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Kapitel 5

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Ostarmanoth – 324 n. DK

Constantin ließ die Erinnerungen über sich hinweg strömen wie die Fluten eines Flusses, während er im Rahmen der Tür seines alten Zimmers lehnte.

Nach einer wochenlangen Reise hatten sie endlich den Orden erreicht. Zu seinem Erstaunen hatte sich Sharons Gesellschaft als äußerst angenehm erwiesen. Sie konnte tatsächlich sehr nett und hilfsbereit sein und nahm auch seine kleineren Späße mit Humor. Die Tage waren wie im Flug vergangen und insgeheim war er ein wenig enttäuscht, dass sie bereits den Orden erreicht hatten.

Seufzend schob er die Gedanken beiseite und trat ein. Es gab wichtigere Dinge, um die er sich zu kümmern hatte. Auf ihrem Weg nach Süden hatten sie mehrere Dörfer passiert und sich so unauffällig wie möglich nach den Rebellen erkundigt. Das Unterfangen hatte sich allerdings als schwieriger herausgestellt, als sie angenommen hatten. In den meisten Dörfern sorgten inzwischen Aurelias Soldaten für Ordnung, sodass die Rebellen sich mehr und mehr in den Untergrund zurückzogen. Nichts desto trotz hatten sie Einiges in Erfahrung bringen können. Das nächste Ziel würde Fort Kaltwasser werden.

Eigentlich hatte er vorgehabt Sharon im Orden zurück zu lassen und alleine weiter zu reiten, doch er zweifelte daran, dass ihm dies gelingen würde. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, freute er sich über ihre Gesellschaft.

Vor einem Schrank blieb er stehen und öffnete die Tür, um hinein zu sehen. Anschließend ließ er die Tasche von seiner Schulter gleiten und begann einige Dinge aus dem Schrank darin zu verstauen. Sein Zimmer war noch immer so, wie er es damals zurückgelassen hatte. Er vermutete, dass es sich bei Aurelias Zimmer nicht anders verhielt. Wenn er fertig war, würde er rüber gehen und auch dort einige Sachen zusammensuchen. Aurelia würde sich sicherlich freuen, einige ihrer liebsten Bücher wieder in Händen zu halten.

Schmunzelnd dachte er an ihre gemeinsame Vergangenheit zurück. Es war gerade einmal etwas mehr als ein Jahr vergangen und doch fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Zu viele Dinge waren in zu kurzer Zeit geschehen, um alles zu begreifen. Aurelia war nun Königin und bereits verlobt. Meister Albion weilte nicht mehr unter ihnen und er – Constantin - hatte sein Erbe angetreten.

Mit einem tiefen Atemzug beruhigte er seine aufschäumenden Gefühle, als er an die traurigen Gesichter dachte, mit denen sie am Morgen von den Ordensmitgliedern begrüßt worden waren. Der Schock saß noch immer tief, auch wenn alle darum bemüht waren den Anschein von Normalität zu wahren. Trotz der traurigen Umstände hatten sie ihn freudig willkommen geheißen und ihm, als neues Oberhaupt, ihre volle Unterstützung zugesichert.

Noch immer fragte sich Constantin, ob sein Meister weise gehandelt hatte, ihn als seinem Nachfolger zu ernennen. Doch auch wenn er selbst so seine Zweifel darüber hegte, würde er sein Bestes geben, um den Orden zum alten Glanz zu verhelfen. Den ersten Schritt würde er am Abend gehen, wenn er den Mitgliedern von Aurelias Wunsch berichtete. Er hoffte zutiefst, dass sie alle damit einverstanden sein würden.

Mit einem letzten Blick in den Schrank schnürte er die Tasche zu und schulterte sie. Danach verließ er den Raum und öffnete die Tür zu Aurelias Zimmer.

