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Kapitel 2

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»Du bist in Malin Lacroix' Büro gestürmt und hast ihn einen Arsch genannt?« Harlan lacht auf. »Oh Mann, Avery. Die Hälfte der Bauunternehmer der Stadt fürchtet ihn. Und du wurdest nicht gefeuert?«

»Ja.« Avery trinkt einen Gin Tonic, seinen dritten oder vierten, seit er sich mit Harlan zum Essen getroffen hat. Was sie eigentlich noch nicht getan haben, solange Edamame nicht zählt. Danach zu urteilen, wie sich sein Kopf anfühlt, zählt es nicht. »Allerdings glaube ich nicht, dass er mich mag.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, warum.« Harlan deutet mit seinem Strohhalm auf ihn. »Du bist ein wenig kurzsichtig, was deine Entwürfe anbelangt. Warst du schon immer.«

»Oh mein Gott. Du kannst dich nicht auf seine Seite schlagen. Du bist mein Freund. Du –« Avery lehnt sich vor und schlägt einen dramatischen Flüsterton an. »Du bist mein Fickfreund.« Aus dem Augenwinkel sieht Avery, wie ein Mädchen am Nachbartisch zu ihnen herüberblickt. Avery grinst und zwinkert ihr zu. »Verdammt gute Arbeit von mir. Oder?«

»Schhh«, macht Harlan, aber er lacht dabei. Harlan ist auf der ganzen Welt der eine Typ, den man am schwersten verärgern kann, was wohl der Grund ist, warum sie immer noch befreundet sind. Er schüttelt über Avery gutmütig den Kopf. »Fluch nicht vor einer Lady.«

Avery stöhnt, legt seinen Kopf auf den Tisch und schlägt ein paarmal mit seiner Stirn dagegen. »Du wärst so viel leichter zu ertragen, wenn du nicht so hübsch wärst, Harlan.« Avery ist sich sicher, dass Harlan mehr Heteros gevögelt hat als der Typ mit dem Camcorder und der Werde schwul für Geld-Website. Er hat perfekte Bauchmuskeln. Seine Jeans sehen immer aus, als wären sie extra für ihn angefertigt worden, und sein Haar wirkt sonnengeküsst und nicht so, als habe er sich beim Friseur Highlights setzen lassen. Sein Südstaatenakzent ist genauso vereinnahmend wie alles andere an ihm, statt ihn klingen zu lassen, als sollte er bei Duck Dynasty mitspielen.

Einmal hat Avery versucht, ihn nachzuahmen, um ein Mädchen auf einer Party aufzureißen. Harlan hat ihm gesagt, dass er aufhören soll, weil er wie die Art von Südstaatler klingt, die in ihrer Garage eine Konföderiertenflagge aufhängen und einen Pick-up fahren, der literweise Benzin schluckt. Harlan dagegen klingt wie ein Gentleman aus dem Süden, der nicht in der Gegenwart von Damen flucht und öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Was auch zutrifft.

»Wir haben alle unser Kreuz zu tragen, Avery.« Harlan klopft ihm auf die Schulter. »Und das sage ich nur, weil ich als Bauunternehmer weiß, wie unmöglich ihr kreativen Menschen seid. Also verstehe ich diesen Teil von Lacroix' Standpunkt irgendwie. Das ist alles.«

»Nein. Hör auf. Du sollst nichts verstehen. Du sollst sagen: Avery, dieser Mann ist ein schrecklicher Mensch ohne Geschmack und er würde einen guten Entwurf nicht mal erkennen, wenn er auf ihn zukäme, sich vorstellen und fragen würde, ob er für fünfundzwanzig Mäuse einen Blowjob haben möchte.«

