Читать книгу June - Babette Hünerwadel - Страница 8

Kapitel 3

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Im Gegensatz zum Zimmer macht das Etoile tatsächlich einen gastfreundlichen Eindruck. Wir lassen uns an einem der Tische draußen nieder. Als ob mich das Universum zuvor gehört hätte, so hat es uns also doch die vermisste Gemütlichkeit beschert. Die Schaffelle, die auf den Steinbänken unter der Weinlaube liegen, verfehlen ihre Wirkung nicht. Jetzt benötigen wir nur noch die Käseplatte und die Flasche Rotwein, um dem Klischee eines typisch französischen Lokals gerecht zu werden.

Dieses Klischee tue ich mir, gerade jetzt, sehr gerne an, wenn auch nicht zwingend mit einer Käseplatte. Meine vom düsteren Hotelzimmer geschundene Seele scheint förmlich nach etwas Harmonie und Gemütlichkeit zu schreien und dank der Wolldecken und Schaffelle brauchen wir uns nicht mal den Allerwertesten abzufrieren.

Die Jahreszeit kann nicht über die heute etwas kühleren Temperaturen hinwegtäuschen. Für Anfang September liegen wir wohl doch etwas im unteren Bereich der Thermometerskala.

Die Speisekarte besteht aus einfachen, aber lecker klingenden Gerichten und so entscheide ich mich für Kartoffelgratin mit Lamm und June bestellt das Steinpilzrisotto.

„Rotwein dazu?" Obwohl ich selten Rotwein trinke, gibt mir die Umgebung das Gefühl, dass dieser hier angebracht ist. June stimmt mir mit freudigem Gesicht zu, auch sie scheint nichts gegen den einen oder anderen Tropfen zu haben.

Da sitzen wir nun also. Das denkbar ungünstigste Zweiergespann verbringt den Abend zusammen. Noch immer schreit alles in mir, die Flucht ergreifen zu wollen, trotzdem siegt meine Neugier über die Vernunft.

„Erzähl doch mal. Wohin hat es dich getrieben seit ... damals." Krampfhaft versuche ich alles, was unter das Wort damals fällt, gedanklich auszublenden.

„Mit 18 Jahren ging ich von der Schule ab und hatte eine ganze Weile keinen Dunst, was ich mit mir anfangen sollte. Irgendwie fehlte mir der Elan von früher ... du weißt schon."

Ja, ich weiß. Ich kenne oder besser kannte ihren Elan, ihre Begeisterungsfähigkeit und Verrücktheit. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, wie gut meine Idee war, sie nach ihrer Geschichte zu fragen. Ist es denn möglich, über ihr Leben zu quatschen, ohne dass das „Früher" reinfunkt?

„Ich hab dann eine Lehre als Friseurin gemacht. Nicht wirklich mein Traumjob, alten Frauen blaue Dauerwellen zu verpassen. Aber irgendwas musste ich ja tun."

„Ja, das ging wohl uns allen so. Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der in diesem Alter schon weiß, wie er sein Leben verbringen will. Wir können wohl von Glück sprechen, wenn wir es jetzt wissen." Ohne es zu beabsichtigen, zwinkere ich ihr zu und mein Mund verzieht sich zu einem Lächeln.

Der Kellner bringt unseren Wein und unterbricht für einen kurzen Moment die Unterhaltung.

„Auf uns!" June hebt das Glas.

Wie ein erschrockenes, paralysiertes Rehkitz, das ein auf sich zurasendes Auto anstarrt, schaue ich sie an. Auf uns?

„Na ... auf unsern Abend hier", versucht mich June zu beschwichtigen. Anscheinend hat sie meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet.

„Ja klar ... auf den Abend." Ich versuche mich zu fangen und räuspere mich. „Was hast du dann gemacht?"

„Wie das Leben so spielt, hat sich das eine aus dem andern ergeben. Eine meiner Stammkundinnen, keine der blau dauergewellten Sorte übrigens, ist Schauspielerin am Theater und hat mir die richtigen Kontakte vermittelt. So konnte ich nach einigen Bemühungen als Quereinsteigerin einen Job als Maskenbildnerin am Theater ergattern."

„Wow! Cool. Gratuliere, June!", sage ich und meine es zur Abwechslung auch tatsächlich so. Junes Gesicht dankt mir mit dem umwerfenden June-typischen Lächeln.

„Ja, ich habe meinen Platz gefunden. Beruflich wenigstens."

Mein Blick heftet sich fragend an ihren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Frage, die auf meinen Lippen liegt, lieber nicht ausgesprochen werden sollte. Zu viel Persönliches ist nicht das, worauf ich es heute Abend abgezielt habe. Trotzdem kann ich die Worte entgegen jeder Vernunft nicht zurückhalten.

„Und privat ...?" Ich nehme einen großen Schluck Wein.