Wie er vermutet hatte, fand er auch hier alles unberührt vor. Langsam schritt er durch das Zimmer und blieb vor einem Bücherregal stehen. Mit dem Finger strich er über die Buchrücken, dann begann er eines nach dem anderen herauszuziehen und in der Tasche zu verstauen. Der Gedanke daran, dass sie beide nie wieder hierher zurückkehren würden, wirkte befremdlich. Schließlich hatten sie den größten Teil ihres Lebens an diesem Ort verbracht. Es war ihr Zuhause. Constantin hielt in der Bewegung inne und betrachtete seine Hand. Richtig. Es war ihr Zuhause gewesen. Aurelias Zuhause war nun Schloss Ehrenthal. Wohin ihn sein Weg noch führen würde, würde sich mit der Zeit zeigen. Seufzend fuhr er damit fort, die Bücher in die Tasche zu packen. Als er alles Wichtige beisammen hatte, verließ er das Zimmer und schloss die Tür. Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür hatte etwas Endgültiges. Mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen schritt er die Treppe hinab.


Wenige Tage später fanden sich Constantin und Sharon auf dem Weg nach Fort Kaltwasser wieder. Die Gespräche mit den Ordensmitgliedern waren besser verlaufen, als Constantin zu träumen gewagt hatte. Alle waren von Aurelias Idee begeistert gewesen und hofften, dadurch dem Orden neuen Aufschwung verleihen zu können. Umgehend hatte Constantin eine Nachricht nach Schloss Ehrenthal gesandt, um die Dinge möglichst schnell in Bewegung zu setzen.

Darüber immer noch hoch erfreut, saß er gut gelaunt auf seinem Pferd und genoss die warmen Strahlen der Frühlingssonne. Spannende Zeiten warteten auf sie. Unbewusst begann er zu summen und bemerkte es erst, als er Sharons Blick auf sich spürte. Sie ritt dicht neben ihm und beobachtete ihn stumm. Natürlich hatte sie darauf bestanden, ihn weiterhin zu begleiten. Selbst wenn die Aussicht darauf eine längere Zeit im Orden verbringen und dessen Lehren studieren zu können, recht verlockend gewesen war.

Er wandte sich ihr zu und schenkte ihr ein breites Lächeln. Ein verwirrter Ausdruck legte sich auf ihre Züge, aber dann erwiderte sie das Lächeln.

Sie erreichten Fort Kaltwasser ohne besondere Zwischenfälle. Die Stadt lag direkt an der Küste und der Geruch des Meeres erreichte sie, lange bevor sie die Stadt oder das Meer selbst sehen konnten. Fort Kaltwasser besaß einen riesigen Hafen und war ein wichtiger Knotenpunkt für den Handel. Hier wurden Güter aus Mherdon und den weiter entfernten Inseln des Westens nach Canthan eingeführt und wiederum Waren aus Canthan und Arthenholm in die Länder auf der anderen Seite des Meeres verschifft. Auch wenn es dem Land unter der Herrschaft Roderichs sehr schlecht ergangen war: Hier hatte zu jeder Zeit der Handel floriert und die Bewohner machten keinen Hehl aus ihrem Wohlstand.

Die weißgetünchten Gebäude waren gepflegt, die Straßen aufgeräumt und im guten Zustand. Überall herrschte rege Betriebsamkeit, während die Sonne von einem blass blauen Himmel herabsah. Möwen zogen kreischend ihre Kreise und die Wellen krachten tosend gegen die Kaimauern.

Als sie den Hafen erreichten, zügelte Sharon ihr Pferd und starrte mit offenem Mund auf das tiefblaue Wasser. Constantin sah sie an und lachte leise. „Warst du etwa noch nie am Meer?“

„Nein...“, hauchte sie. „Arthenholm hat keine Küste. Und soweit nach Westen hat es mich noch nie verschlagen.“

„Na schön. Lass uns nach einer Unterkunft suchen und die Pferde unterstellen. Danach können wir eine kleine Erkundungsrunde unternehmen“, schlug er vor.

„Wirklich?“ Sharon strahlte ihn an und er musste wiederholt lachen.

