Читать книгу Schattenkönig - Azura Schattensang - Страница 5

Kapitel 3

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Einige Augenblicke später setzte sich jemand neben sie. Aurelia zuckte erschrocken zusammen, als sie die Person neben sich bemerkte. Es war eine junge Frau mit langen, silbernen Haaren, einer Haut so hell wie Elfenbein und rubinroten Augen. Sie trug weiße, eng geschnittene Reisekleidung und dunkle Lederstiefel. Sie war die schönste Frau, die Aurelia jemals gesehen hatte.

„Ich habe von der Tragödie um die Familie Nachtschatten gehört. Es tut mir leid was dir in jener Nacht widerfahren sein muss.“ Sie senkte den Blick und betrachtete ihre Hände und die gepflegten Nägel. „Wenn ich gewusst hätte, dass du Amelias Tochter bist, hätte ich dich vorhin nicht angegriffen. Auch darum bitte ich um Verzeihung.“

Aurelia starrte die Frau fassungslos an. Für einen Moment war ihr Kummer und der Gram vergessen. „Wie...“ setzte sie an, doch die Frau winkte ab.

„Die meisten Menschen wissen es nicht, aber wir Drachen können die Gestalt von Menschen annehmen. Das macht das Leben leichter.“ Sie lächelte breit. Es war ein warmes, ehrliches Lächeln und ließ ihr Gesicht noch schöner wirken.

„Ich bin übrigens Lillith Blutauge.“ Sie reichte Aurelia die Hand.

Irritiert ergriff Aurelia sie.

„Nach dem letzten großen Krieg haben wir Drachen beschlossen, uns aus den Angelegenheiten der Menschen herauszuhalten. Wir leben nun weitestgehend zurückgezogen. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die jagt auf uns machen und unsere Köpfe als Trophäen und unsere Innereien und Krallen als Medizin verkaufen.“ Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Deswegen habe ich so ungehalten reagiert, als ich dich in meiner Höhle angetroffen habe. Es ist nicht leicht, gute Verstecke zu finden.“ Wieder lächelte sie. „Doch wie kommt es, dass die Tochter Amelia Algrims nachts in einem Drachenhort, beinahe von dem ansässigen Drachen gefressen wird?“

Aurelia schmunzelte. Irgendetwas an Lilliths Art ließ sie ihren Kummer vergessen und die Welt weniger grau aussehen. Mit kurzen Worten schilderte Aurelia die Ereignisse, die sich seit jener Nacht vor zehn Jahren ereignet hatten. Lillith schien nicht sonderlich überrascht, als sie vom Tod Roderichs hörte. Interessiert lauschte sie Aurelia, als diese Norwins Worte wiedergab.

Langsam nickte Lillith mit dem Kopf. „Dies ist also damals geschehen. Du musst wissen, dass ich früher häufig am Hofe des Königs zu Gast war. Ich kannte die königliche Familie recht gut und war sehr bestürzt, als ich von ihrem Tod erfuhr. Nach dem Gerüchte laut wurden, dass Roderich einen Hang zur dunklen Magie entwickelt haben sollte, bin ich nie wieder zurückgekehrt. Ich hielt es für zu gefährlich. Sich mit dunklen Zauberern einzulassen, ist niemals eine gute Idee.“

Aurelia zog die Augenbrauen hoch und sah Lillith fragend an. „Ich dachte, ihr haltet euch aus den Angelegenheiten der Menschen heraus?“

„Wir mischen uns nicht ein, nein. Aber es ist wichtig zu wissen, was in der Welt geschieht. Deswegen pflegen wir Kontakt zu den Führern der Länder. Dies gibt uns die Chance, Gefahren für unser Volk rechtzeitig abzuwenden.“

„Was könnte einem Drachen denn gefährlich werden? Du hättest mich vorhin mit Leichtigkeit töten können. Ich hätte keine Chance gehabt.“

Lillith zuckte mit den Schultern. „Jeder hat seine Schwächen. Wenn du den Schwachpunkt des anderen kennst, kannst du selbst den mächtigsten Gegner besiegen.“

Aurelia schwieg und starrte auf den felsigen Boden. „Woher wusstest du, dass ich keine echte Nachtschatten bin?“

Lillith lachte leise. „Du riecht nicht wie sie.“

„Wie bitte?“

„Ich bin ein Drache und nehme mehr von der Umwelt war, als du dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst.“ Sie musterte Aurelia aus ihren rotglühenden Augen. „Scheinbar hat man dich nie in die Familiengeschichte eingeweiht. Aber da du als eine von ihnen aufgezogen wurdest und Lorain dir das Herz geschenkt hat, finde ich, dass du ein Recht darauf hast es zu erfahren.“

Aurelia schluckte eine bissige Bemerkung herunter. Es ärgerte sie, dass es ein weiteres Geheimnis um ihre Familie gab. Doch letztlich wollte sie die ganze Wahrheit erfahren.

