Читать книгу Nice Girls Verrückte Hühner, leicht ergraut - Barbara Bilgoni - Страница 8
ОглавлениеJahre später.
Sobald ihr Sohn die Schule beendet hatte, zog er von daheim aus. Er ließ sich zum Bilanzbuchhalter ausbilden, trug Anzug, Hemd und Krawatte. Sein Haar war kurz geschnitten und akkurat gescheitelt. Mit seiner Mutter wurde er von da an in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen. Er lebte das Leben eines Langweilers und Erbsenzählers. Das hatte Angie einmal bei einem Zerwürfnis zu ihm gesagt.
Eines Tages bekam sie Post. Sah irgendwie offiziell aus. Merkwürdig! Nachdenklich steckte sie den Brief in die Tasche, ging in ihre Wohnung, legte ihn dort ab und vergaß ihn sofort wieder.
Irgendwann, ein halbes Jahr später, läutete es an ihrer Tür. Angie öffnete und sah sich einem Ebenbild ihres Sohnes gegenüber, zumindest was die Aufmachung anging, nur Jahre älter.
Förmlich stellte sich der ältere Herr als Notar Dr. Bergmüller vor. Ob er eintreten dürfe, fragte er höflich und verhalten.
Angie bat ihn herein, führte ihn ins Wohnzimmer, das mit bunten Seidentüchern und vielfarbigen Lampions geschmückt war. Sie bat ihn, Platz zu nehmen, und fragte, ob sie einen Kaffee anbieten dürfe. Sie traute sich nicht, ihm etwas anderes zu kredenzen, denn von einem Hippie hatte er rein gar nichts an sich. Sie kam mit den Tassen zurück und setzte sich zu Herrn Dr. Bergmüller. Der zog unter den mild blickenden Augen von John Lennon ein Schriftstück aus seiner spießigen Aktentasche.
„Frau Angelika Kogler, ich brauche noch einen Ausweis von Ihnen. Dann können wir zur Tat schreiten. Wissen Sie überhaupt, wie lange wir nach Ihnen gesucht haben?“ Angie hatte keine Ahnung, holte jedoch ihren Reisepass und zeigte ihn dem Notar.
„Frau Angelika Kogler, geboren vierter Januar 1953“, las er deutlich vor. „Es stimmt, Sie sind es! Gar kein Zweifel!“
„Wer bin ich denn? So sprechen Sie schon! Worum geht es überhaupt? Habe ich auf der Straße ein Kaugummi-Papier nicht ordnungsgemäß entsorgt? Habe ich jemandem den Vogel gezeigt? Bin ich die Miete schuldig? Ich bin mir keiner dieser Vergehen bewusst.“
„Frau Kogler, ich bin hier als Testamentsvollstrecker des verstorbenen Herrn Mike Pospischil. Er war allen seinen Freunden unter dem Namen Mike bekannt, wurde mir versichert. Er hieß natürlich in Wirklichkeit Michael Eduard Pospischil. Das war sein offizieller Name.“ Wie zur Bekräftigung zog er ein vergilbtes Polaroidfoto aus einem Kuvert.
Angie erkannte es sofort wieder. Offenbar hatte damals jemand mehrere Fotos gemacht, denn nahezu das gleiche war ja in ihrem Besitz. Sie errötete bis unter die Haarwurzeln. „Das hier sind doch Sie? Habe ich recht? Diese Dame in dem originellen Nachthemd.“
„Mhm“, war alles, was Angie peinlich berührt herausquetschte. Sie knetete ihre Finger. Die waren schon ganz weiß und blutleer.
„Nun, Ihr Gesichtsausdruck bestärkt mich immerhin in meinem Gefühl, hier richtig zu sein“, meinte er grinsend. Er legte das Foto auf den Tisch und deutete ausgerechnet auf den Maximantel-Leo-Typ.
