Читать книгу Schattenkönig - Azura Schattensang - Страница 7
Kapitel 5
Оглавление„Hättest du es dir jemals erträumt, dass ich eines Tages Königin sein würde?“ Sie saß zusammen mit Constantin auf einer der Bänke in den weitläufigen Gärten des Schlosses. Die Sonne war warm und kündete bereits von den ersten Sommertagen.
Nach ihrer Rückkehr ins Schloss hatte sie Norwin und Meister Albion aufgesucht und ihnen ihre Entscheidung mitgeteilt. Keiner der beiden hatte sie nach ihrem Verschwinden, oder dem Grund dafür befragt. Sie vermutete, dass Kyle dafür verantwortlich war. Jedoch schienen Norwin und Meister Albion durchaus erleichtert über ihren Entschluss zu sein, ihr Erbe anzutreten. Als sie ihnen von ihrem Aufeinandertreffen mit Lillith berichtete, wirkten die beiden hingegen wenig erstaunt. Dabei war Aurelia ziemlich überrascht gewesen, auf einen leibhaftigen Drachen zu stoßen. Erst als sie ihnen von Lilliths Vermutung über den Schattenkönig berichtete, wurden sie zusehends unruhiger. Norwin warf seinem Bruder einen langen Blick zu und Aurelia konnte einen Anflug von Furcht spüren.
Nach dem Gespräch zog sie sich auf ihr Zimmer zurück und schloss sich dort für die nächsten Tage ein. Nach einigen Bemühungen schaffte es Constantin schließlich, sie daraus hervor zu locken.
„Nicht in meinen kühnsten Träumen!“ Constantin lachte und legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen saß er neben ihr und genoss die Sonne auf seiner Haut. „Obwohl ich sagen muss, dass dir Kleider wirklich gut stehen.“ Ein freches Grinsen zuckte in seinem Mundwinkel und Aurelia knuffte ihn in die Rippen. Lachend zuckte er zusammen. „Zeige etwas mehr Respekt! Ich bin deine zukünftige Königin“, sagte sie lachend. Mit einer Hand strich sie die Falten in ihrem Kleid glatt und betrachtete den mit Spitze besetzten Saum. Die Bediensteten hatte ihr solange in den Ohren gelegen, bis sie schließlich nachgegeben und sich in eines der vielen Kleider hatte helfen lassen. Es war aus einem leichten hellblauen Stoff gefertigt, der sich kühl und glatt an ihre Haut schmiegte. Der eng geschnürte Mieder und der weite Rock waren mit hauchfeinen Applikationen aus weißer Spitze verziert. Staunend hatte sie sich im Spiegel betrachtet. Das Kleid war atemberaubend schön und brachte ihre Figur glänzend zur Geltung. Nichts desto trotz fühlte sie sich unwohl darin. In ihrem Leben hatte sie noch nie solch ein Kleid getragen.
Constantin richtete sich wieder auf und sah sie lange an. „Es ist schon eine Ewigkeit her, dass wir so zusammen gesessen haben.“
„Das ist wahr“, stimmte sie ihm zu. „Eine Menge ist geschehen.“
„Ich war krank vor Sorge, nachdem du scheinbar freiwillig mit den Inquestoren mitgehen wolltest und dann doch noch geflohen bist. Jede Nacht habe ich gebetet, dass ich dich eines Tages gesund wiedersehen würde.“
Aurelia rutschte näher an ihn heran und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Constantin hob den Arm und legte ihn um ihre Taille.
„Deine Gebete wurden scheinbar erhört“, sagte sie.
„Ja. Auch wenn zunächst alles danach aussah, als hätten wir dich in den Fluten des Magaerus für immer verloren.“
Nur mit Mühe gelang es Aurelia, die aufkeimenden Erinnerungen an die Begebenheiten nach ihren Sturz in den Fluss zu verdrängen. Dies war etwas, das sie für immer vergessen wollte. „Was ist eigentlich geschehen, nach dem ich euch am Orden verlassen habe?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
Constantin stöhnte. „Meister Albion entwickelte sich zu einem wahren Sklaventreiber. Er hat mein Training verdreifacht. Ich fürchtete schon, dass ich nie wieder schlafen würde. Alle Versuche meinerseits den Grund für diese Entwicklung herauszufinden, hat er gnadenlos ignoriert.“
„Was das betrifft, hat er nicht nur dich im Dunkeln gelassen“, sagte Aurelia düster.
