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DER ANRUF

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Salomé de Bertrand löste nur unwillig ihren Blick von der Portfolioanalyse. Ihre Assistentin Keira stand in der Tür und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Er hat gesagt, es sei privat und wichtig“, rechtfertigte sie die Störung. Salomé konnte sich gerade noch verkneifen, mit der Zunge zu schnalzen. Keira war die Tochter eines Ehepaares, das schon seit Jahren Hausmeisteraufgaben für die de Bertrands in einem der Wohnhäuser an der Park Avenue innehatte, und gab wirklich ihr Bestes, den Job als Salomés persönliche Assistentin zu erfüllen. Aber sie war einfach zu nett. Sie hatte Salomé schon mehrfach Anrufer durchgestellt, die von der guten Margret, ihrer vormaligen Assistentin, bereits nach Nennung ihres Namens abgewürgt worden wären. Nach einem kurzen Nicken zu Ted, von dem die Analyse stammte, verließ dieser diskret den Raum, und Salomé griff zum Hörer.

„Ja bitte?“ Zu ärgerlich, dass Keira vergessen hatte, ihr mitzuteilen, wer am anderen Ende der Leitung war.

„Salomé de Bertrand?“ Die samtene Stimme, und vor allem der charmante schottische Akzent, ließ die Erinnerung an die laue Sommernacht in Südfrankreich vor etwa einer Woche aufblitzen, in der sie heftig mit einem unglaublich attraktiven Kerl geflirtet hatte. Sollte er etwa …?

„Wer möchte das wissen?“ Salomé bemühte sich, ihre Stimme professionell klingen zu lassen. Ein leises Lachen ertönte in der Leitung, und ihr Herz erhöhte seine Schlagzahl.

„Wow. Das ist sehr sexy, wenn du die toughe Bankerin mimst, Zaza. Hier ist Nate Hamilton.“

Salomé räusperte sich. Er war es. Und er nannte sie bei ihrem Kosenamen Zaza, von dem nur ihre engsten Freunde und Familienangehörigen wussten. Und er. Unerklärlicherweise wurde sie noch aufgeregter. Mit zitternden Fingern strich sie sich durch ihr glattes schwarzes Haar und flüchtete sich in vermeintliche Coolness.

„Nate ... Hamilton? Hmm?“ Insgeheim freute sie sich diebisch, ihn zappeln zu lassen. „Ah, Nate! Ich erinnere mich. Du bist doch der Bruder von Colin. Du warst sein Begleiter bei der Geburtstagsfeier meines Vaters.“

Salomé vernahm ein leises Ächzen.

„Wenn du so willst. Der Bruder von Colin also.“

Salomé spielte ihr Spiel weiter und blieb still. Wieder hörte sie Nates leises Lachen, das ihre Knie weich werden ließ.

„Glaubst du, ich merke nicht, was du hier treibst, Zaza? – Ich bin für ein paar Tage in New York. Wir sind in Südfrankreich recht schroff von Colin“, er betonte den Namen seines Bruders bewusst, „unterbrochen worden. Ich ...“

Nate machte eine kurze Pause, und Salomé, immer noch zitternd vor Freude über seinen unerwarteten Anruf, wartete begierig auf seine nächsten Worte.

„… ich möchte dich gerne wiedersehen, Zaza.“

Obwohl sie damit gerechnet hatte, bewirkte Nates schlichter Satz, dass Salomés Herz wie ein Vogel in ihrer Brust flatterte. Bevor sie noch über eine Antwort nachdenken konnte, fuhr Nate bereits fort.

„Da gibt es ein kleines japanisches Restaurant in Chelsea, in das ich dich gerne entführen möchte. Wann und wo kann ich dich heute Abend abholen?“

Salomé fühlte sich ein wenig überrumpelt. Sie hatte eigentlich vorgehabt, den Abend in Ruhe in ihrem Apartment zu verbringen. Die Rückreise aus Südfrankreich, wo sie ihren Sommerurlaub mit ihren Eltern und ihrem Bruder Philippe auf dem familieneigenen Anwesen Mirabel verbracht hatte, und der enge Zeitplan der letzten Arbeitstage hatten sie ganz schön geschlaucht. Und morgen war in aller Herrgottsfrühe ein Frühstückstreffen mit Jonathan Hawk angesetzt, einem der aktuell begabtesten Fondsmanager.

