Читать книгу June - Babette Hünerwadel - Страница 7

Kapitel 2

Оглавление

Weit sind wir nicht gekommen. Ein vergilbtes Ortsschild mit dem Namen „Authon du Perche" lässt uns ahnen, dass der Bahnhof vor Langem stillgelegt worden sein muss. Das Bahnhofsgebäude ist ebenso verschlossen wie die Bank und die Metzgerei gegenüber und gibt das Bild eines verschlafenen Dörfchens wieder.

Das Glück scheint mir hämisch ins Gesicht gelacht und sich von dannen gemacht zu haben. Was zum Teufel läuft hier schief? Erst treffe ich auf das Schreckgespenst meiner Vergangenheit, das zudem noch meine Hilfe benötigt, welche ich unter diesen Umständen nur schwer verweigern kann, und dann steht der Zug plötzlich still. Bewegt sich nicht mehr vom Fleck.

Von Glück könnten wir allenfalls reden, dass wir in einem Kaff und nicht mitten in der Einöde gestrandet sind. Vielleicht sollte man alles von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, um dem Ganzen doch auch etwas Positives abgewinnen zu können.

Nachdem wir die Hoffnung an den Nagel gehängt haben, dass wir irgendeine brauchbare Information zur Sachlage erhalten würden, geschweige denn, dass sich der Zug innerhalb kürzerer Zeit wieder fortbewegen würde, stehen wir mitsamt unserem Gepäck ratlos auf dem stillgelegten Rangierbahnhof.

„Lass uns ein Hotel suchen, damit wir das Gepäck loswerden. Nur für eine Nacht, hörst du? Danach werden sich unsere Wege unwiderruflich trennen!"

Manche Dinge muss man einfach von vornherein klarstellen, damit keine falschen Vorstellungen aufkommen. Und ein teures Hotelzimmer werde ich auch nicht bezahlen. Das kann sie sich gleich abschminken.

Die Debatte über die Preise der Hotelzimmer, die sich in meinem Kopf abgespielt hat, war jedoch vollkommen überflüssig, denn es gibt, wie sich kurz darauf herausstellen würde, in diesem Kaff nur eine einzige kleine, heruntergekommene Pension.

Der Anblick der Pension, der sich uns nach einigem Herumirren schließlich bietet, lädt eher dazu ein, unseren Krempel zu packen und schleunigst auf den nächsten Zug zu springen. Leider steht diese Option, wie es aussieht, nicht zur Verfügung und so haben wir keine andere Wahl, als den abgegriffenen Türgriff zu betätigen und uns unserem Glück zu stellen.

Der kleine Raum, den wir betreten, ist rappelvoll. Für ein Städtchen, das beinah menschenleer wirkt, herrscht hier reger Betrieb. Vor uns stehen etwa sieben aufgebrachte Paare, die allesamt untergebracht werden wollen. Ich gehe davon aus, dass hier normalerweise nicht mal zu Silvester oder am 14. Juli solch ein Andrang herrscht. Da muss schon die Bahn unplanmäßig in diesem abgelegenen Ort stranden, dass dieser Flecken und vor allem diese Pension solch Hochkonjunktur erleben.

Der Raum ist erdrückend düster und das Stimmengewirr hat wohl die zulässige Dezibelgrenze längst überschritten. Junes Ellenbogen trifft schmerzhaft auf meine Rippe. „Komm schon ... wenn wir noch ein Zimmer wollen, müssen wir ran!"

„Du willst ein Zimmer? Na dann mal los!", antworte ich galant und mache eine einladende Handbewegung Richtung Tresen.

„Ich mein es ernst, Levin! Willst du auf der Straße übernachten?"

Ich lasse mich zwar nicht gerne rumkommandieren und schon gar nicht von June, aber vielleicht hat sie gar nicht so unrecht. Ich will gerade meine Ellenbogen zum Einsatz bringen, als mich June zurückzieht.

Das Zwinkern, das sie mir zuwirft, lässt mich Böses ahnen. Junes Gesicht beginnt sich zu verziehen, ihre Hände wandern zum Bauch. Ein lautes Stöhnen kommt über ihre Lippen, das sogar mich erschrecken lässt. Die gesamte Meute dreht sich nach uns um und starrt uns an. Das Ganze ist mir ziemlich unangenehm.

Wieder macht meine Rippe Bekanntschaft mit Junes Ellenbogen. So langsam kratz ich meine Hirnzellen zusammen und versuche, eine geeignete Reaktion an den Tag zu legen.

Ich räuspere mich. „Bitte entschuldigen Sie, meine Frau hat starke Schmerzen. Sie wissen schon ...", meine Stimme senkt sich zu einem Flüstern. „Ihre Tage. Nichts Dramatisches, aber manchmal wird sie sogar ohnmächtig, wenn sie sich nicht hinlegen kann!"

Welche Wirkung doch diese Worte haben können! Jede einzelne Person im Raum schaut entweder betreten zu Boden oder schielt mitleidig an uns vorbei. Wie von Zauberhand öffnet sich eine Schneise zwischen den Anwärtern auf die Zimmer, um uns zur Rezeption schreiten zu lassen, wo uns die bärtige Frau mit dem düsteren Blick und der wild geblümten Schürze schon einen Schlüssel in die Hand drückt.

