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ALLEGRA

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Noch bevor Salomé die Haustür zu ihrem Apartment geschlossen hatte, kickte sie gedankenverloren die hohen Schuhe von den schmerzenden Füßen. Mit einem erleichterten Seufzer schaltete sie das Licht an.

„Wurde Zeit, dass du endlich aufkreuzt, du Rumtreiberin!“

Erschrocken fuhr Salomé herum, und sie stieß einen freudigen Schrei aus, als sie erkannte, wer sie da angesprochen hatte.

„Allegra!“

Als sie das schiefe Grinsen ihrer lang vermissten Mitbewohnerin und besten Freundin sah, war Salomés Müdigkeit wie weggeblasen. Blitzschnell lagen sich beide in den Armen und quietschten wie vierjährige Mädchen.

Salomé hatte eine Mitbewohnerin gesucht, weil sie es überdrüssig gewesen war, abends in eine leere Wohnung zu kommen. Diese Rechnung war nicht ganz aufgegangen. Salomé hatte die Bitte ihrer ehemaligen Klassenkameradin Allegra, mit der sie schon auf dem Schweizer Internat innig befreundet gewesen war, ihr ein Zimmer zu vermieten, jedoch nicht abschlagen wollen. In den seltenen Phasen, in denen Allegra in Manhattan war, kam Sonne in Salomés New Yorker Leben. Die beiden Freundinnen redeten dann unablässig, klebten aneinander und genossen das Leben als junge, ungebundene Frauen. Leider waren diese Phasen viel zu selten und meist zu kurz. Wenn Allegra wieder abreiste, kam Salomé ihre Wohnung umso einsamer vor.

„Wer ist hier die Rumtreiberin? Seit wann bist du da? Wo kommst du überhaupt her? Und wie lange kannst du bleiben?“ Erschrocken bemerkte sie, wie mager ihre Freundin geworden war und wie abgekämpft sie wirkte. Einzig das Strahlen der braunen Augen lenkte davon ab, dass selbst Allegras sonst so blonder Lockenkopf stumpf und schlaff am Kopf klebte. Salomés Herz zog sich vor Sorge zusammen.

Allegra erwiderte fest die Umarmung, bevor sie sich aus ihr löste und mit einen anerkennenden Pfiff Salomés Kleid kommentierte. „Die Frage ist doch eher, wo du herkommst, du Schmetterlingswesen?“

Salomé winkte ab.

„Ach, nur von dieser Gala.“

„Gala? Seit wann siehst du zu diesen Events nicht mehr aus wie Sarah Palin?“

Salomé verdrehte die Augen bei Allegras Anspielung auf die erzkonservative amerikanische Politikerin. War ja klar, dass ihrer Freundin nicht entgehen würde, dass sie keine Lust mehr auf ihre amerikanische Kostümierung hatte. Viel zu lange hatte sie sich angepasst. Jetzt hatte sie Lust auf neue, individuellere Wege.

Allegras scharfem Verstand entging selten etwas. Gerade wegen dieser außergewöhnlichen Fähigkeit hatte Salomé mehr als einmal erfolglos versucht, ihr einen hochdotierten Job in ihrer Bank schmackhaft zu machen. Damit hätte sie nicht nur eine fähige Mitarbeiterin gewonnen, sondern auch eine konstant anwesende Mitbewohnerin. Sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Salomé konnte nicht verstehen, weshalb jemand freiwillig das Leben führte, das Allegra sich erwählt hatte. Immer auf Abruf, als Ärztin in Krisen- und Kriegsgebieten dem unaussprechlichen Elend ausgesetzt. Niemals sesshaft sein. Keine Aussicht auf eine dauerhafte Partnerschaft. Für Letzteres war Allegra ohnehin nicht gestrickt. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie auf Frauen stand, womit sie ganz offensiv umging. Allegra genügten heiße Affären mit gleichgesinnten Frauen, meistens der Umstände halber Krankenschwestern oder Ärztinnen, von denen sie Salomé in weinschwelgenden Nächten vorschwärmte.

Anfangs war Salomé ein wenig geschockt gewesen, als sie von Allegras sexueller Orientierung erfahren hatte. Sie kannte Allegra schon ewig und hatte sie als beste Freundin ins Herz geschlossen. Erst nach dem Schulabschluss gestand Allegra sich ein, mit Männern nichts anfangen zu können. Sie liebte Frauen. Kaum war der Schalter einmal umgelegt, ging sie umso offener mit ihrer Neigung um. Sie flirtete, was das Zeug hielt. Kurzzeitig befürchtete Salomé, Allegra würde mehr in ihrer Freundschaft sehen. Sie wollte ihre Freundin nicht wegen unerwiderter Liebe verlieren. Allegra hatte – mal wieder – Salomés Gedanken gelesen und lauthals gelacht.

„Zaza, glaub mir, du bist so was von nicht mein Typ!“

Salomé hatte nur erleichtert grinsen können. Mittlerweile wusste sie, dass Allegras Puls bei zierlichen Frauen, die eine gewisse Dominanz ausstrahlten, in die Höhe schnellte.

Fasziniert war Salomé auch davon, dass Allegra ganz uneitel war. Sie war nicht so naiv, zu glauben, dies hinge mit ihrer sexuellen Orientierung zusammen. Sie kannte keine Frau wie Allegra, die so wenig Wert auf Äußerlichkeiten legte. Der es so egal war, ob ihre Augenbrauen gezupft, die Beine rasiert waren, die Bluse farblich zum Rock passte oder die Frau am Restauranttisch nebenan ihr Lachen zu laut fand. Ein Fakt, der Inès’ Blutdruck in die Höhe treiben würde. Schließlich lebte Salomés Mutter seit ihrer Kindheit in einem engen Korsett aus „Manieren und Anstand“ und beschäftigte eine ganze Entourage, die allein für die Pflege ihrer Schönheit zuständig war. Salomé fragte sich oft, wie Inès sich eigentlich verhalten hätte, wenn Philippe und sie nicht so folgsame Musterkinder gewesen wären.

Als Salomé Allegra das erste Mal darauf angesprochen hatte, weshalb diese Äußerlichkeiten so unwichtig für sie seien, hatte Allegra nur die Achseln gezuckt.

