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Kapitel 1

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Prolog

Der feuerrote Drache schälte sich aus dem flammenden Inferno des brennenden Hauses. Mit wenigen Flügelschlägen erhob er sich in den dunklen Nachthimmel. Ein wütendes Brüllen löste sich aus der seiner Kehle, als er sich Richtung Norden wandte. Wie ein funkelnder Stern zog er über das Firmament und hinterließ glitzernde Funken, die langsam herab sanken und verglühten. Die Menschen, die ihn sahen, hielten mit offenstehenden Mündern inne und beäugten das Schauspiel. Schließlich schälten sich die dunklen Umrisse eines Schlosses aus der Finsternis und ein weiteres Brüllen erklang. König Roderich stand am Fenster und sah den leuchtenden Feuerball in Drachengestalt auf den Turm des Schlosses zu fliegen. Gelassen hob er eine Hand.

„Du kommst Jahre zu spät, Ansgard. Noch einmal gelingt es dir nicht, mich aufzuhalten“, sagte die dunkle Stimme, die nicht zu König Roderich gehörte.

Der Drache schien ihm eine Antwort entgegen zubrüllen, dann warf er sich mit voller Wucht gegen die Mauern des Schlosses. Flammen stoben auf und leckten am dunklen Stein, doch hinterließen keinerlei Spuren. Ein dunkler Schleier hatte sich wie eine Haut, schützend über die Flanke des Turmes gelegt. Die Flammen erloschen und hinterließen tiefe Finsternis. König Roderich ließ langsam die Hand sinken, dann brach ein hässliches Lachen aus ihm hervor.

Brachmanoth – 323 n. DK

Aurelia erwachte und starrte an die helle Zimmerdecke. Sie lag in einem großen, weichen Bett und das Licht der Morgensonne fiel durch ein breites Fenster herein. Sie drehte den Kopf und staunte über die irrwitzige Größe des Zimmers. Sie zog die Bettdecke ans Kinn und rollte sich zur Seite. Die Laken und Decken waren samtig und rochen nach frischem Leinen. Jemand hatte sie gebadet und ihr ein Nachthemd angezogen. Ihre Haare dufteten nach Seife und Blumen. Seit einer Ewigkeit hatte sie sich nicht mehr so sauber gefühlt. Für einen Moment schloss sie die Augen und versuchte sich daran zu erinnern was geschehen war. Ihr Magen verkrampfte sich, als die schrecklichen Bilder mit Macht in ihr Bewusstsein stürmten. Sie erinnerte sich an das Blut an ihren Händen, den Ausdruck in Roderichs Augen und wie sein Körper leblos zusammenbrach. Seine letzten Worte hallten in ihren Ohren nach, auch wenn sie ihre Bedeutung immer noch nicht verstand. Er schien sie ebenso mit der Schwester des Königs verwechselt zu haben wie Kyle damals. Warum nur? Sie warf die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Wo genau war sie eigentlich und wo war Kyle? Dem luxuriös ausgestatteten Zimmer nach zu Urteilen, befand sie sich immer noch auf Schloss Ehrenthal. Daran bestand für sie kein Zweifel. Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie herumfahren.

„Herein“, sagte sie unsicher. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und Kyle streckte den Kopf ins Zimmer.

„Oh, du bist wach“, sagte er lächelnd und trat ein.

Aurelia stockte der Atem. Sie hatte Kyle für gutaussehend gehalten, doch jetzt hatte seine Attraktivität ein neues Ausmaß gefunden. Sein braunes Haar war gewaschen und frisch gekämmt. Er trug ein dunkelbraunes Hemd aus feiner Wolle, eine dazu passende Hose und schwarze Lederstiefel. Sein Schwert hing locker an seiner Taille. Während sie ihn so ansah, regte sich eine weitere Erinnerung in ihrem Geist und ließ ihr die Röte ins Gesicht schießen. Schnell wandte sie sich ab und stand auf.

Kyle beobachtete sie aufmerksam. Verlegen lächelte sie ihn an und ging zu ihm herüber. Seine irritierend grünen Augen schickten einen warmen Schauer durch ihren Körper und sie sehnte sich nach seiner Umarmung. Sie wollte bereits die Arme nach ihm ausstrecken, als sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Kyle trat einen Schritt zurück und verwundert ließ sie die Arme sinken.

