Читать книгу Von der Kunst, ein Schriftsteller zu sein - Axel Klingenberg - Страница 8
WARUM NICHT JEDER AUTOR AUCH EIN SCHRIFTSTELLER IST
Оглавление»Während der Einquartierung unterhielten sich einmal einige preußische Offiziere in einem Weinhaus Weimars über die Wohnungen, die sie gefunden hatten. Ein alter, dickbäuchiger Major sagte: ›Ich stehe da bei einem gewissen Gothe oder Goethe – weiß der Teufel, wie der Kerl heißt.‹ Man machte ihn aufmerksam, es sei der berühmte Dichter Goethe, wo er stehe, da antwortete er: ›Kann sein, jaja, nunu, das kann wohl sein, ich habe dem Kerl auf den Zahn gefühlt, und er scheint mir Mucken im Kopf zu haben.‹«
Jakob Wassermann
Ein Buch über den Literaturbetrieb haben Sie hier vor sich liegen. Der Erwerb dieses Buches ist eine gute Entscheidung gewesen bzw. wird eine gute Entscheidung sein, das kann ich Ihnen versichern. Ich muss es wissen, ich habe es nämlich geschrieben. Ich bin also der Autor desselben.
Bin ich damit auch ein Schriftsteller? Das ist die erste Frage, die zu klären wir uns hier anschicken wollen. ›Wir‹ meint natürlich in Wirklichkeit ›ich‹, denn ich habe den Text ja geschrieben und bin somit federführend in dieser Sache. Aber dieses ›wir‹ hat so etwas hübsch heimeliges, gemeinschaftsstiftendes, es bezieht Sie, der Sie dieses Buch lesen, in den Text ein, macht Sie zu einem Teil davon. So ein »wir« benutzen sonst nur Krankenschwestern (»Nun müssen wir ganz kurz die Zähne zusammenbeißen, denn es wird ein bisschen wehtun.«) und Kindergärtner (»Nun wollen wir mal aufhören, uns zu streiten. Wolf-Friedrich, legst du bitte die Schaufel weg? Nein, nicht zuhauen damit. Lass das bitte! ... Verdammte Scheiße noch mal, bist du eigentlich total bescheuert!?«) Ist also jeder Mensch, der ein Buch schreibt, auch ein Schriftsteller? Oder müssen es bestimmte Bücher sein? Oder hat es etwas mit der Qualität zu tun? Was also ist eigentlich ein Schriftsteller?
Fragen wir doch einfach mal die Betroffenen:
Ja, bitte, Herr Feuerbach?
»Die echten Schriftsteller sind Gewissensbisse der Menschheit.«
Der Schriftsteller ein Gewissensbiss? Der Mensch also ein Biss? Und setzt das nicht voraus, dass jede Literatur (Verzeihung, jede »echte« Literatur) das Ziel hat, das Menschengeschlecht zu bessern? Gibt es nicht auch lesenswerte Schriftsteller, die sich mit der Schlechtigkeit des Homo Sapiens arrangiert haben oder denen diese Frage einfach mal kackegal ist? Oder sind das keine echten Schriftsteller, sondern nur unechte? Ja, bitte, Monsieur Gide? Was haben Sie zu sagen?
»Aber Wilde vergaß niemals, dass er Künstler war, und konnte es Dickens nicht verzeihen, menschlich zu sein.« Hmm, der Schriftsteller als Außenstehender, der den Menschen bei deren Treiben zuschaut. Oder gar als Übermensch ...? Und auf Herrn Feuerbach rekurrierend: Ist dann der Übermensch ein Überbiss?
»Wäre nun aber das einfache Volk imstande, die Romanciers, die wahren Romanciers zu lesen, so könnte es bei ihnen die nützlichste aller Lehren finden, die Wissenschaft vom Leben ...«
Monsieur de Maupassant, dass Monsieur Gide bei Ihnen offenen Türen einrennt, habe ich nicht anders erwartet, aber der »wahre« Schriftsteller als unverständliches Vorbild scheint mir eine Sackgasse zu sein. Wenn denn ein Mensch überhaupt eine Gasse sein kann, aber er soll ja auch schon ein Biss sein, warum dann nicht auch eine Gasse?
Ja, bitte, Sie möchten noch etwas sagen?
»Von uns kann man nur eine einzige Sache einfordern: Talent. Haben wir das nicht, dann kann man uns gleich erschießen.«
Ich muss doch sehr bitten! Man stelle sich nur einmal dieses Blutbad vor!
Frau von Ebner-Eschenbach – Sie möchten auch etwas zu der Diskussion beitragen?
»Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund.«
Hmmm, kann man das wirklich so kategorisch sagen? Oder nähern wir uns damit wieder dem Bild des Schriftstellers als Übermenschen? Nur quasi auf einem Umweg über ein noch zu entwickelndes Negativ? Und hat das damit nicht auch etwas Märtyrer-, um nicht zu sagen Messiashaftes?