Sie ritten die Straße oberhalb des Hafengeländes entlang und machten vor einem Gasthaus mit dem Namen „Zum goldenen Anker“ Halt. Die Betreiber waren ein nettes, älteres Ehepaar und gaben ihnen die Schlüssel für zwei gemütlich eingerichtete Zimmer.

Nachdem sie die Pferde versorgt hatten, führte Constantin Sharon hinunter zum Hafen. An den Docks lagen hunderte von Schiffen in den unterschiedlichsten Größen vertäut. Neben kleineren Fischerbooten, gab es große Dreimaster und niedrige Schleppschiffe. Ganz am Ende eines langen Steges lag ein riesiges Handelsschiff mit vier Masten und bunten Klüversegeln. Als Galionsfigur diente der Kopf eines Löwen, welcher golden im Licht der Sonne glänzte. Bei dem Schiff handelte sich um das Flaggschiff der Handelsgilde, das in die entlegensten Winkel des Ozeans segelte, um dort seltene Waren zu laden und nach Canthan zu bringen.

Vom Hafen führte ein Weg hinunter zum Strand, dem Constantin und Sharon folgten. Spielende Kinder rannten kreischend über den Sand und in die Brandung hinein. Sharon blieb stehen und beobachtete die Kinder.

„Wenn du die Stiefel ausziehst, kannst du auch hinein gehen“, meinte Constantin und begann seine Stiefel aufzuschnüren.

Sie folgte seinem Beispiel und krempelte die Hosenbeine hoch. Zögernd ging sie hinter Constantin her, als dieser durch den feuchten Sand ins Wasser watete. Die Wellen trugen feine Schaumkronen und schwappten in einem sanften Rhythmus an Land.

„Es ist eiskalt!“, rief sie erschrocken und sah die Kinder ungläubig an. „Wie können sie da nur so unbefangen hineinspringen?“

Constantin lachte laut. „Das sind Kinder. Sie sind hier aufgewachsen. Für sie ist das völlig normal.“ Er bückte sich und hielt einen Finger ins Wasser. „Probier mal.“

Sharon folgte seiner Anweisung und verzog angewidert das Gesicht.

„Bäh!“ Sie spuckte aus. „Widerlich salzig!“

Sie funkelte ihn wütend an, als sie sein freches Grinsen sah. „Das hast du mit Absicht gemacht!“

Entschuldigend hob er die Hände, dann bückte er sich erneut und fischte etwas aus dem Wasser. Mit einer schnellen Bewegung wusch er es sauber und reichte es ihr. Argwöhnisch nahm sie es entgegen.

„Was ist das?“ fragte sie.

„Das ist eine Muschel. Vielmehr eine Muschelschale.“ Er sah sie abwartend an.

Sharon hielt die Schale hoch und betrachtete sie eingehend. „Sie ist wunderschön“, staunte sie.

„Muscheln sind lebende Tiere. Ihr Fleisch kann man essen. Nun ja. Ich mag es nicht, aber andere Menschen mögen es. Andere Tiere ernähren sich ebenfalls von Muscheln. Wenn man die beiden Schalen von einander trennt, kommt man an das weiche Innenleben“, erklärte er und schob die Hände in die Hosentaschen, während er weiter durch das Wasser watete.

Sharon verstaute die Muschelschale in ihrer Hosentasche und folgte ihm.

„Woher weißt du so viel über das Meer?“, wollte sie wissen.

„Viel weiß ich nicht. Nur das Wenige, was mein Vater mir beigebracht hat“, sagte er. „Bevor ich zum Orden gekommen bin, war ich mit meinen Eltern und meinen jüngeren Geschwistern oft im Sommer am Meer.“

„Erstaunlich“, sagte sie und sah sich um. „Es ist wundervoll hier.“

„Das stimmt.“ Constantin blieb stehen und sah sie an. „Aber leider sind wir nicht zum Vergnügen hier.“ Er blickte zum Hafen zurück. „Lass uns umkehren. Wir haben noch einiges zu erledigen.“

Sharon wirkte enttäuscht, erhob aber keine Einwände.


Constantin klopfte an die Tür, bevor er sie öffnete und den Kopf hinein steckte.