»Ah, Avery –«

»Ich meine, Himmel, Harlan. Ich weiß, dass du Bauunternehmer bist, aber du kannst eine Trockenbauwand aufstellen. Und na ja, Trockenbauer, weißt du?« Das ergibt keinerlei Sinn, aber das hat Avery noch nie aufgehalten. »Das ist aufregend und sexy. Da geht es nicht um Säulendiagramme und Mathe, was alles ist, was Lacroix tut.« Avery verwendet einen widerlichen französischen Akzent, wenn er den Namen seines Chefs ausspricht. »Er ist langweilig. Auf seinem Tisch steht nur ein einziger Gegenstand und das ist ein Briefbeschwerer. Das ist doch interessant. Ich wette, in seinem Haus gibt es nur weiße Wände und Elektrogeräte, die unnötig Energie verbrauchen.«

»Avery, vielleicht solltest du dich aufsetzen –«

»Nein.« Avery lässt seinen Kopf auf den Armen ruhen, aber er dreht ihn so, dass Harlan ihn weiterhin hören kann, denn was er sagt, das ist wichtig. »Er hat wahrscheinlich eine dieser Spülmaschinen, die zweihundertvierzig Liter Wasser verbrauchen. Und ich wette, er trennt seinen Müll nicht.«

Harlan hüstelt. »Er ist sehr betrunken.«

»Hm?« Avery hebt den Kopf und blickt Harlan mit trüben Augen an. »Lacroix? Nö. Heimlicher Alkoholismus würde ihn interessant machen und ihm vielleicht eine Persönlichkeit geben.« Avery braucht etwa drei Sekunden, um zu bemerken, dass Harlan nicht mit ihm redet. Er redet über ihn. Er dreht den Kopf, sieht, wer neben dem Tisch steht, und stöhnt. »Scheiße. Ich hasse alles. Natürlich sind Sie es.«

Warum zur Hölle steht Lacroix da? Er muss verflucht sein. Es gibt keine andere Erklärung. Avery legt seinen Kopf wieder auf seinen Armen ab. »Gehen Sie weg. Ich bin im Urlaub. Ich muss nicht nett zu Ihnen sein.«

»Ich besitze keine Spülmaschine«, sagt Lacroix trocken.

»Fabelhaft. Mit der Hand zu spülen, verschwendet noch mehr Wasser. Ich wette, Sie lassen den Wasserhahn laufen und duschen morgens fünfundzwanzig Minuten lang dampfend heiß.« Vielleicht hat er sich getäuscht, was die drei Drinks angeht. Vielleicht sind es mehr gewesen. Er hat sich aber nicht dabei getäuscht, dass Edamame ein beschissenes Abendessen ist. Heilige Scheiße, ist er betrunken.

»Hi. Ich bin Harlan Pearce.« Harlan stellt sich Lacroix vor, bevor Avery beendet, was er begonnen hat, und seine Karriere mit einem Schlag zerstört. Der Superman des Scheißebauens. Wunderbar.

»Malin Lacroix.«

Avery stellt sich vor, wie sie sich die Hände schütteln, und fühlt sich betrogen.

»Avery, äh... lässt gerade etwas Dampf ab. Redet sich alles von der Seele. Er hat mich auch schon mal ziemlich schlimm beleidigt.«

»Colonel Sanders ist nicht so schlimm. Immer noch besser als der Hahn von den Looney Tunes«, murmelt Avery, wobei die Worte vom Tisch gedämpft werden – oder zumindest wäre das der Fall, wenn das Universum ihn nicht hassen würde.

»Ich bin mir sicher, dass er das ist. Zurückweisung ist immer schrecklich, nicht wahr, Avery?«

»Wenn Sie nicht wollen, dass ich in Ihr Büro stürme und Sie laut irgendwas frage, dann spazieren Sie nicht in mein... Trinkbüro... und stellen mir keine hypothetischen Fragen. Und benutzen Sie meinen Vornamen nicht«, fügt er hinzu und blickt endlich zu seinem Vorgesetzten auf. Er trägt immer noch sein Hemd, die Krawatte hat er gelockert und die Ärmel hochgerollt. »Sie sehen anders aus.«

Lacroix lächelt auf ihn herunter – dieses winzige Lächeln, das Avery nicht mag, weil es dämlich ist. »Tue ich das?«

»Jepp.« Avery sieht zu Harlan hinüber, der ihm mit Blicken bedeutet, still zu sein. Avery macht einfach einen Kussmund in seine Richtung und wendet sich wieder Lacroix zu. »Sie sehen viel weniger spießig aus. Wie ein normaler Mensch.«