„Zaza, wenn du zwei Drittel deines Lebens auf harten Pritschen und ohne fließendes Wasser verbringst und täglich Kinder in deinen Armen sterben, wird dir anderes wichtig.“

So viel Bewunderung Salomé vor Allegras Einsatz an der Menschheit auch empfand, sie selbst konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, sich freiwillig diesem Elend zu stellen. Auch wenn das vollkommen oberflächlich klang. Wenn Allegra erst einmal von riesigen Insekten erzählte, mit denen sie morgens aufwachte, fand Salomé ihren vergleichsweise beschaulichen Job als Bankchefin unglaublich spannend und erfüllend.

Leider war Allegra in letzter Zeit nur noch für Zwischenstopps zu Hause. Sie hatten sich seit Mai nicht gesehen. Wen wunderte es also, dass Salomé in diesem Augenblick unglaublich froh war, ihre vertraute Freundin wiederzuhaben. Wie sehr sie Allegra vermisst hatte! Und genau zur rechten Zeit: Endlich konnte sie mit jemandem über die verwirrenden Gefühle, die dieser Schauspieler in ihr auslöste, reden.

Ihr Gesicht musste ihre Gedanken widergespiegelt haben, denn Allegra zog sie mit einem satten Grinsen ins Wohnzimmer.

„Bevor ich dir auch nur ein Sterbenswörtchen von Nepal erzähle, musst du mir sagen, wie der Kerl heißt, der dir Sterne in die Augen und Schmetterlinge aufs Kleid zaubert.“

Allegra bugsierte Salomé in Richtung Sitzlandschaft und stupste sie in die Kissen. Salomé kicherte und hob abwehrend die Hände. Allegras gespielt strenger Blick machte Leugnen zwecklos.

„Ist ja schon okay. Es gibt gar nicht so viel zu erzählen. Ich habe auf der Sommerparty meines Vaters mit einem netten Mann getanzt, und er ist gerade in New York. Also hat er angerufen, und wir hatten einen netten Abend zusammen.“

„Netter Mann, netter Abend?“ Allegra zog fragend ihre Brauen hoch.

Diese waren so wildwüchsig, dass Salomé einen Moment irritiert innehielt.

„Ja, nur nett.“

Die Miene ihrer Freundin blieb skeptisch.

„Kenne ich ihn?“ Salomé wollte gerade verneinen, als sie stutzte. Nate war immerhin berühmt. Weshalb sollte Allegra ihn nicht kennen?

„Könnte sein“, gab sie daher vage zur Antwort.

„Kannst du es ein bisschen genauer eingrenzen? Er ist also aus Manhattan?“

Salomé schüttelte den Kopf. Unerklärlicherweise war es ihr gerade jetzt furchtbar peinlich, sich ausgerechnet in ein Hollywood-Sexsymbol verknallt zu haben. Oberflächlicher konnte es ja kaum sein.

„Zaz, jetzt sag schon, wir sind doch hier nicht bei ‚Wer bin ich?’“

Nervös zupfte Salomé einen Faden aus einem Sofakissen.

„Also ... vielleicht kennst du ihn sogar. Er ist Schauspieler. Und hat gerade so einen Blockbuster-Highlander-Film im Kino.“

Allegra runzelte nachdenklich die Stirn. Dann erhellte sich ihr Gesicht.

„Du hast dir doch nicht etwa diesen Typen mit dem eingeölten Wahnsinnsoberkörper geschnappt, der auf jedem Plakat in der Stadt hängt und bei dem selbst ich überlege, wieder ans andere Ufer zu wechseln?“ Begeistert schlug sie auf die Sofalehne.

Salomé räusperte sich kleinlaut. Ihr waren diese Plakate erstmals heute Nacht auf der Rückfahrt von der Gala aufgefallen. Wie blind sie gewesen war, Nate auf ihnen nicht erkannt zu haben.

„Ich hab ihn mir nicht geschnappt. Wie ich bereits gesagt habe, wir sind nur einmal ausgegangen. Ein netter Abend, du erinnerst dich? Außerdem hat sich herausgestellt, dass er bereits vergeben ist.“

„Er ist verheiratet?“

Salomé zuckte die Achseln.

„Ich weiß es nicht genau. Er hatte auf jeden Fall eine Frau dabei heute Abend.“

„Ich dachte, du seist mit ihm ausgegangen? Und da hat er eine andere Frau mitgebracht?“ Allegra war verwirrt.

„Nein … ja. Also, gestern ist er mit mir essen gegangen, und ich hatte das Gefühl, er wäre echt an mir interessiert. Ich habe mich gefühlt wie ein Teenager, zittrige Hände, Kribbeln im Bauch, weiche Knie ... das ganze Programm. Dann hat er kurz telefoniert und dabei verliebt ins Telefon gesäuselt, und mir ist klar geworden, dass er sicher eine andere hat. Und heute ist er als Stargast bei der Gala aufgetaucht … mit einer Frau. Die sahen so unglaublich gut aus zusammen, er Schauspieler, sie Model, das perfekte Promipaar eben.“

„Und wie hat er sich dir gegenüber verhalten?“

„Das war die absolute Katastrophe! Er hat sich neben mich gesetzt und sein Bein die ganze Zeit an meines gedrückt. Stell dir vor, seine Freundin sitzt gegenüber und er flirtet mit mir, als wäre sie nicht da! So ein Mistkerl! Und als ich gehen wollte, kam er sogar ohne sie zum Auto gerannt. Aber wir sind sofort weggefahren.“

„Er ist hinter dir hergerannt? Also dann ist er sicher nicht vergeben!“ Allegra sprang begeistert auf. „Ich fasse es nicht. Jahrelang Ebbe in deinem Bett und dann so ein Sahneschnittchen. Zaz, ich hole den nepalesischen Wein, und dann musst du mir alles haarklein erzählen.“

„Ich war nicht mit ihm im Bett.“ Salomé verdrehte die Augen.

„Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Allegra verschwand summend in ihrem Zimmer.

„Habe ich dir nicht gerade erzählt, dass er vergeben ist?“, rief Salomé hinterher.

