Читать книгу Nice Girls Verrückte Hühner, leicht ergraut - Barbara Bilgoni - Страница 9

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Ria

Ria hatte in einer großen Textilfirma im Büro gearbeitet. Sie war sechsundfünfzig Jahre alt, geschieden und bereits in Frühpension. Ihr Rücken hatte ihr in den letzten Jahren das Leben zur Hölle gemacht. Die sitzende Tätigkeit, und das acht Stunden pro Tag, war wohl die Ursache. So hatte sie schon vorzeitig in Pension gehen müssen. Ihr Arzt hatte mit einem entsprechenden Attest dafür gesorgt, dass das möglich war.

Ria liebte die Natur und ging für ihr Leben gerne im Wald spazieren. Nun, Zeit dafür hatte sie ja jetzt genug und die Bewegung tat ihr gut.

Noch mehr als den Wald liebte Ria ihre drei Katzen, Othello, Cicero und Cleopatra. Die drei waren Wurfgeschwister und eine richtige Rasselbande, doch sie machten ihr sehr viel Freude. In ihrer Gesellschaft fühlte sie sich pudelwohl. Mit Männern hatte sie weitaus weniger Glück gehabt – das waren alles Versager gewesen. Trotzdem probierte sie es immer wieder. Irgendwann würde sie schon noch den Passenden finden.

Ihre beiden Töchter, Sina und Dolly, waren erwachsen und lebten bereits ihr eigenes Leben. Beide sahen eher Rias Ex ähnlich als ihr und hatten auch mehr von seinem Wesen geerbt. Sie waren beide Lehrerinnen außerhalb Wiens und sie kamen ihre Mutter nicht sehr oft besuchen.

Ria hatte seinerzeit Walter mit ihrem humorvollen Wesen, ihren blauen Augen und ihren blonden Locken im Sturm erobert. Er hatte ihren weiblichen Waffen nichts entgegenzusetzen gehabt. Beharrlich hatte er um sie geworben, bis sie endlich ein Jahr später JA gesagt und Walter geheiratet hatte. Die wilden Siebziger waren an den beiden spurlos vorübergegangen. Sie waren angepasst.

Bald hatte sich jedoch herausgestellt, dass Walter ein aufbrausendes Gemüt hatte. Immer öfter gab es Riesenkrachs und anschließend heftige Versöhnungen. Daraus sind wohl Sina und Dolly entstanden. Wenige Jahre später, die Mädchen gingen in die Volksschule, ließen sich Ria und Walter scheiden. Es ging einfach nicht mehr.

Ria konnte nun endlich in Frieden leben. Sie fuhr jedes Wochenende in das Umland von Wien und streifte dort durch die Natur. Mödling, Rodaun, der Pappelteich, der Kahlen- und Leopoldsberg waren ihre Lieblingsziele.

Anfangs waren die beiden Töchter noch gerne mitgegangen, doch sobald sie ins Teenageralter gekommen waren, hatten sie andere Vorlieben, und Ria machte ihre Ausflüge allein.

In ihrer Handtasche hatte sie immer ein Buch. Sie liebte es zu lesen, und oft suchte sie sich bei ihren Wanderungen ein sonniges Plätzchen, vertiefte sich in ihr Buch und vergaß nicht selten Raum und Zeit um sich herum. Sie lebte dann in englischen Schlössern, in österreichischen Palästen oder irgendwo in Südafrika oder Alaska. Bücher waren ihr Ein und Alles und ein probates Mittel gegen die Einsamkeit.

Mit der Zeit waren Sina und Dolly erwachsen geworden, hatten ihren Beruf gefunden und sich eigene Wohnungen gesucht.

Jetzt ging Ria auf die Pirsch. Sie wollte nicht mehr allein sein. Ein Mann musste her, jetzt, da sie in Pension war. Durfte ruhig jünger sein als sie, natürlich sehr ansehnlich, sportlich, humorvoll und ganz wichtig: Er musste ihre Katzen, Othello, Cicero und Cleopatra, lieben.

Ria begann auszugehen. Sie fing an, sich modischer zu kleiden, legte sich einen peppigen Haarschnitt zu und suchte Tanzcafés auf. Die Abende dort waren zwar immer recht fröhlich und unterhaltsam, jedoch einen Mann fürs Leben fand man dort auch nicht. Bei vielen der Herren konnte man am Ringfinger noch den Abdruck des zuvor versteckten Eheringes erkennen. Andere verplapperten sich unabsichtlich. Ria hatte da schon ein Repertoire an Fragen, mit denen sie den Tanzpartnern so allerlei Geheimnisse entlocken konnte. Männer waren naiv und antworteten immer das Erste, das ihnen in den Sinn kam. „Voriges Jahr hatten wir in Palermo ein wunderschönes Zweibettzimmer.“ „Ich bin einfach zu ungeschickt, mir selbst meinen Anzug auszusuchen.“ „Immer diese Haare im Waschbecken!“

Nein, einen Verheirateten wollte sie keinesfalls!

