Читать книгу Falling for Tide - Aurora Rose Reynolds - Страница 6

4. Kapitel

Оглавление

Aria

Ein seltsames Klingeln reißt mich aus dem Schlaf. Ich taste den Boden neben mir nach meinem Handy ab, um nach der Uhrzeit zu schauen, halte aber inne, als jemand unten gegen die Haustür hämmert.

»Mist.« Ich werfe die Decke beiseite, rutsche von meiner Luftmatratze und rapple mich auf. Rasch suche ich den Raum nach etwas ab, das ich mir über mein Nachthemd ziehen kann, und entdecke einen Hoodie auf meinem Koffer liegen. Ich schlüpfe hinein und eile nach unten. Keine Ahnung, wie spät es ist, aber heute wollten die Leute vom Umzugsunternehmen kommen, die vermutlich gerade so vehement Einlass verlangen.

Als ich um die Ecke schlittere, hinter welcher der Eingang ist, lege ich mich beinahe der Länge nach hin, kann mich aber rechtzeitig abfangen. Ich öffne ruckartig die Tür und werde sofort von grellem Sonnenlicht geblendet. »Hi«, keuche ich und füge in Gedanken Cardio-Training der Liste von Dingen hinzu, die ich wahrscheinlich nie machen werde, aber eigentlich tun sollte.

»Aria Spencer?«, fragt ein ziemlich verwegen aussehender Herr mit einem Klemmbrett in der Hand.

»Ja.« Ich ziehe mein Nachthemd, das unter meinem Hoodie hervorlugt, ein Stück weiter runter, als er seinen Blick auf meine Beine heftet.

Er räuspert sich und schaut mich wieder an. »Wir sind hier, um ihre Sachen abzuliefern.«

»Super.« Ich schiebe die Tür ein Stück zu und versuche, möglichst dahinter zu verschwinden. »Können Sie mir zehn Minuten geben, um mich anzuziehen?«

»Na klar.« Er tritt einen Schritt zurück. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir den LKW bis an die Veranda ranfahren?«

»Nein, kein Problem.« Ich bedenke ihn mit einem Lächeln und er wendet sich zum Gehen. Sobald er an der Treppe ist, schließe ich ab und renne nach oben, wo ich in eine Leggings und ein übergroßes T-Shirt schlüpfe. Dann putze ich mir die Zähne, bürste mir mein rotblondes Haar und binde es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Als ich fertig bin, gehe ich wieder nach unten und lasse die drei Männer herein, die bereits auf der Veranda warten.

Die nächsten fünf Stunden verbringe ich damit, den Möbelpackern zu sagen, wo sie alles hinstellen sollen. Die Sachen für das Wohnzimmer parke ich im Eingangsbereich und in der Küche, da sowohl die Wände noch gestrichen als auch der Teppich verlegt werden muss. Nachdem sie fertig sind, gebe ich ihnen ein paar hundert Dollar Trinkgeld, woraufhin sie lächelnd von dannen ziehen. Ich wiederum bin erschöpft. Alles wurde dort platziert, wo es hingehört, aber die Kisten müssen ausgepackt, mein Bett zusammengebaut und alles eingeräumt werden. Ich werde Wochen, wenn nicht Monate brauchen, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen.

Mit einem Seufzer begebe ich mich zum Kühlschrank, um mir eine Cola Light zu holen. Da sich die Couch zurzeit in der Küche befindet, lasse ich mich darauf fallen und lege die Füße hoch. Nachdem ich die Hälfte getrunken habe, stelle ich die Dose auf den Boden und bette meinen Kopf auf der Rücklehne. Ich will nur für ein paar Minuten die Augen zumachen ...

»Aria.« Etwas Warmes berührt meine Wange, und ich hebe blinzelnd die Lider. Tides Gesicht ist lediglich wenige Zentimeter von meinem entfernt. »Hi, du hast nicht geantwortet, als ich geklopft habe«, sagt er, als ich mich aufsetze.

»Wie spät ist es?«

»Fast sechs.« Er nimmt neben mir auf der Couch Platz.

»Ernsthaft?« Ich werfe einen Blick auf die Uhr in der Küche, denn er muss lügen. Ich war noch nie die Art von Person, die mitten am Tag ein Nickerchen macht, egal wie müde ich bin, und ganz sicher döse ich keine fünf Stunden lang, obwohl ich nachts genug geschlafen habe.