„Papperlapapp!“

Salomé schüttelte lächelnd den Kopf und nutzte die Wartezeit, um die Chanelrobe gegen eine bequeme Jogginghose und einen Schlabberpulli zu tauschen.

Als die beiden Frauen wenig später wieder beim Sofa zusammenfanden, beäugte Salomé misstrauisch die etikettlose Flasche in Allegras Hand.

„Ich wusste gar nicht, dass es in Nepal Wein gibt.“

Allegra grinste über das Ablenkungsmanöver.

„Gibt es eigentlich auch nicht. Also, zumindest nicht da, wo ich war. Man muss nur die richtigen Leute kennen.“ Allegra goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Küchengläser. „Cheers! Auf muskelbepackte Sexgötter und wahre Freundinnen auf dem Sofa.“

Salomé grinste über den für Allegra typischen Trinkspruch und stieß an. Nach dem ersten Schluck blieb ihr allerdings die Luft weg.

„Was zum Teufel ist das denn?“, konnte sie gerade noch mit brennendem Hals krächzen.

Allegra lachte wieder schallend. Gott, wie hatte Salomé die ungebändigte Lebensfreude Allegras vermisst.

„Okay, ich geb’s zu: Es ist eher Schnaps als Wein. Und vielleicht auf einer Basis vergorener Ziegenmilch. Aber er wärmt und desinfiziert. Vor allem, wenn man nach einem Erdbeben zwischen Schuttbergen hausen muss, ist das mehr als praktisch.“ Einen Moment runzelte Allegra die Stirn und war auf einmal innerlich sehr weit weg.

Salomé brannten die Fragen auf der Zunge, wie vorher der Schnaps. Aber heute Abend war nicht der geeignete Moment, Allegra über das Elend auszuhorchen, das sie erlebt hatte. Erfahrungsgemäß würden die kommenden Tage einzelne Informationshappen von ihr kommen.

Salomé stellte das Glas beiseite und dachte sehnsüchtig an den Champagner, den sie vor nicht mal einer Stunde auf der Gala zu sich genommen hatte. Womit sich ihre Gedanken wieder auf Nate konzentrierten. Wie klug seine Ansprache gewesen war. Seine Ausstrahlung ließ auch sie nicht kalt: diese Mischung aus Mann und Charmeur, Stärke und Humor. Und diese samtene Stimme mit dem schottischen Akzent. Und wie sexy sein muskulöser Körper in dem edlen Smoking ausgesehen hatte. Und wie er roch.

Ihr wurde ganz flau bei der Erinnerung daran. Sie gestand sich ein: Sie war genauso verrückt nach ihm wie die anderen Frauen. Wie gerne sie mit ihm getanzt hätte. Aber er war doch vergeben! Sie musste sich ihn aus dem Kopf schlagen.

Allegra hatte sich wieder gefangen. Sie unterbrach Salomés Tagträume, indem sie die Hände laut zusammenschlug.

„Hallo, hier bin ich. Jetzt schieß endlich los! Wie hast du ihn noch mal kennengelernt?“

Als Salomé Stunden später etwas schwindelig in ihrem Bett lag, grübelte sie über Allegras Ratschläge nach. Typisch Allegra, hatte diese ihr geraten, den Stier bei den Hörnern zu packen.

„Man lebt nur einmal und das nur sehr kurz. Du triffst dich noch mal mit ihm und fragst einfach, wer diese Frau war, mit der er telefoniert hat und was er mit dem Model am Laufen hat. Dann hast du wenigstens was getan. So passiv kenne ich dich gar nicht. Tz, tz. Wird Zeit, dass ich mal wieder in deinem Leben aufräume.“

Wie froh Salomé war, dass Allegra ihr den Kopf zurechtgerückt hatte. Mit einem Mal schien alles möglich. Sie knuffte ihr Kopfkissen und sank in unruhigen Schlummer.


„Hey, Bigmouth, lebst du noch? Dachte schon, weibliche Fans haben dich als Sexsklaven verschleppt “, fragte Sean in seiner direkten Art.

Nate hatte ihn vermisst. War es wirklich schon Wochen her, dass er mit seinem besten Freund telefoniert hatte?

„Ja, sorry. Strengt halt an, wenn jede Nacht drei Frauen befriedigt werden wollen. Und dann noch tagsüber die lästigen Dreharbeiten. Da bleibt keine Zeit zum Telefonieren mit schottischen Schafhirten.“ Er liebte das Geplänkel mit Sean.

Es tat gut, dessen Lachen so nah bei sich zu hören, obwohl dieser am anderen Ende der Welt saß. Sean wusste, dass Nate kein Typ für einen One-Night-Stand war. Schon gar nicht, seit es Liz gab. Er gehörte zu den wenigen Menschen, denen Nate voll vertraute.

„Jetzt mal ehrlich, wie geht es dir?“

„Wie man’s nimmt. Durch die Premiere von Highlander-Resurrection bin ich für die Öffentlichkeit wohl noch interessanter geworden. Meine Agentin hat mir jetzt sogar einen persönlichen Leibwächter verordnet. Leo ist beeindruckend. Er hat mich heute Morgen vom Privatjet abgeholt und steht seitdem vor meiner Tür.“

Seans Grinsen am anderen Ende der Leitung war fast hörbar. Nate wusste, dass Sean es nicht lassen konnte, weiter zu sticheln.

„Bigmouth hat also einen Babysitter bekommen. Wie rührend. Meinst du, er wird dich auch in den Schlaf singen?“ Sean konnte sich kaum mehr halten vor Lachen.

Nate gab ein grunzendes Geräusch von sich, ging aber nicht auf ihn ein.