»Und Sie sehen... geschlagen aus.« Lacroix' Lächeln wirkt bissiger, und das ist seltsam. Im Restaurant ist es laut, aber Avery kommt es vor, als könnte er niemand anderen hören, nichts anderes wahrnehmen als seinen Chef. »Fast wie vorhin, als Ihnen klar war, dass Sie sich entschuldigen sollten, und sich deswegen geärgert haben.«

Das lässt Averys Zorn vollständig verpuffen. Er fühlt sich nur noch schrecklich müde. Und betrunken. Lacroix amüsiert sich eindeutig auf Averys Kosten, was ihm unangenehm ist und ihm überhaupt nicht gefällt. »Gehen Sie weg. Feuern Sie mich, wenn ich zurückkomme. Ist mir egal. Warum sind Sie überhaupt hier? Ich dachte, Sie leben in Mordor.«

»Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen«, sagt Lacroix mit ruhiger Stimme und Avery ist sich ziemlich sicher, dass die Anspielung gerade total an ihm vorbeigegangen ist. »Ich bin hier, um mich mit einem Freund zu treffen.«

»Was? Sie haben Freunde? Sind das auch langweilige Mathematiker?« Avery grinst ihn bösartig an, als würde er ein Kind an der Bushaltestelle schikanieren. Ein älteres Kind, das ihn mit dem Auto überfahren könnte. »Hey, ist es Thomas? Verpasst er ihnen einen Fünfundzwanzig-Dollar-Blowjob?« Sobald er es gesagt hat, wird Avery bewusst, dass er zu weit gegangen ist.

Wieso hat er immer noch einen Job und warum tut er sein absolut Bestes, damit sich das ändert? Irgendetwas an Lacroix' unerträglicher Spießigkeit bringt Avery dazu, ihn anstacheln zu wollen. Und er war schon immer der Typ, der immer weitergeht, einfach um zu sehen, womit er davonkommt. Aber nur selten so wie hier. Was zur Hölle will er eigentlich? Dass Lacroix seine Kontrolle verliert und ihm einen Kinnhaken verpasst? Himmel, er verhält sich wie ein zwölfjähriger Junge, der völlig vernarrt ist in –

Oh nein. Nein, nein, nein. Ein schrecklicher Verdacht verfestigt sich in Averys Kopf und in dem verzweifelten Versuch, ihn mit mehr Alkohol auszulöschen, nuckelt er an dem Eis in seinem verwässerten Gin Tonic.

»Ich denke nicht, dass Sie wollen, dass ich darauf antworte, Avery«, sagt Lacroix und es ist so seltsam, ihn seinen Vornamen aussprechen zu hören, seltsam und noch etwas anderes. Und oh, Avery ist am Arsch. Er ist verdammt noch mal am Arsch. »Ich sehe Sie in ein paar Tagen auf der Arbeit und wir werden so tun, als wäre das hier nie passiert. Nicht wahr.«

Das ist schon wieder so eine Frage, die nicht wirklich eine Frage ist, aber dieses Mal nickt Avery. »Na klar, Malin«, antwortet er und versucht es gewohnt draufgängerisch. Er hat Lacroix noch nie beim Vornamen genannt. Es ist komisch.

Lacroix antwortet, indem er seine Aussprache korrigiert, Harlan freundlich zunickt und sich dann abwendet. Avery ist neidisch. Es wäre echt nett, so offen Fuck you sagen zu können, ohne anzudeuten, dass die eigenen Kollegen für Geld Schwänze lutschen.

Harlan mustert ihn mit einem Gesichtsausdruck, der oft bedeutet, dass er etwas sagen wird, was Avery nicht hören möchte. Alles, was er allerdings tut, ist, der Kellnerin Bescheid zu geben, dass sie gerne zahlen möchten (und ihre Nummer zu ergattern – der Schlawiner), bevor er die Rechnung begleicht. Er nimmt Avery auch mit nach Hause, aber statt ihn mit ins Bett zu nehmen, stellt er ein Glas Wasser neben das Gästebett und widersteht Averys ungelenken Verführungsversuchen. Was gut ist, denn sobald sein Kopf das Kissen berührt, holen seine schlaflosen Nächte und die Kombination aus Stress, Alkohol und Junkfood ihn ein, und er schläft tief und fest.

