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AUTORENERWACHEN

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Über die Frage, wann Schriftsteller eigentlich aufstehen, weiß man wenig. Fontanes Tagebücher beginnen Tag für Tag mit dem Wort »Gearbeitet«, nichts übers Vorhergehende. Bei Kafka: nichts. Bei Frisch: auch nix. Nur Thomas Mann, natürlich, notierte Morgen für Morgen: »Gegen 8 Uhr auf. Heiterer Himmel.« Oder: »8 Uhr auf. Nebel.« Oder, am 3. April 1950: »Stand versehentlich um 7 statt um 8 auf. Unbehaglich.«

Dabei interessiert die Frage, wann Schriftsteller sich morgens erheben, den Bürger brennend. Denn der Nichtschriftsteller fantasiert sich den Schriftsteller gern als Bohemien und ist überrascht (und enttäuscht) zu erfahren, dass Künstler Kinder haben, die sie wecken, oder einen Wecker, der … Egal. Worum es jetzt hier geht: dass die Süddeutsche Zeitung im Sommer 2004 einmal Tag für Tag einen Autor fragte, wann er eigentlich aufstehe.

Und was die Leute antworteten!

Kaum einer, von Yann Martel und Henning Mankell abgesehen, gab eine schlanke Antwort, teilte eine Uhrzeit mit oder so.

Nein, man las, dass Aris Fioretos sich auf Zehenspitzen aus dem Bett stiehlt »wie ein Dieb in der Nacht«, um sich dann, zwei orangefarbene Stöpsel in den Ohren, anzuschicken, »aus den Träumen Worte zu machen«.

Man las, dass Katja Lange-Müller aus einem Teller, der auf ungeöffneten Briefen steht, Linsensuppe frühstückt – unglaublich, aber anscheinend wahr.

Man las, dass Durs Grünbein gar nicht aufsteht, denn wer aufstehe, schrieb er, sei verloren. Man habe ihn ungefragt geboren, »und niemand fragt mich, ob ich sterben will. So leb ich hin und bald ist es vollbracht.«

Da bleiben einem gleich ganz früh die Linsensuppe im Hals und die Stöpsel in den Ohren stecken, so traurig ist das.

Mein Nummer-eins-Hit unter den Antworten: der wunderbare, leider verstorbene Walter Kempowski. Der stand zweimal auf, zuerst um sechs, duschte und rasierte sich, guckte aus dem Fenster – dann schlief er wieder. »Dann wird gelesen, und um neun erquickt an den Frühstückstisch geschritten. Hier kommt es zum Tagesgespräch mit meiner Frau, und dazu werden Marmeladenbrote gegessen.« Alles Passiv, aber besonders schön dieses »Tagesgespräch«, das offenbar einen so einmaligen, ritualisierten Charakter hatte. Was die Marmeladenbrote angeht: Da ruft der Leser von Uns geht’s ja noch gold mit Mutter K. ein herzliches: »Mahlpolzeipott! Fiss biste patzt!«

Auf Platz zwei meiner kleinen Antwort-Hitliste lag Michael Lentz mit dem Rat: »Bei Unschlüssigkeit, ob der zum Aufstehen angemessene Körperzustand erreicht ist, in einem unter dem Bett liegenden Buch lesen.« Ja nun, aber wie? Hat der Mann ein Glasbett? Liegt er, samt Buch, lesend unter seiner Lagerstatt?

Falls jemand übrigens unschlüssig ist, was er lesen sollte … Warum nicht mal wieder Max Frisch und seine Tagebücher, darin die Frage: »Wieso haben die Intellektuellen, wenn sie scharenweise vorkommen, unweigerlich etwas Komisches?«

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