„Zu deiner Frage: Alles ist immer noch sehr faszinierend. Ich hetze von Talkshow zu Pressetermin. Gestern wurde mir ein Amandas-Secrets-Model als Begleitung aufgedrückt, und ich musste mit zwei Dutzend Omas auf einer Gala tanzen, während mir die einzig aufregende Frau im Saal von Ferne zuwinkte. Das war ungefähr so wie im Traum, wenn man durch zähe Masse läuft und nicht zu seinem Ziel kommt.“

„Also, wenn du mal keinen Bock mehr auf den Job als Hollywoodstar hast, übernehme ich gerne. Schließlich verdienst du mit einem Film so viel wie unsereiner in zehn Jahren nicht. Und ein Topmodel als Begleitung – darüber kannst auch nur du dich beschweren. Welches denn eigentlich? Die Blonde mit dem Bauchnabelpiercing?“

„Also sie war brünett. Ivana irgendwas.“

„Doch nicht etwa die Kalinka!“

„Ja, mag sein. Ist mir egal. Ich habe kaum drei Sätze mit ihr gewechselt.“ Nate ignorierte Seans Stöhnen. „Ich hätte jedenfalls nicht gedacht, dass berühmt sein so einsam macht.“

Einen Moment war es still in der Leitung. Nate war verblüfft, wie automatisch dieser Satz über seine Lippen gekommen war. Fühlte er sich wirklich einsam? Er räusperte sich.

Aufregende Frau, eh?“

Nate seufzte. War ja klar, dass Sean zu gut zugehört hatte. Er war ihm trotzdem dankbar, dass er seine letzte Bemerkung überging. Nate fuhr sich durch die Haare.

„Ja, sehr aufregend.“

„Aus New York?“

„Wie man’s nimmt. Das erste Mal habe ich sie vergangene Woche in Südfrankreich gesehen. Dort haben wir uns kennengelernt und zusammen getanzt.“

„Und was macht die auf einer Gala in New York mit lauter Omas?“

Nate schnaubte belustigt.

„Sie ist die Tochter einer Schweizer Bankiersfamilie und leitet die New Yorker Filiale. Die Bank war Schirmherrin der Gala.“

Sean pfiff anerkennend.

„Bankierstochter. Klingt nach ziemlich großer und kluger Nummer.“

Nate hörte leise Glas klirren. Er kannte Sean so gut, dass er wusste, dieser goss sich gerade ein Glas Whisky ein. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es in Schottland schon Abend war, während hier in L. A. gerade mal der Vormittag begann.

„Ja, klug ist sie. Leider so klug, dass sie sich instinktiv von mir fernhält. Das Schlimmste kam zum Schluss. Ich sah, wie sie die Gala verlässt, und bin schreiend hinter ihr hergerannt. Am Auto hat sie mich dann kalt abserviert. Und die Presse mutierte zu einer blutrünstigen Bestie. Es war grausam, so stehen gelassen zu werden.“

Nate klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schultern und goss sich ebenfalls ein Glas Whisky ein. Warum nicht? Heute war weder Leseprobe noch Kampftraining. Auch Cary war kein Termin vor die Flinte gekommen, den sie ihm noch schnell hätte aufdrücken können. Selbst Liz war bis zum Abend bei einer Freundin. Nate hatte also ausnahmsweise mal frei.

Dieser Zustand war so ungewohnt, dass er zunächst nichts mit sich hatte anfangen können. Seltsam aufgeputscht war er durch seine Villa gestreift. Er hätte natürlich eines der drei Drehbücher lesen können, wie Cary es ihm schon seit Wochen ans Herz legte. Aber er griff lieber zum Telefon, um seiner alten Heimat ein Stück näher zu sein. Eine gute Entscheidung. Trotz der wenigen Worte und der Entfernung von Tausenden von Kilometern fühlte sich Nate seinem Freund sehr nah. Wie es aussah, würde er mit ihm über die verwirrenden Gefühle sprechen können, die Salomé in ihm auslöste.

„Sie hält sich fern von Bigmouth Nate Hamilton?“ Seans lachender Bass schallte wieder durch den Hörer.

Nate ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas um die Eiswürfel kreisen.

„Sláinte!“

„Sláinte.“ Nate prostete dem leeren Wohnraum zu und nahm den ersten Schluck.

„Und was genau an ihr ist so aufregend, das die Zigtausend Frauen, die dich zukreischen, nicht haben?“

Nate zögerte einen Moment. Konnte er Salomé in Worte fassen?

„Zunächst einmal: Sie kreischt nicht.“

„Aha, womit das mal wieder bewiesen wäre.“

„Bewiesen?“

„Na, dass man die Dinge – und Frauen – begehrt, die schwer zu haben sind. Und weiter?“

„Sie ... ist ... es ist schwer zu erklären. Es ist nicht nur ihr Aussehen, obwohl das schon atemberaubend ist. Sie ist charmant, unaufgeregt, ungefiltert. Wenn sie lächelt, ist mein Gehirn wie leergefegt, und ich ... bin auf elementare Körperfunktionen reduziert.“

„Körperfunktionen, so?“

„Also was ich meine: Ich vergesse, wer und was ich bin. Ich bin nicht Nate der Superstar. Ich bin einfach nur ein Mann. Und ich will sie. Ich möchte sie in meine Höhle verschleppen und jedem anderen Mann, der sie auch nur ansieht, mit einem Holzknüppel eins über die Rübe ziehen. Klingt dämlich, ist aber so!“

Nate grinste, als er Seans Husten am anderen Ende der Leitung hörte. „Verträgst du keinen Whisky mehr?“

Sean japste und klärte seinen Hals.

„Sorry, das wäre dir auch passiert, wenn ich mein Steinzeit-Ego vor dir ausgebreitet hätte. Höhle. Mannomann! Dich hat es anscheinend wirklich erwischt.“

„Scheint so.“ Nate sah sein schiefes Grinsen in der verschwommenen Spiegelung der Fensterscheibe.

„Warum hält sie sich von dir fern? Bist du im Fred-Feuerstein-Kostüm vor ihr rumgetanzt?“

Jetzt war es an Nate, vor Lachen den Whisky zu verschütten.

„Nicht ganz. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Unglaublich, aber sie hat tatsächlich nicht gewusst, wer ich bin.“

„Wieso kannte sie dich nicht? Lag sie in letzter Zeit im Koma?“

Nate lachte wieder. Einfach, weil es so guttat. Dieses Telefonat mit Sean war Balsam für seine Seele.

