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SECHS

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Der Senegal liegt direkt an der Westküste Afrikas. Seine Hauptstadt heißt Dakar und greift wie ein Enterhaken in den Atlantik hinaus. Man spricht: französisch.

Mit diesem Schulbuchwissen und einem Klick auf Google-Maps als Vorbereitung hätte ich bei jeder noch so trivialen Quizshow Schiffbruch erlitten. Aber mehr war seit Kais Anruf zeitlich nicht drin gewesen.

Die Tür öffnete sich und wir wurden von einem lokalen Vertreter der German Imperial Cargo begrüßt. Was mir sofort auffiel: Afrika riecht anders. Nein, bitte, nichts gegen den freundlichen Frachtagenten. Der war so was von frisch geduscht.

Es war die Luft, die er von draußen mitbrachte. Wie wenn man in eine fremde Wohnung kommt. Da riecht es auch anders als daheim. Deswegen fällt es einem ja auf. So was wie Afrika hatte ich in meinem kleinen Dasein noch nicht gerochen. Einem Kenner der Weinsprache wären zur Beschreibung vermutlich folgende Begriffe einfallen: Palisander, gestochener Torf, Lockmittel der männlichen Silbergrasmücke und frisch aufgebrochenes Ciabatta.

Mein Urteil lautete: frische Berggorillalosung, Wäsche, die man nach dem Sport in eine Plastiktüte gegeben und dort vergessen hat und ein ordentlicher Reifen-Schwelbrand.

Das ging mir durch den Kopf, als mir der Einreisebeamte in seiner spack-sitzenden Uniform einen Stempel in den Pass drückte und mich gnädig durchwinkte. Es war wie überall. Einreisemeister ist weltweit die erste Wahl für Leute mit ausgeprägtem Geltungsbedürfnis bei gleichzeitig überschaubarem Ehrgeiz.

Kurze Zeit später saßen wir in dem Bus, der uns ins Atlantic Star Beach Hotel brachte. Ein Etablissement, das unmittelbar nach seiner Erbauung in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts gute Zeiten gesehen haben mochte. Jetzt rochen die Zimmer bestenfalls noch nach Klimaanlage. Der Fußboden war mit hochfloriger Teppichware ausgelegt. Einer jener Teppiche, die einem stets ein bisschen zu feucht erscheinen. So, dass sich unangenehme Gedanken aufdrängen nach der Herkunft dieser Feuchtigkeit. Aber – und dieser Vorteil wog schwer: Die Zimmer hatten Betten und Vorhänge.

Dass ich mich nachmittags noch immer nicht ausgeschlafen fühlte, lag an meinen Ohrstöpseln. Ich hatte sie zu Hause liegenlassen. Benny streitet es zwar vehement ab, aber der Kerl schnarcht. Mal mehr, mal weniger. Daraufhin hatte ich mich an den Pool geflüchtet.

Ich lag flach auf der Liege und blinzelte. Hoch über mir wedelten Palmblätter in der Meeresbrise. Von der Bar schwappten Pianoklänge herüber.

Neben mir schlummerten die Unterlagen für den Medizinertest, doch ich konnte mich nicht aufraffen. Ich war matt. Jetzt ein bisschen dösen und vielleicht fühlte ich mich nachher fitter. Ich entspannte mich zusehends.

Fast könnte man meinen, man sei im Urlaub. Wären da nicht diese elendigen Fliegen. Ich weiß nicht, weshalb man für die Biester ausgerechnet dann besonders interessant ist, sobald man die Augen zu hat. So clever können die doch nicht sein, dass die das checken. Zielstrebig landen sie an den Stellen, wo man sie nicht gebrauchen kann. Ich strich mir über den Mundwinkel. Sekunden später über das Nasenloch. Ich schüttelte den Kopf. Fliege am Ohr. Fliege am Auge. Ich wurde zunehmend unlocker. Fliege auf der Stirn. Vielleicht konnte ich sie mit der flachen Hand ... weg! Fliege erneut im Nasenloch! Fliege erneut im Mundwinkel!

»Ahhhhhhhh, du Scheißvieh!« Ich fuhr hoch.

Benny kippte nach hinten und purzelte über eine Liege. Er hatte sich nicht wehgetan, sondern lachte aus vollem Hals. Er hielt das Corpus Delicti, einen einfachen senegalesischen Grashalm, noch immer in der Hand.