Avery überzeugt sich selbst davon, dass es ihn nicht nervös macht, wieder zur Arbeit zu gehen und Lacroix zu sehen. Er entscheidet sich dafür, dass er das am besten zeigen kann, indem er ihm aus dem Weg geht.

Es funktioniert. Hauptsächlich, weil sie nicht viel Zeit miteinander verbringen. Avery sieht ihn hin und wieder im Vorbeigehen und sie tauschen ein kühles Nicken aus. Dann blickt Avery als Erster weg, weil Lacroix das zu erwarten scheint.

Er ist auch ein wenig verschnupft, was Harlan angeht. Am Tag nach seiner peinlichen, von Gin Tonic befeuerten verbalen Entgleisung hat Harlan immer noch Nein gesagt, als er etwas von ihm wollte. Er hat Avery bei sich bleiben lassen, ihm Abendessen gekocht und sogar einen blöden Horrorfilm ausgeliehen. Aber er hat sich absolut geweigert, einer von Averys patentierten Verführungsstrategien zum Opfer zu fallen, die da wären: Ich klettere dir auf den Schoß oder Ich biete an, in der Dusche deinen Rücken zu waschen.

Als beides nicht so funktioniert hatte wie erwartet, hat er versucht, Harlan abzufüllen. Das hat nicht mit Sex geendet, allerdings damit, dass Harlans Dialekt sich deutlich weniger nach einem Südstaaten-Gentleman und mehr nach einem ungehobelten Hinterwäldler angehört hat, was Avery echt spitze und urkomisch fand. Er log und sagte, dass es heiß war, einfach um zu sehen, ob das funktionieren würde, aber Harlan schlug ihn mit einem Kissen und sagte ihm, dass er sich verpissen sollte.

Letztendlich entschloss er sich, einfach zu fragen, warum sie nicht vögelten, da sie schließlich beide nicht in einer Beziehung waren und hin und wieder miteinander geschlafen hatten, seit sie sich kennengelernt hatten. Avery war ein Erstsemester am College gewesen und hatte einen Sommerjob angenommen, bei dem er auf einer Baustelle aushalf, um zu verstehen, wie es war, Dinge zu bauen und die Materialien anzufassen. In diesem Sommer fasste er letztendlich viele Materialien an, vor allem Baumwollshirts, die er Harlan auszog.

Er lernte zwei Dinge. Wenn man Gebäude entwirft, kann man dabei in einem klimatisierten Raum sitzen und rauchen. Und manchmal steht er auf Schwänze. Es war ein wenig überraschend, aber als er es seiner Mutter gestand – mit einer weniger direkten Formulierung –, sagte sie: »Nun ja, natürlich magst du Jungs, Liebling. Hast du das wirklich nicht gewusst? Dein Vater und ich dachten… Na ja, ich freue mich, dass du es endlich herausgefunden hast.« Dann traten seine Eltern PFLAG bei und seine Mutter backte Kekse für den Kuchenverkauf.

Seine Eltern waren wirklich verdammt großartig.

Harlan hingegen war nicht so großartig. Er konnte sich tatsächlich Averys hartnäckigen Fragen widersetzen und sagte nur: »Ich glaube einfach nicht, dass es eine gute Idee ist.«

Avery wollte wissen, warum es eine schlechte Idee war. Harlan sagte ihm, dass er es schon noch herausfinden würde. Avery erinnerte ihn daran, dass er neunzehn Jahre gebraucht hatte, um diese ganze Ich stehe auf Schwänze-Sache herauszufinden. Dabei hatte Harlan ihm geholfen, also warum konnte er ihm nicht auch hier eine helfende Hand reichen? Oder einen Mund. Irgendetwas. Sie mussten ja nicht vögeln, wenn Harlan nicht wollte –