„Bist du so weit?“, fragte er und sah Sharon fragend an. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und war gerade dabei, ihr langes, blondes Haar unter einer weiten Kapuze zu verstecken. Ihre Kleidung war genau wie seine - alt und abgetragen. Nichts sollte sie beide als Personen von hohem Rang verraten, wenn sie auf die Rebellenführer trafen. Es hatte einige Tage gebraucht und sie etliche Mühen gekostet, aber schließlich hatten sie einen Kontakt zu der im Untergrund arbeitenden Rebellenbewegung knüpfen können. Constantin hatte sich als Sohn eines Bauern ausgegeben, welcher sich den Rebellen anschließen wollte. Scheinbar hatten die richtigen Leute davon Wind bekommen und so kam es, dass er eine Einladung zu einem Treffen erhalten hatte.

„Fertig“, sagte Sharon und ging auf ihn zu. „Unglaublich, dass wir die selbe, billige Tarnung verwenden, wie Kyle und Aurelia damals.“ Sie schlug ihm spielerisch gegen die Schulter und grinste breit.

Constantin brummte etwas unverständliches und stieg die Treppe hinab. Draußen vor dem Gasthaus blieb er stehen und setzte eine dunkle, unförmige Mütze auf. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch beobachtete er einige zankende Möwen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Sharon im Gasthaus zurückblieb. Allerdings gab sie sich in dieser Hinsicht völlig stur. Blieb nur zu hoffen, dass seine Befürchtungen von unbegründeter Natur waren.

Er atmete tief durch und ging voran. Sharon hielt sich dicht an seiner Seite, während sie von der Hauptstraße abbogen und eine Seitengasse betraten. Sie führte sie fort von der Hafenpromenade und den Geschäften und hinein in einen stillen Winkel der Stadt. Die Häuser blieben gepflegt und ordentlich, aber es wurde merklich ruhiger in den engen Straßen und Gassen. Immer weniger Passanten begegneten ihnen, bis sie schließlich die einzigen Personen in diesem Teil der Stadt zu sein schienen.

Vor einem kleinen schlichten Haus am Ende einer gewundenen Gasse blieben sie stehen. Die Fassade war, wie bei allen anderen Häusern, weiß gestrichen. Die Holztür leuchtete in einem dunklen Blau und im Vorgarten fanden sich mehrere hübsche Blumenbeete. Alles wirkte unscheinbar und gewöhnlich. Misstrauisch betrachtete Constantin das Haus, dann stieg er die wenigen Stufen zur Tür hinauf. Noch ehe er die Hand heben konnte, um den Türklopfer zu greifen, wurde die Tür nach innen aufgerissen.

Ein großer Mann mit einer hässlichen Narbe im Gesicht musterte ihn grimmig. Dann blickte er an Constantin vorbei zu Sharon und dann die Gasse hinab und wieder hinauf.

„Ist euch jemand gefolgt?“, fragte er barsch.

„Nein. Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Constantin.

Der Mann grunzte und winkte die beiden hinein. Im Flur bedeutete er ihnen stehen zu bleiben und unterzog sie einer eingehenden Musterung.

„Wer ist die Frau?“, fragte er schließlich und konnte den lüsternen Ausdruck in seinen Augen nicht zur Gänze verbergen.

Sharon schoss dem Mann einen finsteren Blick und reckte trotzig das Kinn vor, doch dann griff sie nach Constantins Arm und senkte den Kopf.

„Das ist meine Frau“, antwortete Constantin rasch und legte demonstrativ einen Arm um sie.

Der Mann grunzte wieder und kreuzte die Arme vor der Brust. „Woher kommt ihr und was wollt ihr?“

„Wir kommen aus Lokkum - ein kleines Dorf weiter Land einwärts“, sagte er. „Seitdem die Armee des Schattenkönigs über das Land gezogen ist und alles auf ihrem Weg dem Erdboden gleich gemacht hat, sind wir heimatlos. Wir haben alles verloren - nur die Kleider an unseren Leibern sind uns geblieben.“ Bei diesen Worten begann Sharon herzergreifend zu schluchzen und drückte ihr Gesicht an seine Schulter.

