Читать книгу Dein Licht, das mich umfängt - Avon Gale - Страница 6
Kapitel 1
ОглавлениеDer zigste Entwurf, der wieder auf seinem Tisch landet – begleitet von einer knappen Notiz, die im Prinzip auf gar keinen Fall lautet –, ist der sprichwörtliche, nachhaltige und umweltfreundliche Tropfen, der für Avery Hextall das Fass zum Überlaufen bringt.
Er ist schon seit zwei Jahren im Architekturbüro Ratcliff and Roberts angestellt und hat sich geduldig zum Juniorpartner hochgearbeitet. Als er sich dann an einem ergonomisch designten Tisch wiedergefunden und seinen eigenen Anrufbeantworter erhalten hat, dachte er, dass sein erstes Projekt nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Leider hat man ihm einen Projektmanager vor die Nase gesetzt, der ein Despot sondergleichen ist und eine diebische Freude daran hat, jeden einzelnen Entwurf abzulehnen, den Avery ihm vorlegt.
Er hat keine Ahnung, was er getan hat, um Malin Lacroix zu verärgern, aber was immer es ist, er ist offenbar deutlich besser darin als im Entwerfen von Gebäuden. Fuck. Man denke nur an all die Studienkredite, die er sich hätte sparen können, wenn er das vorher gewusst hätte.
Sein letzter Entwurf allerdings… Er ist wirklich stolz darauf und ist sich sicher gewesen, dass er es am Schreibtisch von Projektmanager Kleinkariert vorbeischaffen würde. Er hat drei Wochen seines Lebens damit verbracht, von Kaffee gelebt, der mit zwei dieser Fünf-Stunden-Energy-Zusätze aufgepeppt war, und nichts als Frosted Flakes gegessen. Er ist sich ziemlich sicher, das verdammte Ding sogar im Schlaf weiter designt zu haben – wenn er denn irgendwann geschlafen hatte. Da ist er sich immer noch nicht sicher.
Eine Sache weiß er allerdings mit Sicherheit: Er hat sich während dieser Zeit in die Grundrisse von jedem Gebäude vertieft, das er je geliebt hat, und über jedem Design aus dem Masterstudium gebrütet, das er je angefertigt hat. Zur Hölle, er hat sich sogar den Mist angesehen, den er im Kunstunterricht der fünften Klasse gezeichnet hat, und seine Mutter gefragt, ob sie seine Lego-Kreationen besonders innovativ und nachhaltig fand. Sie hat ihm sehr ruhig gesagt, er solle ein wenig schlafen, und dann aufgelegt. Avery hat das als Nein interpretiert.
Als er fertig war, hat er das Ganze zu seinem Freund aus dem Master, Blake Everett, geschickt, der selbst als Architekt in einem preisgekrönten Büro in Seattle arbeitet. Dann ist er in seinem Wohnzimmer auf und ab gelaufen, hat Zigaretten geraucht, die irgendein Mädel vor ein, zwei Monaten in seiner Wohnung vergessen hat, und darauf gewartet, dass Everett zurückschreibt.
Everetts Antwort kam ein paar Stunden später – fick dich, du verdammter, brillanter Bastard – und Avery hat seiner Katze – oder seinem Kissen – ein High Five gegeben. Wie auch immer. Er ist wirklich müde gewesen. Und dann ist er unverzüglich ins Bett gegangen, auch wenn es zwei Uhr an einem Samstagnachmittag gewesen ist.
Den nächsten Tag hat er damit verbracht, fieberhaft seinen Entwurf aufs Einreichen vorzubereiten, und zwei Bier getrunken. Er hat bei der E-Mail an Lacroix auf Senden gedrückt, als alles hochgeladen war, hat sich ein paar lesbische Pornos auf dem Spice Channel angesehen und ist dann auf der Couch eingeschlafen.