Constantin warf ihr einen kurzen Blick zu. „Na ja, irgendwann traf ein Brief von dieser blonden Zauberin ein. Meister Albion wurde ganz hektisch. Ich sage dir, in all der Zeit habe ich ihn noch nie so aufgebracht erlebt. Er hat Anweisungen gebrüllt und ehe ich mich versah, war ich mit ihm auch schon nach Hamern unterwegs.“ Er seufzte. „Dort trafen wir dann auf Sharon und die anderen. Den Rest kennst du ja.“
„Mehr oder weniger“, murrte Aurelia.
„Wie war es bei dir? Was ist geschehen, nach dem du die Flucht ergriffen hast?“
Aurelia zögerte einen Moment und überlegte. Dann erzählte sie Constantin in groben Zügen von ihren Erlebnissen. Schweigend hörte er zu und musterte sie eingehend. „Wie kam es dazu, dass sich Kyle zu deinem selbsternannten Leibwächter erklärt hat?“
Sie wich seinem Blick aus. Wie sollte sie diese Frage beantworten?
„Er hatte den Verdacht, dass ich Amelias Tochter bin und wollte die Dinge ins Reine bringen.“ Das war zwar nicht die volle Wahrheit, aber auch nicht gelogen.
Constantin sah sich suchend um. „Wo steckt er eigentlich?“
„Wer?“ Aurelia sah ihn fragend an, obwohl sie wusste, wen er meinte.
„Na, dein Wachhund. Sonst hat er dich keine Sekunde aus den Augen gelassen.“
„Er ist nicht mein Wachhund“, schnappte sie bissig. „Ist eigentlich etwas zwischen euch vorgefallen? Als ihr euch letztens begegnet seid, wirkte es, als wolltet ihr euch gegenseitig an die Gurgel gehen.“
„Ich... ähm.“ Constantin wirkte plötzlich sehr stark an einer Blume interessiert. „Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung. Nichts weiter“, wich er aus. Skeptisch hob Aurelia eine Augenbraue, beließ es aber dabei. „Wo wir gerade beim Thema sind. Wo wart ihr zwei eigentlich?“ Nun sah Constantin sie forschend an.
„Ich brauchte frische Luft“, war alles was sie dazu sagte und verschränkte die Arme vor der Brust.
Constantin runzelte die Brauen. „Ist etwas passiert?“, wollte er wissen.
„Nein. Nichts. Warum?“
Er sah sie immer noch stirnrunzelnd an, dann schüttelte er den Kopf. „Ach nichts. Vergiss es.“
Sie hörten Schritte hinter sich den Kiesweg hinab kommen und drehten sich zu dem Besucher um. Aurelias Herz verkrampfte sich, als sie Kyle erblickte. Seine kurzen, braunen Haare wirkten frisch gekämmt und über seinem dunkelblauen Hemd trug er einen schwarzen Wappenrock mit dem Symbol des Königshauses. Um die Hüfte hatte er den Schwertgurt geschlungen. Das Heft glitzerte im Sonnenlicht.
Er kam um die Bank herum, blieb vor ihnen stehen und machte eine zackige Verbeugung. „Ich darf Euch mitteilen, dass Meister Albion und Norwin Euch zu sprechen wünschen. Sie wollen sich mit Euch und den anderen an der Bibliothek treffen.“
Aurelia und Constantin sahen sich erstaunt an. Noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt, dass sie von ihm mit 'Euer Majestät' angeredet wurde. Es fühlte sich irgendwie falsch an. Constantin erhob sich und reichte ihr die Hand. Mit einem Lächeln ergriff sie sie und ließ sich von ihm aufhelfen. Sie hakte sich bei ihm unter und er führte sie an Kyle vorbei in Richtung des Innenhofes.
Als Constantin an Kyle vorbei ging, trafen sich ihre Augen für einen Moment und Aurelia hätte schwören können, dass unsichtbare Blitze zwischen ihnen umherflogen. Doch keiner von beiden sagte ein Wort und Kyle folgte ihnen schweigend in einigem Abstand.
Als sie die Bibliothek erreichten, warteten Meister Albion und die anderen bereits auf sie. Meister Albion und Norwin trugen beide lange, aufwendig verzierte Tuniken. Auf Norwins Brust prangte der goldene Löwe der Algrims, wohingegen Meister Albion das Zeichen des Ordens – ein weißer Stern über einem sich kreuzenden Stab und Schwert - trug.
