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Kapitel 1
ОглавлениеWintarmanoth – 324 n. DK
Das Feuer im Kamin loderte hell und verbreitete eine wohlige Wärme. Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett standen eine Kanne mit warmen Tee und zwei tönerne Becher, sowie ein benutzter Teller.
Nachdem man die Wunde an ihrer Seite versorgt hatte, hatte man ihr einen Teller mit heißer Suppe in die Hand gedrückt. Kyle hatte sorgsam darauf geachtet, dass sie auch den letzten Rest der Mahlzeit zu sich nahm und sie anschließend in mehrere dicke Decken gewickelt. Ihr war immer noch kalt, doch die eisige Kälte in ihrem Inneren war glücklicherweise verschwunden. Es fühlte sich eher so an, als hätte sie sich zu lange im Freien aufgehalten. Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände und ballte sie zu Fäusten. Langsam kehrten Gefühl und Kraft in ihre Glieder zurück.
Nachdem sie aus ihrem seltsamen Traum erwacht war, hatte sie sich furchtbar schwach gefühlt. Sie war nicht einmal im Stande gewesen, selbständig zu gehen, weshalb Kyle sie auf ihr Zimmer hatte tragen müssen. So viel Schwäche zu zeigen war ihr unangenehm gewesen, doch es hatte sich nicht ändern lassen.
Natürlich war ihr Kyle seitdem nicht mehr von der Seite gewichen. Mit wachsamen Augen hatte er jede ihrer Bewegungen verfolgt, so als fürchtete er, dass sie jeden Augenblick verschwinden könnte. Sie hatte ihm unermüdlich versichert, dass alles in Ordnung sei und es ihr gut ginge, aber er hatte ihren Worten nicht so Recht glauben wollen. Irgendwann hatte er sich jedoch soweit beruhigt, dass er sich neben sie aufs Bett legte. Wenige Augenblicke später hatten die Anstrengungen der letzten Tage und Stunden ihren Tribut gefordert und ihn in einen seichten Schlaf hinüber gleiten lassen.
Aurelia beobachtete zufrieden wie sich seine Brust bei jedem Atemzug gleichmäßig hob und senkte und kuschelte sich an ihn. Ein Ohr an seine Brust gepresst, lauschte sie den beruhigenden Schlägen seines Herzens. Schließlich zog sie die Halskette unter ihrem Hemd hervor und betrachtete sie. Der glatte, runde Stein hatte jegliche Farbe verloren und ein tiefer Riss durchzog sein Inneres.
Ein Jeder hatte wissen wollen, was geschehen war und wie sie aus dem Totenreich hatte zurück kommen können, doch sie konnte ihre Fragen nicht beantworten. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war, wie sie nach dem Sieg über den Schattenkönig durch das Portal geschritten war. Danach war alles dunkel und leer. Dennoch hatte sie eine vage Vermutung, was sie gerettet haben mochte. An Lilliths Blick hatte sie erkannt, dass diese den gleichen Gedanken hegte.
Kyle zuckte plötzlich zusammen und riss die Augen auf. Hektisch sah er sich um und begann mit den Armen zu rudern. Als er sie sah, seufzte er schwer und ließ den Kopf zurück auf das Kissen sinken.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte er.
„Nicht lange“, antwortete sie und musterte ihn streng. „Aber es würde dir gut tun, wenn du noch etwas schlafen würdest.“
„Für dich gilt das Gleiche“, grollte er. „Die Heiler haben dir absolute Ruhe verordnet, weil sie sich nicht sicher sind, was man jemandem empfiehlt, der gerade von den Toten zurückgekehrt ist.“
„Bisher habe ich mich nicht aus dem Bett fortbewegt“, entgegnete sie. Sie setzte sich auf, zog die Decken enger um ihren Körper und mied seinen Blick. Die Wunde an ihrer Seite pochte dumpf. Glücklicherweise war die Verletzung, die ihr ihr Doppelgänger in Rovans Versteck zugefügt hatte, war nicht sehr schwer gewesen. Die Magie der Heiler hatte sie fast vollständig verheilen lassen. In wenigen Tagen würde sie sie so gut wie nichts mehr davon bemerken.
„Du weißt, dass ich dir eine Predigt von historischem Ausmaß halten wollte - aber ich bin einfach nur froh, dass du lebst“, sagte Kyle leise.