Und an diesem Punkt hatte Harlan Averys Schultern mit beiden Händen gepackt und ihm mit ernster Stimme gesagt, dass er nach Hause gehen sollte, weil er die Katze füttern musste. Er wusste Averys Witz anscheinend nicht zu schätzen. »Oh, verstehe. Du willst mich nicht ficken, weil du dir wegen der Mieze Gedanken machst.«

Also nannte er Harlan stattdessen Foghorn Leghorn – er hatte seit der Nacht in der Bar versucht, sich an den Namen dieses verdammten Hahns zu erinnern – und ließ sein nasses Handtuch auf dem Gästebett liegen. Ha! Man musste sich an den kleinen Dingen erfreuen. Aber so was von.

Harlan würde es ihm schon noch sagen. Er ist so etwas wie Averys weiser, allwissender Berater – mit einem Südstaatenakzent und einem Mund, der für Blowjobs wie gemacht war – und Avery weiß die Fähigkeit seines Freundes, rational zu denken und zusammenhängende Gedanken zu fassen, immer zu schätzen. Er muss nur anfangen, sie mit ihm zu teilen.

Aber Harlan antwortet auf keine von Averys viertausend Nachrichten, die alle ungefähr lauten: im ernst was meinst du?? Und der nagende Gedanke, dass er etwas übersieht, macht ihn genauso verrückt wie die Tatsache, dass er nicht flachgelegt worden ist.

Eines Abends wird es ihm ein bisschen zu viel. Sicher ist er ein Anhänger des Spice Channel, verschiedener Zeitschriften für Erwachsene, des Internets und was nicht sonst noch alles, aber verdammt. Er will einen echten Menschen. Also geht er am Donnerstagabend nach der Arbeit ins Fitnessstudio, duscht sich und macht sich auf in die Bar, die er hin und wieder frequentiert, wenn ihm nach einem Kerl zumute ist und sein üblicher Fickkumpel nicht verfügbar ist. Oder sich seltsam aufführt und ihm ausweicht.

Avery ist vielleicht neurotisch und aufbrausend, aber gleichzeitig auch charmant und zielstrebig. Er glaubt nicht, dass er Probleme haben wird, einen Tanzpartner für den Abend zu finden. Allerdings wird es etwa eine Stunde nach seiner Ankunft schmerzhaft deutlich, dass er seine Tanzkarte zu Hause gelassen hat – versteckt unter einem Haufen Zeitschriften und überfälligen Rechnungen auf seiner Küchentheke. Es ist nicht so, als gäbe es keine heißen und sogar interessierten Leute, aber keiner von ihnen lässt ihn ja, nimm mich mit nach Hause und fick mich denken.

Das macht ihn nur noch entschlossener. Also ist er jetzt einer von diesen Widerlingen, die herumschleichen wie ein Jagdhund um ein Kaninchen. Oder wie auch immer man das nennen würde, wenn ein bisexueller Kerl auf bedeutungslosen Sex aus ist und dabei ungewöhnlich wählerisch ist.

Er ist drauf und dran, aufzugeben und nach Hause zu seinem Laptop und seiner rechten Hand zu fahren, als er jemanden am Ende der Bar sieht, der ihm bekannt vorkommt. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals und plötzlich hat er den Geschmack von ruhelosem Verlangen und Angst auf der Zunge. Der Mann ist deutlich über eins achtzig, gut gekleidet und hat weißblondes Haar. Eine halbe Sekunde lang ist Avery sich sicher, dass es sich bei dem Mann um Lacroix handelt.

Er versucht, sich selbst einzureden, dass das keinen Unterschied macht. Wenn Lacroix hier ist, dann ist er hier. Es ist schließlich nicht so, als wäre eine Bar namens Just John nicht offensichtlich eine Schwulenbar, also zählt Das wusste ich nicht als Ausrede nicht wirklich. Aber er kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, dass dieser Mann wirklich Lacroix sein könnte. Es macht ihn nervös, auch wenn er nicht recht weiß, warum. So viel Aufmerksamkeit hat er an diesem Abend sonst niemandem geschenkt, auch wenn er sich sagt, dass das andere Gründe hat.