„Dieser Stein - das Drachenherz - welches du um deinen Hals trägst, ist das Herz von Ansgard Nachtschatten. Ich war noch ein junges Mädchen, als ich von ihm und seiner großen Liebe Thea hörte. Er war ein großer und mächtiger Drache. Während der wirren Zeiten des Krieges traf er auf Thea, eine junge hübsche Frau und eine sehr mächtige Zauberin, doch leider ein Mensch. Die Ältesten unseres Volkes hieß diese Verbindung nicht gut, aber er blieb Stur und setzte sich über alles und jeden hinweg. Gemeinsam kämpften sie Seite an Seite in der letzten Schlacht gegen den dunklen Herrscher. Die Dinge standen nicht gut und die Menschen drohten den Kampf zu verlieren. Thea wurde verwundet und Ansgard opferte sein Leben um sie zu schützen. Seine Lebensenergie entwich in einer gewaltigen Explosion und hinterließ den Krater in den öden Landen, welcher als Drachensturz bekannt ist. Dadurch rettete er Theas Leben und die Menschen gewannen die Schlacht. Ansgard hinterließ diesen Stein, sein Herz, welches Thea an ihre Tochter weitergab und diese an ihre und immer so weiter.“

Aurelia sah sie verblüfft an. „Heißt das...?“

„Die Familie der Nachtschatten trug Drachenblut in sich. Sie waren allesamt mächtige Zauberer.“

Vor ihrem inneren Auge sah Aurelia wieder den Drachen aus reinem Feuer, der aus den Resten ihres Elternhauses emporstieg. Plötzlich ergab alles einen Sinn. „Dieser Drache aus Flammen...“, murmelte sie. „War es die Manifestation der magischen Kraft...?“

„Deiner Großmutter. Ja“, beendete Lillith ihren Satz. „Sie war die Letzte in der Familie, in der das Drachenblut noch stark war. Gerüchten zufolge, hat es dieser Feuerdrache bis nach Ehrenthal geschafft.“

Wortlos starrte Aurelia zu Boden und dachte an jene Nacht zurück. Es schien so unwirklich. Wie ein lang vergessener Traum und doch erinnerte sie der Schmerz in ihrer Seele daran, dass es wirklich geschehen war.

„Norwin kannte Elmar und Lorain. Woher?“

„Durch mich. Ich habe sie damals miteinander bekannt gemacht.“

„Warum?“, wollte Aurelia wissen.

„Aus keinem bestimmten Grund. Es hatte sich einfach so ergeben.“

Lillith wickelte eine lange, silberne Haarsträhne um ihren Finger, betrachtete sie und ließ sie wieder fallen.

„Wenn du die königliche Familie kanntest, dann erinnerst du dich sicherlich noch an Kyle?“, fragte Aurelia aus einer Laune heraus.

„Kyle Farland? Der kleine Junge, den der König damals aufgenommen hat?“ Lillith blickte auf.

Aurelia nickte.

„Sicherlich. Ein herzensguter Junge. Es war keine Überraschung, dass er später General der königlichen Leibgarde wurde. Er wäre für die Familie Algrim durch die Hölle marschiert. Ich habe die ganze Zeit daran gezweifelt, dass er für das Attentat verantwortlich sein soll. Es hätte einfach keinen Sinn ergeben“, sagte Lillith.

Aurelia schwieg einen Augenblick. „Wie nah standen er und Amelia sich?“

Lillith wirkte etwas überrascht, angesichts dieser Frage. „Nun... sie war wie eine Schwester für ihn. Ich glaube, die beiden trennten nur etwa fünf Jahre. Heinrich und Roderich waren ihre beiden älteren Brüder. Sie war so etwas wie das Küken in der Familie. Warum fragst du?“

„Nur so.“ Aurelia zuckte mit den Schultern. Schweigend saßen sie einige Zeit nebeneinander.

„Dieses Drachenherz. Du sagst, es besitzt starke magische Kräfte?“ Aurelia fuhr mit den Fingern über den glatten Stein.

Lillith sah sie aufmerksam an. „Ja. Wenn ein Drache sein Leben aus Liebe gibt, kristallisieren sich seine Gedanken und Gefühle. Sie formen diesen Stein und schließen einen Teil seiner magischen Kräfte in ihm ein. Man sagt, dass der Stein die Farbe seiner Seele annimmt. Die Kraft des Steins reagiert auf starke Emotionen des Trägers. In der Regel auf das starke positive Gefühl der Liebe. Drachenherzen sind sehr selten, das macht sie daher auch so wertvoll.“

„Wäre es stark genug, um einen Fluch zu brechen?“

Lillith legte den Kopf schief und sah Aurelia eingehend an.

