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B

BETÄUBUNGLÄRM

Gelegentlich erreichen mich deutsche Übersetzungen von Reiseprospekten, die in einem so süßen Deutsch abgefasst sind, dass man sofort aufbrechen möchte (→ Aufstellungsort des Seins). Zum Beispiel die Gemeinde Santa Teresa Gallura auf Sardinien (das schickte Frau H. aus Erlangen), welche ihren Gästen schreibt: »Netter Gast, Willkommen zu Santa Teresa Gallura. Wir hoffen, daß die verhaltenen Auskünfte diese Broschüre ihr nützlich zurückkommen können. Santa ist Teresa Gallura eine kleine Mitte, wenig weniger weniger von fünftausend Einwohner …«

Dort, in Santa Teresa Gallura, befindet sich übrigens an einer Tankstelle ein Autostaubsauger, von dessen Existenz mich eine andere Leserin, Frau von K. aus Icking, unterrichtete. Sie las auf einem Schildchen dessen Gebrauchsanweisung: »Nur Stadtpulver können eingesaugt werden.« Frau von K. saugte Sand und Muscheln, was der Sauger erstaunlicherweise aber alles klaglos aufnahm und dem in seinem Inneren befindlichen Stadtpulver (oder im Falle von Santa Teresa Gallura, 4681 Einwohner, vielleicht eher: Städtchenpulver) hinzufügte.

Oder hier, das sandte eine Leserin, deren Brief ich leider verschlampt habe, ein ins Deutsche übertragenes Gedicht über die Isola Maggiore im Trasimenischen See:

» Es gibt keine Verkehrsampel,

Zebrastreifen und Schutzmann

mit dem Taschenbuch,

keine Auto-Mopeds

Betäubunglärm.

Ist deiner Kopf zu schwer,

oder eilig Klapf dir deines

Herz, oder ist der Strick zu

viel gespannt ? – Komme

hier: es gibt jedes Mittel.«

Unübertroffen aber ist ein Text, in dem Anfang der neunziger Jahre der damalige Fremdenverkehrsdirektor des slowenischen Thermalbades Dolenjske Toplice, ein leider verstorbener Herr namens Pjut, seine Heimat pries. Herr S. aus Eichenau schickte mir die sentimental-poetischen Zeilen, in denen nicht nur die Schönheit Weißkrains (das ist die Gegend, in der die Thermen Dolenjske Toplices sich befinden) vor unserem geistigen Auge erscheint, sondern auch die Größe und Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache jenseits aller grammatischen Korrektheit und Verständlichkeit. Pjut schrieb: »Hier leben die Leute, denen sind die Woerter: das Has, die Unfreundlichkeit, Hochmut, Aufgeblasenheit, und vielleicht noch die Ungastlichkeit – fremdlich … In Weisskrain die Traurigkeit, ueble Laune und aenliche Sache ausdunsten, weil die sind nicht in Zusammenhang mit Gesang und Jauchzen … Weinsfruehlung kann nur in seine Brust werden wo – wegen guten Tropfen – die Arme Reiche, unglueckliche glueckliche, Feinde Freunde und die Narren Vernunfte entstehen. Behalten sie da um alles – was sie schon vergessen haben dass noch existiert – zu einsaugen.«

Und (dies wirklich abschließend) falls Sie je das Hotel The Tea Factory in Sri Lanka besuchen, das früher wirklich einmal eine Teefabrik war, stellen Sie sich auf Folgendes ein, übersandt von Herrn F. aus München: »Erst das Hotel als ein Tee Fabrik gebaut das war in gute Kondition das Hochgeschwindigkeit blaste Wind zu halten. Das Wind fliest brancht naturalich fur grune Tee Blatter trocken die erste Processe der Orthodox Tees. Manche Gueste denken das Larm kommt aus das Wind und stort Mann ind er Nacht weitermehr whrend der Mittelnacht konnte Mann trommlen un dlante Texte singen hores von Nachbare Bauern dass sie Wild Tiere wie Wild Schweine und Wilde Buffelows. Die Gemuse und Kartofel Anbau zerstoren kommen farn zu haltenversuchen. Wenn Sie finden dies alles zu Schdafen stort konnen Sie an die Rezeption wenden und kostenlos Wattepfropfe kriegen.«

BEUTELTROPFEN

Falls Sie einmal in London-Heathrow landen und zwecks Weiterflug nach Gatwick transportiert werden möchten, vergessen Sie auf keinen Fall diese Information von British Airways, eingesandt von Frau P. aus Langenbach: »Wenn Sie mit britischen Fluglinien reisen und bereits eine verschalende Karte für Ihren vorwärts Flug haben, benutzen Sie unseren schnellen Beuteltropfen-Service, um Ihre Beutel niederzulegen.«