»Arsch!!!«

»Du bist echt der Hammer!«, Benny rappelte sich auf. »Wie lange man dich piesacken muss, bis mal eine gescheite Reaktion kommt!«

Ich hatte den Kerl nicht kommen hören. Und Daisy, die neben mir lag, hatte auch nichts gesagt.

»Da hat man im Zimmer schon keine Ruhe vor dir und jetzt gehts am Pool weiter, oder?«

Benny winkte ab. »Wollte nur sehen, ob du schläfst.«

»Danke, jetzt nicht mehr.« Ich streckte mich. »Ich habe vor mich hingedöst. Nachdem ich das Zimmer mit jemandem teilen durfte, der mit sich selbst um die Wette geschnarcht hat.«

»Aloha!«, unterbrach Kai mein Gejammer. Er sah in Boardshorts und Flip-Flops nicht mehr wie ein Flugkapitän aus.

Auf seinem Zeigefinger jonglierte er einen Plastikball. »Meine Damen und Herren, wie sieht's aus, wer hat Lust auf ne Runde Volleyball im Pool?«

»Sorry, Kai, ich mach noch bisschen Pause, später vielleicht.« Mir war nicht nach körperlichem Einsatz.

»Logisch, immer!« Benny zog sein Polohemd aus und trabte hinter Kai her.

Mit einem Stöhnen drehte ich mich auf den Bauch. Na Bravo! Nun guckte ich direkt auf den Stamm meiner Schattenpalme. Irgendwo dahinter musste der Atlantik liegen.

»Du-u ...«, begann Daisy wenig später.

»Hm.«

»Darf ich dich was Persönliches fragen?«

»Klar, frag.«

»Hast du eine Freundin?«

Hä? Was sollte das jetzt?

»Nicht so richtig«, grunzte ich und schob ein »wenigstens nichts Festes« hinterher.

Daisy legte die Zeitschrift zur Seite, stützte ihren Kopf auf die Hand und schaute mich durch ihre Sonnenbrille an. »Und warum nicht?«

Tja, warum eigentlich nicht? Ich zupfte ein paar Palmfasern ab und rollte sie zwischen den Fingern hin und her. »Also, Benny und ich haben das alte Haus meiner Oma renoviert. Das war ein Haufen Arbeit. Dann umziehen, mich um das Medizinstudium kümmern und mich wegen meiner Blutphobie schlaumachen. Ach ja, und arbeiten musste ich auch noch.« Ich schickte ein Lächeln in Daisys Richtung, von dem ich hoffte, dass es überzeugender aussah, als es sich anfühlte. Warum fragte sie mich so direkt? War das ein Verhör? Oder wollte sie etwa was? Nein, sie trug einen Ehering. Und außerdem ...

»Du hast im Moment keine Zeit für Frauen. Das willst du sagen, hab ich recht?«

»So ungefähr.« Ich begutachtete meinen Palmfasern-Joint. »Wobei, Zeit hätte ich vielleicht schon, aber man muss erstmal jemand kennenlernen. Nicht so easy, wenn du den ganzen Tag mit dem Schwingschleifer an Türstöcken herumfuhrwerkst.«

»Will heißen, Benny und du, ihr habt sowas wie ein Männer-Kloster, eine Art Mönchs-WG. Ora et labora!«

Ich musste lachen. Benny und beten ...

»Nein, wirklich, das interessiert mich. Wie ihr jungen Kerle das handhabt. Es könnte doch sein, dass ihr euch jeden Abend einen Schwung Mädels auf die Baustelle holt und anständig feiert.«

Ich schüttelte den Kopf. »Bin eher der solide Typ.«

»Aha, verstehe.« Daisy schob sich die Sonnenbrille ins Haar und griff nach ihrer Sonnencreme. »Und bei dem, was dir die Firma anbietet, ist auch nix dabei.«

Ich zögerte. Wollte ich Daisy von Nina erzählen? »Na ja, da war mal was ...«

Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Der Ball flog von hinten über meinen Kopf hinweg, prallte vom Stamm der Palme ab und dotzte direkt gegen meine Stirn. Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel, auch bei Palmen.

