Читать книгу Nach Hause kommen - Autorengruppe Weihnachtsgeschichten - Страница 7
ОглавлениеRuth Strasser
»Sieht sie nicht großartig aus? Was meinst du?« Mein Mann schien ebenso begeistert zu sein wie ich. Der diesjährige Tannenbaum war wunderschön und hatte einen geräumigen Platz in unserem Wohnzimmer bekommen. Seine prachtvollen Zweige ragten Engelsflügeln gleich majestätisch gen Himmel.
»Der ist aber hübsch. Kann ich ihn gleich schmücken?« Unsere Tochter Charlotte war mit unserer Auswahl anscheinend zufrieden und schritt sogleich zur Tat. Nachdem die Lichterkette drapiert war, wurde er mit all den Accessoires behängt, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Ihre im Kindergarten getöpferten Pilze, die roten Filzblüten von meiner verstorbenen, Gott hab sie selig, Großtante aus dem Kloster, viele goldene Weihnachtskugeln, und weitere Dinge. Um dem Ganzen den letzten Schliff zu verpassen, musste ich nur noch die gläserne Baumspitze aufsetzen. Unglücklicherweise fiel mir das unhandliche Ding herunter und zerbrach auf dem Boden. Nein, wie ungeschickt. Ich würde mir etwas einfallen lassen müssen, denn ein Baum ohne Spitze ging gar nicht. Die kluge Frau weiß sich schließlich zu helfen.
Der Vollständigkeit halber wollte ich dieses Jahr die Bescherung mit Wunderkerzen einläuten. Ich befestigte sie vorsichtig an den Zweigen. Bei gedimmtem Licht, Kerzenschein und Glockengeläut aus dem CD Player würden wir andächtig vor dem grünen Prachtstück verweilen und uns mit feierlichen Gesten beschenken.
»Mama! Die willst Du aber nicht anzünden? Der Boden ist aus Holz!« Meine Tochter war entsetzt. Was für schöne, große Augen sie hatte. Mein inneres Kind wollte doch nur ein bisschen zündeln. Mit dem Vorschlag, den kleinen Feuerlöscher to go griffbereit im Wohnraum zu platzieren, konnte ich sie nicht überzeugen. Manchmal war unsere Mutter/Tochter-Rolle einfach vertauscht. Ich seufzte. Muttchen hatte recht und ich sah von meinem Vorhaben ab.
»Am Freidog um ochd mondier i di Schi auf mei Audo, la, la, la, la, la, la«, trällerte ich gut gelaunt am 24. Dezember in bester Almhüttenstimmung vor mich hin. An diesem Tag war ich schon frühzeitig aufgestanden, um die ganzen Dinge zu erledigen, die noch getan werden mussten, und das waren noch so einige. Ich hantierte mit dem Staubsauger, welcher den Schmutz und die DNA meiner Ahnen hungrig aufsog, die sich bestimmt noch in den Ritzen der uralten Holzdielen des Altbaus befanden, winkte mir freudig beim Spiegelputzen zu und spielte Frau Holle. Ich machte ein kleines Päuschen und saß anschließend bei einer Tasse Kaffee am Esstisch und grübelte. Ich war ein wenig betrübt, weil sich mein Lottchen zu Weihnachten einen Laptop gewünscht hatte, der einer längeren Lieferzeit wegen nicht rechtzeitig erhältlich war. Sie würde von mir einen Gutschein für das ersehnte technische Gerät und kleine Notgeschenke erhalten. Kurze Zeit zuvor hatte sie den Wunsch geäußert einmal ganz viele Glückskekse auf einmal essen zu wollen. Diese konnten schnell besorgt werden. Auch Manfred sollte nicht zu kurz kommen. Über seine von mir selbstgestrickten Socken aus melierter Schurwolle würde er sich bestimmt sehr freuen.
Inzwischen war Mittag. In diesem Jahr wollte ich an Heiligabend besonders hübsch aussehen und mit Hilfe einiger Rollenwickler mein Haupthaar verschönern. Während ich im Badezimmer über dem Waschbecken vor mich hin träumte, wie ich mit gewelltem Haar andächtig die Saiten meiner Gitarre zupfte, fiel mir unglücklicherweise eines der Hilfsmittel für die Haarverschönerung ins Abflussrohr.
»So ein Mist«, grummelte ich vor mich hin. Weder mit einer Gurkenzange noch mit einem langen Messer konnte ich das Ding herausfischen. Dann kam ich auf die glorreiche Idee, mir vom Tannenbaum eine am Endstück gebogene Wunderkerze zu borgen, und was soll ich sagen? Der Trick hatte funktioniert, das Teil war wieder da. Mit dieser Trophäe in der Hand spazierte ich zu meinem aus dem schwäbischen stammenden Ehemann.
»Du bisch jo ä Käpsele.« Ich genoss die ultimative Lobhudelei, denn die Augenblicke, in denen er mich für einen ziemlich cleveren Menschen hielt, waren ziemlich rar. Frohgemut widmete ich mich wieder der Haarpflege. Das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Meine langen, engelsgleich gewellten Haare flossen wie ein Bächlein über meine zarten Alabasterschultern. Ich betrachtete mich von allen Seiten im Spiegel und war mit meinem Antlitz vollauf zufrieden. ›Hübsch, hübsch‹, dachte ich. So würde ich dem Christkind sicher Konkurrenz machen. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Um genau 16 Uhr platzte der Traum. Als ich noch eben schnell um die Ecke eilte, um ein paar notwendige Kleinigkeiten für den Haushalt zu besorgen, zerstörte die Wollmütze die liebevoll gestaltete Frisur. Ich seufzte. Da hatte ich mir solch eine Mühe gegeben und dann das. Musste ausgerechnet an diesem Tag mein Badhairday sein und ich wieder einmal Weihnachten mit Spaghetti-Locken verbringen?