„Ich schätze, dass kommt auf den Fluch an. Warum fragst du?“

Aurelia schilderte dem Drachen kurz, was ihr mit Kyle widerfahren war. „Er sagte, dass ihn ein Schlag durchfuhren habe, als ich ihn berührte. Plötzlich konnte er seinen eigenen Herzschlag wieder spüren. Irgend wie schien der Fluch an Stärke zu verlieren. Er begann wieder zu träumen und schließlich war er wieder verwundbar. Nun... ich denke er ist wieder sterblich... wenn man es so sagen kann.“ Nachdenklich legte Lillith die Finger an die Lippen.

„Gut möglich, dass das Drachenherz auf deine Gefühle, dein Mitleid, reagiert hat und dadurch der Fluch zu bröckeln begann.“ Sie zögerte einen Moment. „Wer, sagtest du, hat Kyle verflucht?“

„Eine Schattengestalt. Sie bezeichnete sich selbst als Schattenkönig. Eine ähnliche Gestalt erschien, als ich Roderich... als... als er starb.“ Noch immer konnte Aurelia sich nicht damit abfinden, dass sie für seinen Tod verantwortlich war.

Plötzlich packte Lillith Aurelia am Arm. Sie drückte so fest zu, dass es weh tat und Aurelia gequält aufschrie. „Sag das noch mal!“ Ihre Augen waren vor Schreck geweitet.

„Was? Der Schattenkönig?“ Vergeblich versuchte Aurelia ihren Arm aus Lilliths Griff zu befreien.

„Der Schattenkönig! Das ist der Name den sich der dunkle Herrscher damals selbst gegeben hat!“ Ihre fahle Haut wurde noch blasser. „Es kann nicht sein! Er sollte für immer versiegelt worden sein!“ Sie bemerkte Aurelias schmerzverzerrtes Gesicht und ließ sie mit einem entschuldigenden Lächeln los.

„Es tut mir leid. Aber wenn es stimmt was du sagst, stecken wir in großen Schwierigkeiten.“ Sie stand auf und begann hin und her zulaufen. „Nicht nur Canthan... nein, der gesamte Kontinent ist in Gefahr. Er hat schon einmal versucht den Kontinent zu unterjochen und er wird es wieder tun. Damals gelang es nur knapp ihn aufzuhalten.“ Ruckartig blieb sie stehen und sah Aurelia ernst an. „Du musst sofort nach Ehrenthal zurückkehren. Du musst das Amt als Königin antreten und Canthan unter einem Banner vereinen. Schicke boten nach Arthenholm und Mherdon. Sage ihnen, dass der dunkle Herrscher womöglich zurück ist.“

„Ich werde nichts dergleichen tun!“ Aurelia verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Lillith wütend an. Sie würde sich nicht von einem Drachen herumkommandieren lassen.

„Wie bitte?“ Lillith stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Ich werde nicht zurückkehren. Ich werde auch keine Königin sein. Dies ist mein Leben und ich werde es leben, wie ich es möchte!“

Ein gefährlicher Ausdruck trat in Lilliths Augen, als sie sprach. „Hör mir gut zu. Eine ganze Familie hat ihr Leben dafür geopfert, um dich zu schützten. Deine leibliche Mutter hat ihr Leben gegeben, damit du überlebst! Willst du es ihnen etwa so danken?! Das Land braucht dich! Also höre auf, mit deinem Schicksal zu hadern und trete dein Erbe an!“

„Warum fragt eigentlich keiner, wie ich mich dabei fühle?!“ schrie Aurelia auf. „Glaubst du nicht auch, dass das alles etwas plötzlich kommt? Wie würdest du dich an meiner Stelle fühlen?“

Lillith erwiderte nichts. Schweigend sah sie Aurelia an. „Du hast Recht. Es muss alles sehr verwirrend sein. Ich kann mir keine Vorstellung davon machen, wie es in deinem Inneren aussehen mag. Trotzdem. Auch wenn du keine echte Nachtschatten bist, hattest du eine Familie und ich glaube, dass sie dich sehr geliebt hat.“ Sie kam näher und legte Aurelia die Hände auf die Schultern. „Behalte dies im Herzen. Du bist nicht allein. Da draußen gibt es Menschen, die für dich da sind. Ihres und unser Leben stehen auf dem Spiel.“ Sie zog sie in eine feste Umarmung. „Es wird kein leichter Weg, aber wir werden ihn gemeinsam gehen.“

Aurelia drückte ihre Gesicht an Lilliths Schulter. Sie roch nach der kalten Nachtluft, nach Nebel und nach Wald. Es war ein seltsamer Geruch, aber er beruhigte sie auf irgendeine Art und Weise. Sie dachte über Lilliths Worte nach und die Gesichter von Meister Albion und Constantin erschienen vor ihrem inneren Auge. Plötzlich erinnerte sie sich an Kyles Worte, als er vor ihrer verschlossenen Tür gestanden hatte. Mit einem Mal verstand sie die Bedeutung dahinter und ein scharfer Stich durchfuhr ihr Herz. Sie kämpfte die Tränen nieder und löste sich aus der Umarmung. „Ich werde zurückkehren“, sagte sie schließlich.

Schattenkönig

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