Am Montagmorgen ist er in der festen Überzeugung zur Arbeit spaziert, dass er es endlich geschafft hat, dass er endlich ein Design von Avery Hextall nicht nur auf einem Computerbildschirm sehen wird. Die nächsten zwei Wochen ist er wie ein Drachen durch die Lüfte gesegelt, genau bis vor zwei Minuten, als er vom Mittagessen zurückgekommen ist.
Da liegt er, sein Entwurf, genau in der Mitte des Tisches, mit Lacroix' sauberer Handschrift in roter Tinte auf dem Deckblatt. Lacroix benutzt rote Tinte, weil er ein sadistischer Hurensohn ist. Oder vielleicht hat er eine wiederkehrende Highschool-Mathelehrer-Fantasie. Was auch immer. Avery weiß, was das bedeutet, bevor er es überhaupt liest, und es fühlt sich an, als hätte eine Gewitterwolke gerade einen Sturm auf seinen Drachen losgelassen und das verdammte Ding in einem Baum verheddert.
Oder so etwas in der Art. Scheiß drauf. Er ist zu wütend für passende Metaphern.
Er ist stocksauer. Und er wird sich ein paar gottverdammte Antworten besorgen. Nämlich was Lacroix' Notiz – zu kompliziert angesichts der Parameter – zu bedeuten hat. Fuck. Avery entwirft Gebäude für den gewerblichen Gebrauch, keine Playmobil-Spielzeugsets. Lacroix wird sich erklären müssen, denn das hier ist was Persönliches – genau wie der vierte Der weiße Hai-Film –, nur, dass das hier sogar noch weniger Sinn ergibt.
Das Problem daran, in Lacroix' Büro zu stürmen, ist, wie Avery schnell herausfindet, dass die Realität weitaus ernüchternder ist als er es sich vorgestellt hat. Es beginnt recht vielversprechend. Er stürmt hinein, ohne anzuklopfen, und das ist ziemlich großartig. Dann schreit er fünf Minuten lang und schlägt zur Unterstreichung seiner Worte sogar mit der Faust auf Lacroix' Schreibtisch.
Und Lacroix sieht ihn einfach nur an. »Gibt es ein Problem, Mr. Hextall?«
Avery mustert schnell seinen Schreibtisch auf der Suche nach dem roten Stift. Scheiß auf diesen roten Stift, Mann. Und Scheiß auf Lacroix. Scheiß auf ihn und seine eleganten Anzüge, seine eisigen Augen und seine Hände, die eher wie die eines Violinisten aussehen als wie die eines Projektmanagers. Es sind eigentlich ganz nette Hände... und verdammt, was macht er da gerade? Er ist hier, um Lacroix anzuschreien, nicht, um über seine Hände nachzudenken.
»Ja, es gibt ein Problem«, schnaubt Avery, bereit, so laut zu brüllen, dass die Glasscheiben im Fenster hinter Lacroix in tausend Stücke zerspringen. Vielleicht wird der Hurensohn dadurch nach draußen gesogen – so wie in jedem Actionfilm, den Avery je gesehen hat. »Das Problem ist, dass Sie ein Arsch sind, der keine Seele hat.«
»Bitte setzen Sie sich.« Lacroix deutet auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, den Stuhl, den Avery mit beiden Händen festhält. Er denkt daran, ihn Lacroix über den Schädel zu ziehen.
Avery zieht den Stuhl mit einem Ruck heraus und setzt sich hin, wobei ihm auffällt, dass er Lacroix gerade gehorcht hat. Daraufhin steht er wieder auf. »Nein.«
Lacroix zuckt mit den Schultern, auf diese lässige, nervtötende Art, die die Nummer fünfundsechzig auf Averys Absurde Gründe, warum ich Malin Lacroix hasse-Liste darstellt. Er hat noch eine weitere Liste mit vernünftigen Gründen. Avery glaubt an die Macht von Listen.
»Wie Sie wollen«, sagt Lacroix und betrachtet ihn mit seinen blassen Augen. »Ich nehme an, dass Sie hier sind, weil ich Ihren Entwurf abgelehnt habe?«
In Lacroix' Stimme schwingt ein klitzekleiner Hauch von Belustigung mit. Zumindest glaubt Avery, ihn zu hören. Oder vielleicht sucht er einfach nach einer Entschuldigung, um den dämlichen gläsernen Briefbeschwerer auf Lacroix' Schreibtisch zu nehmen und ihn irgendwo hinzuschleudern. Das wäre dann der nächste Schritt seines spontanen Plans.