»Ernsthaft.« Seine Mundwinkel zucken belustigt, als er sich umschaut. »Deine Sachen sind heute eingezogen.«

»Ach nein, wie kommst du darauf?« Ich schnappe mir meine Getränkedose, stehe auf und höre ihn lachen. »Jetzt muss ich nur alles einräumen«, sage ich, kippe den Rest der Flüssigkeit in den Abfluss und werfe das Metall in den Wertstoffeimer. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass er mich mustert. Ich ignoriere seinen Blick und rede weiter. »Wenn das für dich in Ordnung ist, werde ich anfangen, mein Schlafzimmer und Badezimmer einzurichten, da es wegen all der Möbel hier drin keinen Sinn macht, mit der Küche zu starten.«

»Brauchst du Hilfe?«

»Hilfe?« Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen.

»Dabei, deinen ganzen Kram auszupacken?« Er erhebt sich und kommt auf mich zu. »Ich sollte Freitag mit dem Streichen und dem Teppich fertig werden, also könnte ich dir am Wochenende zur Hand gehen.«

»Ähm ...«

»Du kannst mich mit einem Abendessen bezahlen.«

»Abendessen?«

Seine Lippen verziehen sich zu einem klitzekleinen Grinsen. »Ja. Du weißt schon, die Mahlzeit, die nach dem Mittagessen kommt.«

»Natürlich weiß ich, was du meinst, aber bist du sicher, dass du mir helfen willst?«

»Meine Tochter bleibt am Wochenende noch bei ihrer Mom, also kann ich entweder hier nützlich sein oder etwas Zeit mit meinem Kumpel Colton und seiner Frau verbringen. Allerdings sind die beiden so süß zusammen, dass mir eine Alternative lieber wäre.«

»Er hat Brittany geheiratet?«, entgegne ich überrascht. Ich erinnere mich an Colton, Tides besten Freund aus der Highschool, und seine Langzeitfreundin Brittany, die kein bisschen nett, aber trotzdem eines der beliebtesten Mädchen war.

»Woher kennst du Colton?« Tide runzelt die Stirn und sieht mich fragend an.

»Ich ...« Oh Gott, ich möchte ihm nicht sagen, wer ich bin, aber mir ist klar, dass ich auch nicht lügen kann. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«

Er verengt die Augen und die Falten auf seiner Stirn werden tiefer. »Colton und ich waren während der Highschool schon eng befreundet, aber an dich erinnere ich mich nicht.«

Wahrscheinlich, weil ich dank meiner Hungeraktionen ungefähr fünfzehn Kilo leichter war. Diesen Gedanken spreche ich aber nicht laut aus. »Ja, wir hingen nicht mit denselben Leuten rum.«

»Heilige Scheiße.« Mit weit hochgezogenen Brauen weicht er einen Schritt zurück, als wäre ich überaus ansteckend. »Aria Spencer. Ich dachte neulich schon, dass du mir bekannt vorkommst, aber ...«, sein Blick wandert über meinen Körper und sofort fühle ich mich unwohl in meiner Haut, »... ich habe zwei und zwei nicht zusammengezählt.«

»Jap, die bin ich.« Ich mache eine unwirsche Geste mit der Hand und wünschte, ich könnte mich irgendwie in Luft auflösen. »Also haben Colton und Brittany tatsächlich geheiratet, was?«, versuche ich, das Thema zu wechseln.

»Himmel, zum Glück nicht. Brittany ist eine dämliche Kuh. Seine Frau heißt Gia. Sie ist erst vor Kurzem hierhergezogen.«

»Oh ... Nun ...« Ich befeuchte meine trockenen Lippen. »Schön für ihn.«

»Ja«, bestätigt er und wirkt, als würde er sich ein Lachen verkneifen. Unbehaglich trete ich von einem Fuß auf den anderen, weil ich nicht recht weiß, was ich sagen oder tun soll. Als er anfängt zu grinsen, werde ich stocksteif. »Aria-bloß-nicht-ansprechen-Spencer ist zurück in der Stadt.«

»Bloß nicht ansprechen

»Babe, während der gesamten Highschool-Zeit wuss-ten alle Jungs, dass du off-limits warst.«

Ich ziehe die Nase kraus. »Keine Ahnung, was das bedeuten soll.«

»Es bedeutet, wir wussten, dass du zu gut für uns bist, daher haben wir uns von dir ferngehalten.«

Seufzend verdrehe ich die Augen. »Das ist lächerlich.«

»Aber wahr.« Er schüttelt den Kopf. »Verdammt, ich hätte bemerken sollen, dass du es bist, als ich deine Augen gesehen habe.«

»Meine Augen?«

»Ja, groß und blau wie bei Bambi, und ziemlich schwer zu vergessen.«

»Oh.« Keine Ahnung, ob das ein Kompliment war.