Er verbeugte sich knapp, steckte eine Hand in die Tasche seiner Hose und zog einen glatten, roten Stein an einer goldenen Kette heraus. Wortlos ließ er ihn in Aurelias Hand fallen. Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch. „Mein Amulett...“

„Ich habe die Kette bei einem Goldschmied reparieren lassen“, sagte er schulterzuckend.

Sie musterte ihn kritisch. „Kyle, was ist los?“

„Nichts“, wiegelte er ab. „Zieh dich an. In einer Stunde komme ich dich abholen. Wir treffen uns mit den anderen, um die Lage zu besprechen.“ Damit verließ er ihr Zimmer und ließ sie allein zurück. Verwundert ging sie zum Bett und setzte sich auf die Kante, während sie gedankenverloren das Amulett betrachtete.

Wenig später tauchten einige Bedienstete auf, um ihr beim Ankleiden zu helfen. Zumindest wollten sie es versuchen, denn Aurelia wehrte sich vehement dagegen. Für ihr befinden war sie alt genug um sich selbst anzukleiden und eines der vielen pompösen Kleider, die man ihr vorhielt, kam erst gar nicht in Frage. Verzweifelt gaben die Bediensteten schließlich auf und legten ihr stattdessen eine dunkelgrüne Bluse und enge, braune Hosen zurecht. Dazu stellten sie ein Paar Stiefel aus Wildleder parat.

Zufrieden betrachtete Aurelia sich im Spiegel. Der Stoff war glatt und schmiegte sich eng an ihre Haut. Ihr Haar hatte man zu einem langen Zopf geflochten und kleine weiße Blüten hineingesteckt. Sie wusste nicht, warum die Bediensteten so viel Aufhebens um ihr Äußeres gemacht hatten, doch das Ergebnis gefiel ihr.

Es klopfte an der Tür und Kyle trat ein.

„Bist du so weit?“, wollte er wissen und vergaß beinahe den Mund zu schließen, als er sie sah.

Sie schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln und hakte sich bei ihm unter.

„Aber natürlich“, säuselte sie und lotste ihn aus dem Zimmer. Draußen auf dem Flur schien er seine Fassung wiedergewonnen zu haben, denn er ging forschen Schrittes den Gang entlang und zog sie mit sich.

„Kyle, wir befinden uns immer noch auf Schloss Ehrenthal, richtig? Ich schätze, ich war einige Zeit außer Gefecht gesetzt. Was ist bisher geschehen und was ist das für ein Treffen?“, wollte sie wissen und versuchte vergeblich sein Tempo zu drosseln.

„Wir befinden uns immer noch auf Schloss Ehrenthal, das ist korrekt. Seit dem Tode König Roderichs sind zwei Tage vergangen...“

„Was?!“ Sie blieb ruckartig stehen und riss ihn zu sich herum.

„Du warst erschöpft und brauchtest Ruhe.“ Er wich ihrem Blick aus.

„Aber ich habe noch nie zwei ganze Tage verschlafen. Zwei Tage!“

Kyle sah sie immer noch nicht an. „Die Nachricht vom Tode Roderichs hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Canthan steht kurz vor einem Bürgerkrieg. Die Rebellen wollen eine unabhängige Regierung, wohingegen viele aus der ländlichen Bevölkerung der Monarchie verbunden sind. Wir versuchen eine Möglichkeit zu finden beide Seite zufrieden zu stellen“, fasste er die Ereignisse der vergangenen Tage kurz zusammen.

„Wie stellt ihr euch das vor? Mit Roderich hat das letzte verbliebene Mitglied der königlichen Familie den Tod gefunden.“ Endlich sah Kyle sie an. Sein Blick war schwer zu deuten, doch sie wusste, dass er ihr etwas verschwieg und dass es ihr nicht gefallen würde, wenn sie es erfuhr.

Sie stellte keine weiteren Fragen, sondern ließ sich von ihm den Gang hinunter führen, bis sie einen kleinen Saal erreichten. In der Mitte des Saals stand ein runder Tisch, an dem bereits mehrere Leute auf dick gepolsterten Stühlen saßen. Unter ihnen waren Sharon, Orias und ein blonder Mann, der zweifelsfrei Sharons Bruder Levin sein musste. Die Ähnlichkeit der beiden war frappierend.

Alle Anwesenden wandten sich ihr zu, als sie den Raum betrat. Auf der anderen Seite des Tisches saßen Meister Albion und noch jemand, den sie nicht kannte. Es war ein sehr dünner Mann mit einem langen, grauen Bart und stechenden grauen Augen. Er schien mit dem Meister in ein tiefes Gespräch versunken zu sein, doch als er sie sah, verstummte er und sprang überraschend geschmeidig von seinem Stuhl. Auch Meister Albion erhob sich. Sie ließ den Blick weiter durch den Raum wandern und entdeckte eine weitere vertraute Person.