Und die anderen, die vielleicht wirklich noch nicht oder nicht mehr gebunden waren, die hatten andere Macken. Manche trugen Tennissocken in schwarzen Lederschuhen. Manche hielten es nicht einmal für notwendig, sich vor dem Tanzabend zu rasieren oder gar zu duschen. Was glaubten die eigentlich alle? So konnte man das Herz einer Frau nicht erobern. Aber sicher nicht!

Ria merkte, dass das mit den Cafés nicht das Allheilmittel war. Sie schaute sich im Internet um. Dort gab es die verschiedensten Angebote. Diverse Seiten versprachen das ewige Glück, die Zweisamkeit im Alter. Ja, richtig gelesen! Es gab auch Angebote für Oldies.

Ria schrieb sich dort ein. Bald kamen die ersten Anfragen. Manche schickten fesche Porträtfotos mit. Man konnte sich denken, dass da nachgeholfen worden war. Oder die Bilder waren schon zwanzig Jahre alt.

Einmal hatte sich Ria mit Werner verabredet. Werner war ein fescher Kerl. Er hatte schwarzes, üppiges Haupthaar, einen kleinen Schnurrbart, eine athletische Figur. Auf dem Foto!

Ausgemacht war ein Treffen in einem Kaffeehaus im zweiten Bezirk. Ria hatte sich vorgenommen, auf alle Fälle eine Viertelstunde zu spät zu kommen. Auf gar keinen Fall wollte sie allein am Tisch sitzen und warten, was passierte.

Sie würde hineingehen, und sollte sie Werner nicht entdecken, dann verschwand sie einfach wieder. Man konnte nie wissen, was den Herren der Schöpfung einfiel. Ein bisschen spürte sie jetzt schon die Schmetterlinge flattern. Die Vorfreude war immer das Schönste.

Der Tag des Treffens zog ins Land und Ria machte sich schön. Sie stylte ihre Haare, die immer noch blond waren. Na ja, wir wollen ehrlich sein. Ein ganz klein wenig musste sie schon nachhelfen, aber das durfte man als Frau. Sie zog ein hübsches Kleid und passende Schuhe an. Dann fuhr sie in die Stadt.

Als Kennzeichen war ein Buch von Rosamunde Pilcher vereinbart. Beide sollten eines bei sich haben. Sicher ist sicher!

Es war fünfzehn Uhr fünfzehn. Sie atmete tief durch und betrat das Lokal. Um Gottes Willen, alle Tische waren besetzt. Mehrere Gäste hatten Bücher bei sich. Ratlos stand sie mitten im Raum. Wer war nun wohl Werner?

Da sprang plötzlich ein untersetzter Herr mit Halbglatze auf. Er trug ein Ruderleiberl, so nannte man das früher. Heute heißt das auf Neudeutsch ja T-Shirt. Ferner trug er eine kurze Hose und weiße Socken in schwarzen Badeschlapfen. Ein Bild von einem Mann!

Die Schmetterlinge verwandelten sich in der Sekunde in dicke, fette Engerlinge, die sich in Rias Eingeweide fraßen.

„Frau Ria, Frau Ria!“, rief er quer durch das Café. „Erdboden tue dich auf und lass´ mich auf der Stelle versinken“, dachte sich Ria noch mit Schamesröte im Gesicht, da war er schon bei ihr und zog sie vehement zu seinem Tisch. Für Flucht war es eindeutig zu spät.

Wo war er, der fesche Kerl mit schwarzem, üppigem Haupthaar, einem kleinen Schnurrbart und einer athletischen Figur? Hier auf gar keinen Fall!

Um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, ließ sich Ria zum Tisch ziehen und setzte sich. „Oh Herr, lass‘ diesen Kelch an mir vorübergehen“, dachte sie noch, da ergriff Werner schon ihre beiden Hände und schmachtete sie an: „Frau Ria, Sie sind ja mein Lotto-Sechser, mein Haupttreffer. Wui, Sie sind der Hammer, eine Bombenfrau! Da werden meine Spezln aber schauen!“

Säuerlich lächelte Ria und sah sich nach dem Kellner um: „Eine Melange, bitte.“ Wie bringe ich bloß die Zeit schnell herum? Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl umher.

Schon begann Werner, ihr sein halbes Leben zu erzählen. Er war Badewaschl*) im Stadionbad, eine Respektsperson sozusagen. Für einen Freund hatte er bei der Bank eine Bürgschaft übernommen. Der Freund war weg und er war noch da. Keine Frage, an wen sich die Bank jetzt hielt. Er musste zahlen. Er war daher etwas knapp bei Kasse, sie müsse das schon verstehen. Das wäre doch sicher kein Hindernis für sie! Wenn man sich liebe, müsse man das doch nicht so eng sehen.