Das Glas ist kalt an seinen Fingern – glatt – und der Architekt in ihm würdigt seine Form, selbst wenn der Rest von ihm es Lacroix ins Gesicht schlagen will. »Ja. Wissen Sie, wie hart ich daran gearbeitet habe?«
Lacroix' Finger liegen jetzt um Averys Handgelenk. Sie sind warm, überraschend stark, und sein Griff beginnt zu schmerzen.
»Hextall.« Lacroix' Stimme ist genauso fest wie sein Griff und da ist etwas in seinem Tonfall, das Avery gänzlich den Atem raubt. »Legen Sie das hin und dann setzen Sie sich. Ich werde es Ihnen nicht noch einmal sagen.«
Lacroix redet mit ihm, als wäre Avery sein Hund – oder ein Juniorpartner, kommt aufs Gleiche raus. Und es sollte ihn rasend machen. Tut es auch, aber Avery folgt der Aufforderung trotzdem. Mit einem trotzigen Grummeln schüttelt er seine Hand aus und lässt sich dann mit der Anmut eines gefallenen Engels, der in ein Hurenhaus schlendert, auf den Stuhl sinken.
»Na also.« Lacroix klingt zufrieden, aber Avery kann es nicht mit Sicherheit sagen, weil er sich weigert, den Scheißkerl anzusehen. »Jetzt weiß ich, dass Sie wütend sind, weil ich Ihren Entwurf nicht ausgewählt habe, und ich bin gerne bereit, Ihnen ein Feedback zu geben. Falls Sie aufhören zu schmollen.«
»Ich weiß, warum Sie es getan haben.« Langsam wird Avery ein wenig... vielleicht nicht verlegen. Er ist immer noch ziemlich angefressen, aber jetzt wünscht er sich, das alles etwas besser durchdacht zu haben. Wie üblich hält ihn das nicht vom Reden ab. »Sie wollen meine Hoffnungen und Träume zerstören. Darum.«
»Ich bin mir sicher, Ihnen ist bewusst, dass ich die meisten Entwürfe der Juniordesigner ablehne – alle, nicht nur Ihre. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es zum Wohle dieses Büros ist, nicht zu meiner persönlichen Erheiterung.« Lacroix hält inne. »Nun ja, vielleicht finde ich es in Ihrem Fall ein klein wenig erheiternd.« Jetzt amüsiert er sich definitiv. Avery muss nicht aufblicken und die intensive Musterung der Fäden seiner Anzughose unterbrechen, um das zu sehen.
»Und Sie alle denken das Gleiche – dass ich Ihr Genie verkenne, dass ich zu streng bin und nicht verstehe, wie brillant Sie sind. Oder wenn ich nur wüsste, wie Sie tage- und nächtelang aufgeblieben sind, angetrieben von Kaffee und Zigaretten, nur vom schöpferischen Feuer in Gang gehalten – dann würde ich verstehen, dass das mehr für Sie ist als nur ein Gebäude. Kommt Ihnen das bekannt vor?«
Das tut es. Und es klingt auch, als gleiche sein Leben einem Song aus Rent. Endlich sieht er argwöhnisch auf und begegnet Lacroix' Blick. Mit Jazzhänden und La Vie Bohème zu antworten, wäre wohl nicht das Beste, auch wenn es verdammt lustig gewesen wäre. Also sagt er gar nichts.