Wenn er während des Studiums etwas designt hat, hat er manchmal seine Pläne angestarrt, die einfach keinen Sinn ergeben wollten. Sie waren ein Durcheinander aus zusammengewürfelten Elementen und halb zu Ende gedachten Ideen ohne Struktur. Dann war da oft ein einfaches Detail – ein Element, eine Farbe oder einfach eine Kritzelei am Rand –, das alles auf einmal ins rechte Licht gerückt hat.

Genau das passiert auch, als sich der Mann weit genug herumdreht, sodass Avery erkennen kann, dass es sich tatsächlich nicht um Lacroix handelt, und ihm klar wird, dass er dabei keine Erleichterung empfindet. Keine Erleichterung, sondern Enttäuschung.

Oh. Nein, verdammt.

Avery stürzt den Rest seines Drinks herunter, nimmt genug Geld aus seiner Brieftasche, um seine Rechnung zu bezahlen, und schiebt es dem Barkeeper hin. Es rauscht in seinen Ohren und er fummelt ungeschickt mit den Geldscheinen herum, obwohl er nur ein Glas getrunken hat. Es ist sogar so schlimm, dass der Barkeeper ihn fragt, ob alles in Ordnung ist. Avery lacht leicht hysterisch auf und schüttelt den Kopf. Dann steuert er auf die Tür zu. Vielleicht sorgt etwas frische Luft ja dafür, dass er den Kopf freibekommt, auch wenn das bisher noch nie funktioniert hat.

Das tut es auch diesmal nicht. Avery schafft es nach Hause und kann sich kaum an den Fußmarsch dorthin erinnern, die Eindrücke und Geräusche, die ihn auf dem Rückweg zu seiner Wohnung umgeben haben. Irgendwie bekommt er es fertig, Harlan eine Nachricht zu schicken, die Nein lautet und sich wie eine Lüge anfühlt. Das bringt ihn dazu, sein Handy mit solcher Wucht durchs Zimmer zu werfen, dass es die Wand trifft.

Er geht in sein Schlafzimmer, legt sich im Dunkeln aufs Bett – er muss seine Schmach nicht ins Scheinwerferlicht stellen, vielen Dank auch – und knöpft sich die Hose auf. Mit beinahe grimmiger Entschlossenheit lässt er seine Hand hineingleiten und beginnt, sich selbst zu reiben. Er ist hart. Natürlich ist er das. Aber er befindet sich bereits seit letzter Woche in einem Zustand unterschwelliger sexueller Frustration. Und nicht, weil Harlan sich ihm ständig verweigert hat, auch wenn das sicher nicht hilfreich gewesen ist.

Es liegt an Lacroix.

Avery wirft einen Arm nach oben und legt ihn sich über die Augen. Seine Atemzüge sind langsam, er berührt sich mit lockerem Griff und versucht, an irgendetwas anderes zu denken, an irgendjemanden – sogar an Brandon Thomas, verdammt noch mal –, was ihn wütend machen sollte. Aber stattdessen denkt er an Blowjobs für fünfundzwanzig Dollar und den Mann an der Bar. Es vermischt sich alles miteinander, bis das Bild vor seinem geistigen Auge ihn selbst auf den Knien zeigt. Lacroix' Hand liegt schwer auf seiner Schulter, er starrt ihn mit eisigem Blick an und erklärt Avery, wie er seinen Namen auszusprechen hat. Und lässt ihn von Avery wiederholen, bis er es richtig macht.

Und verpasst ihm eine Ohrfeige, wenn er es falsch macht.

Avery stöhnt. Er bewegt seine Hand schneller und zwingt sich aufzuhören. Unkoordiniert streckt er eine Hand nach der Fernbedienung aus, sodass er den Fernseher anschalten und das hier mit dem Gedanken an etwas anderes tun kann, irgendetwas anderem. Was, ist ihm ziemlich egal. Es muss nur besser sein, als sich vorzustellen, seinem Chef einen zu blasen. Das Beste daran, bi zu sein, ist, dass man die doppelte Anzahl von heißen Menschen hat, auf die man sich einen runterholen kann.