Sharon war in ein weißes Hemd und einen schwarzen Rock gekleidet. Über dem Hemd trug sie eine schwarze Weste, auf die mit silbernen Fäden magische Runen gestickt waren. In ihren Händen hielt sie ihren geschmeidigen Holzstab mit dem durchsichtigen Kristall an der Spitze. Orias und Levin trugen jeweils Wämser aus feinem Stoff in den Farben der arthenholmschen Flagge.
„Ihr habt uns rufen lassen?“ sagte Aurelia, während sie heimlich Sharons langes, blondes Haar bewunderte. Sie hatte es zu einem Zopf geflochten, welcher über ihrer Schulter hing.
„Levin hat uns von der geheimen Kammer unterhalb der Bibliothek erzählt. Wir wollten sie uns einmal genauer ansehen“, antwortete Norwin. „Vielleicht können wir dort etwas über die mysteriöse Gestalt und die verschwundenen Frauen herausfinden.“
„Wir hielten es für wichtig, dass die zukünftige Königin uns dabei begleitet. Immerhin tappen wir in dieser Angelegenheit noch vollkommen im Dunkeln“, fügte Meister Albion an. „Niemand im Schloss will davon gewusst haben.“
Aurelia warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Sie hegte keinen wirklichen Groll gegen ihren Meister, dafür verdankte sie ihm zu viel. Dennoch hatte sie ihm nicht verziehen, dass er sie über ihre Herkunft im Unklaren gelassen hatte.
Sharon entfuhr ein verächtliches Schnauben und erntete dafür einen bösen Blick von Orias. Bevor noch jemand etwas sagen konnte, trat Kyle vor und öffnete die Tür. „Vielleicht sollten wir langsam hineingehen“, sagte er und verschwand im Inneren.
Wortlos folgten sie ihm hinein. Als Aurelia den Raum betrat, blieb sie stehen und sah sich staunend um. „So viele Bücher!“ hauchte sie.
Kyle blieb neben ihr stehen und gluckste amüsiert. „Ihr wart vorher noch nie hier?“
„Nein“, sagte sie über sich selbst schockiert.
„Nun, das ist die königliche Bibliothek. Sie steht Euch Tag und Nacht zur Verfügung. Niemand sonst hat in der Regel zutritt.“
Sie hörte ihm nur mit einem halben Ohr zu, denn sie war schon dabei mit den Fingern über die Buchrücken zu fahren und die Titel zu entziffern. Es würde Jahre dauern, bis sie alles gelesen hatte! Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete sie die deckenhohen Regale und den wuchtigen Kronleuchter über sich. „Einfach unglaublich...“
„Ich hätte mir denken können, dass Euch die Bibliothek faszinieren würde“, schmunzelte Kyle.
Aurelia sah ihn einen Moment lang an. „Schäme dich dafür, dass du sie mir nicht schon früher gezeigt hast“, sagte sie mit einem Lachen.
„Verzeiht, dass ich euren Plausch störe, aber wir haben im Augenblick wichtigeres zu tun.“ Constantin trat zwischen die beiden, fasste Aurelia an den Schultern und schob sie zu der Wand, vor der die anderen bereits Stellung bezogen hatten.
Sharon zeichnete Runen der Kenntlichmachung und des Öffnens auf den Stein und geräuschlos verschwand die Wand. Erstaunt pfiff Norwin durch die Zähne.
„Und ich dachte, ich würde alle geheimen Pfade des Schlosses kennen“, murrte Kyle.
Meister Albion ließ eine Flamme in seiner Hand entstehen und hielt sie wie eine Kerze vor sich. Dann trat er durch die Öffnung ins Dunkel und begann die Treppe hinabzusteigen. Levin und Orias folgten ihm und auch der Rest der Gruppe wagte den Abstieg. Nach dem sie den schier endlos langen Gang hinter sich gelassen hatten, gelangten sie in die Kammer.
Entsetzt sog Levin scharf die Luft ein. Die Papiere, die er in der Nacht vor seiner Gefangennahme entdeckt hatte, waren verschwunden. An der Stelle, an der der wuchtige Tisch gestanden hatte, prangte nun ein riesiger schwarzer Fleck. Ringsherum fanden sich noch Reste der Asche. Mit offenem Mund starrte er auf den Boden. Dann ließ er seinen Blick über die Wand wandern. Die Zeichen für das riesige Tor befanden sich immer noch auf dem Stein, aber es wirkte so, als habe jemand in aller Eile versucht die Kreide zu verwischen. Einige Symbole waren völlig unkenntlich geworden, doch er hoffte, dass Meister Albion oder Norwin sich trotzdem einen Reim darauf machen konnten. Er steckte die Hand in seine Hosentasche und seine Finger schlossen sich um die Papiere darin. Vorsichtig zog er sie heraus und betrachtete die zerknitterten Seiten. Beinahe hätte er vergessen, dass er sie für dieses Treffen eingesteckt hatte.