»Das dachte ich mir. Ich bin selbst auch Designer, Mr. Hextall. Ich verstehe die einfachen Elemente eines guten Designs. Aber meine Aufgabe ist es, einen Entwurf auszuwählen, der die Chance hat, die Ausschreibung für ein bestimmtes Projekt zu gewinnen. Also ja, für mich sind es nur Gebäude. Ich bin nicht hier, um Ihr Ego mit ständigem Lob aufzubauschen. Sie sind nicht mehr im Studium.«
»Moment. Macht man das im Studium? Jemand sollte bei der Columbia University anrufen und es ihnen sagen.« Avery lehnt sich mit verengten Augen nach vorne. »Das war ein verdammt guter Entwurf und das wissen Sie auch.« Wenn Lacroix zustimmt, kann er vielleicht gehen und sie beide könnten so tun, als wäre das alles nicht passiert.
In Lacroix' Augen flackert es wütend und er presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Ich nehme an, dass Sie länger als der durchschnittliche Mensch brauchen, um Informationen aufzunehmen, und erinnere Sie daran, dass es nicht meine Aufgabe ist, Entwürfe nur aufgrund ihres Designs auszuwählen, sondern auch nach ihrer Funktionalität, Kosteneffektivität und den Wünschen des Klienten. Verstehen Sie das oder soll ich Ihnen ein Diagramm zeichnen, wie Architekturbüros funktionieren?«
Avery funkelt ihn an. »Ich verstehe. Ja. Ich wusste, dass es gefühllose Geschäftsleute geben würde, mit gefühllosen Architekten hatte ich nicht gerechnet. Ist das der Grund, warum Sie im Projektmanagement sind? Weil all Ihre Designs spießig und langweilig sind?«
»Nein. Ich bin im Projektmanagement, weil ich sehr gut darin bin, Kunden davon zu überzeugen, sich für die Entwürfe unserer Firma zu entscheiden. Was ich übrigens erreiche, ohne sie anzuschreien oder anzudeuten, dass sie Idioten sind.« Lacroix seufzt. »Auch wenn es die meisten von ihnen tatsächlich sind. Ich bin in der Lage, unsere Designs so anzupassen, dass sie tatsächlich gebaut werden, Hextall. Vielleicht wollen Sie also darüber nachdenken, wer von uns beiden so starrsinnig ist, hm?«
»Ich habe dieses Gebäude so entworfen, dass es den Anforderungen entspricht, die wir erhalten haben.« Averys Stimme ist inzwischen weniger wütend und er zappelt herum, weil er nicht in der Lage ist, stillzusitzen. »Wenn es andere gegeben hat, hätten Sie mir das sagen müssen.«
»Ich muss gar nichts«, blafft Lacroix. Dann schließt er die Augen, als würde er bis zehn zählen. Oder... was auch immer zehn auf Französisch heißt. Avery ist sich ziemlich sicher, dass das Lacroix' Staatsangehörigkeit ist. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Lacroix dreht seinen Monitor so, dass Avery ihn sehen kann. Zuerst kann er sich aus dem, was er auf dem Bildschirm sieht, keinen richtigen Reim machen. Er lehnt sich vor, blinzelt, holt instinktiv seine Brille aus der Hemdtasche und setzt sie auf. »Faszinierend. Sind das diese Excel-Tabellen, von denen ich so viel gehört habe?«
»Waren Sie in all Ihren Kursen so nervtötend, Hextall?«
»Oh ja.« Avery wendet seinen Blick nicht vom Bildschirm ab. »Es ist gut, dass hier nur zwei Empfehlungsschreiben verlangt wurden, sonst würde ich in Schwierigkeiten stecken.«
Ein Schnaufen erklingt, das vielleicht ein Lachen sein könnte. Dann fährt Lacroix fort: »Das ist das Schema für den Auftrag, für den Ihr Entwurf abgelehnt wurde.« Er klickt mit der Maus, öffnet Seiten, die aus Säulendiagrammen und einer Menge langweiliger Berechnungen bestehen. »Es war ein brillanter Entwurf. Ihr Talent lässt sich nur selten infrage stellen.«
Avery ist von dem ersten echten Lob, das er je von Lacroix gehört hat, so schockiert, dass er nichts tun kann, außer wie ein Fisch mit schwarz umrandeter Brille dreinzublicken. Ist er eingeschlafen? Denn das kann gerade einfach nicht passiert sein...
