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Wissenschaft im Walde

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Ihr werdet sicher gespannt sein auf die weitere Entwicklung unserer Waldhochschule. Das Ding ist am Rollen. Aber es waren doch noch manche Schwierigkeiten zu überwinden. Ich hatte viel zu tun, um zwischen den verschiedenen Richtungen zu vermitteln. Die ersten Sitzungen der Kommissionen verliefen etwas stürmisch. Frau Eule hat sich stark auf die reine Wissenschaft verbissen, und Meister Grimbart stimmt ihr bei. Die beiden sind dicke Freunde geworden und wollen ein sehr gelehrtes Lexikon herausgeben, worin sämtliche Dialekte des Waldes verzeichnet stehen, sogar die stumme Fischsprache.

Krax junior spricht immer von Leibesübungen und studentischen Verbindungen und akademischer Freiheit und führt ein großes Wort mit seinem breiten Maule. Er hat bereits einen Ruderklub gegründet, und wie man hört, feiern die Frösche jeden Abend einen Kommers im Unkenteiche. »Saufgelage« nennt es Frau Eule. Die Frösche haben sich ein Kommersbuch angeschafft und brüllen alle möglichen Studentenlieder und trinken sehr viel dazu – zum Glück bloß Wasser.

Die Eichhörnchen haben einen Turnverein gegründet unter dem Namen »Gutsprung«. Die Junker Marder sollen mit dem Gedanken umgehen, ein Korps zu stiften, und suchen einen passenden Paukboden für die Mensur. All dies bezeichnet Frau Eule als »Auswüchse«. Sie hat diesen Ausdruck aber auf meine Veranlassung zurückgenommen; andernfalls wollte Krax junior aus der Kommission austreten.

Endlich kam doch eine Verständigung zustande. Für die Statuten wurde eine Unterkommission ernannt, Frau Eule und ich. Wir wollen uns die Sache reiflich überlegen und gründlich ausarbeiten. Sodann wurde ich als Rektor erwählt, was ich ja schon berichtet habe.

Zugleich muss ich die theologischen Vorlesungen übernehmen; ich halte ein Kolleg über die Tier-, Vogel- und Pflanzenwelt im Alten und Neuen Testamente mit besonderer Berücksichtigung des Waldes. Meister Grimbart, der eigentlich die philosophische Abteilung übernimmt, will nebenbei auch die Theologie unterstützen. Er liest über ein asketisches Thema, nämlich über die gründliche Anfettung als Voraussetzung eines langandauernden Fastens während des Winterschlafes.

Frau Schnecke hat sich erhoben, ein philosophisches Thema behandeln, nämlich das höhere und das niedere Seelenleben der Kriechtiere. Frau Eule vertritt ganz allein die Rechtsgelehrsamkeit. Sie hält Vorlesungen über Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie, über den Zivil- und Strafprozess und stellt praktische Übungen an im Lesen der Pandekten.

Die medizinische Abteilung ist nicht übel vertreten durch Junker Edelmarder. Er verlangt aber für seine chirurgischen und anatomischen Übungen jede Woche ein Versuchskaninchen. Das scheint uns etwas viel zu sein, und ich bin überhaupt dagegen. Sein Kollege, Junker Steinmarder, verlangt bloß wöchentlich eine Maus. Er will über innere Krankheiten lesen, mit besonderer Berücksichtigung der Bakteriologie.

Meister Lampe, der Hase, will ein Kolleg halten über höhere Mathematik, Frau Fledermaus über Sternkunde und Krax junior über die neuere Atomlehre. Wir wissen aber nicht recht, ob diese drei die nötigen Lehrbefähigungen besitzen. Die anderen Fächer sind noch nicht besetzt, aber wir dachten, wir könnten schon den Anfang machen. Das Weitere würde sich schon finden.

Nun ist der wissenschaftliche Betrieb in vollem Gange. Gehälter werden nicht gezahlt; jeder muss sich selbst suchen, was er braucht, wie das im Walde immer so gewesen ist.

Zunächst haben sich sämtliche Hochschullehrer eine Brille angeschafft und sehen nun sehr gelehrt aus. Zur Eröffnung der Waldhochschule wurde ein feierlicher Akt abgehalten, bei dem ich als Rektor eine Programmrede vom Stapel lassen musste. Frau Graudrossel hatte in der Eile einen akademischen Gesangchor zusammengestellt, der seine Sache recht gut machte. Nur Meister Kuckuck behauptete, eine Terz sei etwas zu tief genommen worden. Dann trug Jungfer Reh ein selbstverfasstes, sehr gefühlvolles Gedicht vor, blieb aber leider mitten darin stecken, weil sie in ihrer Schüchternheit Herzklopfen bekam.

Im Allgemeinen sind die Vorlesungen gut besucht. Nur im Kolleg von Frau Eule ist es leer. Sie spricht entsetzlich langweilig und blättert immer in den Gesetzbüchern, weil sie die richtigen Paragrafen nicht finden kann. Ich glaube, es gibt auch viel zu viele Paragrafen.

Die medizinischen Vorlesungen fallen aus, weil weder die Kaninchen noch die Mäuse sich zur Verfügung stellen wollen.

Die beiden Junker Marder haben richtig ein Korps gegründet. Sie tragen weiße Stürmer, und man muss sich in Acht nehmen, sonst wird man von ihnen angerempelt. Auch ist zu beklagen, dass die Frösche vielfach das Kolleg schwänzen; sie kommersieren zu viel und schlafen dann den halben Tag.

Frau Eule liest allerdings immer des Abends in der Dämmerung, weil sie dann am besten sehen kann. Aber dann kommen die Frösche auch nicht, weil sie beim Dämmerschoppen sitzen.

Dem Meister Lampe ist die Lehrbefugnis für Mathematik aberkannt worden, weil er steif behauptete, zwei mal zwei sei fünf, ohne es beweisen zu können.

Im Übrigen geht alles flott und glatt. Frau Häsin besucht sehr fleißig das Kolleg von Meister Grimbart über die Anfettung, wie man sieht, mit bestem Erfolge. Nur plagt sie den Professor in jeder Stunde mit der Frage der besten Zubereitung des Winterkohls.

Wie man hört, will der Studiosus Karl Eichhorn junior seinen Doktor machen. Er hat eine Arbeit eingereicht mit dem Titel »Über den richtigen Absprung zum Weitsprung und über die Verwendung des Schweifes als Fallschirm beim Gleitsprung«. Sein Bruder, Fritz Eichhorn, tritt ihm entgegen mit der Behauptung, der Schweif sei mehr als Steuer zu benutzen und habe als Fallschirm weniger Bedeutung. Er arbeitet an seiner Gegenschrift mit dem Titel »Über die waagerechte Beinspreizung als Fallschirm unter Berücksichtigung der Schweifsteuerung«.

Professor Heuschreck soll als Sachverständiger über die Streitfrage entscheiden. Da er selbst über keinen Schweif verfügt, will er ein Gutachten von Frau Elster und Fräulein Buchstelze anfordern. Diese beiden gelehrten Damen haben sich aber in einem Disput stark veruneinigt und dabei heftig mit den Schwänzen gewippt. Zuletzt gerieten sie sich in die Haare, das heißt in die Federn. Bei alledem ist es zweifelhaft, ob die Streitfrage entschieden werden kann.

Ihr seht, die Wissenschaft ist nicht so leicht. Man hat einen schweren Stand, wenn man Universitätsrektor und Magnifizenz ist wie euer Waldbruder.

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