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WARUM SICH MANCHE SCHRIFTSTELLER TARNEN

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»Das Pseudonym ist das Wahrzeichen der Realität.«

Billy

Ist es vielleicht der Wunsch nach Unsterblichkeit, der einen dazu bringt, Schriftsteller zu werden und sich in seinen Werken zu verewigen? Dann sind natürlich Pseudonyme der Tod allen künstlerischen Schaffens. Wie soll man berühmt werden, wenn keiner der Leser den Namen des Verfassers kennt, hä? Das ist der Grund, warum Pseudonyme in Schriftstellerkreisen nicht unbedingt wohlgelitten sind. Ausnahmen sind Tarnnamen, hinter denen man sich verschanzen kann, um aus der Deckung heraus auf den Feind zu schießen. Für Salman Rushdie und seinen ermordeten japanischen Übersetzer Hitoshi Igarashi wäre das vielleicht eine Lösung gewesen. Aber kann man ahnen, dass diese Fundamentalisten gleich so überreagieren? Wohl nicht.

Einige Namen, unter denen ich die mitunter zweifelhafte Ehre hatte, schreiben zu dürfen, sind Frank Niemann (ein Charakter aus meinem Frühwerk, dem ich irgendwann zugestand, auch selbst Texte zu schreiben) und Volker van der Heyden (eine Anspielung auf meine Herkunft aus einem einsamen Dorf in der Lüneburger Heide). Auch Clemens Naujoks und Ralf-Olaf Pfarr kommen nur dann zum Zuge, wenn Zeitungen einen möglichst großen Autorenstamm vortäuschen wollen. Ha! Endlich eine Enthüllung! Ein Skandal! Ein Skandalbuch! Ich hoffe, es wirkt sich auf die Auflage aus.

Entgegen anders lautender Gerüchte ist Axel Klingenberg übrigens kein Künstlername, ich heiße wirklich so und ich heiße auch gerne so. Auch das ist ein Grund, warum ich mich selten Clemens Naujoks oder Ralf-Olaf Pfarr nenne – eigentlich nur dann, wenn man mich dazu nötigt.

Doch wollen wir hier von mir selbst und meiner Existenz unter verschiedenen Bezeichnungen abstrahieren und uns prominenteren Personen zuwenden:

Der König der Pseudonyme ist natürlich Kurt Tucholsky, der unter diversen Namen publiziert hat, deren bekannteste Peter Panter, Kaspar Hauser, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel sein dürften. Dies soll er zum einen gemacht haben, damit es nicht so aussieht, als ob die Weltbühne nur einen Autoren hätte (s. o.), zum anderen jedoch spiegeln diese fiktiven Verfasser auch die unterschiedlichen Facetten seines Charakters wider.

Peter Panter ist der Theater- und Literatur-Freund, Theobald Tiger der Verseschmied und Faulpelz, Ignaz Wrobel der gallig-garstige Polemiker und Kaspar Hauser der verletzliche und nachdenkliche Geschichtenerzähler. Verschwiegen hat Tucholsky allerdings, unter welchem Namen er in den Jahren 1920 und 1921 für das Propagandablatt »Pieron« geschrieben hat. Diese gut bezahlte, geheime und von ihm später bereute Tätigkeit diente dazu, während der Volksabstimmung in Oberschlesien in der deutschen Bevölkerung antipolnische Ressentiments zu schüren. Zur gleichen Zeit verfasste Tucholsky in der »Weltbühne« die Artikelserie »Militaria«, in der er genau derartige Umtriebe geißelte. In seinem berühmten Text »Was darf Satire?« hat er ein derart uneindeutiges Verhalten übrigens scharf und völlig zurecht kritisiert. »Satire«, schreibt er, »ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, der heute den angreift und morgen den.« Und in den »[z]ehn Gebote[n] für den Geschäftsmann, der einen Künstler engagiert« heißt es: »Wenn ein Künstler anständig ist und etwas taugt, ändert er sich dir zuliebe nicht, nur weil du mit ihm einen Vertrag gemacht hast.« Hehre Worte ...

Ein anderes Pseudonym, das Tucholsky gelegentlich benutzte, war Old Shatterhand. Er hatte es sich von einem anderen großen deutschen Schriftsteller geborgt, der selbst ebenfalls viel unter Pseudonymen gearbeitet hat: Karl May bzw. Dr. Karl May. Den Doktortitel führte er übrigens erst unrechtmäßig, dann kaufte er sich einfach einen. Er schrieb unter anderem als Capitain Ramon Diaz de la Escosura, Karl Hohenthal, Ernst von Linden, Muhamêl Lautréamont und Richard Plöhn. Als Hochstapler und Betrüger war er es eben gewohnt, nicht immer unter dem richtigen Namen zu arbeiten. Dazu kam noch, dass er sich vermutlich zeitweise tatsächlich für Old Shatterhand hielt, wobei die Legende, dass er mit dem Westernhelden und seinem orientalischen Ableger Kara Ben Nemsi identisch ist, sicherlich auch verkaufsfördernd war. Vielleicht litt er aber auch nur an Pseudologie – auch diese hübsche These gibt es – und war damit ein zwanghafter Lügner.

Das Pseudonym, das mir am besten gefällt, ist übrigens Alexander Roda Roda. Roda Roda hieß eigentlich Sándor Friedrich Rosenfeld, was eigentlich auch kein ganz unschöner Name ist, doch nannte sich die Familie Roda (serb/kroat. für Storch), um nicht mit dem eigentlichen, allzu jüdisch klingenden Familiennamen Anstoß zu erregen. Sándor begann, zusammen mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester Maria (»Mi«) unter dem Verfassernamen »A. M. Roda Roda« (»Zum Zeichen, dass wir ein Doppelwesen sind.«) »Romane« zu schreiben. Es folgte die standesamtliche Umbenennung in Roda und schließlich in Roda Roda.

Unter dem hässlichsten aller möglichen Pseudonyme schrieb übrigens Heinrich Hoffmann, der Verfasser des Struwwelpeters: Reimerich Kinderlieb. Das ist an Scheußlichkeit kaum zu übertreffen, brechen wir also hier lieber ab und wenden uns anderen Themen zu.

Von der Kunst, ein Schriftsteller zu sein

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