„So in etwa. Sie interessiert sich halt nicht für diese Themen. Sie kennt eher die Börsenmeldungen. Klingt langweilig, ist sie aber nicht. Das habe ich an dem Abend in Frankreich gemerkt.“

„Du Armer. Das war sicher ein herber Schlag für dein Ego?“

„Nein, im Gegenteil. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war. Endlich mal wieder ein Mädchen, das ich ohne diesen Hype kennenlernen durfte.“

„Wie hat sie reagiert, als du es ihr gesagt hast?“

„Also, ich habe es ihr nicht direkt gesagt.“

„Sondern?“

Nate seufzte. „Ich wusste nicht, dass sie auch auf dieser Gala sein würde, auf der ich als Stargast geladen war und mit einer anderen Frau aufgetaucht bin. Sie kann ja nicht wissen, dass ich diese Frau gar nicht gut kenne. Ihr Blick hat mehr als tausend Worte gesagt. Ich wollte mit ihr tanzen und ihr alles erklären, aber es hat sich einfach nicht ergeben.“

„Wow. Und seitdem ist sie wütend auf dich. Verstehe ich irgendwie.“

Nachdenklich nahm Nate noch einen Schluck.

„Nein. Also ja, ich nehme an, dass sie es nicht so prickelnd fand, es so herauszufinden. Sie ist halt eine stolze Frau. Ich denke, das bekomme ich schon hin. Eigentlich war sie schon am Abend davor bei unserem Date von einem Moment auf den anderen merkwürdig zurückhaltend.“

„Was hast du zu ihr gesagt? Lass uns in meiner Höhle vögeln gehen?“

Nate verdrehte die Augen.

„Sean, der Witz ist langsam durch! Unsinn. Wir waren noch bei Colin. Er hatte eine Ausstellungseröffnung. Ich habe kurz mit Liz telefoniert. In der Zeit hat Colin sie rumgeführt und ihr die Ausstellung gezeigt. Danach war sie wie ausgewechselt. Ich hatte das Gefühl, sie wollte mich so schnell wie möglich loswerden.“ Nate ging im Geiste den Abend durch.

„Vielleicht hat Colin etwas über dich zu ihr gesagt, und sie war da schon sauer, dass du ihr nicht erzählt hast, wer oder was du bist?“

„Ich habe ihn direkt am nächsten Morgen angerufen. Er behauptet, nein. Vor allem hat er wohl kein Wort über mich als Filmstar verloren. Sie hätten angeblich nur über Kunst und Salomés Mutter geredet. Vielleicht kann er sich nur nicht so gut erinnern. Er hatte ordentlich einen sitzen.“

„Und wenn du sie einfach fragst? Dann kannst du dich auch entschuldigen, dass du ihr nicht gleich gesagt hast, sie könne sich in der Schlange der Verehrerinnen hinten anstellen.“

„Unglaublich witzig, Sean“, knurrte Nate in Seans ausgelassenes Gelächter.

„Hat die Lassie auch einen Namen?“

„Der ist sehr außergewöhnlich – wie sie selbst. Sie heißt Salomé.“

Sean schnaubte durch den Hörer.

„Dann nimm dich umso mehr in Acht. Du weißt schon, dass einst eine Salomé sehr blutrünstig war und den Kopf ihres Geliebten auf einem Silbertablett forderte.“

„Kann das sein, dass du irgendeinen Scherzdrops in deinem Glas hast?“

„Nein, das meine ich todernst. Ich will nicht klingen wie deine Agentin. Aber überlege selbst, ob das gerade der beste Zeitpunkt ist, sich zu verlieben. Sieh ihr Desinteresse als ein Zeichen. Es ist wahrscheinlich besser so, Nate. Viel Zeit wirst du die nächsten Monate nicht haben. Und an Liz brauche ich dich auch nicht erst zu erinnern.“

Nate starrte gedankenverloren durch die großen Wohnzimmerscheiben in den makellos gepflegten Garten.

„Ja, da hast du wohl recht. Ich sollte mich von ihr fernhalten.“ Nate legte den Kopf nach hinten und kippte den letzten Schluck Whisky in seinen Rachen.


Der Morgen nach der Gala – ein Sonntag – begann traumhaft. Salomé liebte das gemütliche Beisammensein mit Allegra am überladenen Frühstückstisch. Wie ein eingespieltes Ehepaar las jede konzentriert die New York Times. In einträchtigem Schweigen schenkten sie sich wechselseitig Kaffee ein oder reichten einander Zeitungsrubriken. Allegra quittierte Salomés ungewohnte Frage nach dem Kulturteil mit neugierig hochgezogenen Brauen, bevor sie ihr diesen reichte.

Salomé hätte diese Frühstücke stundenlang ausdehnen können. Diese häusliche Stimmung beruhigte ihre Nerven und ihr aufgewühltes Herz. Die Idylle wurde diesmal allerdings durch ihr Smartphone unterbrochen, das im regelmäßigen Takt durch eine kurze Tonfolge eingehende Nachrichten anzeigte. Salomé hatte diese, so gut es ging, bisher ignoriert und seelenruhig weiter Kaffee geschlürft. Als wieder ein Jingle eine neue Nachricht ankündigte, wurde Allegra zappelig.

„Da möchte jemand dringend mit dir kommunizieren.“

Salomé blickte von ihrem Artikel auf und zuckte nur die Schultern.

„Wie hältst du das nur aus, Zaza? Selbst ich sterbe vor Neugier, wer das ist. Meinst du, das ist dein Hollywood-Beau?“ Mit den für sie üblichen weit ausholenden Gesten erreichte sie endlich Salomés Aufmerksamkeit.

„Ja und? Ich kann das doch später lesen. So wichtig wird es schon nicht sein.“

„Und wenn er in Gefahr ist?“

Salomé schnaubte abfällig. „Gefahr? Wir sind doch nicht im Dschungel.“

„Es könnte doch sein.“

„Höchstens, weil eine Horde notgeiler Teenies und sensationshungriger Reporter hinter ihm her ist.“

Allegra lachte laut. „Ja eben. Da ist es deine Pflicht, ihn zu retten.“

„Meine Pflicht ist gar nix. Du kannst dir nicht vorstellen, wie nervig das Leben als Promi ist. Ich dachte ja schon immer, die de Bertrands hätten es schwer mit der Klatschpresse Südfrankreichs. Aber das Spalier von weiblichen Fans, die gestern vor dem Veranstaltungsort der Gala standen und kreischten, war beängstigend.“ Sie starrte einen Moment auf den Tisch.