»Also, was das Wochenende angeht ...?«, hakt er nach, und plötzlich tanzen Schmetterlinge in meinem Bauch.

»Dieses Wochenende?«

»Deine Sachen auspacken?« Ein Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.

»Stimmt.« Ich lasse meinen Blick schweifen und beäuge all die Kisten und Möbel, die um uns herumstehen. Nicht einmal ich habe Lust auf diese Arbeit, also kann ich nur schwer glauben, dass er freiwillig den Nerv dazu aufbringt. »Bist du sicher, dass du mir helfen willst?«

»Ich hätte es nicht angeboten, wenn nicht.«

»Nun.« Ein weiteres Mal befeuchte ich meine Lippen. »Okay, ich wüsste deine Unterstützung sehr zu schätzen.«

»Gut, ich wäre so oder so aufgetaucht, selbst wenn du Nein gesagt hättest.« Er schmunzelt, und ich muss lachen, als mein Magen plötzlich so laut knurrt, dass beinahe die Wände erzittern. Peinlich berührt, bedecke ich meinen Bauch. »Hast du heute schon was gegessen?«

»Ähm ...« Ich überlege. »Keine Ahnung, es war ein verrückter Tag.«

»Das bedeutet wahrscheinlich nein.« Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und wendet sich dem Display zu. »Ich hatte noch kein Abendbrot, wie wäre es, wenn ich uns Chinesisch bestelle?«

»Oh.« Meine Mund fühlt sich staubtrocken an. »Klar, warum nicht.« Ich zucke mit den Schultern und er hält sich lächelnd das Handy ans Ohr.

»Was möchtest du?«

»Hühnchen und gebratenen Reis mit Ananas«, antworte ich, woraufhin er mich mit einem Blick bedenkt, der ganz klar sagt, dass er die Vorstellung allein widerlich findet. »Was denn? Das ist lecker.«

»Ich glaub dir einfach mal«, erwidert er, bevor er unsere Bestellung aufgibt und sein Telefon wieder einsteckt. »Das Essen sollte in zwanzig Minuten fertig sein. Schnapp dir ein paar Schuhe, damit wir es zusammen abholen können.« Er dreht sich um, und ich sehe ihm nach, ehe ich mein übergroßes T-Shirt, meine Leggings und meine nackten Füße betrachte.

Zusammen abholen? Etwa in seinem Truck? Allein mit ihm?

Mir einen Grund zurechtzulegen, warum ich nicht mit ihm fahren kann, hat offenbar eine gefühlte Ewigkeit gedauert, denn er kommt zurück in die Küche und runzelt irritiert die Stirn. »Ari, wir müssen los. Es sei denn, du willst kaltes Essen.«

»Okay.« Ich reibe meine Lippen aneinander. »Ich bin gleich wieder da.« Ich warte nicht auf seine Antwort, sondern mache auf dem Absatz kehrt und eile nach oben. In meinem Schlafzimmer angekommen, ziehe ich mir einen Batik-Hoodie über, schlüpfe in ein Paar Flip-Flops und schnappe mir meine Handtasche. Unten finde ich Tide im Wohnzimmer vor, wo er die Farbkanister begutachtet, die er gestern vorbeigebracht hat. »Es kann losgehen«, sage ich, und er schaut mich über seine Schulter hinweg an, ehe er sich so anmutig zu seiner vollen Größe aufrichtet, dass es beinahe faszinierend auf mich wirkt.

»Alles klar, dann lass uns fahren.« Er holt seinen Schlüssel hervor und hält mir die Haustür auf. Ich schließe hinter uns ab und gehe zu seinem Truck. Er überrascht mich, indem er mir auch die Autotür aufhält. Als er hinters Lenkrad rutscht, habe ich mich bereits angeschnallt und umklammere meine Tasche wie einen Rettungsring, weil ich nicht recht weiß, was ich mit meinen Händen machen soll.