„Vieles ist Illusion. Du denkst, du kennst jemanden. Du denkst, du bist glücklich und dann ... na ja, dann ist alles anders. Von einem Tag auf den andern."

Noch ein Schluck. Unerwünschte Erinnerungen kommen auf.

„Autsch ... klingt nicht gut."

Junes Mund verzieht sich zu einem undefinierbar traurig-sarkastischen Lächeln. „Gibt Besseres."

Unser Essen wird vor uns auf den Granittisch gestellt. Endlich! So langsam spüre ich die Wirkung des Weins. Etwas in den Magen zu bekommen, ist sicher nicht die schlechteste Idee.

„Was ist mit dir?" Die verschmitzten Halbmondaugen schauen mich interessiert an.

Ich gebe ihr die Kurzfassung meines Lebens wieder. Journalistikstudium abgebrochen, gejobbt und durch Zufall beim Radio gelandet. Wie ich eine Chance erhalten habe, eine erste Sendung zu moderieren und sich der Umfang der Arbeit und die Verantwortung verselbstständigt haben. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Nicht mehr wissen, wofür die ganze Arbeit, auch wenn sie eigentlich Spaß macht. Oder Spaß gemacht hat. Früher.

„Du solltest kürzertreten. Du siehst grottenschlecht aus, Levin."

Ich stürze den Rest des Weins runter. Sie hat ja recht und ich weiß das. Aber wo soll ich anfangen? Mit dem Kürzertreten, meine ich. Ich habe meine Projekte, die ohne mich nicht laufen. Ich bin wie der kreative Motor, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass der Motor unter der Last der Maschinen erdrückt wird.

„Vielen Dank auch!" Etwas beleidigt bin ich dann doch über ihr zweifelhaftes Kompliment, was June jedoch nicht zu tangieren scheint.

„Und dein Liebesleben ...?"

„Nix Festes. Zumindest die letzten drei Jahre nicht. Davor hatte ich mal eine Beziehung, aber irgendwie ... ich weiß nicht. Wir hatten nicht denselben Humor. Nicht dieselben Interessen und Ziele. Na ja, irgendwann hat's nicht mehr viel Sinn ergeben."

Mittlerweile fühle ich mich ganz wohl. Die Abendluft umhüllt uns, die Kerzen auf dem Tisch tauchen das Ambiente in ein passend schummriges Licht, während wir in unsere Decken gehüllt gefährliche Themen vorsichtig zu umschiffen versuchen. Zumindest tue ich das. June scheint jedoch anderes im Sinn zu haben.

„Levin, wegen damals ..."

„Nicht, June. Tu es nicht!" Meine Worte schieben sich zwischen uns und versuchen mit schneidendem Ton die Grenze zu markieren, die ich nicht zu überschreiten gewillt bin.

Bevor June etwas erwidern kann, rufe ich nach dem Kellner. „Garçon! Noch einen Wein bitte!"

Von gegenüber schauen mich zwei grüne Augen mit einem verletzten Ausdruck an. Scheiße! Warum kann sie die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen! Und warum zum Geier schaut sie mich so enttäuscht an?

„Es ist schon so lange her ..." Ein erneuter Versuch ihrerseits.

„Genau! Es ist schon so lange her, dass es keine Rolle mehr spielt." In meinem doch schon etwas benebelten Hirn ist mir zwar bewusst, dass diese Worte eigentlich keinen Sinn ergeben, aber das ist mir gerade herzlich egal.

Stille breitet sich aus. Junes Augen heften sich durchdringend an meine, was mich etwas unbehaglich fühlen lässt, jedoch greift sie das Thema nicht mehr auf. Immerhin. Wir suchen uns ein paar unverfängliche Themen.

„Hör mal, June", meine Stimme hat schon einen vom Wein verliehenen nuschelnden Klang. „Solltest du nich' besser zurück nach Paris und auf die Botschaft, wegen dein'm Ausweis und so?"

June zeigt mir ein Kopfschütteln. „Ich muss auf eine Hochzeit. Auch wenn ich nicht unbedingt scharf drauf bin, aber ich muss da hin."

„Warum? Ich mein, warum musst du da hin?"

Junes Hände spielen mit dem halbvollen Weinglas. „Ist eine lange Geschichte..."

„Ich habe Zeit."

Doch Junes schon etwas verschwommener Kopf zeigt mir wieder ein Schütteln. Scheinbar hat sie genau so viel Bock, mir die Geschichte zu erzählen, wie ich über früher sprechen will.

Belangloses Geplauder füllt den Rest des Abends und vermischt sich mit dem Wein und dem gemütlichen Ambiente unter der Laube.

Je länger wir hier sitzen, je mehr Wein wir trinken, desto zauberhafter wird Junes Lachen und die Vergangenheit rückt immer weiter in die Ferne.

June

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