„Diese Frauen sind so hemmungslos, Allegra. Die lynchen eine Nebenbuhlerin doch glatt.“

„Apropos: hemmungslos. Ebensolcher Sex mit diesem Astralkörper würde doch schon reichen, oder etwa nicht? Wer sagt denn, dass es was Ernsthaftes sein muss?“

Salomé zögerte einen verräterischen Moment zu lange mit einer Antwort. Allegra neigte sich ungläubig vor.

„Jetzt sag nicht, du empfindest was für ihn und willst mehr?“

Salomé verzog ihr Gesicht und nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, ohne auf Allegras Frage einzugehen. Diese ließ sich verblüfft im Stuhl zurückfallen.

„Ich glaub es ja nicht. Du bist verknallt, vielleicht sogar mehr. Und das, ohne mit ihm im Bett gewesen zu sein.“

„Allegra. Ich. Bin. Nicht. Verknallt.“ Jetzt hielt es Salomé nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie raffte die Zeitung zusammen und leerte verärgert ihre Tasse in den Ausguss. Als sie zu Allegra blickte, hatte diese die Arme vor der Brust verschränkt und sah sie abwartend an. Salomé hob resigniert die Arme.

„Ich weiß ja auch nicht. Okay, er ist toll. Das denken Zigtausend andere Frauen außer mir ebenfalls. Das macht es kompliziert, verstanden? Ich habe im Moment keine Zeit dafür. Und erst recht keine Lust, mit den ganzen hysterischen Fans zu konkurrieren. Und es sind ja nicht nur Fans. Du solltest mal die Fotos von Partys sehen. Ständig posiert er neben einem klapperdürren Model. Und erst diese Kalinkakalinka! Neben der sehe ich aus wie Aschenputtel. Nenn mir einen Grund, weshalb er da ausgerechnet was Ernsthaftes mit mir anfangen sollte?“

„Die Frage meinst du jetzt nicht ernst? Zaz, du bist eine der schönsten, interessantesten, warmherzigsten und smartesten Frauen, die ich kenne.“

Salomé lächelte schief bei der Fülle an Komplimenten.

„Okay, das ‚smart‘ muss ich gerade noch mal überdenken. Vielleicht ist er einsam und auf der Suche nach der wahren Liebe? Das wär doch dann was für dich, Zaz.“

Abwehrend hob Salomé die Hände.

„Trotzdem. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Mein Vater würde es nicht gutheißen, wenn seine Tochter als aktuelle Flamme eines Sexsymbols durch die Regenbogenpresse geistert. Lass einfach gut sein und uns lieber planen, was heute noch läuft. Wir können in den Park und anschließend in die Nachmittagsvorstellung ins Kino. Was hältst du davon?“

„Au ja, da gibt es diesen Highlander-Film, den ich unbedingt sehen muss.“

Salomé warf das Geschirrtuch nach Allegra, die quiekend aus der Küche floh.

In diesem Moment surrte ihr Smartphone erneut. Sie kapitulierte und las die eingegangenen Nachrichten. Mit leisem Bedauern stellte Salomé fest, dass keine einzige Nachricht von Nate war. Sie hatte ihm durch ihr Verhalten wohl erfolgreich klargemacht, dass da nichts zwischen ihnen laufen würde. Genauso, wie sie es wollte, oder?

Neben fünf Nachrichten von neugierigen Familienmitgliedern, darunter Julia, die anscheinend im Internet eines der gestern Abend geschossenen Bilder von Nate und ihr gefunden hatten, war eine Meldung von Keira dabei, die ihr Anrufe mehrerer Verwandten ausrichtete.

Salomé verzog das Gesicht. Das grenzte ja an Stalking! Eine weitere Nachricht war von einem Dr. Tigran Hagopian. Salomé stutzte. War das nicht der armenische Preisträger, mit dem sie sich gestern so angeregt unterhalten hatte? Sie hatten sogar getanzt. Obwohl Salomé dabei hauptsächlich damit beschäftigt gewesen war, Nate zu beobachten, der die Damen souverän übers Parkett geführt hatte. Dr. Hagopian bat dringend um Rückruf. Was er wohl wollte? Vielleicht fand er den Tower zu klobig und wollte ihn zurückgeben? Schmunzelnd legte Salomé ihr Smartphone beiseite.

Erst einmal fuhr sie den Laptop hoch und öffnete den Link zu einer der Klatschseiten, den ihr Keira geschickt hatte. Das Bild, das sich öffnete, ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen. Sie und Nate in voller Gala-Montur. Die Fotografen hatten das Bild so beschnitten, dass Howard Bench und der armenische Arzt nicht zu sehen waren und es anmutete, als hätten Nate und sie nicht nur zufällig nebeneinandergestanden. War es überhaupt Zufall gewesen?

Je mehr Salomé darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie. Ihr Blick heftete sich auf das Foto. Nate sah so gut aus. Es war deutlich erkennbar, dass seine Hand auf ihrem Rückendekolleté ruhte. Er hatte seinen Kopf zu ihr hingeneigt, und ein verträumtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Direkt daneben prangte ein Bild von Nate mit dem Model, einander zugewandt und professionell in die Kamera lächelnd. Kein Wunder, dass dies die Journalisten zu der Unterschrift „Sexiest man alive unersättlich?“ inspiriert hatte.

Die nächsten Fotos verschlugen Salomé kurzzeitig die Sprache: Eine Bilderfolge zeigte Nate, wie er vom Eingang des Gebäudes, in dem die Gala stattgefunden hatte, zu ihrem Auto gerannt kam und sie ihm ihre Hand entzog, die aus dem Fenster hing. Die Nahaufnahme zeigte einen verzweifelt blickenden Nate, der an ihrer Hand zerrte. Das durfte ja nicht wahr sein!

Die Bildunterschrift sagte alles: „Der Highlander verliebt!