„Constantin!“ rief sie und stürmte auf ihn zu.

Lachend schloss er sie in seine Arme.

„Ein Glück, du bist wohl auf“, sagte er erleichtert.

„Dir scheint es ebenfalls nicht schlecht ergangen zu sein“, erwiderte sie und knuffte ihn in die Seite. Dann löste sie sich aus seiner Umarmung und fasste Kyle am Arm. „Ich fürchte, ihr kennt euch bereits. Das erste Zusammentreffen war vielleicht nicht das Beste, aber das lässt sich hoffentlich noch ändern.“ Sie sah zu Kyle auf und ihr Lächeln erlosch, als sie seinen Blick sah. Sie wandte sich zu Constantin und fand den gleichen Ausdruck in seinem Gesicht.

Die beiden maßen sich mit finsterer Miene und es schien, als versuchten sie den jeweils anderen zu Tode zu starren. Die Luft um sie herum gefror förmlich zu Eis. Aurelia wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte, doch ehe die Situation eskalierte, ergriff der hagere Mann neben Meister Albion das Wort.

„Da nun endlich alle eingetroffen sind, schlage ich vor, dass wir Platz nehmen und mit den wichtigsten Themen beginnen.“ Er klatschte auffordernd in die Hände und die Anwesenden, Aurelia und Kyle eingeschlossen, suchten sich einen Platz am Tisch. Constantin ließ sich neben Meister Albion nieder und zwinkerte ihr aufmunternd zu, während sie und Kyle sich schräg gegenüber an den Tisch setzten.

„Da nicht jedem die Namen aller anwesenden Person bekannt sind, nehme ich mir die Freiheit mich selbst und sämtliche Anwesenden kurz vorzustellen.“ Der dünne Mann machte eine kurze Pause. „Mein Name lautet Norwin Weyhers. Ich war der oberste Zauberer des königlichen Rates und engster Vertrauter König Heinrichs. Neben mir sitzen Meister Albion und sein Schüler Constantin Korell vom Orden der weißen Zauberer.“ Er nickte den beiden zu. „Ebenfalls anwesend sind Aurelia Nachtschatten, eine weitere Schülerin des Ordens und der ehemalige General der königlichen Leibgarde Kyle Farland.“ Er räusperte sich kurz, als leises Gemurmel aufbrandete, als Kyles Name genannt wurde. „Zu meiner linken darf ich Arvid Nader, oberster Berater König Roderichs und den Schatzmeister Ludbrock vorstellen. Des Weiteren begrüße ich Lord Roxley und unsere Gäste aus Arthenholm in unserer illustren Runde.“ Mit einer Hand deutete er auf Sharon. „Mir gegenüber sitzen die Hohe Magierin Quoos, ihr Bruder Oberst Levin Quoos und Leutnant Orias Moll.“

Aurelia beobachtete verstohlen die Anwesenden, während Norwin fortfuhr, die restlichen Personen vorzustellen. Mit am Tisch saßen noch die Rebellenführer Thoumas und Jorg. Beides waren grobschlächtige Kerle, wobei Thoumas einen scharfen Verstand zu besitzen schien. Er hatte die Augen eines Raubvogels und ließ den Blick, ebenso wie sie, umher schweifen. Als sein Blick auf sie fiel, stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Es lag ein mörderischer Ausdruck in seinen Augen. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, während sie sich tiefer in ihren Stuhl presste. Der Rebellenführer wirkte, als würde er ihr am liebsten einen Dolch ins Herz rammen und sie hegte keine Zweifel daran, dass er es wirklich tat, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Doch warum nur? Was hatte sie ihm getan?

Sie spürte, dass Kyle sie von der Seite her ansah, doch sie hielt den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Kyle hatte sich ihr gegenüber ebenfalls seltsam verhalten. Was wurde hier nur gespielt?