Das Wort »Beuteltropfen« verstand ich nicht, ich gab es also bei Google ein und landete so auf www.articlestreet.com, wo ich eingehend über französische Leuchter informiert wurde und eine Reihe von hochinteressanten neuen Wörtern lernte, ich zitiere auszugsweise:

»Wenn Sie einen Leuchter in Ihrem Haus hängen, das Sie schönes und praktisches etwas erwerben und ein Gegenstand, der ein Fokus für den Raum wird. Alle weiteren Dekorationen rotieren um ihn. Es wird ein sprechenpunkt, das Mittelstück … Die Art des Leuchters, der mit Franzosearbeit ist, ist mehr geöffnet mit seiner strukturellen hauptsächlichunterstützung, die nicht durch Ketten oder einen Stamm aber eher durch einen Rahmen oder einen Rahmen mit den hübsch gebogenen Armen geliefert wird, häufig vergoldet und mit Tropfen oder Kerzen im Mitteraum … Das ironwork auf französischen Leuchtern bis zum den 1900s war superbly verfeinert und attraktiv. Der Stamm konnte die Blätter und Stiele haben, die weg von ihm stützende Kristalltropfen, Blumen und Korne kräuseln. Für alle Girlanden und Beuteltropfen ist Glasarme, volle Panoplie anderer Elemente, der französische Leuchter unterscheidend nie schwer oder gedrängt und immer, anziehend…«

Das finde ich nun wieder großartig von British Airways. Dass sie für die wenigen Besitzer französischer Leuchter, die unter Mitnahme ihres Leuchters nach Heathrow fliegen und von dort aus Richtung Gatwick weiterreisen müssen, einen solchen Service anbieten!

Wenn ich aber sagen sollte, woran mich der Beuteltropfen-Service in Wahrheit noch erinnert: Es ist der Brief von Herrn S. aus Unterschleißheim, der schrieb, er grübele seit Längerem »über die Aufforderung an den Zapfsäulen der Tankstellen, man solle ›Blasenfrei zapfen‹. Die ›Zapfpistole‹ ließ sich ja nicht beeinflussen, Blasen zu bilden oder nicht«. Aber gerade jetzt, schreibt S., da er »überlege, ob es nicht doch eine Anspielung auf die Probleme älterer Männer ist, scheint die Aufforderung zu verschwinden«.

Stattdessen aber gibt es ja nun den Beuteltropfen-Service, vielleicht gerade auch für ältere Herren.

Noch später verstand ich dann, dass der »Beuteltropfen-Service« eigentlich ein Bag Drop Service ist. Man kann dort also seine Tasche abgeben, droppen, aber Bag heißt eben nicht nur »Tasche«, sondern auch »Beutel« und Drop nicht nur abgeben, sondern auch »Tropfen«, und so ist es im Grunde ja auch viel schöner, rätselhafter, weiterführend.

BIERMÖRDER

Wir sitzen beim Frühstück, und Luis fragt: »Wovon gibt es eigentlich mehr: Wörter oder Menschen?«

Das sind Fragen, die mir gefallen. Wenn ich mir zehn Gründe überlegen müsste, warum es schön ist, Kinder zu haben, dann wäre einer der ersten drei Punkte auf dieser Hitliste: dass sie einem solche Fragen stellen.

Paola sagt: »Das ist eine sehr gute Frage, Luis.«

»Ja, aber die Antwort«, sage ich.

Es entsteht eine Pause. Dann sage ich: »Kommt darauf an, ob du nur jeweils das einzelne Wort meinst, oder ob man die Wiederholung eines Wortes mitzählt. Also, wenn ich ›Wolkenkuckucksheim, Wolkenkuckucksheim, Wolkenkuckucksheim‹ sage, sind das drei Wörter, oder ist es eines?«

»Ist egal«, sagt Luis.

»Ist es nicht«, sage ich. »Wenn es drei Wörter sind, ist die Zahl der Wörter größer als die der Menschen, wenn nicht – dann weiß ich es nicht.«

»Natürlich ist es ein Wort«, sagt Paola. Menschen seien unterschiedlich, also müssten es auch die Wörter sein.

»So unterschiedlich sind die Menschen auch wieder nicht«, sage ich. In irgendeinem Erziehungsbuch habe ich mal gelesen, es sei nicht wichtig, ob man einem Kind eine richtige Antwort gebe. Sondern es komme darauf an, dass man sich bei der Fragenbeantwortung Mühe gebe, und dass man auch sage, wenn man eine Antwort nicht wisse, damit das Kind lerne, dass seine Eltern nicht perfekt seien. Es verstehe dann, dass es selbst nicht vollkommen sein müsse.