Als ich mit den Vorbereitungen des Abendessens begann, wurde es draußen allmählich dunkel. Es sollte Würstchen, selbst gestampften Kartoffelbrei und Gurkensalat geben. Es wäre bestimmt gemütlich, mit meinen Lieben beisammenzusitzen, ohne ständig aufzuspringen, um ein Fünf-Gänge-Menü zu servieren. Während im Hintergrund die Musik des niederbayrischen Sängers Haindling aus den Lautsprechern dudelte, wuselte ich umher, delegierte Aufgaben und dekorierte den Tisch. Schön ist sie geworden, die gute Stube. Bis auf die Buddhastatuen und Bilder schaute es in der Wohnung aus wie in einer Skihütte. Hm, irgendwie … Nein. Das konnte so auf keinen Fall bleiben. Ich schnappte mir ein paar braune Tücher und verhüllte, was nicht zum Almhüttenfeeling passen wollte. Ja, so war es besser. Da ich inzwischen mein rosafarbenes Dirndl trug, war es soweit, dass getafelt werden konnte. »Lottchen, holst du bitte deinen Papa. Es gibt Abendessen.«
Wenn Manfred schläft, dann schläft er. Egal ob an Weihnachten, Neujahr, Valentinstag oder an meinem Geburtstag. Er findet immer einen Grund. Mit zuckenden Schultern betrat mein Töchterchen den Raum. Wie es schien, hatte sie erfolglos versucht, ihn zu wecken. Da musste wohl ich ran.
»Aufwachen, das Abendessen ist fertig. Wir können essen.«
Nein, auch mir gelang es nicht, den Herrn Gemahl aus seinem Traumland ins Diesseits zu locken. Auf die Eiswürfel-Challenge wollte ich heute nicht zurückgreifen. Es war schließlich Heiligabend. Als er auch nicht auf meine Jodeleinlage reagierte, murmelte ich nicht ganz so heilig »Kruzitürken« vor mich hin. Dann würden wir eben alleine speisen. Was soll's. Im Nachhinein fanden wir zwei übrig gebliebenen das nicht wirklich schlimm. Im Gegenteil. Kein »Die grüne Mülltonne wird nächste Woche einen Tag früher gelehrt«, und »Die Autoversicherung ist Anfang Januar wieder fällig«, zerstörte unsere gute Stimmung. Wie angenehm friedlich es ohne ihn war.
»Mama, was hältst du davon, wenn wir Papa einfach schlafen lassen und ich jetzt die Geschenke auspacke? Es ist gerade so schön ruhig hier.« Sollte ich mich auf ihren geäußerten Wunsch einlassen? Was war mit meiner geplanten Klimperei auf der klassischen Gitarre? Keine Wallemähne am Weihnachtsabend, kein Manfred bei Tisch und während der Bescherung. Fürwahr eine schöne Bescherung.
»Meinetwegen, Spatz.« Ich ging den Weg des geringsten Widerstands. Dann sollte mein ungeduldiges Mädel eben jetzt schon die kleinen Geschenke öffnen. Das erste Päckchen, für das sie sich entschied, war eine große gereinigte Büchse Hundefutter, die ich kunstvoll mit blau-weiß kariertem Stoff beklebt und mit chinesischem Kleingebäck gefüllt hatte. Ihre Augen funkelten wie die nicht zum Einsatz gekommenen Wunderkerzen.
»Mama! Eine Dose voller Glückskekse. Ich liebe dich.« Bei diesem emotionalen Gefühlsausbruch bekam ich feuchte Augen und ich spürte, wie sich ein Tränchen der Rührung den Weg über meine rechte Wange bahnte. So viel Glück für so wenig Geld. Was hatte sie Freude, während sie die diversen anderen chinesischen Dinge auspackte, die ich in einem Asia Markt in der Stadt besorgt hatte.
Irgendwann tauchte mein ausgeschlafener Gatte auf, blickte argwöhnisch auf die Essensreste und das zerknitterte Geschenkpapier und meinte: »Hab ich was verpasst? War der Weihnachtsmann schon da?«
»Du kommst gerade noch rechtzeitig«, entgegnete ich. »Gerade wollte ich dein Weihnachtsgeschenk zum Ostergeschenk umfunktionieren.«
»Also, wenn ich schon nichts zu essen bekomme, dann will ich wenigstens ein Glas Punsch!« Ich erfüllte ihm seinen Wunsch und ignorierte Charlottes Schmollgesicht, sie bekam ein Glas Orangensaft. Wir prosteten uns zu und Manfred setzte sein Glas an die Lippen. Da fiel sein Blick auf den Weihnachtsbaum und seine Augen bekamen einen starren Ausdruck.
»Was, um Himmels willen, hat ein rosa Lockenwickler auf der Baumspitze verloren?«, stieß er hervor und verschluckte sich fast am Punsch.
»Der«, antwortete ich mit einem verschmitzten Lächeln, »ist für`s Christkind.«