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AUF- UND ABSCHMELZEN

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Aus der Welt der Koalitionsverhandlungen drang vor Jahren das Wort »Ehegattensplitting« an mein Ohr. Das hört sich an, dachte ich, wie ein anderes Wort für Scheidung, oder es klingt jedenfalls irgendwie nach einem schweren, mit Äxten ausgetragenen Ehestreit, bei welchem am Ende der eine oder andere Gattensplitter im Flur liegt.

Aber es ist ein Begriff aus dem Steuerrecht. Man wolle das Ehegattensplitting »maßvoll und flexibel abschmelzen«, sagte damals Frau Göring-Eckardt von den Grünen.

Abschmelzen.

Der Sprachfreund staunt, wie jenes wunderbar klangvolle Wort, das Connaisseure am liebsten im Konjunktiv genießen (Hamlet: »Oh, schmölze doch dies allzu feste Fleisch…«), wie dieses Poetenverb also nun in der Hans-Eichel-Welt angekommen ist. Und wie doch das Steuerrecht alles im Leben aufnimmt und sich anverwandelt, auch die Liebe, die stets beginnt mit maßlos-leidenschaftlichem Dahinschmelzen im Arme eines anderen und dann eben endet im maßvoll-flexiblen Abschmelzen von Gattensteuersätzen.

Schmelzlich, schmelzlich, wie der Chinese sagt.

In vielen Fällen sind die Vorteile, welche Ehepartner aus dem Splitting ziehen, ja nichts anderes als Schmelzensgeld. Kann eigentlich etwas, das abschmilzt, auch aufschmelzen? Irgendwo bei Goethe heißt es:

» Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen

Muss Liebesfeuer allgewaltig glühen.«

Aber hier liegt der Verdacht nahe, der Alte habe das »auf« bloß aus metrischen Gründen angefügt; ihm wäre sonst der Versrhythmus zum Teufel gegangen. Hätte er übrigens geschrieben »Das Allerstarrste freudig abzuschmelzen«, wäre es das Gleiche gewesen – zwischen Auf- und Abschmelzen ist kein Unterschied, immer wird Hartes weich und Festes flüssig.

In Ganghofers Roman Das große Jagen findet sich der Satz: »Würdevoll, die Amtsmiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, betrat der Landrichter … den stillgewordenen Hofraum.« Aber hier bedeutet »aufschmälzen«: einer Sache etwas hinzuzufügen, so wie man Maultaschen oder Brotsuppe mit Fett aufschmälzt, nicht wahr? Vor Jahren noch hätte man gesagt: »Frank Lehmann, die Berichterstattermiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, verkündet uns Tag für Tag das Abschmelzen der Aktienkurse.« Sie erinnern sich an Lehmann? Das war jener Herr, der früher vor der Tagesschau die Börse kommentierte, lustig wie im Kasperltheater.

Man wartete immer, dass einer kam und ihm mit Kasperls Klatsche auf den Kopf haute. An manchen Tagen wollte man’s am liebsten selbst tun.

Was noch mal das Ehegattensplitting angeht, so handelte es sich bei seinem Abschmelzen um eine Steuererhöhung, wenn ich alles richtig verstanden habe. Seltsam: Gewinne, Aktienkurse, Vermögen, auch die Polkappen – alles schmilzt ab. Aber die Zeiten werden immer kälter und härter.

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