Aurelias Wangen brannten, während sie seinem Blick weiterhin auswich. Das schlechte Gewissen lastete schwer auf ihren Schultern.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich wollte dir keinen Kummer bereiten.“
„Sag mir nur wieso“, verlangte er. Seine grünen Augen fixierten sie und schienen sich in sie hinein zu bohren.
„Ich...“ Sie stockte. „Du hättest mich unter keinen Umständen gehen lassen. Eher hättest du mich in Ketten gelegt und im Kerker eingesperrt, wenn ich dir gesagt hätte, was ich vorhabe.“
Kyle lachte trocken. „Und es wäre mir völlig egal gewesen, wenn ich dafür selbst in den Kerker gegangen wäre.“
„Ich konnte und wollte niemandem diese Aufgabe aufbürden. Ihr alle hattet schon genug Sorgen - und was wäre ich nur für eine Königin, wenn ich meine Untertanen in eine aussichtslose Schlacht schicke, ohne selbst das Rückgrat zu besitzen, der Gefahr ins Auge zu sehen?“ Endlich schaffte sie es, ihm in die Augen zu sehen. „Nie und nimmer hätte ich mich wie ein verängstigtes Kind hinter den Mauern des Schlosses verstecken können.“
„Das ist, was dich zur großartigsten Königin aller Zeiten macht.“ Er griff nach ihren Händen und zog sie an sich.
„Bist du mir böse?“, fragte sie an seinem Ohr und er schüttelte den Kopf.
„Nein, ich bin einfach nur froh.“ Er schwieg einen Moment. „Manchmal wünschte ich mir nur, ich könnte deine Gedanken lesen.“
„So wie Raik und Lillith?“
„Ungefähr so“, sinnierte er.
„Lieber nicht.“ Aurelia lachte. „Dann wüsstest du um meine unschicklichen Gedanken.“
Er grinste breit. „Oh, vielleicht interessieren mich diese Gedanken ja?“
Sie zwickte ihn in die Seite, dann sah sie ihm fest in die Augen. „Keine Geheimnisse mehr, in Ordnung?“
„Hmm.“ Schmunzelnd legte er einen Finger an sein Kinn. „Was ist mit den Geburtstagsüberraschungen? Müssen die auch verraten werden?“
„Spinner!“ Spielerisch zog sie an einem seiner Ohren.
„Au, au, au. Ich ergebe mich“, sagte er und hob die Hände. Aurelia lächelte und ließ ihn von ihm ab.
„Von jetzt an keine Geheimnisse mehr“, versprach er.
„Keine Geheimnisse“, bestätigte sie und küsste ihn. Plötzlich fasste er sie an den Schultern und schob sie von sich.
„Halt.“ Rasch sprang er aus dem Bett. „Schließe die Augen“, verlangte er und begann in einer Schublade zu kramen.
Verwirrt folgte sie seiner Aufforderung. Es dauerte einen Moment, dann spürte sie, wie sich die Matratze senkte, als er wieder ins Bett stieg.
„Strecke deine Hand aus“, befahl er.
Gehorsam reichte sie ihm ihre Hand. „Kyle, was wird das?“
„Nicht jetzt“, sagte er lediglich.
Sie spürte, wie er etwas glattes über ihren Ringfinger schob. Unwillkürlich begann ihr Herz schneller zu schlagen.
„Mach deine Augen wieder auf.“ Seine Stimme hatte mit einem Mal etwas Angespanntes an sich. Sein Gesichtsausdruck war dabei so ernst, als stände kurz davor in eine Schlacht zu ziehen.
Aus großen Augen betrachtete sie den Ring an ihrem Finger.
„Eigentlich hatte ich es anders geplant, aber leider neigst du dazu, plötzlich zu verschwinden... oder wahlweise zu sterben.“ Seine Hände zitterten, als er nach ihrer Hand griff und sie festhielt. Er räusperte sich und wollte etwas sagen, doch plötzlich schienen ihm die Worte zu fehlen. Mit einer Hand fuhr er sich über das Gesicht, atmete tief ein und setzte zu einem erneuten Versuch an. „Aurelia Algrim. Ich frage dich hier und jetzt – willst du meine Frau werden?“
Sprachlos starrte sie ihn an. Ihre Welt stand plötzlich Kopf, fiel auseinander und setzte sich neu zusammen. Der einzige Fixpunkt in ihrem chaotischen Leben war er und würde es immer sein. Er war die Fackel im Sturm, das Leuchtfeuer in der Nacht. Er war ihr Anker, ihr Fels in der Brandung. Ihr Herz gehörte ihm, egal was geschehen würde. Nach all den Schrecken der vergangenen Wochen, wirkte dieser Augenblick ungeahnten Glücks wie reine Fantasie. Von ihren überschäumenden Gefühlen überwältigt, fand sie keine Worte um ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Stattdessen sah sie hilflos zu Kyle auf, der sie aus hoffnungsvollen Augen ansah. Jedoch begann seine Miene ganz langsam zu bröckeln und Enttäuschung mischte sich hinein. Erst da bemerkte sie, dass sie völlig vergessen hatte ihm zu antworten.