„Heute Abend?“

„Ja, das ist etwas kurzfristig, ich weiß. Aber ich bin nur noch bis übermorgen in der Stadt, Zaza. Und morgen Abend habe ich eine berufliche Verpflichtung, die ich nicht absagen kann.“

Salomé sog die Luft ein. Sie war es als Geschäftsführerin einer Bank gewohnt, in geschäftlichen Angelegenheiten rasche Entscheidungen zu treffen und sich innerhalb von Sekunden für eine andere Strategie zu entscheiden. Weshalb also nicht heute Abend?

„Okay. Ich werde allerdings erst spät hier rauskommen. Vor neun geht es nicht.“ Sie nannte ihm die Adresse ihres Apartments.

„Gut, ich freue mich.“

Nates Offenheit verwirrte sie. Sollten Männer nicht subtiler flirten? Als sie aufgelegt hatte, bemerkte sie erst, wie ihre Hand zitterte. Was zum Teufel war los mit ihr?

Wenn sie ehrlich war, war sie Nate dankbar, dass er sie davor bewahrte, in der Stille ihres Apartments sich nach ihrer fernen Familie zu sehnen. Ganz besonders vermisste sie diesmal ihre neu gewonnene Freundin Julia. Diese hatte den Sommer über auf Mirabel mit Salomés Vaters zusammen seine Memoiren geschrieben. Dort hatte sie auch Salomés Halbbruder Mathieu kennen- und lieben gelernt. Und jetzt waren beide verlobt und erwarteten ein Kind.

Salomé checkte mit einem raschen Blick die Zeit in Europa und wählte Julias Nummer. Ted, der vermutlich noch vor der Tür wartete, würde ihr die paar zusätzlichen Minuten nachsehen. Wem, wenn nicht Julia, konnte sie von ihrem Date mit Nate erzählen? Lustig, wie sich das reimte.

„Zaza, bist du das?“, meldete sich Julia fröhlich. „Ich bin gerade draußen.“

Salomé schloss lächelnd die Augen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihre Freundin vor dem verwunschenen, pflanzenbewachsenen Haus ihres Halbbruders Mathieu stand.

„Julia, ich wollte nur sichergehen, dass mein Bruder Mathieu noch gut zu dir ist.“

Julia lachte freudig auf. „Du willst sicherlich nicht im Detail hören, wie gut er ist, oder?“

Salomé grinste. Sie vermisste das tägliche Herumalbern mit Julia. Salomé hatte sich selten so gut mit einer anderen Frau verstanden. Ihre langjährige Freundin und Mitbewohnerin in New York, Allegra, war in letzter Zeit viel zu wenig da, um zu quatschen. Sie war Ärztin bei „Ärzte ohne Grenzen“ und hielt sich die meiste Zeit in Krisenregionen auf.

Salomé freute sich, dass die Liebe zwischen Mathieu und Julia trotz anfänglicher herber Rückschläge endlich auf der richtigen Spur war. Wenn Liebe so war, wie diese beiden es lebten, konnte Salomé nur neidisch werden.

„Nein, lass mal lieber. Ist alles okay mit dem Baby?“ Julia war im ersten Trimester ihrer Schwangerschaft, und Salomé konnte es kaum erwarten, Tante zu werden.

„Ja, alles super. Mathieu behandelt mich leider wie ein rohes Ei. Das halte ich nicht mehr lange aus.“

Aus Julias frischem Tonfall schloss Salomé, dass ihre Freundin es alles andere als schlimm fand, von Mathieu auf Händen getragen zu werden. Salomé beschloss, ihr brennendes Anliegen loszuwerden.

„Julia, du wirst nicht glauben, wer sich gerade bei mir gemeldet hat!“

„Doch nicht etwa der sexy Schotte?“

Salomé war verwirrt, wie zielsicher Julia ins Schwarze getroffen hatte.