»Hey, sorry Mann! Könntest du eben den Ball zurückschmeißen?«

Der Ball war im Gebüsch neben der Palme verschwunden. Ich krabbelte ins Grünzeug und kickte die Kugel zurück.

»Also, da gabs eine ... und wie ging es weiter?«

»Das lief ein bisschen blöd. Nina und ich hatten uns auf einer Tour über Weihnachten kennengelernt. Wir fanden uns gegenseitig ganz gut, ist aber nix gelaufen. Ich steckte noch in einer Beziehung. Hinterher hat sie mir eine SMS geschrieben, zu Sylvester, und mich mehr oder weniger nach Berlin eingeladen.«

»Eine Berlinerin also ...«

»Aber da war die Sache mit meiner Oma und dem Notar und ich musste meine Beziehung beenden und dann lagen unsere Pläne so saudoof, dass wir uns nicht gleich treffen konnten ... und dann ...«

»... hat sie nen anderen kennengelernt.«

»Woher ...?« Ich starrte sie an.

Daisy winkte ab. »Weil das klar ist, so wie du rumdruckst.«

Warum kapierten immer alle anderen alles, bloß ich nicht? War es das, was die Leute meinten? Die heutige Zeit sei so schnelllebig? Zeit für einen Themawechsel.

»Kennt ihr euch schon länger?«

»Das ist jetzt die dritte Tour, die wir miteinander fliegen. Witzigerweise immer Dakar. Beim ersten Mal hatte er seine Frau und zwei seiner Kiddies dabei. Da sind wir surfen gegangen. Das war vielleicht nen Ding!«

»Das Surfen?«

»Versuch du mal, einem Schweinswal das Balletttanzen beizubringen, dann kannst du dir vorstellen, welche Mühe Kai mit mir hatte. Er hat das super gemacht, ganz ruhig, immer wieder erklärt. Meinem Mann wäre längst der Geduldsfaden gerissen. Kai ist schon einer unserer Besten.«

Daisy hatte den letzten Satz ohne jeden schwärmerischen Unterton gesagt. Ganz nüchtern.

»Allerdings, Kai ist der Beste.«

Ich folgte Daisys Blick zu Benny und Kai, die dem Ball hinterherhechteten.

Eigenartig, das Einzige, was die beiden gemeinsam hatten, war ihre athletische Figur. Kai war einen Kopf größer als Benny und sah mit seinem Dartagnan-Bärtchen aus, als sei er einem Mantel und Degen-Film entsprungen. Die schulterlangen Haare waren das Relikt der Jahre, da Kai seinen Flieger-Job so weit zurückgeschraubt hatte, dass er ihm die Suche nach der perfekten Welle finanzierte. Er hatte zunächst alle berühmten Spots gesurft. Später kamen Strände dazu, die bis dahin noch nie einen Mann auf einem Surfbrett gesehen hatten. Die Welle war sein Leben. Bis zu dem Tag, an dem er Mathilda kennenlernte.

Benny hingegen hatte haarmäßig schon sehr früh den Zenit überschritten. An dem Tag, an dem wir seinen Hamster ins Jenseits begleiteten – wir waren vielleicht zwölf – hatten wir noch Mühe gehabt, seinen Afro unter die Osiris-Haube zu bringen. Danach begann für Benny eine Zeit des Abschiednehmens. Übriggeblieben waren kurze, dunkle Haarstifte, die einen aussichtslosen Kampf gegen sich rasant ausbreitende Geheimratsecken fochten.

»Pardon monsieur?«

War das für mich?

»Monsieur?«

Ich drehte mich auf den Rücken. Neben meiner Liege stand eine der beiden Rezeptionistinnen. Groß und schlank, weiße Bluse und hellgrauer Rock.

»Monsieur, nous avons un Telex pour vous.«

Ich schaute von der Hoteldame zu Daisy und zurück. »Äh, Telex, for me?«

»Qui Monsieur, si vou voulez venir avec moi.«

»Kannst du französisch? Ich hab bloß Telex verstanden.«

»Maman aus Luxembourg, erinnerst du disch?« Sie zwinkerte mir zu. »Du sollst mit ihr kommen.«

»Okaaay«, murmelte ich und rappelte mich auf. Ich hatte nicht die Spur einer Idee, wer mir in den Senegal ein Telex schreiben würde. Artig dackelte ich hinterdrein.


Dschungeltanz

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