„Scheinbar hat jemand versucht sämtliche Spuren zu verwischen“, brummte Norwin.
„Weiß jemand, was es hiermit auf sich hat?“, wollte Sharon wissen und betrachtete das Tor eingehend.
Meister Albion trat neben sie und betrachtete es ebenfalls. „Es sieht mir schwer nach Portalmagie aus. Vielleicht ist es ein Tor in die Unterwelt, oder was meinst du, Norwin?“
Norwin zog die Stirn kraus und legte die Finger ans Kinn. „Aber warum sollte jemand hier unten ein Tor in die Unterwelt öffnen?“
„Könnte es sein, dass die Frauen durch dieses Portal verschwunden sind?“ fragte Levin.
„Es wäre jedenfalls eine Erklärung für ihr spurloses Verschwinden“, überlegte Norwin. „Nur zu welchem Zweck?“ Er trat näher an die Wand und begutachtete die Zeichen. „Einige Symbole sind merkwürdig... und den Rest kann man nicht richtig erkennen!“ Er warf die Arme in die Luft und seufzte enttäuscht.
„Vielleicht kann euch das weiterhelfen?“ Levin reichte ihm die Papiere.
Meister Albion machte große Augen, als er über Norwins Schulter hinweg einen Blick auf die Seiten warf.
„Levin! Woher hast du das?“, wollte Sharon erstaunt wissen. Levin hob entschuldigend die Schultern. „Ich hatte sie bei meinem Besuch hier unten eingesteckt. Es tut mir leid, aber ich hatte bei dem ganzen Trubel völlig vergessen, dass ich sie noch besitze. Sie lagen die ganze Zeit über in unserem Zimmer.“
Aurelia war näher herangetreten, um ebenfalls einen Blick auf die Blätter zu erhaschen. Sie waren übersät mit verschlungenen Symbolen. An den Rändern befanden sich säuberlich geschriebene Anmerkungen.
„Weiß jemand etwas damit anzufangen?“, warf sie fragend in die Runde.
„Noch nicht. Aber wir werden es herausfinden.“ Norwin rieb sich die Hände und seine Augen bekamen einen merkwürdigen Glanz.
„Ich werde meine Kontakte in der Akademie in Thyrr bemühen. Vielleicht kann man uns dort weiterhelfen“, schlug Sharon vor.
„Eine ausgezeichnete Idee“, sagten Norwin und Meister Albion gleichzeitig und strahlten sie an.
Aurelia machte ein erstauntes Gesicht. „Was ist das für eine Akademie?“
Sharon schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Die Akademie für Zauberei in Thyrr, im Süden von Arthenholm, ist die berühmteste und angesehenste Ausbildungsstätte für Zauberer des gesamten Kontinents. Dort lernen die talentiertesten Magier ihr Handwerk. Ich habe dort ebenfalls meinen Abschluss gemacht.“ Der Stolz in ihrer Stimme war unüberhörbar und Aurelia verdrehte die Augen.
„Schon gut...“, murmelte sie und beugte sich zu Constantin herüber. „Ich weiß, dass ich nicht die mächtigste Zauberin bin, aber sie muss sich nicht gleich so aufplustern“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Aufgeblähte Henne!“
Constantin bemühte sich ein Lachen zu unterdrücken.
„Albi und ich waren in unseren jungen Jahren ebenfalls dort Schüler.“ Norwin legte grinsend einen Arm um seinen jüngeren Bruder.
„Das ist schon eine Ewigkeit her“, sagte Meister Albion und schüttelte den Arm seines Bruders ab. Mit würdevoller Miene stricht er seine Tunika glatt. „Zu dieser Zeit regierte noch Heinrichs Vater.“
Aurelia und Constantin sahen sich grinsend an. Nicht oft bekamen sie die Gelegenheit zu sehen, dass jemand den Meister in Verlegenheit brachte.