„Doch, genau der. Nate. Er ist in New York.“

„Wow. Der ist aber schnell. Das Fest ist doch gerade mal fünf Tage her. Ich habe dir doch gesagt, der verschwindet nicht so einfach aus deinem Leben. Er hatte ja auch keine Chance, so wie Inès seinen Bruder Colin unter ihre Fittiche genommen hat.“

Salomé lächelte. Ihre Mutter Inès hatte den schottischen Künstler Colin Hamilton bei einer Ausstellung in Südfrankreich entdeckt. Inès kehrte, begeistert von dessen ungewöhnlich ausdrucksstarken Bildern, in das Feriendomizil der Familie de Bertrand in Roquebrune zurück und erwarb sogleich eine Handvoll Porträts. Der gut aussehende Künstler hatte es Inès so angetan, dass sie ihn nebst Begleitung spontan zu der großen Geburtstagsfeier ihres Mannes Charles auf das Anwesen einlud.

Colin wählte als Begleitung für das Fest seinen Bruder Nate. Die beiden attraktiven Männer, die statt eines Smokings im schottischen Kilt aufschlugen, ließen die Herzen der weiblichen Gäste kollektiv höherschlagen. Salomé tanzte mit beiden, aber der hochgewachsene Nate umgarnte sie an diesem Abend mit seinem Old-School-Charme. Als es hinter den Kulissen turbulenter wurde – Philippe und ihr Halbbruder Mathieu hatten eine handgreifliche Auseinandersetzung, die fast in einem Unglücksfall endete –, beeindruckte Nate Salomé durch seine pragmatische Hilfe.

Als sie sich bei einem Tanz gerade näherkamen, tauchte Colin leider auf und zog Nate mit dem Hinweis auf die frühe Abreise am nächsten Morgen aus Salomés Armen von der Tanzfläche. Soweit Salomé ihrer champagnerumnebelten Erinnerung trauen konnte, hatte Nate sich mit einem bedauernden Blick von ihr verabschiedet. Er hauchte einen zarten Kuss auf ihre Wange und flüsterte dabei etwas Schottisches in ihr Ohr. Dessen Sinn hatte sich der überrumpelten Salomé erst später erschlossen, als ihr Gehirn die Worte zu einem halbwegs verständlichen Satz aneinanderreihte.

„See ye soon, ma Bonnie.“

„Auf bald, meine Schöne.“ Wie meinte er das?

Das aufregende Flirren, das diese Worte in Salomé auslösten, war am nächsten Morgen nur noch eine verschwommene Erinnerung. Dann hielten auch schon die letzten Tage der Sommersaison Salomé davon ab, weiter an Nate zu denken. Mathieu und Julia feierten ihre Verlobung. Ein Abschiedsessen jagte das nächste, und gleichzeitig strukturierte Salomé bereits die ersten Arbeitswochen in ihrem New Yorker Büro vor, die nach ihrer jeweils langen Sommerpause erfahrungsgemäß sehr hektisch würden.

Bei ihrer Abreise umarmte Julia Salomé fest. „Ich wünsche mir für dich, Zaza, dass du dein Glück auch bald findest“, hauchte sie ihr dabei ins Ohr.

Salomé seufzte leise.

„Ist denn da kein Mann in New York, der sich auf dich freut, Zaza?“

„Nein. Wie denn auch? In New York habe ich wegen meines Arbeitspensums keine Zeit für ein richtiges Privatleben.“

„Du und kein Privatleben? Das kann ich mir nicht vorstellen. Die lebensfrohe Zaza, die ich hier in Südfrankreich kennengelernt habe, nimmt jede Möglichkeit mit, sich zu amüsieren.“

„Glaube mir, du würdest die New-York-Zaza nicht wiedererkennen. Vom Leben in New York bekomme ich nur die unzähligen offiziellen Veranstaltungen mit. Aber das gehört eben zum Job. Und die Menschen, die ich auf Galas und Ausstellungseröffnungen kennenlerne, sehe ich meistens nur dort und nie privat. Es ergibt sich einfach nicht, weil alle zeitlich so eingebunden sind. So geht es mir ja selbst auch. Die Leute, mit denen ich privat in New York Kontakt hatte, lassen sich an einer Hand abzählen.“

Julia schüttelte ungläubig den Kopf. „Wie hältst du das aus? Das ist ja wie bei Doktor Jekyll und Mister Hyde. Die zwei Leben der Zaza.“

Zaza lachte laut über Julias Vergleich. Dann zuckte sie nur die Achseln.

„Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Wenn die langen Sommer in Frankreich mit dem de Bertrand-Clan nicht wären, in denen ich sein kann, wie ich wirklich bin, wäre ich schon durchgedreht.“ Ihr Mund verhärtete sich kurz, dann winkte sie ab. „Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Schließlich habe ich die Ehre, die Dependance unserer Bank in New York zu leiten und den nordamerikanischen Markt abzudecken. Da muss man privat Abstriche machen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Philippe so viele Abstriche macht wie du.“

Salomé verdrehte die Augen beim Gedanken an ihren Bruder.

„Philippe ist ja auch ganz anders als ich. Deshalb darf der ja auch nur den asiatischen Markt machen.“ Sie kicherte, denn Julia wusste, wie gerne Salomé ihren Bruder aufzog und sich nicht verkneifen konnte, ihm unerwünschte Tipps für die Bankgeschäfte in seinem Bereich zu geben.

„Warum nur habe ich das Gefühl, du lenkst vom Thema ab? Sprachen wir nicht über Männer?“

Salomé grinste schief. „Die guten Männer, denen ich mein wahres, wildes Ich offenbaren möchte, sind anscheinend nicht in New York.“

Julia blickte sie fragend an. „Ach – und wo sollen die sein?“

„Och … Vielleicht auf Partys in Südfrankreich?“

Es dauerte nach dieser Bemerkung etwa eine Zehntelsekunde lang, bis Julia begriff, dass Zaza von dem blauäugigen Schotten Nate mehr als angetan war.

„Wart’s nur ab, Zaza. Ich hab da so ein Gefühl, als würdest du den bald wiedersehen.“

Zaza hatte die Achseln gezuckt. „Schön wär’s.“

Und jetzt hatte er sich gemeldet.

„Und, trefft ihr euch?“, fragte Julia in ihrer direkten Art.

„Ja, heute Abend. Er ist nur noch zwei Tage da, und morgen haben wir beide keine Zeit. Wir gehen japanisch essen.“ Salomé versuchte vergeblich, ihre Aufregung vor Julia zu verbergen.

Julia lachte. „Zaza hat ein Date mit Nate! Zaza hat ein Date mit Nate! “, summte sie ausgelassen vor sich hin.

Salomé verdrehte die Augen. Dann hörte sie, wie Julia leise mit jemandem sprach. Das konnte nur ihr Halbbruder Mathieu sein.

„Hallo, Schwesterchen. Was höre ich, du hast also ein Date mit Sexy-Nate?“

Salomé konnte sich leider nicht über die ungewohnt vertrauliche Anrede ihres neuen Halbbruders freuen. Jetzt reichte es! So dämlich, wie dieser Satz klang, würde das Rendezvous mit Nate hoffentlich nicht werden.

„Ich muss dann mal wieder mit meinem Portfoliomanager ins Meeting“, unterbrach sie Mathieus Necken. Sein tiefes Lachen schallte aus dem Hörer, bevor Salomé auflegte.

Salomé konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ein aufgeregtes Ziehen machte sich in ihrer Brust breit. Ob Nate noch so beeindruckend sein würde, wie sie ihn an diesem lauschigen Abend auf Mirabel empfunden hatte? Würde sie es für ihn sein?

Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, wie der heutige Abend verlaufen würde. Seit Jahren war sie nicht mehr so aufgeregt vor einer Verabredung gewesen. Sie hatte ja auch schon eine Weile kein richtiges Date gehabt. Warum bloß war sie so nervös?

Bevor sie der Frage weiter nachgehen konnte, riss Keira sie aus ihren Träumereien. „Salomé. Ted muss gleich zu einem Meeting. Haben Sie noch kurz Zeit für ihn?“

„Klar. Schicken Sie ihn rein, Keira.“

Den weiteren Nachmittag kam Salomé nicht mehr dazu, über ihr Date mit Nate nachzudenken. Das undefinierbare Gefühl, dass etwas Großes bevorstand, hielt allerdings an.

Stargeflüster

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