„Der Grund weswegen wir uns heute hier eingefunden haben, ist die Entscheidung über das weitere Schicksal Canthans.“ Norwin setzte sich und riss Aurelia aus ihren Gedanken. „Das Land ist aktuell ohne Führung und steht kurz davor in Chaos zu versinken. Wir werden später die bestehenden Möglichkeiten besprechen, doch zunächst möchte ich kurz die Ereignisse, welche sich auf Schloss Ehrenthal vor zwanzig Jahren ereignet haben, zusammenfassen.“

„Das sollte interessant werden“, murmelte Constantin halblaut und fing sich einen vernichtenden Blick von Meister Albion und Sharon ein. Er hob entschuldigend die Hände, doch kam nicht umhin Aurelia grinsend zu zuzwinkern. Sie erwiderte sein Grinsen, dann setzte sie sich auf und sah Norwin aufmerksam an. Je länger sie ihn betrachtete, um so deutlicher wurde seine Verwandtschaft mit Meister Albion. Sie entdeckte immer mehr Details, die er sich mit seinem jüngeren Bruder teilte, auch wenn die Ähnlichkeiten nicht so hervorstachen wie bei Sharon und Levin. Dann sprach Norwin weiter.

„Vieles liegt noch immer im Dunkeln, doch einige Teile des Puzzles konnten wir bereits zusammenfügen.“ Er räusperte sich. „Alles begann, nachdem Roderich von einer seiner vielen Expeditionsreisen zurückkehrte. Seine Leidenschaft galt hauptsächlich dem Sammeln von historischen Artefakten und der Erforschung längst vergangener Kulturen. Eines Tages kehrte er zurück und war wie verwandelt. Der sonst so freundliche und offenherzige Roderich hatte sich in einen kalten, grausamen Mann verwandelt.“

Bei diesen Worten begann Kyle kaum merklich zu nickten. Scheinbar erinnerte er sich an diesen Tag.

„Ich hielt ein wachsames Auge auf Roderich gerichtet, denn seine Wesensveränderung gefiel mir nicht. Er war nie ein starker Zauberer gewesen und doch spürte ich plötzlich einen starken Anstieg seiner Macht. Auch seine Geschwister waren in Sorge, denn er zog sich immer mehr zurück.“ Norwin hielt inne und sein Blick suchte Kyle. Die beiden sahen sich einen Moment lang schweigend an. Dann fuhr er fort und es wirkte, als würde er die nächsten Worte direkt an Kyle richten. „In jener Nacht vor zwanzig Jahren, unterhielt ich mich mit seiner hochschwangeren Schwester Amelia und ihrem Mann Thjark darüber. König Heinrich und Königin Gwendolyn waren noch in einer Konferenz, weswegen sie nicht dabei sein konnten. Es war schon spät und ich wollte mich auf mein Zimmer zurückziehen, als ich den Flur betrat und die Schreie hörte. Ich hastete zum Ort des Geschehens und musste mit Entsetzen feststellen, was sich im kleinen Ratssaal zugetragen hatte. Ohne zu zögern machte ich kehrt und eilte, so schnell es ging, zu Amelia und Thjark zurück.“

Wie gebannt hing Aurelia an Norwins Lippen. Auch die anderen hörten ihm aufmerksam zu. Keiner verursachte auch nur den leisesten Laut, sodass in den kurzen Pausen eine gespenstische Stille im Raum hing.

„Wir wussten, was es zu bedeuten hatte und was getan werden musste. Thjark hielt uns den Rücken frei, während ich Amelia aus dem Schloss hinaus brachte. In ihrem Zustand war das Reisen nicht einfach, doch sie biss die Zähne zusammen und wir schafften es bis ans andere Ende des Königreiches. Bei der Familie einer guten Freundin von mir, suchten wir Unterschlupf.“ Norwin richtete den Blick auf Aurelia. „Amelia brachte ihre Tochter zur Welt, doch die Strapazen der Reise hatten ihr so zugesetzt, dass sie wenige Tage später verstarb. Die Familie versprach ihr am Sterbebett, gut auf ihre Tochter zu achten und sie wie ihr eigenes Kind groß zu ziehen. Ich kehrte zum Schloss zurück, um die Entwicklungen zu verfolgen. Mit dem guten Gewissen, dass die Letzte aus dem Geschlecht der Algrims weit ab von allem ein wohlbehütetes Leben führen würde.“ Er faltete die Hände und stützte sein Kinn darauf, während er Aurelia noch immer unverwandt ansah.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und eine bittere Erkenntnis zupfte an den Rändern ihres Verstandes. Sie spürte eine Berührung und sah, dass Kyle ihre Hand gefasst hatte. Auch die anderen warfen nun interessierte Blicke in ihre Richtung. Constantin runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust, während er über Norwins Worte nachzudenken schien.