Moment. Will er wirklich einschlafen und von Lacroix träumen? Definitiv nicht. Aber dieses Lob… Daran könnte er sich gewöhnen.
»Mr. Hextall?«
»Oh. Äh. Was?« Avery rückt seine Brille zurecht und bemüht sich, finster dreinzublicken, schafft es allerdings nicht ganz. Abgesehen davon interessiert es ihn, was auf dem Bildschirm angezeigt wird. Da steht einiges über Bodenzusammensetzung und Wettermuster, gleich neben Ausdrücken wie Angebotsauflistung und Kostenaufschlüsselung.
»Ich muss jeden Entwurf, der meine Ansprüche erfüllt, mit den Anforderungen des Kunden abgleichen, dann mit denen der Firma und den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Letztendlich wähle ich den Entwurf aus, der allem am ehesten gerecht wird.« Er hört auf herumzuklicken und es erscheint eine Seite mit Averys Initialen, ein paar weiteren Diagrammen – und vielen Zahlen. »Hier sehen Sie eine Aufschlüsselung Ihres Projektes.«
Avery studiert den Bildschirm und ist sich nicht hundertprozentig sicher, was er da liest, aber aufgrund der beunruhigend vielen roten Zahlen bekommt er einen ganz guten Eindruck.
»Es war zu teuer?«
»Das war ein Problem, ja.«
»Für uns oder für die?« Avery sieht ihn an und seine Wut flammt wieder auf, dieses Mal allerdings nur um seiner Künstlerseele willen. »Und was meinen Sie mit ein Problem? Welche gibt es denn noch? Denn manchmal muss man für mehr Qualität eben bezahlen –«
»Hextall, seien Sie still. Schauen Sie hin und hören Sie mir zu.« Lacroix nutzt den gleichen Tonfall, in dem er ihm schon befohlen hat, sich hinzusetzen. »Sie denken wie ein Architekt, nicht wie ein Geschäftsmann. Es gibt mehr zu berücksichtigen als eine schnelle Kostenanalyse und einen Überblick über die Umweltauswirkungen.« Lacroix macht eine abweisende Handbewegung. »Wussten Sie, dass allein die Kosten für die nötige Versicherung, damit diese Firma ein – wie haben Sie es genannt – ein freistehendes Atrium haben kann, wahrscheinlich tausend Menschen ihre Stelle kosten würde?«
»Sie haben gesagt, dass sie offene Räume mit viel Licht wollen. Das habe ich entworfen. Woher hätte ich das andere Zeug wissen sollen?«
Lacroix seufzt und dreht seinen Monitor von Avery weg. »Hätten Sie nicht. Aber ich. Es gab Probleme mit der Bodenzusammensetzung und dem Wasserabfluss eines nahe gelegenen Sees. Ich nehme an, Sie wussten auch nicht, dass es in der Nähe einen See gibt. Und das hatte ebenfalls Einfluss darauf.«
Avery nimmt seine Brille ab und reibt mit seinem Hemd über die Gläser. »Ich hätte das in Ordnung bringen können. All das. Wenn es mir jemand gesagt hätte.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie das gekonnt hätten. Aber Sie sind Juniorpartner in einer Firma und Thomas' Entwurf war preislich und den Umweltbedingungen entsprechend viel besser geeignet.«
Brandon Thomas. Ugh. Natürlich. Der strahlende Wunderknabe, der nett zu fast jedem war und es sogar noch ernst meinte. Man konnte ihn unmöglich hassen. Oh, wie Avery es versucht hat. Auch in genau diesem Moment, als er erfährt, dass Brandons Entwurf statt seinem ausgewählt wurde.