Als er den Fernseher allerdings einschaltet, läuft eine Sendung über Messis. Das ist sogar ihm zu seltsam, also schaltet er ihn wieder aus und schließt schwer atmend die Augen. Er versucht, sich an das letzte Mal mit Harlan zu erinnern, oder an die heißen Mädels, mit denen er vor ein paar Wochen einen Wahnsinnsdreier hatte, oder sogar an den Profisportler, dem er mal in einer Bar am Flughafen begegnet ist und schnell einen runtergeholt hat.

Es hilft alles nichts. Jedes Mal, wenn er kurz davor ist, wird er unachtsam und die Person, an die er gerade denkt, verwandelt sich verdammt noch mal in Malin Lacroix. Avery versucht aufzuhören und es ist so frustrierend, dass er schließlich auf die Matratze einschlägt und sich selbst »Na schön, scheiß drauf« zumurmelt. Er ist halb davon überzeugt, dass er sich einfach verrückt macht und das hier nur einmal machen muss, damit alles wieder gut wird.

Ja. Er sollte der Versuchung einmal nachgeben, dann wäre sie verschwunden. Vielleicht vermischt er gerade nur die Arbeit mit allem anderen in seinem Leben. In letzter Zeit hat sie schließlich alles bestimmt. Mehr ist da wahrscheinlich gar nicht dran. Oder? Genau. Und hey, er hat es doch schließlich schon tausendmal gehört: Man soll sich wegen seiner Fantasien nicht schuldig fühlen. Es ist ja nicht so, als wolle man sie in die Tat umsetzen.

Also erlaubt er sich, daran zu denken – was passiert wäre, wenn das in der Bar wirklich Lacroix gewesen wäre. Er wäre vermutlich verärgert gewesen, weil Avery ihn gesehen hatte. Also wäre er aufgestanden und...

»Komm«, sagt Lacroix kurz angebunden, stürzt seinen Drink hinunter und stellt das Glas auf den Tisch. Er sieht sich nicht zu Avery um, aber das muss er auch nicht.

Avery folgt ihm weg von der Bar und in den hinteren Bereich. Dort befindet sich ein Flur, das weiß er, weil er bereits ein paarmal da war.

Dann drückt Lacroix ihn gegen die Wand, baut sich vor ihm auf und stützt seine Hände links und rechts neben seinem Kopf ab. »Du wirst niemandem erzählen, dass du mich hier gesehen hast, nicht wahr?«

Avery lehnt sich gegen die Wand zurück, übermütig wie üblich, und grinst ihn an. »Ich werd's allen sagen. Ich schreib's in den Newsletter der Abteilung. Vielleicht auch auf Facebook. Ich hab's. Ich tweete es. Ich wette, du weißt nicht einmal, was das heißt, oder? Du bist ein Twidiot. Ha.«

»Du hast ein flottes Mundwerk, Avery. Leider bist du sonst eher langsam.«

Avery ist sich ziemlich sicher, diesen Spruch in einem Film gehört oder irgendwo gelesen zu haben, aber er schreibt ja kein verdammtes Drehbuch. Er versucht, sich einen runterzuholen, und egal, ob er sich das ausgedacht oder irgendwo kopiert hat, verpasst Lacroix ihm als Nächstes eine Ohrfeige. Fuck. Warum kommt ihm das immer wieder in den Sinn?

»Sprich nicht, solange ich es dir nicht erlaube, Avery.« Lacroix‘ Blick ist eisig und brutal. Er packt Averys Schultern und drückt – fest –, sodass er ihn mitten im Flur auf die Knie zwingt. »Lass uns herausfinden, ob Thomas auch besser Schwänze lutscht als du.«

Moment, wo kommt das jetzt her? Unter keinen Umständen hat Lacroix etwas mit Brandon Thomas. Er hat das mit den Blowjobs nur gesagt, um ihn aufzustacheln. Es ist nicht echt oder so.