„Die Königin scheint sich nicht für uns zu interessieren“, sprach er in einem abfälligen Ton weiter. „Darum haben wir beschlossen, uns den Rebellen anzuschließen. Wer braucht schon eine Königin und ihre leeren Versprechungen? Ich bin der Meinung, dass wir ohne sie besser dran sind.“

Der Mann mit der Narbe grinste breit und schlug ihm mit einer seiner riesigen Pranken auf die Schulter. „Deine Einstellung gefällt mir, Junge. Ich werde unseren Anführern Bescheid geben. Wir werden sehen, was sie von eurer Geschichte halten.“

Er drehte sich um und bedeutete ihnen ihm zu folgen. Seine Füße verursachten ein schlurfendes Geräusch auf dem Boden, während er sie in einen schmalen Gang hinein führte, in dem sich lediglich zwei Türen befanden. Der Mann öffnete eine davon und wies sie an einzutreten. „Wartet hier, bis ich zurück bin.“ Damit schloss er hinter ihnen die Tür und verschwand.

Constantin wartete, bis die schlurfenden Schritte verklungen waren, dann öffnete er rasch die Tür und spähte auf den Gang hinaus. Das Narbengesicht stand vor der Tür des Nachbarzimmers und wartete scheinbar darauf hineingelassen zu werden. Eine Stimme drang aus dem Zimmer auf den Flur hinaus und Constantin zog schnell den Kopf zurück. Leise drückte er die Tür ins Schloss.

„Und?“, fragte Sharon, doch er legte lediglich einen Finger an die Lippen. Suchend sah er sich in dem kleinen und spärlich eingerichteten Zimmer um. Schließlich blieb sein Blick an einer leeren Vase aus Glas hängen, die auf einem niedrigen Schränkchen stand. Geschwind schnappte er sie sich und ging damit zur Wand zum Nachbarraum. Vorsichtig ließ er sich auf die Knie nieder, drückte die Vase gegen die Wand und legte eine Hand über die Öffnung. Dann schloss er die Augen und ließ seine Magie hineinfließen. Neugierig kam Sharon näher und ließ sich neben ihm nieder. Constantin öffnete die Augen und lächelte selbstgefällig.

„Hör gut zu“, sagte er und brachte ein Ohr dicht an die Vase. Sharon tat es ihm gleich und schnappte nach Luft.

„Wo lernt man denn so etwas?“, fragte sie empört.

Constantins Grinsen wurde breiter. „Ich hatte einen guten Lehrmeister.“

Sie schnaubte abfällig. Dann schloss sie konzentriert die Augen, um dem Gespräch im Nachbarzimmer zu lauschen.

„Wie lange müssen wir dieses Versteckspiel noch betreiben? Allmählich verliere ich die Geduld!“ Eine dunkle Männerstimme dröhnte aus dem Glas. Erschrocken riss Sharon die Augen auf.

„Das ist Thoumas!“, wisperte sie.

Constantin nickte und bedeutete ihr still zu sein.

„Immer mit der Ruhe. Scheinbar hält unsere, ach so geliebte, Königin es doch für nötig, etwas zu unternehmen.“ Die zweite Stimmte gehörte zweifelsfrei dem Rebellenführer namens Jorg. Er machte ein Geräusch als würde er auf den Boden spucken. „Sei es drum. Der Herr wird schon bald neue Befehle aus Mherdon schicken.“ Er kicherte. „Solange ist es unsere Aufgabe, soviel Unruhe zu stiften, wie es uns möglich ist.“

Thoumas brummte zustimmend. „Hauptsache die Bezahlung stimmt.“ Er hielt einen Moment inne. „Und am Ende des Tages will ich dieses elende Weibsbild am Galgen baumeln sehen. Man, wie ich ihr hübsches Gesicht hasse - schon seit dem Tag, als ich es zum ersten Mal gesehen habe.“

Jorg lachte laut auf. „Jetzt heiratet sie auch noch diesen Bär von Leibwächter. Wirklich königlich! In welch einer Zeit leben wir denn?“

„In einer Zeit, in der wir die königliche Familie endgültig stürzen“, antwortete Thoumas glucksend. „Trotzdem - ich frage mich, warum der Herr solch ein Interesse an der Zerschlagung des Königreiches hegt“, murmelte er.