»Also haben Sie ihn nicht gehasst.« Avery lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen, starrt an die Decke und überlegt, wie er es tut mir leid sagen kann, ohne die Worte tatsächlich auszusprechen. Im Nachhinein war das alles eine furchtbare Idee gewesen. Zumindest hat er den Briefbeschwerer nicht geworfen. »Meinen Entwurf, meine ich.«
»Diesen hier? Nein. Ich habe ein paar davon gehasst, weil ich finde, dass Ihr Festhalten an Nachhaltigkeit hin und wieder Ihre Gestaltung beeinträchtigt. Ich beginne langsam zu glauben, dass Ihr Markenzeichen unnötig kompliziert ist.«
Das überrascht ihn genug, um den Blick wieder zu Lacroix zu heben. »Sie reden doch wohl nicht von der Spirale mit passiver Solarheizung, die ich in die Biegung der Treppe eingebaut habe, oder? Denn das war verdammt brillant.«
»Passive Solarheizung... Sie meinen ein Fenster?«
»Es ist nicht meine Schuld, dass Sie die Erde hassen.« Avery stößt den Atem aus. Er hat sich wahrscheinlich gerade gründlich reingeritten und wenn er den Ruf bekommt, eine Primadonna zu sein, endet er noch damit, Eigentumswohnungen für Rentner in Virginia Beach oder etwas ähnlich Schreckliches zu entwerfen. Er kann sich nicht dazu durchringen, sich zu entschuldigen, obwohl er weiß, dass er es tun sollte. Es würde vermutlich nicht viel nutzen... aber trotzdem.
Avery schweigt stur. Alles, was er hier noch hat, ist sein Stolz und ein Wahnsinns-Treppendesign.
»Ich nehme an, diese Unterhaltung hat all Ihre Fragen beantwortet, Mr. Hextall?« Lacroix starrt ihn immer noch an. Avery findet, dass er wie ein Falke aussieht. Macht das Avery zum Kaninchen, wenn er nicht wegsehen kann?
Er nickt so mürrisch wie möglich.
»Gut. Sie können gerne einen Termin mit mir machen, um über Ihre Entwürfe zu sprechen, aber platzen Sie ja nie wieder hier herein und führen sich auf, als schuldete ich Ihnen Antworten, weil ich meinen Job mache. Oder als wäre ich auf einem persönlichen Kreuzzug, um Ihre Karriere zu beenden. Sehen Sie es als neue Regel an, dass Sie mein Büro nicht ohne meine ausdrückliche Erlaubnis betreten dürfen.« Lacroix' frostige Stimme fühlt sich an wie Eis, das Averys Wirbelsäule hinabgleitet.
Kein Wunder, dass meine Treppe ihm nicht gefallen hat. Er ist viel zu kalt für alles, was mit Sonne zu tun hat. Es ist ein Zeichen von Reife, dass er diesem Gedanken nicht erlaubt, zu Worten zu werden.
»Ich würde vorschlagen, dass Sie sich ein paar Tage freinehmen. Verwenden Sie Ihre Energie auf etwas anderes als fast Ihren Job zu verlieren.«
Avery steht auf, nickt und schiebt seine Hände in die Taschen, bevor er etwas Dummes tun kann – wie zum Beispiel zu versuchen, Lacroix' Hand zu schütteln.
»Ja. Okay.« Er hält auf die Tür zu und sagt, ohne sich umzudrehen: »Ich wusste es nicht. Das andere Zeug.«
Lacroix ist einen Moment lang still. »Jetzt wissen Sie es. Und werden sich nicht wieder so verhalten.«
Es ist keine Frage, was gut ist, denn Avery will nichts versprechen, was er nicht halten kann. Und zu versprechen, dass er keine impulsiven Entscheidungen treffen wird, ist so, als würde er versprechen, dass er die Sonne vom Aufgehen abhalten kann.
Es ist auch eine unmissverständliche Erklärung, wer die Kontrolle hat, wer hier Macht über wen hat. Und statt Avery aufzuregen, was es sollte, bewirkt es etwas genauso Unerträgliches.
Avery verlässt Lacroix' Büro, kehrt zu seinem Schreibtisch zurück und greift nach seinem Handy. Nach dem doppelten Schlag in die Magengrube durch Ablehnung und erzwungener Demut gibt es nur eins zu tun.
Es ist Zeit, sich zu betrinken.