„Die Formalitäten können wir später erledigen. Bringen Sie Ihre Frau erst mal nach oben, damit sie sich hinlegen kann! Zweite Etage, drittes Zimmer."

Meine Hand auf Junes Rücken, verlassen wir den Raum Richtung Treppenhaus. Kaum außer Sichtweite, höre ich ein Glucksen neben mir. June kann sich nur mit Mühe zusammenreißen, um nicht loszuprusten.

„Du bist unmöglich, June! Die armen Leute!" Obwohl ich es durchaus ernst meine, kann auch ich mich kaum halten. Das Terrain, auf dem ich mich bewege, ist gefährlich. Ich fühle mich schmerzlich in gute Zeiten zurückversetzt. Illusorische Zeiten. Was war ich dumm damals! Was bin ich heute dumm! Ich lache, obwohl ich weiß, dass es nicht gut ist. Dass ich es nicht zulassen sollte.

Ihr Lachen zieht mich mit, wie es das schon immer getan hat, ob ich nun will oder nicht. Langsam erholen wir uns, das Lachen verebbt und ich schaue die Frau an meiner Seite an. Sehe den Schalk in ihren Augen, den ich früher an ihr so liebte.

Das Lachen von eben steckt irgendwo in meinem Hals und alles scheint falsch. Falsch, an diesem Ort zu sein und vor allem falsch, mit June hier zu sein. Ich fühle mich um Jahre zurückversetzt. Vor mir steht nicht mehr die Frau, die mich mit ihrer Verrücktheit zum Lachen bringt, sondern die Person, die alles zertreten hat, was mir wichtig war.

Von den dunkelgrünen Wänden des Treppenhauses blättert die Farbe ab und durch das kleine Fenster am Ende des Korridors dringt kaum Licht ins Dunkel. Verdammt, worauf habe ich mich da nur eingelassen!

Der Schlüssel dreht sich ächzend im eingerosteten Schloss, die Tür öffnet sich quietschend. Vor uns liegt die Errungenschaft, die wir uns hart erkämpft oder besser erschwindelt haben. Eine winzige Kammer mit einem Bett von kaum einem Meter Breite, ein schmuddeliges Waschbecken in einer Ecke des Zimmers und ein kleines Fenster, das den grandiosen Ausblick zum Hof bietet.

Ich eile zum Fenster, reiße es auf und schließe die Augen. Eine Nacht! Eine Nacht, bis ich meinen Frieden wiederhabe und die Vergangenheit wieder in der Versenkung, wo sie so gut aufgehoben war, ruhen kann.

„Ich geh dann mal duschen, Levin."

Kein Wort verlässt meine Lippen, nur ein Nicken. Ich lege mich aufs Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starre an die Decke. Wie ein vernünftiger Mensch. Ich ... nein, wir müssen uns wie vernünftige Menschen benehmen. Das sollte doch möglich sein!

All die Dinge, die ich fein säuberlich im hintersten Winkel meines Unterbewusstseins verstaut habe, sollen gefälligst auch dort bleiben. Jetzt geht es mir gut. Ich bin erfolgreich im Job, habe haufenweise Freunde und führe ein tolles Leben. Oder?

Eine knappe Stunde später kehre auch ich frisch geduscht in unser Zimmer zurück. „Komm, lass uns was essen gehen. Ich brauch was zwischen die Zähne."

June sitzt im zerschlissenen Sessel, die Füße auf das Fensterbrett gestützt. Die wirren blonden Locken verleihen ihr sowohl etwas Wildes, Ungezähmtes als auch etwas Zartes, während sie mich mit ihren grünen Augen betrachtet. Meine Augen verfangen sich in ihr. Gewaltsam muss ich sie von ihr losreißen.

„Na los! Ich sterbe vor Hunger!" Ungeduldig dränge ich sie, endlich in die Gänge zu kommen.

„Okay okay! Gehen wir!"

Die blumengeschürzte Frau an der Rezeption begrüßt uns. „Geht es Ihnen besser? Ich hoffe doch! Ich weiß, das Zimmer ist nicht groß, aber wenigstens gemütlich!"

Na ja. Unter gemütlich verstehe ich etwas anderes. Ein prasselndes Kaminfeuer und Schaffelle sind gemütlich. Aber ich will nicht undankbar sein. Schließlich ist das Zimmer definitiv gemütlicher, als auf der Straße zu nächtigen.

Das Lächeln auf Junes Gesicht, als sie an den Tresen tritt, erinnert an einen Sommertag. Ob ich will oder nicht, auch ich denke an Sommertage.

„Ja, Madame. Danke, es geht mir viel besser! Können Sie uns vielleicht sagen, wo wir ein gutes Restaurant finden?"

„Das Etoile liegt rechts, zwei Straßen weiter. Ist wohl das Einzige, das geöffnet ist."

June dreht sich zu mir um. „Schatz! Das klingt doch zauberhaft!" Das strahlende Lächeln, das June mir zuwirft, drängt mich, den Laden so schnell wie möglich verlassen zu wollen. Nur nicht zu lange hinsehen!

Die frische Abendluft, die mir entgegenschlägt, lässt mich aufatmen. Den ersten Teil des Tages habe ich bereits hinter mich gebracht. Immerhin.


June

Подняться наверх