Aber mich interessiert die Sache jetzt. Ich ziehe den Rechtschreib-Duden aus dem Regal und zähle die Zahl der Einträge, also die fett gedruckten in zehn Spalten, addiere das, teile durch zehn und habe eine Durchschnittszahl von Wörtern pro Spalte. Dann zähle ich die Spalten, multipliziere sie mit der Durchschnittszahl der Wörter und komme auf 124.410 Wörter.

»Es gibt mehr Menschen«, sage ich, »ganz klar.«

»Manche Wörter stehen nicht im Duden«, sagt Paola.

»Ganz klar«, sage ich und hole Band zwei des Grimmschen Wörterbuches, Biermörder bis Dwatsch. »Hört mal, was es hier für Wörter gibt!«, sage ich. »Bittrigkeit, Duzbrüdericht, Davidsschleuderstein, Bohnenkönig, dunstgeboren. Da ist manches Wort für zwei, drei Menschen gut.« Dann zähle ich die Stichwörter wie beim Duden und komme auf 1.130.320 Wörter in den 32 Bänden. Ich errechne die ungefähre Zahl aller Wörter (also auch die der erklärenden nach den Stichwörtern) im gesamten Grimmschen Wörterbuch: 78.724.800.

»Da sind Wörter doppelt drin«, sage ich. »Aber bei 80 Millionen Deutschen, hmm … Sind wir nahe dran mit den Wörtern. Und die meisten modernen Wörter kommen wiederum im Grimmschen nicht vor.«

»Und es gibt die Österreicher«, sagt Paola. »Und die deutschsprachigen Schweizer.«

»Wie es in China ist, weiß ich nicht«, sage ich. »Weiß der Henker, wie viele Wörter die Chinesen haben.«

»Es gibt sicher kleine Südseevölker mit eigener Sprache, die haben mehr Wörter als Menschen«, sagt Paola.

»Wie kamst du auf die Frage, Luis?«, frage ich.

»Weiß nicht«, sagt er und blättert im Micky-Maus-Heft der Woche.

BONUSMEILE

Die Bonusmeile ist in aller Munde, aber haben wir ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung wirklich ganz erkannt? Im Economist war zu lesen, zur Zeit seien etwa hundert Millionen Menschen auf der Welt an irgendwelchen Meilensammelprogrammen beteiligt. Sie hätten 8,5 Billionen nicht eingelöste Meilen auf ihren Konten gelagert, einen Gesamtwert von 550 Milliarden Euro repräsentierend: mehr als zwei komplette deutsche Bundeshaushalte. Der Spiegel prophezeite, eines Tages dürfte die Bonusmeile den Dollar als Weltleitwährung abgelöst haben.

Man stelle sich vor, all diese Menschen würden ihre ersparten Meilen mit einem Schlag einlösen wollen. Riesige Schlangen vor den Flughäfen, Menschentrauben vor den Schaltern, an den Tragflächen hängende Senator-Card-Besitzer, zwei Frequent Traveller auf einem Economy-Class-Sitz. Die Meile müsste abgewertet werden, es gäbe keine Flüge mehr dafür, nicht einmal Pilotensonnenbrillen oder Bordtrolleys aus dem Lufthansa-Skyshop. Nur noch Bahnausflüge nach Cottbus (mit dem Meilzug!) oder eine Familienkarte für die Wuppertaler Schwebebahn.

Weltumwallende Wut! Gestürmte Reisebüros! Revolution! Man mag sich das nicht weiter ausmalen. Lieber stellen wir uns vor, alle Bundestagsabgeordneten müssten zukünftig ihre Privat- und Dienstmeilen auf ein Gesamtkonto spenden, aus dem dann jedem Bundesbürger ein Mallorca-Freiflug zustünde. Das wäre gerecht. Damit wären der widerlichen Egoistik der Politiker und ihrer grenzenlosen Flugsucht Grenzen gesetzt, zu unseren Gunsten, bitteschön.

Andere Möglichkeit: Im Economist war auch zu lesen, dass man ja Meilen nicht bloß per Miles-and-More-Abo sammeln könne, sondern auch mit der Kreditkarte, ja sogar durch den Verzehr bestimmter Cornflakes. Zum weltweit reichsten Meilenbesitzer, einem wahren Meilionär, sei ein Mann geworden, der die gesamte Portokasse seiner Firma über die eigene Kreditkarte abgewickelt habe. Auf diese Weise sei er in den Besitz von 25 Millionen Meilen gelangt, genug, um 250 Mal London –Sydney und zurück zu fliegen.

Wie wäre es, wir würden den gesamten Bundesetat über die American-Express-Karte des Bundesfinanzministers laufen lassen? Das gäbe Meilen! Genug, um alle Bundestagsabgeordneten jahrelang zwischen Frankfurt und Australien pendeln zu lassen, inklusive Rudi Scharping als Ehrengast. Diese schrecklichen Politiker, die einen immer nur ärgern, wären aus dem Weg.

Und wir könnten uns endlich selbst regieren.

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