Aber was, wenn es das wäre?, flüstert eine Stimme in seinem Kopf, denn diese hat im Moment die Zügel in der Hand.

Avery neigt seinen Kopf nach oben – als Herausforderung und weil er etwas sagen möchte –, aber er bekommt nie die Gelegenheit dazu. Als er den Mund öffnet, schlägt Lacroix ihm hart ins Gesicht. Mit der anderen Hand widmet er sich seinem Gürtel. »Kein Wort, Avery.«

Avery lässt es über sich ergehen. Der Schlag hallt in seinem Kopf nach. Er verengt die Augen, beobachtet aber Lacroix‘ Finger, als er seinen Gürtel geöffnet hat und sich nach unten zum Knopf und Reißverschluss seiner Hose vorarbeitet.

»Passiert das, wenn ich mich nicht an die Regeln halte? Du scheuerst mir eine?«

»Nein.« Lacroix vergräbt seine Hand in Averys kurzem Haar und zieht seinen Kopf zurück. »Das passiert.« Mit diesen Worten schiebt Lacroix seinen Schwanz in Averys Mund. Zu tief, er muss sofort würgen. Er kann nicht atmen und Lacroix hört nicht auf. Er macht einfach weiter und fickt seinen Mund härter –

Avery kommt, bevor er die kleine Fantasie zu Ende spinnen kann. Als er schließlich wieder zu Atem kommt, kann er sich nicht entscheiden, ob er erleichtert oder enttäuscht sein soll, weil er nicht mehr herausfinden konnte, auf was er sonst noch gekommen wäre.

Kein Wortspiel beabsichtigt.

Er liegt lange so da, spürt, wie sich sein rasender Herzschlag beruhigt, und starrt an die dunkle Decke seines Schlafzimmers. Er sagt sich, dass viele Leute Fantasien von Menschen haben, mit denen sie niemals schlafen würden. Das passiert ständig. Und okay, vielleicht liegt das meistens daran, dass es sich um Promis oder so handelt. Aber hey, das hier muss doch auch dazu zählen, oder?

Eine Stimme versucht ihm einzureden, dass es das ganz und gar nicht tut. Aber Avery hat dieser Stimme lange genug Gehör geschenkt, denn sie hat ihn gerade dazu gebracht, zu kommen, während er sich vorgestellt hat, wie sein Chef ihn herumschubst und ihm seinen Schwanz in den Mund steckt.

»Halt die Klappe«, sagt Avery laut, als würde das etwas helfen. Er erhält keine weiteren hilfreichen Vorschläge seines Unterbewusstseins. Jedes Mal, wenn er daran denkt, wie Lacroix ihn auf die Knie drückt und ihm ins Gesicht schlägt, zwingt er sich, sich jemand – irgendjemand – anderen vorzustellen. Wenn er schon verdammt heißen Fantasiesex hat, dann wird er sich jemand viel besseren als Malin Lacroix aussuchen.

Wie Don Draper. Oder diese heiße Frau, die manchmal mit ihm im Aufzug steht – eine Rothaarige, die winzige Shorts trägt und ein liebenswertes Lächeln hat. Definitiv keinen humorlosen Franzosen mit kalten Augen und einer Stimme, die klingt, als hätte er sich gerade einen Eiswürfel hinten in sein Hemd gesteckt.

Definitiv... nicht.

Ich: hey everett wolltest du schon mal mit deinem chef schlafen?

Everett: was?

Ich: ja also wolltest du mit ihm vögeln?

Everett: nein?

Ich: warte mal, magst du ihn überhaupt

Everett: klar, er ist ok. ist allerdings 68 oder so

Ich: na schön. wolltest du schon mal mit jemandem schlafen, den du nicht leiden kannst?

Everett: zum beispiel mit einem republikaner?

Ich: ja egal, einfach jemand, den du nicht ausstehen kannst

Everett: wer will denn leute ficken, die er nicht mag? nicht mal du bist so schräg haha

Blake Everett ist der am wenigsten hilfreiche Freund in der Geschichte der Menschheit. Himmel, verdammt.

Dein Licht, das mich umfängt

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