»Du musst dir ein Alarmsystem für dein Haus anschaffen«, meint er, als er mit dem Wagen die große Baumgruppe vor der Veranda umrundet, ehe er der Auffahrt zur Hauptstraße folgt. »Du bist eine alleinlebende Frau, da solltest du ein paar Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«

»Ich habe bereits einen Termin mit einer Sicherheitsfirma ausgemacht. Aber ich muss erst mein Internet installieren, damit die Leute kommen können, und damit wollte ich warten, bis ich meinen Fernseher und meinen Computer wiederhatte«, informiere ich ihn, genervt darüber, dass er wie alle anderen denkt, ich sei nicht in der Lage, auf mich selbst aufzupassen. Mir ist klar, dass mich das nicht ärgern sollte, doch das tut es. Dementsprechend kann ich mir einen frustrierten Seufzer nicht verkneifen, bevor ich aus dem Fenster sehe.

»Ari?«

»Ja?« Ich drücke meine Handtasche ein wenig fester an meinen Bauch, in dem wieder Schmetterlinge herumflattern, weil ich Tide so nahe bin. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

»Ich würde meiner Schwester genau das Gleiche sagen.«

»Hm.« Dass er mich in dieselbe Kategorie wie seine Schwester einordnet, stimmt mich nicht glücklicher, insbesondere, da ich in den letzten Nächten mehr als einmal aus Träumen von uns beiden erwacht bin, die nicht gerade jugendfrei waren.

»Babe.«

»Ja?« Ich halte den Atem an und warte darauf, dass er noch mehr sagt.

»Egal.« Er schüttelt den Kopf und konzentriert sich wieder auf die Straße. Den Rest der Fahrt über schweigen wir, und als wir das chinesische Restaurant erreichen, springt er raus und kommt ein paar Minuten später mit einer Tüte voll Essen wieder, die er mir reicht.

Das Knurren meines Magens und die leise Musik im Hintergrund sind die einzigen Geräusche auf der Fahrt zurück zu mir. Als wir in die Einfahrt biegen, springt mir sofort ein Mercedes Benz ins Auge, der vor dem Haus geparkt ist.

»Oh nein«, stöhne ich, als die Scheinwerfer seines Trucks meine Eltern erfassen, die auf der Veranda stehen. Auch wenn ich selbstverständlich weiß, dass es sinnlos ist, ziehe ich die Kapuze meines Hoodies über mein Haar und ducke mich auf meinem Sitz, in dem Versuch, mich zu verstecken.

»Sie haben dich bereits gesehen«, setzt mich Tide amüsiert in Kenntnis. Als er den Motor abschaltet, wird es dunkel im Inneren des Wagens.

»Ich weiß.« Ich funkle ihn finster an, auch wenn ich bezweifle, dass er meinen bösen Blick angesichts des fehlenden Lichts überhaupt mitbekommt. »Ich versuche gerade, meine magischen Fähigkeiten anzuzapfen und mich in eine andere Dimension zu beamen.«

»Mist, hast du etwa dein Teleportationsamulett vergessen?«, witzelt er.

»Halt die Klappe.« Lachend richte ich mich auf und löse meinen Anschnallgurt.

»Das sind deine Eltern, oder?«, fragt er plötzlich ernst, und ich nicke.

»Ja«, flüstere ich.

»Ich nehme mal an, dass du sie nicht erwartet hast.«

»Korrekt.« Ich atme tief durch. »Ich habe ihnen gesagt, wir könnten bei mir zusammen zu Abend essen, sobald meine Möbel geliefert wurden. Allerdings hätte ich nicht gedacht, sie würden hier einfach auftauchen.«

Tide schaut durch die Windschutzscheibe und seine finstere Miene verrät mir, dass er meine Eltern kennt. Der Ausdruck auf seinem Gesicht überrascht mich nicht. Meine Eltern sind in der Stadt bekannt. Jedoch nicht, weil sie die Art von Menschen sind, die einen bleibenden positiven Eindruck hinterlassen.

»Es wird schon gut werden. Vielleicht bleiben sie nicht lange.« Er fasst nach dem Türgriff und Panik erfüllt meine Brust. Ich möchte ihn auf keinen Fall der Gesellschaft meiner Eltern aussetzen.

