Читать книгу In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt - Страница 50

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Da sah ich den Rhein mächtig und breit dahinziehen und sah viele qualmende Schornsteine. Ich bin schnell weitergeflogen, denn ich wollte mir mein weißes Kleid nicht rußig machen. Nun bin ich aber über deinem großen Walde und atme ordentlich auf. Er gefällt mir wohl, und es riecht auch so gut hier, aber bleiben darf ich nicht.«

»Wohin geht es denn weiter?«, fragte ich.

»Über das weite, deutsche Land«, sagte das Sommerwölkchen, »ach, das ist schön, mit seinen grünen Bergen und goldenen Feldern und silbernen Flüssen und roten Städtchen! Dann kommen die hohen Alpen. Die solltest du sehen, Waldbruder! Wir ein gewaltiger Marmordom ragt das Hochgebirge in die blaue Luft. Ich war schon einmal dort und freue mich, wieder hinzukommen. Aber kalt ist es dort oben, da werde ich zu Schnee und muss dort eine ganze Weile rasten auf dem höchsten Gipfel, von dem man die weite Welt überschaut.«

»Da wäre ich nicht so gern dabei«, meinte ich, »jedenfalls würde ich mir warme Wollsocken anziehen.«

»Es kommt bloß auf die Gewohnheit an«, lachte das Wölkchen, »den ganzen Winter darf ich dort oben wohnen und sehe die stolzen Adler kreisen und höre die Murmeltiere pfeifen. Im Frühjahr aber mache ich eine Rutschpartie. Heißa, dann geht es mit einer Lawine donnernd zum Tal, das ist ein herrlicher Sport, noch ganz anders als Skilaufen und Telemarkensprung. Ich will mich aber in Acht nehmen, dass ich keine Häuser und Almhütten umreiße. Dann schmelze ich in der Frühjahrssonne, und nun kommt die unterirdische Reise. Ich dringe tief in die dunklen Gründe der Erde und betrachte ihr verborgenen Geheimnisse, das harte Gestein und das schimmernde Erz. Zuletzt komme ich dann in einer Quelle wieder ans Licht. Ach, man freut sich so sehr, wenn man die Sonne wiedersieht!«

»Das kann ich mir denken«, sagte ich, »und da wäre ich auch gern dabei.«

»Du?«, lachte das Sommerwölkchen, »du würdest alle Knochen zerbrechen, denn das geht nicht so langsam und bedächtig, sondern mit allem Mutwillen. Ich springe und schäume von Fels zu Fels und stürze mich turmhoch hinunter. Purzelbäume schlage ich ohne Zahl, und nebenbei gebe ich den Alpenrosen und dem Edelweiß etwas zu trinken.

Der Tessin führt mich dann in den schönen Lago Maggiore. Da stehen die alten Kastanienwälder. Da sind die Städtchen nicht rot wie in Deutschland, sondern weiß. Da glühen die Orangen im dunklen Laub, und die Sonne! Die Sonne ist dort herrlich und der blaue Himmel unvergleichlich. In dem schönen See will ich nach Herzenslust tanzen und will mir auch die wunderbaren Borromäischen Inseln ansehen. Was da für Blumen blühen, kannst du dir gar nicht denken.«

»Bleibst du denn dort?«, fragte ich.

»Bewahre!«, rief das Wölkchen, »bleiben darf ich nirgends. Ich wandere in die blaue Adria und dann nach Süden weiter. Auswendig weiß ich nicht alles, aber es steht auf meinem Fahrschein. Ich komme durch die Meerenge von Gibraltar und soll im Golf von Biskaya einen Seesturm mitmachen. Da will ich aber den großen Wogen tüchtig brüllen helfen. Als Nebel besuche ich die große Stadt London und plage die zähen Engländer ein bisschen. Vielleicht muss ich noch zum Nordpol hinauf, wo die Eisbären hausen. Doch da ist Bruder Wind wach geworden, nun geht’s weiter. Lebe wohl, Waldbruder!«

Das Laub am Baume fing an zu säuseln und zu rauschen. Schnell spannte das Wölkchen die Flügel auf wie weiße Segel, und leicht wie eine Feder flog es davon.

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber

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