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Angie 1973

Angie war der Paradiesvogel. Sie arbeitete stundenweise als Leihoma, was ihr sehr viel Spaß machte. Sie versuchte sich auch gerne als Detektivin. Zumindest sah sie hinter allem und jedem eine potenzielle Gefahr. Eine Miss Marple war nichts gegen sie.

In ihrer Freizeit liebte es die zweiundsechzigjährige ewige Hippie-Braut, mit ihrem Puch 500 durch die Gegend zu düsen. Manchmal, aber eher selten, besuchte sie ihren Sohn Dave, der ganz im Gegensatz zu ihr ein stinknormales Leben als Bilanzbuchhalter führte.

Ach, überhaupt Dave! Das war auch so eine Sache! Damals, als Angie jung gewesen war, in den Siebzigern, da nahm man das alles nicht so genau. „Leben und leben lassen“ war die Devise. „Make Love, Not War!“ Den Vater von Dave kannte sie gar nicht. Eigentlich kamen da mehrere Burschen infrage. Sie hatte von damals, es war eine feuchtfröhliche Party gewesen, ein verschwommenes Foto, das sie hütete wie ihren Augapfel. Darauf waren drei langhaarige Möchtegernmusiker und sie zu sehen. Jeder hielt sich für einen zweiten Jimmy Hendrix oder Mick Jagger. Man wollte einfach cool sein.

Die Vornamen hatte sie damals auf der Rückseite des Polaroids notiert. Einer hatte ein Gilet über dem nackten Oberkörper angehabt und trug eine Kette mit Peace*)-Anhänger. Der Zweite hatte ein fantasievolles Jackett à la „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“*) der Beatles an und der Dritte trug einen bodenlangen schwarzen Mantel und sonst offensichtlich nichts außer einem Leoparden-Slip. Er machte das Victory-Zeichen*). „Maximantel“ nannte man das damals. Die gingen bis zum Knöchel. Dann gab es noch Midi und Mini, je nach Länge der Bekleidung. Mitten unter diesen drei Burschen stand Angie, lediglich mit einem durchsichtigen Kaftan in den buntesten Farben und einem schwarzen Slip gekleidet.

Mein Gott, war das damals ein wilder Abend gewesen! Es gab alle möglichen Alkoholika und auch sonst noch allerlei legale und illegale Genussmittel. Der Rauch waberte durch die Räume. Wo hatte die Party überhaupt stattgefunden? Sie wusste es nicht mehr. Musste wohl irgendwo in Währing in einer Bassenawohnung*) gewesen sein.

Einer Tatsache war sie sich jedoch sehr sicher. Einige Tage nach der wilden Party begann die „Teenage Fair“*) in Düsseldorf. Das war im Jahr 1969.

Angie war irgendwann in der Früh, oder sagen wir einmal, so am frühen Nachmittag, aufgewacht und konnte sich an nichts mehr erinnern. Musste ziemlich wild hergegangen sein!

Naja, und wie es dann halt oft so ist, irgendwann kam die morgendliche Übelkeit und lange konnte sie ihren Eltern kein X mehr für ein U vormachen. Sie flog von der Schule.

In den Gymnasien zu dieser Zeit, in der die meisten Schulen noch reine Mädchen- oder Bubengymnasien waren, war ein Zweier in Betragen schon ein Grund, der Schule verwiesen zu werden. Schwangere Maturantinnen waren damals ein absolutes No-Go.

Damals gab es auch noch den Karzer*). Kennt das heute noch jemand? Sicher nicht! Andere Zeiten – andere Sitten! Das war ein hoch offizielles Nachsitzen für die ganze Klasse mit benoteter Lateinarbeit. Die Schüler waren in Gruppen eingeteilt, damit nicht abgeschrieben werden konnte. Geschummelt wurde aber trotzdem.

Also, Angie war von der Schule geflogen. Heim konnte sie auch nicht, die Eltern wollten nichts mehr von ihr wissen. Zu groß war die Schande, die sich nicht mehr lange verbergen lassen würde. Eine schulpflichtige Tochter, die schwanger war, das war damals undenkbar, eine Blamage für die ganze Familie.