Jorg machte einen grunzenden Laut. „Wen kümmert's? Er unterstützt unsere Sache und am Ende des Tages streichen wir auch noch einen riesigen Batzen Gold ein.“

Ein lautes Klopfen unterbrach das Gespräch und eine zarte Frauenstimme erklang. „Ich soll ausrichten, dass die neuen Anwärter eingetroffen sind. Hektor wartet bereits seit einiger Zeit. Ich habe ihm gesagt, dass Ihr Euch noch in einer Besprechung befindet, aber er....“

„Schon gut“, grollte Thoumas. „Sag ihm, er soll sie herein bringen.“ Die Tür fiel hörbar ins Schloss. „Die Anwärter habe ich doch tatsächlich vergessen.“

Constantin beendete den Zauber, sprang auf und stellte die Vase zurück.

„Wir haben genug gehört. Es ist Zeit zu verschwinden“, raunte er Sharon zu.

Er drehte sich zur Tür, die jedoch bereits geöffnet wurde. Der Mann mit dem Narbengesicht baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihnen auf.

„Verdammt“, zischte Constantin leise und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht. Sharon hielt den Kopf gesenkt und drückte sich an seine Schulter.

„Die Anführer wünschen euch zu sehen“, verkündete der Mann.

Einen Augenblick lang überlegte Constantin, einfach an dem Mann vorbei zurennen und ins Freie zu stürzen. Allerdings wollte er so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen. Vielleicht hatten sie Glück und Jorg und Thoumas erkannten sie nicht.

Mit einer Hand fuhr er sich über die kratzigen Borsten seines Bartes, den er sich hatte stehen lassen. Sie würden es auf einen Versuch ankommen lassen müssen. Falls ihre Tarnung versagen sollte, würden sie sich notfalls mit Magie einen Weg nach draußen erkämpfen.

Er griff nach Sharons Arm und zog sie dicht an sich heran, während sie hinaus auf den Gang traten und zur Tür des Nachbarzimmers gingen. Leise flüsterte er ihr seinen Plan ins Ohr und beobachtete währenddessen verstohlen den Mann mit dem Narbengesicht.

Hinter der Tür zum Nachbarraum lag ein winziger Vorraum, durch den sie in ein geräumiges Zimmer gelangten. Die hintere Wand wurde vollständig von einem deckenhohen Bücherregal verdeckt. Davor stand ein wuchtiger Schreibtisch, hinter welchem sich Thoumas in einem Stuhl lümmelte. Die Füße auf die Tischplatte gelegt, beobachtete er sie mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Jorg stand etwas abseits vor dem Fenster und spähte hinaus.

„Ihr seid also diejenigen, die sich unserem Kampf gegen die Hexenkönigin anschließen wollen?“, begrüßte Thoumas sie.

Sharon hielt den Kopf weiterhin gesenkt, während Constantin mit einem Brummen antwortete.

„Sprich deutlich!“, blaffte Jorg. „Und zeigt gefälligst eure Gesichter, wenn ihr mit uns sprecht.“ Er sah zu Thoumas herüber. „Die Jugend von heute hat anscheinend keine Manieren mehr.“

Constantins löste den Griff um Sharons Arm und fasste stattdessen ihre Hand, während er langsam die Mütze vom Kopf zog. Sie drückte sachte seine Hand und ließ ihre Kapuze ebenfalls heruntergleiten.

„Entschuldigt vielmals“, sagte Constantin und straffte die Schultern.