»Warte.« Rasch umschließe ich seinen Arm und halte ihn auf. »Ich ...« Ich räuspere mich. »Du solltest besser fahren, denke ich.«

»Fahren?«, wiederholt er und klingt dabei sauer oder verletzt. Was von beidem es ist, kann ich nicht sagen, und dass ich seine Mimik nicht lesen kann, ist auch nicht hilfreich.

»Es ist nur ...«

»Du musst es nicht erklären. Ich verstehe schon. Man darf dich nicht mit der einfachen Hilfskraft zusammen sehen.« Er lässt den Griff los, und ich ziehe meine Hand so schnell weg, als hätte er mich verbrannt.

»Tide.«

»Geh rein, Aria.« Er lässt den Motor des Trucks an und schaut aus der Windschutzscheibe.

Ich mustere einen Moment sein Profil und flehe stumm darum, dass er zu mir sieht. Als das nach mehreren Sekunden nicht passiert, werde ich wütend. »Nur damit du es weißt, ich finde es ziemlich mies, dass du das Schlimmste von mir denkst, ohne mir die Möglichkeit zu geben, es zu berichtigen.« Ich stelle die Tüte mit dem Essen auf den Sitz zwischen uns und ignoriere ihn, als er meinen Namen ruft, steige aus und werfe die Wagentür zu. Seine Scheinwerfer beleuchten den Weg zu meiner Veranda, und erst als ich die unterste Treppenstufe erreiche, wendet er den Truck und fährt davon.

»Wer war das?«, erkundigt sich mein Vater zur Begrüßung und blickt genau wie meine Mutter Tides Wagen hinterher.

»Was macht ihr hier?« Ich ignoriere seine Frage und das leichte Lallen in seiner Stimme, was mir verrät, dass er heute Abend ein paar Drinks getrunken hat.

»Wir sind gekommen, um nach dir zu sehen und dir Abendessen vorbeizubringen.« Mom dreht sich zu mir um und rümpft die Nase, während sie mich von Kopf bis Fuß mustert. »Ich hoffe, du bist in dem Outfit nicht in der Stadt gewesen.«

»Doch.« Ich sage ihr nicht, dass ich den Truck nicht verlassen habe. Ein Teil von mir will sie verärgern. Ein anderer möchte ihr ins Gesicht schreien, dass sie nicht mehr die Kontrolle über mich hat.

»Wenn du jemals einen neuen Ehemann finden möchtest, solltest du dich von einer besseren Seite präsentieren«, informiert sie mich und schiebt sich den Riemen ihrer Fendi-Handtasche über die Schulter. Diese hat wahrscheinlich ein kleines Vermögen gekostet. Wie immer wirkt meine Mutter wie aus dem Ei gepellt – von ihren dunkel gefärbten Haaren, die sie zu einem straffen Knoten hochgesteckt und aus ihrem mit Botox verjüngten Gesicht frisiert hat, bis zu ihren flachen schwarzen Schuhen mit dem goldenen Fendi F darauf. Sie passen perfekt zu ihrer Tasche und ihrem Gürtel, ihrer schwarzen Hose und der weißen Bluse, die wahrscheinlich mit so viel Wäschestärke bearbeitet wurde, dass sich nicht einmal die kleinste Falte in ihre Nähe traut.

»Wie gut, dass ich keinen Ehemann suche.« Ich verdrehe die Augen und höre meinen Vater schnauben, als würde er sich ein Lachen verbeißen. Unsere Blicke begegnen sich und als ich sein warmes Lächeln sehe, wünschte ich, es wäre echt. Aber dem ist nicht so. Wenn er getrunken hat, wirkt er süß, lustig und nett, aber so ist er nicht wirklich. Rücksichtslos, kalt, unversöhnlich und gefühllos trifft es eher. Jekyll und Hyde sind nichts gegen ihn. Während meine Mutter ihre Missbilligung offen zur Schau stellt, versteckt mein Vater seine im Rausch. Sobald er wieder nüchtern ist, kommt sie wieder zum Vorschein.

»Ermutige sie nicht noch, George«, schnauzt Mom, als ich zur Tür gehe und meinen Schlüssel aus meiner Tasche hole.

»Sie ist lustig, Beatrice«, murmelt er, als ich die Tür öffne und das Licht anschalte.

»Ich dachte, du hast ein Umzugsunternehmen engagiert«, sagt Mom missbilligend, als sie mir in die Küche folgt.

»Habe ich auch.« Ich lasse meine Tasche auf die Couch fallen und drehe mich zu ihr um, während sie sich umschaut.