„Nun gut. Sharon, wir wären dir sehr dankbar, wenn du Kontakt mit der Akademie aufnehmen könntest.“ Meister Albion warf einen langen Blick durch den Raum und seufzte. „Ich denke, wir können zurückkehren. Viel mehr wird uns der Aufenthalt hier unten nicht bringen.“
Bevor er sich zum gehen wenden konnte, hielt Aurelia ihn zurück. „Auf der Akademie wurde doch mit Sicherheit auch Historie gelehrt?“
„Durchaus, warum fragst du?“ Meister Albion sah sie durchdringend an und Aurelia wandte den Blick ab.
„Wurde dort auch über die Ereignisse während des großen Krieges gesprochen?“
Der Blick des Meisters schien sich nun förmlich durch sie hindurch zu bohren. „Welchen Krieg meinst du genau?“
„Den gegen den dunklen Herrscher. Ich wüsste gerne mehr über Ansgard und Thea.“
Sharon lachte auf. „Die alte Liebesgeschichte?“
Aurelia warf ihr einen vernichtenden Blick zu und sah Meister Albion abwartend an.
Er wirkte ziemlich erleichtert. „Ich denke, hier ist der falsche Ort für diese Geschichte. Lasst uns wieder nach oben gehen.“ Damit drehte er sich um und schritt aus dem Raum. Die anderen folgten ihm dicht auf. Eigentlich hatte Aurelia Meister Albion nach den Ereignissen des Krieges gegen den dunklen Herrscher befragen wollen, aber sein warnender Blick hatte sie davon abgehalten. Scheinbar wollte er Lilliths Befürchtungen noch nicht mit den anderen Teilen. Während sie zurück gingen, betrachtete sie mit finsterer Miene Sharons Rücken und fragte sich wann sie, Levin und Orias, wohl nach Arthenholm zurückkehren würden. Gegen ihren Bruder und Orias hatte sie nichts einzuwenden, die beiden waren immer sehr nett und höflich. Aber Sharon brachte sie nach wie vor zur Weißglut. Schon alleine ihre herablassenden Blicke schürten in ihr die Wut.
Als sie den Innenraum der Bibliothek erreichten, empfing sie warmes Sonnenlicht und Aurelias Stimmung hellte sich etwas auf. Sie verdrängte Sharon aus ihren Gedanken und musterte die hohen Bücherregale. Lächelnd beschloss sie, den Nachmittag in der Bibliothek zu verbringen. Sie war sich ziemlich sicher hier auf interessante Literatur zu stoßen.
Sie hatten die Eingangstür noch nicht ganz erreicht, als diese plötzlich aufgerissen wurde. Ein Dienstbote stürzte herein und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Gehetzt sah er sich um. „Verzeiht mein unerlaubtes Eindringen“, sagte er schnell und verbeugte sich hektisch. „Aber eine weiße Frau ist plötzlich im Schloss aufgetaucht und wünscht die zukünftige Königin sowie ihre Berater zu sprechen.“
Alle sahen sich verwundert an.
„Hat sie auch einen Namen?“, wollte Kyle wissen und lockerte bereits sein Schwert.
„Sie sagt, ihr Name sei Lillith Blutauge.“ Der Bote verbeugte sich wieder. „Ich habe sie in den Empfangssaal geführt. Sie wartet dort.“
„Das hast du gut gemacht“, sagte Norwin und schickte ihn fort.
„Das ist ja eine Überraschung“, sagte Aurelia aufgeregt.
Kyle sah sie stirnrunzelnd an. „Woher kennst du Lillith?“
Sie blieb ihm eine Antwort schuldig, raffte ihr langes Kleid und hastete hinaus. Schnellen Schrittes überquerte sie den Innenhof und verschwand im Hauptgebäude.
„Wer ist diese Lillith?“ fragte Sharon, während sie und die anderen Aurelia folgten.
„Eine alte Bekannte“, antwortete Kyle knapp. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich sie jemals wiedersehen würde.“
„Die Zeiten sind finster“, unkte Norwin. „Ihr Volk scheint es ebenso zu sehen.“
„Von welchem Volk sprichst du?“ mischte sich nun auch Constantin ein.
Norwin lächelte verschmitzt. „Die Drachen.“
„Drachen?!“ Orias, Levin, Sharon und Constantin blieben abrupt stehen.
„Wir haben keine Zeit für lange Erklärungen“, sagte Kyle leicht entnervt. „Kommt, ihr werdet alles später erfahren.“
Sharon protestierte leise, als sie ihren Weg fortsetzten.