Salomé, die den Umgang mit solch freien Interpretationen der Klatschpresse eigentlich gewohnt war, schluckte trocken. Zugegeben, sie und Nate wirkten auf dem ersten Bild sehr harmonisch. Weshalb nur war er ihr nach draußen gefolgt? Er wusste doch, dass die Pressehyänen dort lauerten. Und wo um alles in der Welt war die Kalinkaka?

Ihr Blick heftete sich abermals an seinen Gesichtsausdruck auf dem letzten Bild. Warum bloß hatte Nate sie so angeschaut? War er vielleicht tatsächlich in sie verliebt? Auf dem anderen Foto lächelte er eine andere Frau an. Er spielte einfach eine Rolle. Oh, Gott, das war zum Verrücktwerden!

Ein anerkennender Pfiff riss Salomé aus ihren Träumen.

„Wow. Also wenn der nicht auf dich steht!“, merkte Allegra in ihrer unverblümten Art an, während sie Salomé über die Schulter blickte. Hastig klappte Salomé den Laptop zu und versuchte, ihre Aufregung zu überspielen.

„Egal. Sollen wir los?“

Allegra lachte wieder schallend.

Der Nachmittag war zu schön, um ihn im Kino zu verbringen, und so schlenderten die beiden Freundinnen durchs spätsommerliche New York. Allegra lauschte Salomés Erzählungen von den Geschehnissen auf Mirabel, wie auch Salomé mit zunehmender Ergriffenheit Allegras Berichten von ihrer Arbeit im Erdbebengebiet zuhörte. Sie gönnten sich Hotdogs mit Relish und Sauerkraut an einem der Straßenstände und schlürften jede einen großen Cappuccino-to-go auf den Stufen des Metropolitan-Museums, während sie die zum Central Park vorbeihastenden Menschen kommentierten. Es war ein perfekter Nachmittag in Manhattan.

Als sich beide am frühen Abend wieder ihrem Apartmenthaus näherten, wartete bereits eine Meute Fotografen auf sie.

„Salomé! Miss de Bertrand! Wie haben Sie Nate kennengelernt?“, stürmten die Fragen auf sie ein.

„Oh, nein. Die sind wegen des Fotos mit Nate hier.“ Salomés schaute Allegra entschuldigend an.

Für eine Flucht war es zu spät. Allegra genoss allerdings den Trubel, zog Salomé an ihre Seite und posierte vor den Fotografen.

„Salomé! Hierher. Zu mir. Ist Nate wirklich in Sie verliebt?“

„In diese Frau kann man nur verliebt sein. Vergessen Sie nicht zu schreiben, dass der Erlös aus den Fotos den Erdbebenopfern in Nepal zugutekommt!“, rief Allegra den irritierten Paparazzi zu.

Salomé musste kichern. Gut gelaunt entkamen sie dem Trubel und winkten Conrad im Vorbeirauschen zu, bevor dieser auch nur eine Frage stellen konnte.

Zu Salomés Erleichterung warteten am nächsten Morgen nur noch ein paar versprengte Paparazzi vor ihrem Haus und dem Bürogebäude, die sich damit zu begnügen schienen, sie nur abzulichten.

Allegra textete vormittags begeistert, dass die meisten Zeitschriften im Zusammenhang mit dem Foto zu Spenden für die Erdbebenopfer aufriefen. Salomé rief die entsprechenden Seiten auf und tatsächlich: Sogar Salomés Engagement in diversen anderen Bereichen wurde lobend erwähnt. So hat die Sache doch noch etwas Gutes, stellte Salomé fest. Sie war dennoch erleichtert, dass die Aufregung um ihre Person in den nächsten Tagen abflaute.

Doch die Ruhe war trügerisch.

„Nennen Sie mich bitte Tigran.“

Salomé blickte in die schokoladenbraunen Augen und musste zugeben, dass der armenische Arzt die Kunst des Flirtens vollendet beherrschte. Sie hatte Dr. Hagopians beharrlichem Werben nach ein paar Tagen nachgegeben und sich mit ihm zu einem Dinner verabredet. Tigran hatte sie in ein versteckt gelegenes armenisches Restaurant an der Lower East Side entführt. Salomé war nicht nur überrascht von den unbekannten, köstlichen Speisen, sondern auch darüber, dass sie sich keine einzige Sekunde in seiner Gegenwart langweilte. Tigran verstand es, in intelligenter, spritziger Art von seinem Leben zu erzählen, und war erfreut, dass Salomé durch ihr Engagement in der Stiftung, aber auch durch Allegras Berichte eine ebenbürtige Gesprächspartnerin war.

Als sie das Restaurant verließen, legte Tigran seine Hand auf Salomés Rücken und führte sie nach draußen. Die Berührung war nicht unangenehm. Kaum hatte Salomé einen Schritt vor die Tür gemacht, ging ein Blitzlichtgewitter auf das Paar los. Instinktiv nahm Tigran Salomé in den Arm und zog sie schützend an sich.

„Salomé. Was ist mit Nate?“

„Salomé, wer ist der neue Lover?“

„Salomé, bringt Nate es nicht?“

Bevor Tigran sie in ein rasch herbeigerufenes Taxi bugsieren konnte, prasselten diese Fragen in sämtlichen Variationen auf sie nieder. Eine Weile fuhren sie schweigend durch New York. Salomé musste den Schock über diesen unerwarteten Ansturm erst einmal verarbeiten.

„Es tut mir leid. Damit habe ich nicht gerechnet. Danke für deine Hilfe.“ Sie legte ihre Hand auf Tigrans Arm.

Der Arzt hatte nachdenklich aus dem Fenster gestarrt. Er wandte sich ihr zu. „Wer ist Nate?“

Salomé vergrub das Gesicht in ihren Händen und stöhnte auf.

„Es ist nichts mit Nate. Das wünschen die sich nur.“

„Doch nicht etwa Nate Hamilton?“

Salomé nickte.

„Es gab einige Fotos von der Gala in der Presse.“

Selbst im spärlichen Licht, das im Taxi herrschte, konnte sie bemerken, wie sich Tigrans Gesichtsausdruck veränderte. Unvermittelt schnalzte er mit der Zunge.

„Salomé. Du bist eine sehr schöne Frau. Aber bitte versteh: Ich bin Armenier.“

Salomé hob fragend die Augenbrauen.