»Und du hast ihnen gestattet, deine Sachen in deiner Küche und im Flur stehen zu lassen?«

»Das Wohnzimmer muss noch gestrichen und ein Teppich verlegt werden. Ich fand es zwecklos, die Möbel schon dort hinzustellen, wenn sie bald wieder wegmüssen«, informiere ich sie und frage mich, ob ich nach dem, was vorhin mit Tide passiert ist, ein anderes Bauunternehmen suchen muss. Bei dem Gedanken, ihn nicht wiederzusehen, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

»Das macht Sinn, Schatz«, meint Dad, als er umhergeht und die anderen Räume einer Musterung unterzieht. »Es ist kleiner als dein und Joshs Haus in San Francisco«, betont er, als sich unsere Blicke treffen.

»Ja«, lautet mein einziger Kommentar, denn was soll ich mehr dazu sagen? Das Haus, in dem Josh lebte, war riesig. Es hatte mehr Platz, als man als frisch verheiratetes Paar braucht, aber wir kauften es, da ich eine eigene Familie gründen wollte. Damals war ich überzeugt, dass ich ihn und er mich lieben würde. So sehr ich mir ein eigenes Kind wünschte, bin ich heute froh, dass Josh mit der Familiengründung noch warten wollte. Auch wenn mir seine Entscheidung damals sehr wehgetan hat. Dabei spielte er bei meiner Familienplanung keine so große Rolle. Ich brauchte einfach Menschen, zu denen ich gehöre und die zu mir gehören. Punkt.

»Hast du mit ihm gesprochen?«, will Dad wissen, setzt sich auf das Sofa und stellt eine Tasche, die ich vorher nicht bemerkt habe, neben sich ab.

»Nein, wir haben nichts zu reden.« Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust.

»Er erzählte mir, er hätte dich angerufen«, berichtet Mom mit einem Seufzer, der mich noch mehr aufregt. »Er macht sich Sorgen um dich.«

»Das bezweifle ich. Gemeinsamen Bekannten zufolge hat er viele Dates und genießt sein Leben in vollen Zügen.«

»Er ist single. Du kannst ihm keinen Vorwurf machen, weil er sich verabredet.«

»Mom, es ist mir egal, was er tut«, entgegne ich so neutral wie möglich, auch wenn ich am liebsten schreien würde.

»Natürlich interessiert es dich. Du hast ihn geliebt.«

»Habe ich nicht ... Ich glaube nicht einmal, dass ich weiß, was Liebe ist. Jede Beziehung, die ich in meinem Leben hatte, war toxisch und stets an irgendwelche Bedingungen geknüpft. Nach dem Motto: Tu das, benimm dich so und kauf mir das, dann werde ich dich lieben. Niemand hat mich jemals um meinetwillen gemocht, mit meinen Fehlern und Schwächen.«

»Beatrice, du musst diese Idee endlich loslassen. Aria und Josh werden wieder zusammenkommen, wenn sie füreinander bestimmt sind, sonst nicht«, wirft Dad ein. Seine Aussage weckt in mir die Frage, ob er das von sich und Mom glaubt. Immerhin hatte sie während ihrer dreißigjährigen Ehe nicht nur mehrere Affären, sondern auch emotionale Beziehungen zu anderen Männern.

»Hast du wenigstens noch vor, zu unserer Party am Ende des Sommers zu kommen, auch wenn Josh da sein wird?«

Oh Gott, wie könnte ich diese Feier je vergessen? Sie findet jedes Jahr statt, seit ich mich erinnern kann. Während ich mit meinem Ex zusammen war, musste ich da stets auftauchen. Natürlich hat Mom ihn eingeladen, obwohl wir geschieden sind. »Kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen. Das hängt von meinen Verlagsfristen ab«, lüge ich, denn ich habe momentan gar keine.

»Es ist ein Abend. Ich bin sicher, dass du einen Weg findest, vorbeizuschauen.« Sie blickt auf ihre Uhr, dann sieht sie sich um. »So, zeig uns jetzt dein Haus. Dein Vater und ich treffen uns gleich noch mit Freunden zum Dinner.«

Ich verbeiße mir einen herben Fluch und führe sie durch die Räumlichkeiten. Während des Rundgangs schwöre ich mir, morgen etwas Salbei zu bestellen, um den Raum von ihren Energien zu befreien.

Falling for Tide

Подняться наверх