Herr Michael Eduard Pospischil ist vor acht Monaten verstorben. Er hatte offenbar etwas zu exzessiv gelebt. Obwohl, nach außen hin sah er die letzten Jahre durchaus angepasst aus. Über die genauen Umstände seines Ablebens ist mir leider nichts bekannt. Er war CEO in einer namhaften Elektronikfirma und hatte es letztendlich doch zu so etwas wie einem kleinen Vermögen gebracht. Ich bin sein Nachlassverwalter und in dieser Funktion bin ich heute hier. Meine Kanzlei hatte Sie schon vor Monaten angeschrieben, jedoch haben Sie sich nie gemeldet. Schade! Es ist unnütze Zeit verstrichen.
Nun, ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden, ich lese Ihnen jetzt das Testament meines Klienten vor.“
Und dann kam ein langer Sermon und Angie war so verwirrt und nervös, dass sie kein Wort verstand. Ratlos blickte sie drein. „Und was heißt das jetzt?“, fragte sie.
Frau Kogler, der hier auf dem Foto abgebildete Herr Michael Eduard Pospischil, allen seinen Freunden unter dem Namen „Mike“ bekannt, hat Sie als Alleinerbin eingesetzt. Da er Ihren Namen nicht mehr genau wusste, hatte er mich bei der Erstellung des Testamentes beauftragt, nach Ihnen zu suchen. Und Gott sei Dank konnte meine Kanzlei Sie ausfindig machen, was im Übrigen nicht einfach war. Wir hatten nur Ihren Vornamen und das Foto.“
„Was ist es denn, das ich geerbt habe? Ein Wellensittich? Ein Heizlüfter? Eine Tischdecke?“
„Frau Kogler, Sie erben eine zweihundert Quadratmeter große Wohnung in bester Wiener Lage am Opernring schräg gegenüber der Staatsoper, ferner Aktienpakete und einige Sparbücher. Außerdem habe ich hier noch einen Brief des Verstorbenen für Sie. Den können Sie nachher in Ruhe lesen. Verbindlichkeiten gibt es keine, daher kann ich wohl annehmen, dass Sie das Erbe antreten werden. Überlegen Sie bitte in Ruhe und suchen Sie mich morgen um vierzehn Uhr in meiner Kanzlei auf. Dann fertigen wir alles an und Sie können gleich die Wohnung besichtigen, wenn Sie das Erbe antreten. Die ist nur wenige Minuten von meiner Kanzlei entfernt und bereits geräumt und renoviert. Alles auf Anweisung von Herrn Pospischil.“
Er drückte Angie seine Karte in die Hand und verabschiedete sich förmlich mit Handkuss und leichter Verbeugung. Und weg war er.
Angie blieb staunend zurück. Sie kochte sich noch einen frischen Kaffee, kippte zur Stärkung einen Cognac hinein und machte sich dann daran, den Brief von Michael Eduard Pospischil vulgo „Mike“ zu lesen.
Sie las: Angie! Ich, Michael Eduard Pospischil, habe gestern von meinem Vertrauensarzt erfahren, dass ich unheilbar krank bin. Meine voraussichtliche Lebenserwartung beträgt noch ungefähr drei Monate. Das WIE und WARUM möchte ich mir hier sparen. Es ist für dich nicht von Bedeutung. Ich habe gut gelebt, habe in meiner Jugend nicht viele Eskapaden ausgelassen, habe getrunken, geraucht, gehascht und vieles mehr.
Leider war es mir nie vergönnt, eine Familie zu gründen. Es gibt also keine mir bekannten Nachkommen. Die irdischen Güter, die ich in meinen letzten Jahren angehäuft habe, möchte ich einem Mädchen vermachen, das ich in meiner Jugend gekannt habe.
Leider weiß ich nicht mehr viel von ihr, nur dass sie Angie hieß. Sie war damals eine scharfe Braut und nicht zu verachten. Ich glaube, wir haben es richtig krachen lassen.