„Frau Ria, wie gefalle ich Ihnen denn? Sie sagen ja gar nichts? Ich bin schon ein schmuckes Kerlchen, oder? Wir würden ein hübsches Paar abgeben. Haben Sie eigentlich eine große Wohnung und eine gute Pension?“

„Ja, freilich, gar keine Frage, ein schmuckes Kerlchen“, quetschte sie mühsam heraus, grün im Gesicht. Heimlich schob Ria fünf Euro unter die Untertasse ihrer Melange und entschuldigte sich. Sie müsse dringend aufs Klo. Sei wohl die Nervosität, meinte sie noch entschuldigend.

Verstehend zwinkerte Werner ihr zu: „Gar kein Problem, aber lassen Sie mich nicht zu lange allein. Könnte ja sein, dass mich Ihnen eine andere Dame flugs wegschnappt und schon gehen Sie leer aus!“

„Keine Sorge, ich eile.“ Und im Tempo einer Überschallrakete flitzte sie Richtung Klo und geradewegs durch den versteckten Hinterausgang auf die Straße. Dort wischte sie sich den Angstschweiß von der Stirn und lief eilends zur Busstation. Gott sei Dank kam der Bus gerade daher und sie hüpfte schwungvoll hinein und fuhr zielstrebig weg vom Ort des Grauens. Zu Hause angekommen nahm sie sich keine Zeit, die Schuhe auszuziehen. Sie rannte zum Computer und löschte blitzartig ihr Profil auf dieser Partner-Seite. Werner sollte sie nicht mehr finden!

Jetzt nahm sie sich einmal ausgiebig Zeit, ihre drei Miezen zu streicheln. Sie brauchte Entspannung. Othello war der Frauenversteher. Er schaute ihr tief in die verzweifelten Augen, schnurrte „Mrr“ und stupste sie zärtlich an. Das hieß wohl so viel wie: „Ach, vergiss den Loser. Was brauchst du einen Mann, wenn du mich hast. Schau, ich bin da! Was willst du mehr?“

Cicero war etwas spröder. Ihn musste man locken. „Komm her zu mir, Cici. Komm! Ich hatte heute so ein schreckliches Erlebnis. Ich bin so froh, dass ich euch drei habe. Und du, Cleo, du bist meine Feine. Komm, lass‘ dich streicheln.“

Und langsam wurde Ria wieder ruhiger. Katzen senken ja sogar den menschlichen Blutdruck allein durch ihre Anwesenheit. Ria spürte schon, wie die Aufregung nachließ. Sie entspannte sich zusehends.

„Ein Satz mit X – das war wohl nix“, dachte sich Ria und hatte fürs Erste einmal genug von Männern, für heute jedenfalls!

Wenig später begegnete ihr in der Straßenbahn ein richtiger Gentleman. Sie war gestolpert und er hatte sie gerade noch auffangen können, sonst wäre sie wohl gestürzt. Da sie zufällig an derselben Station aussteigen mussten, ergriff er die Gelegenheit beim Schopf und fragte, ob er sie auf eine Tasse Kaffee einladen dürfe. Ria freute sich und bejahte.

Sie saßen in einem gemütlichen Kaffeehaus, plauderten über dieses und jenes. Der nette Herr erzählte, dass er verwitwet sei und früher Meteorologe war. Er kannte sich mit Schlechtwetterzonen und Hitzewellen aus. Ria erzählte aus ihrem früheren Beruf und dass sie nun schon in Pension war und drei Katzen hatte.

Es war eine nette Plauderstunde. Später gingen sie auseinander, nachdem sie die Telefonnummern ausgetauscht hatten. Der Gentleman hieß Wolfgang.

Ria wollte aber auf Nummer sicher gehen und meldete sich neuerlich bei einem Partnerschaftsportal an. Sie blickte sich in Ruhe um, fesche Männer, einer selbstbewusster als der andere. Und, man will es kaum für möglich halten: Werner war auch dabei. Doch Ria war schlau und postete kein Foto von sich und auch nicht ihren richtigen Vornamen. Sie wartete einmal ab, was passieren würde.

Von drei Männern wurde sie noch am gleichen Tag angeschrieben. Mit zweien davon traf sie sich. Die waren aber auch wieder ein Reinfall. Wie könnte es auch anders sein? Einer war ihr zu alt, der andere zu jung.

Ria beschloss, sich fürs Erste auf andere Dinge zu konzentrieren. Die Männer liefen ihr ja nicht davon. Mehr und mehr hatte sie festgestellt, dass ihr Geld in der Frühpension kaum mehr für den Lebensunterhalt reichte. Sie lebte noch immer in der großen Familienwohnung. Jetzt war sie aber allein und benötigte nicht mehr so viele Zimmer. Irgendetwas musste sie sich einfallen lassen.

Sie teilte ihren Töchtern mit, dass sie sich etwas Kleineres suchen würde. Sina und Dolly gaben ihr recht. Sie solle sich in Ruhe umschauen und ihnen dann Bescheid geben.

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Nice Girls Verrückte Hühner, leicht ergraut

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