„Ich kann mir in meinem Privatleben keinen Skandal erlauben.“

„Skandal?“

Tigran machte eine unwirsche Handbewegung. „Egal, ob du wirklich etwas mit diesem Nate hast. Allein der Eindruck, ich ginge mit einer Frau aus, die eine Liaison mit einem Hollywoodstar hat, schadet meinem Ruf.“

Salomé war so verblüfft, dass ihr noch nicht mal ein ungläubiges Schnauben gelang. Sie atmete tief durch. Was sollte das? Glaubte dieser Mann etwa, sie habe es nötig, sich seine Moralpredigt anzuhören?

„Ich verstehe“, antwortete sie nur knapp, obwohl sie überhaupt nichts mehr verstand. Soeben beim Dinner war er ihr als weltoffener, gebildeter und moderner Mann erschienen – und nun so ein Steinzeitverhalten.

Tigran nickte erleichtert und wies den Taxifahrer an, zu Salomés Apartmenthaus zu fahren. Im Verlauf der weiteren Fahrt sprach keiner mehr ein Wort. Mit einem unterkühlten Nicken verabschiedeten sie sich voneinander. Im Aufzug nach oben kam endlich das ungläubige Schnauben aus Salomés Kehle, das sich in herzhaftes Lachen ausweitete. Sie war durch das Wechselbad der Gefühle so überspannt, dass sie immer noch kicherte, als sie die Haustür aufschloss. Allegra, die in Bademantel und Socken vor dem Fernseher saß, musste ein paar Minuten warten, bis ihre Freundin sich so weit gefangen hatte, um alles zu erzählen.


Nate schaute regungslos in Carys triumphierendes Gesicht. Die kleine Frau, auch heute in einem grauen Businesskostüm mit flachen Schuhen, hatte sich vor ihm aufgebaut.

„Hab ich’s dir nicht gesagt? Die Dame war wohl eine Nummer zu groß für dich!“ Cary fuhr sich durch das kinnlange schwarze Haar. Ihre grünen Augen blitzten ihn durch die Gläser ihrer großen Nerdbrille an.

Nate konnte nicht antworten. Hinter seiner Stirn ratterte es. Stirnrunzelnd betrachtete er wieder die Bilder auf der Homepage der You Know?, eine von mehreren Klatschzeitungen, die die Story heute als großen Aufmacher hatten. Er unterdrückte den Impuls, Cary das Tablet aus der Hand zu schlagen. Das unterschwellige Gefühl der Eifersucht, das seit der Gala in ihm geschlummert hatte, schwappte heiß seine Kehle hoch.

Das linke Bild zeigte eine beschwingte Salomé, die vor einem charmant grinsenden Dr. Hagopian, der vertraulich seine Hand an ihren Rücken gelegt hatte, ein Restaurant verließ. Im Bild daneben schmiegte sich Salomé in die Arme ihres Kavaliers.

Die letzten Tage waren immer wieder Schnappschüsse von Salomé in der Klatschpresse aufgetaucht. Das erste bildete sie zusammen mit einer sich sehr ungezwungen gebenden, blond gelockten Frau ab. Weitere Aufnahmen zeigten sie beim Betreten der Bank oder vor ihrem Fitnessstudio. Nate konnte nicht leugnen, dass ihn jedes Mal ein wohliger Schauer durchrieselte, wenn er die dazugehörigen Unterschriften studierte: „Nates schöne Freundin“ oder „Sie hat sich Nate geschnappt“.

„Schön wär’s.“ Er unterdrückte ein Seufzen.

Nachdem das Date in New York so danebengegangen war, hatte er durch diese Klatschmeldungen wenigstens ein bisschen Anteil an ihrem Alltag. Bislang hatte er sich zurückgehalten, sie noch einmal zu kontaktieren. Er redete sich ein, es wäre besser so. Selbst Sean hatte das gesagt. Außerdem verdiente eine Frau wie Salomé es, ausgiebig umworben und nicht als Termin dazwischengequetscht zu werden. Wie sollte er das anstellen, wenn seine Tage von Cary minutiös durchgeplant waren? Besser nach dem Dreh.

Das heutige Bild allerdings brachte diesen Entschluss ins Wanken. Panik wallte in ihm auf. Was, wenn dieser Arzt sie ihm wegschnappte?

Nates Blick fror an Salomés entspanntem Gesicht auf der ersten Abbildung fest. Wie unglaublich gut sie aussah! Sie hatte diese hoheitsvolle Aura, die von ihrer geraden Haltung und eleganten Kleidung unterstrichen wurde. Ihre funkelnden Augen und ihr lachender Mund bildeten die herzliche Nuance, die das Gesamtbild abrundete. Nate atmete tief ein. Sie war perfekt. Perfekt für ihn. Er vermisste sie so sehr.

Es war anhand der Aufnahme schwer zu sagen, was sie für diesen Arzt empfand. Sie wirkte auf jeden Fall glücklich. Vielleicht war es schon zu spät? Seine Kiefermuskeln spannten sich an, als er cool Carys Blick begegnete.

„Ach, Cary. Du weißt doch, wie solche Fotos zustande kommen. Das heißt doch gar nichts.“ Nate war selbst erstaunt, wie gekonnt gelangweilt sein Tonfall klang. Das war echt oscarreif.

Irritiert ließ Cary das Tablet sinken.

„Hast du die Schlagzeile gesehen? „Nate war gestern.“ Wie sollen wir das nur geradebiegen? Wo du gerade auf der Liste der einflussreichsten Männer im Filmbusiness auf Platz zweiundzwanzig stehst. Du sackst garantiert ab durch diese Geschichte.“

Carys Mund wirkte verkniffen. Ein untrügliches Zeichen, dass sie mit ihrem Latein am Ende war. In Nate, dem es herzlich egal war, welchen Platz in welchem Ranking er belegte, solange er auf Salomés Platz eins stand, regte sich Kampfgeist. Er musste handeln und nicht abwarten. Jetzt sofort!

„Ganz einfach. Wir beweisen der Welt, dass ich nicht gestern war! Organisiere einen Flug nach New York!“

Stargeflüster

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