Vielleicht halten die Damen und Herren Schriftschaffende ganz einfach mal die Klappe. Ist das möglich?
»Wir schreiben nicht für das Volk, wir sorgen uns wenig um das, was so im Großen und Ganzen das Volk angeht; zugegeben, wir gehören nicht zum Volk. Die Kunst, um welche Sparte auch immer es geht, wendet sich nur an die geistige Elite eines Landes. Wie man das eine mit dem andern verwechseln kann, verwundert mich schon ...« Das gilt auch für Sie, Monsieur de Maupassant! Gerade für Sie!
Noch einmal: Wir sollten vielleicht nicht nur die Betroffenen fragen (die sich ja naturgemäß in einem ihnen genehmen Licht präsentieren möchten), sondern auch Außenstehende.
Mit anderen Worten: Was hat die allwissende Mülltonne aka Wikipedia dazu zu sagen? Bitte sehr:
»Der Begriff Schriftsteller wurde im 17. Jahrhundert aus ›(in) eine Schrift stellen‹ im Sinne von ›verfassen‹ gebildet und ersetzt seitdem als Berufsbezeichnung die Fremdwörter Skribent und Autor. […] Die Gebrüder Grimm zitieren u. a. auch noch Immanuel Kant, für den einer, der zum Publikum im eigenen Namen spricht, Schriftsteller bzw. Autor genannt wird, sowie Friedrich Schiller, für den der Begriff Schriftsteller den des Schöngeists ablöste, während Johann Heinrich Campe Schriftstellerei und schriftstellernals ›niedrige, aber deswegen noch nicht verwerfliche Wörter‹ ansah.«
Ein redebedürftiger Schöngeist also, dessen Tätigkeit jedoch nicht unbedingt verwerflich ist. Na ja, das klingt ja nicht so toll.
Aber wir wollten ja vorerst keine Schriftsteller mehr zu Wort kommen lassen. Was hat Wiki also noch zu sagen?
»Autor ist jeder, der einen Text gleich welcher Art in welchem Medium auch immer veröffentlicht und dafür Urheberrechte geltend machen kann. Die rechtlich ebenso ungeschützte Bezeichnung Schriftsteller sucht hiervon eine Abgrenzung.«
Rechtlich ungeschützt also. Hmm, dann kann sich ja wohl jeder Hanswurst Schriftsteller nennen, oder? Das erklärt ja einiges ... Im Gegensatz zum Fleischermeister z. B., dessen Handwerk ja völlig zu Recht vielerlei Vorschriften unterliegt und dessen Ausbildungsgang schon vorgeschrieben ist. Aber weiter im Text:
»Autoren, die Wert darauf legen, als Schriftsteller bezeichnet zu werden, verbinden dies nicht selten mit einem Leistungsnachweis, der sich nach der Anzahl ihrer nicht im Selbst- oder Zuschussverlag veröffentlichten Bücher, der Höhe der jeweils verkauften Auflagen und der etwaig kritischen Aufnahme durch die Rezensenten bemisst. Unterstrichen wird dies auch noch durch die Option, seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch Buchveröffentlichungen zu bestreiten.«
Tatsächlich nähern wir uns nun wohl mit großen Schritten einer vernünftig klingenden Definition von Schriftsteller: Man schreibt. Man wird veröffentlicht. Das Veröffentlichte wird gekauft und für gut befunden. Und man lebt von den Erlösen aus den Verkäufen. Aber hier kommt auch gleich die unumgängliche Einschränkung: »Dies wird zuweilen auch mit der Selbstbezeichnung Freier Schriftsteller kenntlich gemacht – obgleich, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, auch sie nur selten allein von den aus Buchveröffentlichungen erwirtschafteten Tantiemen leben können, sondern sich und ihre weitere Arbeit an den Manuskripten durch Lesungen, Vorträge, Anträge für Stipendien und andere immerhin der Literatur nahe Arbeiten finanzieren müssen.«
Und wie viele Schriftsteller gibt es so?
»Angesichts des Gefälles zwischen dem hohem Anspruch und der Lebenswirklichkeit dürften sich nach der engsten Definition in Deutschland bestenfalls hundert von mehreren tausend in Schriftstellerverbänden organisierten Autoren als Schriftsteller bezeichnen.« So, das saß!
Halten wir auch das noch einmal fest:
1 Schriftsteller darf sich jeder nennen.
2 Die meisten, die sich Schriftsteller nennen, sind – in einem engeren Sinne – gar keine, sondern lediglich Autoren.
3 Schriftsteller gibt es daher kaum.
Wir werden auf den nächsten Seiten auf diese Problematiken noch näher einzugehen wissen.
Wenden wir aber unsere Blicke von diesem Trauerbild ab und der Frage zu, warum einer eigentlich Schriftsteller werden möchte.