Ein paar Nächte trieb sie sich notgedrungen auf dem benachbarten Friedhof herum, irgendwo im Gebüsch hinter dem Häuschen des Friedhofswärters Manfred. Den hatte sie flüchtig gekannt. Reinlassen konnte er sie nicht, weil seine Mutter bei ihm lebte. Es war ja Sommer, die Nächte waren lau. Dann zog sie zu einer Freundin, die etwas älter war und schon eine kleine Garçonnière*) hatte. Dort kam sie fürs Erste unter und schlief auf einer Luftmatratze in der Küche.

Nach der Entbindung von ihrem Dave zog sie in ein Mutter-Kind-Heim draußen im vierzehnten Bezirk und konnte nun ihre Ausbildung fertig machen, wofür sie sehr dankbar war.

Schließlich hatte sie die Matura nachgeholt und fand eine Anstellung in einem Verlag. Sie suchte sich eine eigene kleine Wohnung für sich und Dave. Den Kleinen gab sie tagsüber in die Kinderkrippe. Das lief einwandfrei.

Manchmal ging sie auf Demos gegen die Unterdrückung der Frau, gegen BHs, gegen den Vietnam-Krieg, für das Recht am eigenen Körper. Dave war immer dabei gewesen, zuerst im Tragetuch, dann im Buggy aus dem Secondhand-Shop. So lernte er im zarten Alter schon die Macht der Worte und der Auflehnung gegen das Establishment*) kennen. Ach ja, einen „Haushaltsvorstand“*) gab es damals auch noch! Der Herr des Hauses durfte über alles bestimmen, auch über seine Frau. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Er durfte ihr sogar verbieten, arbeiten zu gehen.

Angie bemühte sich, Dave ihre Werte zu vermitteln, und ihm beizubringen, dass Frauen gleichberechtigt sind. Leider ist es weder der Politik noch der Wirtschaft bis heute gelungen ist, Frauen und Männer gleich zu entlohnen. Eines der letzten Mysterien unserer Zeit, außer vielleicht den Ufos und dem Yeti.

Ab und zu ließ Angie es noch krachen, so richtig mit LSD*) und Alkohol, meistens jedoch war sie eine fürsorgliche Mutter. Dank der Pille, die nunmehr bereits erhältlich war, passierte auch nie mehr etwas Ungeplantes. Mit den drei Fotovätern hatte sie nie mehr Kontakt gehabt. Wozu auch? Sie war stark genug, Dave allein großzuziehen. Sie konnte das!

Sie trug ausschließlich gebrauchte Kleidung, die sie mit einem goldfarbenen Kettengürtel auf ihre benötigte Weite regulierte. Sie liebte Filme wie „Saturday Night Fever“ und „Grease“ mit John Travolta und über ihrem Tisch hing ein Poster von John Lennon und Yoko Ono im Bett*). Die beiden hatten sich 1969 dazu entschlossen, so für den Weltfrieden zu protestieren. „Make Love, Not War“ war damals die beliebte Devise.

Na, wie auch immer, Dave wurde größer und konnte sich mit den oft allzu freizügigen Weltanschauungen seiner Mutter nicht mehr identifizie-ren. Sie war ihm oft sogar peinlich. Immer wieder musste er sich bei seinen Freunden oder deren Eltern erklären.

Angie hielt jedoch an ihrer Maxime fest, lebte immer noch die Themen der Siebziger und trug die gleichen Kleider wie damals.

An ihrem Arbeitsplatz war sie der bunte Hund. Wann immer jemand etwas über die Hippiezeit wissen wollte, war sie die Nummer eins für Auskünfte. Da konnte sie stundenlang reden und wusste nahezu alles über diese Ära. Die jungen Kollegen staunten oft nicht schlecht, was damals so abgegangen war. Man konnte sich das heute gar nicht mehr vorstellen.

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Nice Girls Verrückte Hühner, leicht ergraut

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