzugreifen. So machte ich den Vorschlag, die Sache an eine Kommission zu verweisen. Das fand allgemeinen Beifall. Gewählt wurden Frau Eule, Meister Grimbart, der Waldbruder und Krax junior, der Frosch. Wir sollten nun die Statuten entwerfen, die akademischen Lehrer anwerben und das Verzeichnis der Vorlesungen aufstellen. Arbeit genug! Ihr könnt euch denken, dass euer Waldbruder jetzt alle Hände voll zu tun hat.