Thoumas nahm die Füße vom Tisch, setzte sich auf und musterte ihn kritisch. „Dein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, Bürschchen.“

„Ich glaube, da irrt ihr Euch. Vermutlich verwechselt Ihr mich mit jemandem“, wehrte Constantin ab. „Im Übrigen haben meine Frau und ich es uns anders überlegt. Vielleicht sind wir den Rebellen doch keine so große Unterstützung, wie wir dachten.“

„Das entscheiden immer noch wir“, grollte Jorg und trat näher. „So einfach macht ihr keinen Rückzieher.“

„Das gibt es nicht!“, entfuhr es Thoumas plötzlich. „Das ist Constantin Korell! Und das blonde Weib...“ Er deutete mit dem Finger auf Sharon.

„Ganz Recht, ich bin die Hohe Magierin Quoos“, sagte Sharon kalt und reckte das Kinn vor. „Es wird uns eine Freude sein, Königin Aurelia höchstpersönlich von Euren Plänen zu berichten.“ Sie schenkte den beiden ein zuckersüßes Lächeln.

Thoumas Gesicht lief puterrot an. Plötzlich machte er einen Satz über den Schreibtisch hinweg.

„Nur über meine Leiche!“ Er landete und sprang auf sie zu. „Männer! Schnappt sie euch!“, brüllte er laut.

Ein Lichtblitz flammte auf und blendete ihn und Jorg. Constantin hechtete zur Tür und zog Sharon mit sich. Zusammen rannten sie den Gang entlang und zur Eingangstür zurück. Stimmen und Schritte ertönten im Stockwerk über ihnen und aus dem Gang gegenüber stürmten bereits die ersten Rebellen auf sie zu. Sharon machte eine schnelle Handbewegung und ließ den Dielenboden vor den Männern explodieren. Staub und Holzsplitter flogen umher. Erschrocken sprangen die vordersten Männer zurück, sodass die nachfolgenden stolpernd in sie hineinliefen. In einem wilden Knäuel aus Armen und Beinen stürzten sie zu Boden. Lautes Fluchen hallte durch den Eingangsbereich, während Constantin und Sharon die Tür erreichten. Mit einem Ruck riss Constantin die Tür auf, dann sprangen sie hinaus auf die Straße. So schnell es ging, rannten sie die Straßen entlang und zum Gasthaus zurück.

„Hol unser Gepäck! Ich sattel die Pferde!“, rief Constantin atemlos, als sie das Gasthaus erreichten. Ohne sich umzudrehen, verschwand er in den Stallungen.

Sharon eilte ins Wirtshaus und spurtete die Stufen zu ihren Zimmern hinauf. In Windeseile hatte sie sich das Gepäck geschnappt und stürzte wieder aus dem Gasthaus hinaus, noch ehe der erstaunte Wirt ihr etwas nachrufen konnte. Draußen wartete Constantin bereits mit den Pferden auf sie. Mit wenigen Handgriffen befestigte er die Taschen auf den Rücken der Tiere, dann half er Sharon in den Sattel, ehe er selbst aufstieg. Mit einem lauten Schnalzen trieben sie die Tiere zu einem flotten Trab an.

„Kannst du irgendetwas sehen?“, fragte Constantin über die Schulter hinweg.

„Nein. Nichts...“ Sharon stellte sich in die Bügel und blickte sich um. „Scheinbar haben sie uns nicht verfolgt.“

Sie trabten um eine Ecke und erreichten die Hauptstraße, die aus der Stadt heraus führte.

„Kann ich mir fast nicht...“ Ein Pfeil zischte durch die Luft und verfehlte Constantins Kopf um wenige Zentimeter. Zitternd schlug der Pfeil in einer Hauswand ein.

„Vorwärts!“, schrie er und stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Erschrocken machte das Tier einen Satz nach vorne und preschte los.

Tief über die Hälse ihrer Tiere gebeugt, donnerten sie die Straße hinunter. Immer wieder schossen Pfeile über sie hinweg, die sie jedoch mit deutlichem Abstand verfehlten. Das Stadttor flog an ihnen vorbei und sie ließen Fort Kaltwasser hinter sich.

Schattendrache

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