Daher erteile ich meinem Notar, Dr. Eduard Bergmüller, den Auftrag, diese Angie zu suchen. Als einzigen Anhaltspunkt besitze ich lediglich ein Polaroidfoto, auf dem ich nicht sehr schmeichelhaft herüberkomme. In meinem späteren Leben war ich etwas anders gekleidet. Ferner sind auf dem Foto meine zwei Freunde und Angie abgebildet. Damals, es war zu Ende der Sechzigerjahre, wohnte sie in Wien. Falls dich Herr Dr. Bergmüller gefunden hat, dann bist das du, Angie, und ich setze dich als Alleinerbin ein. Du hast mir damals manch schöne Stunde bereitet, allerdings weiß ich nicht mehr sehr viel davon.
Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und eigenhändig: Michael Eduard Pospischil vulgo „Mike“.
Angie: Lass es krachen und denk´ an die alten Tage! Wir sehen uns – irgendwann – irgendwo! Peace!
Wien, am 3. Februar 2020
Darunter kam seine eigenhändige Unterschrift.
Angie musste schlucken. Mike! Ach Gott, Mike! Dunkel erinnerte sie sich an diese wilde Zeit in ihrer Jugend. Und wer weiß, vielleicht war dieser Mike ja sogar der Vater von Dave. Sie hatte es nie erfahren, was letztlich auch egal war. Aber diese Fügung nun, das war schon irgendwie seltsam. Sie beschloss, sich die Adresse am Opernring anzusehen.
Mit der U-Bahn fuhr sie in die Stadt und ging dort den gesamten Opernring ab. Allzu lange war dieser Teil der Ringstraße ja nicht. Er ging von der Kärntner Straße bis zur Eschenbachgasse. Das waren allerhöchstens dreihundert Meter. Die Hausnummer wusste sie noch nicht, aber die Gebäude waren allesamt wunderschön und eines davon musste ihr neues Domizil sein. Wenn sie das Erbe antrat. Ja, wenn! Sollte sie es machen?
Ganz so sicher war sich Angie da noch nicht. Früher hatte es ja auf der einen Seite die Hippies und auf der anderen das Establishment gegeben. Zwei Gegensätze, die so gar nicht zusammenpassten. Mit so einer Wohnung würde sie eindeutig in die zweite Kategorie gehören. Aber warum eigentlich nicht? Mike hatte keine Nachkommen und offenbar auch keine anderen Verwandten mehr. Und sie könnte die Wohnung sicher gut gebrauchen. Nach einer unruhigen Nacht fuhr sie mit ihrem Puch 500 am nächsten Nachmittag schnurstracks zu Herrn Dr. Bergmüller, um das Erbe anzutreten. Sie hoffte, dass ihr Auto während des Termins nicht abgeschleppt werden würde. In der Innenstadt von Wien sind die Parkplätze knapp und ein Parkpickerl hatte sie auch keines.
Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, bekam Angie den Wohnungsschlüssel. Sämtliche anderen Unterlagen würden ihr per Post zugehen. Herr Dr. Bergmüller gratulierte ihr herzlich und verabschiedete sie.
So, jetzt brauchte sie erst einmal Champagner! Das musste einfach sein! Gleich gegenüber der Oper betrat sie ein erlesenes Café, suchte sich den schönsten Tisch und bestellte sich das vornehme Getränk und ein Kaviarbrötchen. Wenn schon Establishment, dann ordentlich! Anschließend suchte sie das Haus auf, in dem ihre neue Wohnung lag, fuhr mit dem Lift ins Dachgeschoss und steckte andächtig den Schlüssel ins Schloss. Sie drehte ihn einmal um und betrat das Loft.
Mein Gott, war das schön hier! Ehrfürchtig durchschritt sie alle Räumlichkeiten. Eines wusste sie allerdings jetzt schon. Dies hier war viel zu groß für sie allein. Aber sie würde sich etwas einfallen lassen.
*