„Ja“, hauchte sie eilig. Kyles Augen begannen zu strahlen und ein breites Lächeln trat in sein Gesicht. „Was für eine Frage. Natürlich will ich!“ Mit den letzten Worten warf sie sich in seine Arme und er fiel rücklings auf das Bett. Sie stützte sich auf die Ellbogen, um ihn ansehen zu können. „Du überraschst mich immer wieder.“
„Na, immerhin gelingt mir wenigstens das noch“, sagte er und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Als Leibwächter habe ich ja jämmerlich versagt.“
„Du wirst es mir noch eine ganze Weile vorhalten, nicht wahr?“, vermutete sie und strich mit den Fingern über seine Wange.
„Immerhin muss ich dein schlechtes Gewissen für meine Zwecke ausnutzen.“ Kyle grinste hämisch und fing sich einen Schlag gegen die Schulter ein, dann beugte sie sich vor und küsste ihn lang und zärtlich.
Nachdem sich ihre Lippen von einander gelöst hatten, bettete sie ihren Kopf auf seine Brust und begann abwesend an den Knöpfen seines Hemdes zu spielen.
Eine Weile blieben sie so liegen und genossen die Zweisamkeit. Schließlich runzelte sie die Stirn, hob den Kopf und sah Kyle fragend an. „Wo war eigentlich Meister Albion?“
„Er...“, setzte Kyle an und verstummte gleich darauf. Vorsichtig schob er sie von sich herunter und setzte sich auf. Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck folgte sie seinem Beispiel. Ein schwerer Seufzer entrang sich Kyles Kehle, als er nach ihrer Hand griff.
„Während der Schlacht wurden Meister Albion, Sharon, Norwin und Constantin vom Schattenkönig selbst angegriffen. Meister Albion lenkte den dunklen Herrscher ab, während die anderen eine Möglichkeit zur Flucht suchten.“ Sein Griff wurde stärker und Aurelia ahnte, was als nächstes folgen würde. „Als der Meister sich zurück ziehen wollte, warf der Schattenkönig einen Dolch nach ihm.“ Er schwieg, dann sah er sie an. „Aurelia - es tut mir so leid.“
„Nein. Das kann nicht sein.“ Ihre Stimme bebte.
„Leider ja. Sein Leben fand auf dem Schlachtfeld ein Ende“, sagte er mitfühlend.
Stumme Tränen begannen ihre Wangen hinab zu laufen, während sie versuchte die Nachricht zu verarbeiten. „Constantin!“, entfuhr es ihr plötzlich und sie sprang aus dem Bett.
„Aurelia! Bleib hier. Du bist noch nicht wieder bei Kräften!“ Kyle versuchte sie am Arm festzuhalten, doch sie entwischte seinem Griff und war durch die Tür verschwunden, noch ehe er ein weiteres Wort sagen konnte. Die hohen Wände warfen das Geräusch ihrer bloßen Füße auf dem kalten Stein der Gänge zurück, während sie durch das schlafende Schloss rannte.
Ihre Beine hatten ihr Gewicht nur widerwillig tragen wollen, doch mit jedem Schritt gewann sie an Kraft und an Geschwindigkeit zurück.
Sie bog um eine Ecke und in den Gang zu Constantins Zimmer. Mit hämmerndem Herzen erreichte sie seine Tür. Ohne zu überlegen, was sie tat, riss sie die Tür auf und trat ein.
Erschrocken fuhr Constantin von dem Stuhl auf, auf dem er gesessen hatte. Die blonden Haare standen wirr von seinem Kopf und erinnerten an eine Vogelscheuche. Ihre Blicke trafen sich und die traurige Gewissheit schlug wie die eisigen Wogen des Ozeans über ihr zusammen. Auf wackeligen Beinen ging sie zu ihm herüber und er schloss sie in seine Arme. Dann brach der Damm in ihrem Inneren und sie weinte bittere Tränen.