„Vieles deutet darauf hin, dass Roderich von einer dunklen Macht besessen wurde. Wie dies geschehen konnte und aus welchem Grund wissen wir noch nicht. Jedoch steht fest, dass uns eine viel größere Gefahr droht. Darum ist es umso wichtiger, dass Canthan vereint unter einem Banner steht. Die Rufe nach Veränderung sind nicht zu überhören und wir werden sie nicht ignorieren“, brachte Norwin das Thema zurück zum eigentlichen Grund ihres Zusammentreffens. Er machte eine kurze Pause, in welcher Jorg und Thoumas gewichtige Blicke miteinander tauschten.

„Wir Rebellen wünschen ein größeres Mitspracherecht des einfachen Volkes“, ergriff Thoumas das Wort. „Wir wollen eine Gewaltenteilung. Das Volk soll in Bereichen wie der Gesetzgebung und den Steuern Einfluss nehmen können.“

Norwin nickte ihm verständnisvoll zu. „Jedoch geht dies nur in Zusammenarbeit mit dem König oder der Königin...“, wies er den Rebellenführer darauf hin.

Thoumas schnaubte abfällig.

„Na schön. Kommt endlich zum Punkt, alter Mann. Die Spannung ist kaum noch auszuhalten“, grollte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, ehe er Aurelia mit einem finsteren Blick bedachte.

Falls Norwin über diese Frechheit erzürnt war, ließ er es sich nicht anmerken. Stattdessen strich er über sein Gewand und holte Luft.

„Verzeiht“, unterbrach Aurelia Norwin, ehe er zu reden begann. „Scheinbar muss mit etwas entgangen sein. Ihr wollt einen neuen König oder eine Königin auf den Thron setzen. Aber wie Ihr selber sagtet, wurde die königliche Familie bis auf eine einzige Ausnahme ausgelöscht. Woher wisst Ihr, ob Amelias Tochter noch am Leben ist?“ Sie fürchtete die Antwort auf diese Frage. Inständig hoffte sie, dass sie dies alles nur missverstanden hatte. Vielleicht war es nur ein Produkt ihrer wilden Fantasie. Vermutlich hatte sie einfach zu viele Geschichten gelesen. Kyle drückte ihre Hand fester und verstärkte damit ihre Befürchtungen.

„Wenn mich meine Augen nicht täuschen, sitzt sie mir sehr lebendig gegenüber. Aurelia Algrim, Tochter von Amelia und Thjark. Aufgezogen von Elmar und Lorain Nachtschatten, gemeinsam mit ihrer Tochter Loreley.“

Aurelia sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, dass er umkippte. „Dieses Märchen soll ich Euch glauben?! Das kann nicht stimmen!“ Kyle fasste sie am Arm, doch sie riss sich los. „Das ist... das ist gelogen. Ihr sucht doch nur eine Marionette für Euren ausgeklügelten Plan.“ Sie trat einen Schritt zurück. „Ich glaube Euch kein Wort!“ Damit wirbelte sie herum und stürmte aus dem Saal.

In ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander. Alles an was sie bis jetzt geglaubt hatte, jede Erinnerung, jede vermeintliche Wahrheit, erschien plötzlich wie ein Trugbild. Ihre Welt stürzte polternd in sich zusammen.

Sie rannte den Gang entlang, bis zu dem Zimmer, in dem sie vor wenigen Stunden erwacht war. Zögernd hielt sie inne, dann öffnete sie die Tür und schloss sie hinter sich mit einem Knall. Hastig drehte sie den Schlüssel und verriegelte die Tür. Dann lehnte sie sich dagegen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Eines stand fest - sie musste fort von hier. Sie würde keine Sekunde länger auf diesem Schloss verweilen. Vermutlich war Kyle schon auf dem Weg zu ihrem Zimmer. So, wie sie ihn kannte, würde er nicht zögern und das Schloss der Tür aufbrechen. Kyle. Ein scharfer Stich durchfuhr ihr Herz, als sie an ihn dachte. Er hatte es gewusst. Er musste es die ganze Zeit über gewusst haben. Wütend schlug sie mit der Faust gegen die Wand. Der Schmerz fuhr bis in ihre Schulter. Fluchend ging sie zum Fenster und sah hinaus. In der Ferne konnte sie die Berge sehen und eine Idee formte sich in ihrem Kopf. Lächelnd öffnete sie die Fensterläden, blickte hinunter und musterte dann die Vorhänge. Ein freudloses Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Oh nein. Sie würde keinen weiteren Augenblick hier verbringen.

Schattenkönig

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